Ustvolskaya, Galina den Kern der Musik selbst. […] Ich lebe im zwanzigsten Jahrhundert, in dem es um einen herum Tausende von Strömungen gibt ... Ich gebe alle Kräfte, zu Gott flehend, für mein Schaffen; ich habe mein Schaffen, meine Musik, nur meine!“ (Galina Ustwolskaja. „Meine Gedanken über das Schöpfe- rische“. Übersetzt von Dorothea Redepenning. In: Musik- Texte 83, Köln 2000, S. 23) Profil Galina Ustvolskayas Leben war gekennzeichnet durch äu- ßerste Zurückgezogenheit und alleinige Vertiefung in das musikalische Schaffen. Ihre Heimatstadt St. Petersburg hat sie fast nie verlassen. Sie war eine eigenwillige Kom- ponistin mit einem äußerst markanten und individuellen Kompositionsstil. Durch ihr geistiges Verhältnis zur Mu- sik erhält diese häufig einen gebetsartigen, obsessiv-ver- sunkenen Charakter, verstärkt durch religiöse Themati- ken in einzelnen Werken. Ein konzentrierter Ausdruck wird durch die Ausreizung aller Extreme erreicht, so- wohl in der Dynamik und den Tonlagen als auch in der kontrastreichen Instrumentierung. Clusterbildung und Repetitionen tragen zu einem archaisch-meditativen Galina Ustvolskaya Grundcharakter bei. Galina Ustvolskaya Orte und Länder Varianten: Galina Ustwolskaja, Galina Ustvol‘skaja, Galina Ustvolskaya lebte zurückgezogen in Leningrad Galina Ivanovna Ustvolskaya, Galina Ivanovna bzw. St. Petersburg und hat die Stadt nur in Ausnahme- Ustwolskaja, Galina Ivanovna Ustvol‘skaja fällen verlassen. * 17. Juni 1919 in Petrograd (heute Sankt Petersburg), Biografie † 22. Dezember 2006 in St. Petersburg, Galina Ivanovna Ustvolskaya wurde am 17. Juni 1919 in Petrograd (heute St. Petersburg) geboren. Ihr Vater, der Komponistin und Kompositionslehrerin Rechtsanwalt Iwan Michailowitsch Ustwolski, entstamm- te einer Priesterfamilie, ihre Mutter, die Lehrerin Xenia Kornilewna Potapowa, kam aus einer verarmten Adelsfa- „Kunstwissenschaftler, Kritiker, Musikwissenschaftler ur- milie. Galina Ustvolskayas Kindheit war geprägt von ma- teilen von jeher über die Kunst im allgemeinen und im teriellen Schwierigkeiten. Eine ausgeprägte Eigenwillig- besonderen. Sie dringen nicht in den Kern eines Werks keit machte sich schon früh bemerkbar, z.B. blieb sie selbst vor. Das ist sehr schlecht. Ich habe es oft wieder- trotz Tadels oft dem Schulunterricht fern. Als Kind fühl- holt und bitte sehr darum: Es ist besser, nichts über mei- te sie sich unverstanden und war daher die meiste Zeit al- ne Musik zu schreiben als immer wieder das gleiche – sie lein. sei kammermusikalisch, kammermusikalisch, religiös Erste Begegnungen mit der Musik waren sehr emotional, und noch einmal religiös.[…] Das nicht Kammermusikali- so erzählt sie selbst: „Als ich in der Kindheit ‚Eugen One- sche meiner Musik ist das Neue, ist die Frucht meines gin‘ in der Oper hörte, heulte ich so, daß man mich aus qualvollen Lebens in der schöpferischen Arbeit! Und es dem Zuschauerraum entfernt hat. Onegin tat mir einfach geht nicht um die Anzahl der Ausführenden, sondern um leid. Mutter sagte, daß man Galina nirgends hin mitneh- – 1 – Ustvolskaya, Galina men darf, weil sie uns nur Schande bringt. Ich erinnere testen Schüler war Boris Tischtschenko (siehe Rubrik mich, daß das Orchester auf mich einen solchen Eind- „Würdigung“). ruck gemacht hat, daß ich gesagt habe: ‚Ich will ein Or- Mit dem Komponisten Juri Balkaschin verband sie eine chester sein!‘„ (Gladkowa, Olga. „‘Ich würde gern unter enge Freundschaft; sein plötzlicher Tod im Jahr 1960 einer Birke sitzen …‘ Galina Ustwolskaja im Gespräch“. hat Ustvolskaya schwer getroffen. Dieser Verlust mag ei- In: MusikTexte, Köln 2000, Heft 83, S. 27) ner der Gründe sein, dass sie in den 1960er Jahren so Galina Ustvolskaya lernte Violoncello spielen, und von gut wie keine Werke (außer dem Duett für Violine und 1926 an erhielt sie Musikunterricht an der Leningrader Klavier) komponierte und anscheinend erst wieder ab Chorfachschule. Ihr Studium absolvierte sie zunächst, 1970 neue schöpferische Kraft erlangte. von 1937 bis 1939, an der Musikfachschule in Lenin- Wenig ist darüber bekannt, dass Ustvolskaya verheiratet grad, anschließend bis 1947 am Rimski-Korsakow-Kon- war, denn hinsichtlich ihres Privatlebens wahrte sie Disk- servatorium und 1951 absolvierte sie schließlich ihre retion. Im Jahr 1966 hatte sie Konstantin Alexandrowit- Aspirantur. Komposition studierte sie bei Dmitri Schosta- sch Makuchin (Jahrgang 1941) geheiratet, der seinen Fa- kowitsch. Nach ihrem Studium wurde sie Mitglied des miliennamen 1999 in ‚Bagrenin’ ändern ließ. In den Erin- Komponistenverbandes. Sie übernahm eine Kompositi- nerungen ihres ehemaligen Schülers Simon Bokman (Si- onsklasse an der Musikfachschule in Leningrad (heute mon Bokman. Variations on the Theme Galina Ustvolska- St. Petersburg) und unterrichtete dort von 1947 bis Ende ya. Berlin: Kuhn, 2007) wird ihr Ehemann erwähnt, aller- der 1970er Jahre. dings nur am Rande und lediglich als „Kostja S., ein ehe- Das Verhältnis zu ihrem Kompositionslehrer Dmitri maliger Schüler“. „‘Comrades, let me introduce my hus- Schostakowitsch war zwiespältig und kompliziert – einer- band.‘ Ustvolskaya said, laughing. She was pleased to see seits bestand eine enge, vertrauliche Nähe sowie berufli- our looks of surprise, which we attempted to hide, but che Achtung (auch von Seiten Schostakowitschs), ande- could not.“ („‘Kameraden, lasst mich meinen Ehemann rerseits lagen die jeweiligen musikalischen und persönli- vorstellen‘, sagte Ustvolskaya lachend. Sie war erfreut, chen Ideale und Ziele zum Teil weit auseinander, so dass unsere überraschten Blicke zu sehen, die wir ohne Erfolg Differenzen vorprogrammiert waren. Ustvolskaya stritt zu verstecken suchten.“ Simon Bokman. Variations on im nachhinein ab, in irgendeiner Weise durch ihn musi- the Theme Galina Ustvolskaya. Berlin: Kuhn, 2007, S. kalisch beeinflusst worden zu sein. Allerdings scheinen 94) Bokman betont die Verschiedenheit ihrer Charaktere zwischenmenschliche Gefühlskonflikte bei der vehemen- und Ziele: „Kostia, a former student of hers, wrote songs, ten Ablehnung seiner Person eine tragende Rolle gespielt and it was strange to me, that someone so close to Galia zu haben (siehe die Rubrik „Mehr zu Biografie“). could write that kind of music. But they were together – Ustvolskayas Lehrtätigkeit an der Musikfachschule husband and wife – two such different people.” („Kostja, nimmt rein zeitlich gesehen einen bedeutenden Teil ih- ein ehemaliger Student von ihr, schrieb Lieder, und es res Lebens ein. „Aber ich habe nur unterrichtet, um mei- war seltsam für mich, dass jemand, der Galja so nahe- nen Lebensunterhalt zu verdienen und glaube nicht, daß stand, eine solche Art von Musik schreiben konnte. Aber ich Dutzende bekannter Komponisten ausgebildet habe sie waren zusammen – Mann und Frau – zwei so ver- – dafür war das Konservatorium da.“ (Gladkowa, Olga. schiedene Menschen.“ Simon Bokman. Variations on the „‘Ich würde gern unter einer Birke sitzen …‘ Galina Ust- Theme Galina Ustvolskaya. Berlin: Kuhn, 2007, S. wolskaja im Gespräch“. In: MusikTexte, Köln 2000, Heft 69-70) 83, S. 29) Auch wenn aus ihrer Sicht ihre pädagogische Galina Ustvolskaya lebte ihr ganzes Leben lang sehr zu- Tätigkeit in erster Linie der Sicherung des Lebensunter- rückgezogen und unzugänglich. Auch wenn ihre Werke halts diente, nahm sie sie dennoch ernst und engagierte spätestens seit den 1990er Jahren immer populärer wur- sich sehr. Ihre Wirkung als Kompositionslehrerin war be- den und besonders im Westen große Verbreitung fan- achtlich, nicht zuletzt aufgrund ihrer Ausstrahlung und den, besuchte sie Aufführungen ihrer eigenen Musik nur ihrer antiautoritären Unterrichtsmethoden: Sie wollte selten, ins Ausland reiste sie zunächst gar nicht. Erst den jeweils individuellen Charakter ihrer Schüler wecken nach einer Reise nach Amsterdam 1995 unternahm sie und forderte selbständige Studien ohne Kontrollen, um auch vereinzelt Reisen in den Westen und ließ sich (sel- die Eigenständigkeit zu unterstützen. Sie verwendete we- ten) auf Festivals und Konzerten sehen. Sie gab kaum In- der ihre eigene Musik im Unterricht noch wollte sie, dass terviews, auch nicht telefonisch. Ihr Leben widmete sie ihre Schüler ihrem Stil nacheiferten. Einer ihrer bekann- ganz der Musik. – 2 – Ustvolskaya, Galina Eine enge Bindung an St. Petersburg blieb bis zu ihrem Mehr zu Biografie Lebensende bestehen. „Ihr spezifischer, von geradezu fa- natischer Konsequenz geprägter Idealismus ist nicht nur Im Leben der Komponistin Galina Ustvolskaya nimmt ih- typisch russisch, sondern – im Sinne Dostojewskis – als re persönliche Beziehung zu ihrem Kompositionslehrer ‚St. Petersburgisch‘ zu verstehen.“ (Viktor Suslin. „Vor- Dmitri Schostakowitsch eine besondere Rolle ein: Durch wort“, in: Werkverzeichnis Galina Ustvolskaya des Mu- ihre eigene Diskretion und nur vereinzelte Äußerungen sikverlags Hans Sikorski. Hamburg: Sikorski 2007, S. 6) haftete dieser Beziehung immer etwas Mysteriöses und Von Geburt an war sie der Stadt verbunden und hat sie Zwiespältiges an. Da im Zusammenhang mit Ustvolskaya nie verlassen. St. Petersburg gilt als eine Stadt mit einer der Name Schostakowitschs so gut wie immer fällt, soll ganz besonderen Aura, die von Nikolaj Gogol schon her- auch hier diese Beziehung kurz beleuchtet werden. aufbeschworen wurde – einerseits klimatisch durch die Nachdem anfangs Ustvolskaya immer als „Schülerin neblig-feuchte Witterung und das Dämmerlicht der Wei- Schostakowitschs“, in einem Atemzug mit dem Namen ßen Nächte, andererseits durch die Mischung unter- ihres Lehrers genannt worden war, und beide gern
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