Gerlinde Kaltenbrunner Fasziniert von eisigen Höhen VON GABY FUNK Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner ist die derzeit erfolgreichste Höhenbergsteigerin der Welt. Ihr Ziel ist es, alle 14 Achttausender zu besteigen – aber nur auf ihre eigene Art. Sie hat die besten Voraussetzungen dazu. werden allerdings nur die Hauptgipfel ge- zählt. Nach der Britin Ginette Harrison, die 1995 die erste Frau auf dem Kangchend- zönga war und im Oktober 1999 in einer La- wine am Dhaulagiri ums Leben kam, ist Kaltenbrunner die zweite Frau, die auf dem Gipfel dieses von allen Seiten sehr abwei- send wirkenden Kolosses stand. Auch Kal- tenbrunners Teamgefährten hatten am Gip- fel viel Grund zur Freude: Für Dujmovits war es der elfte Achttausender, wobei er auf dem Cho Oyu und Shisha Pangma sogar zweimal stand. Gustafsson und Lock hat- ten damit ebenfalls ihren elften Achttau- sender geschafft, für Hirotaka Takeuchi war Gerlinde Kaltenbrunner Am 14. Mai 2006 hatte sie es geschafft: es der achte. im Cholatse Basislager. Um 16:30 Uhr Ortszeit stand Gerlinde Kal- Der »Kantsch«, wie er im deutschen Alle Fotos: Archiv Kaltenbrunner. tenbrunner zusammen mit ihrem Lebens- Sprachraum genannt wird, gehört zu den gefährten, dem Expeditionsveranstalter anspruchsvollsten unter den höchsten Ber- Ralf Dujmovits aus dem badischen Bühl, so- gen der Welt. Kaltenbrunners erster Ver- wie den ebenfalls sehr erfahrenen Höhen- such im Jahre 2003, zusammen mit Dujmo- bergsteigern Hirotaka Takeuchi aus Japan, vits, Takeuchi und Gustafsson den dritt- Veikka Gustafsson aus Finnland und An- höchsten Berg der Erde zu besteigen, war drew Lock aus Australien auf dem Gipfel gescheitert. Sie mussten damals in der von des 8586 Meter hohen Kangchendzönga in Hängegletschern strotzenden Nordwand Nepal. Damit hatte die sympathische Öster- wegen des schlechten Wetters umkehren. reicherin ihren neunten Hauptgipfel der 14 Jetzt hatte das Team die Route der engli- Achttausender erreicht und ist inzwischen schen Erstbegeher über die Südwestseite Abbildungen rechte Seite die erste Frau der Welt, die so viele Acht- gewählt. Auf einer Höhe zwischen 8000 und von oben: tausender erfolgreich bestiegen hat. Zudem 8500 Metern wird dabei Klettern im kom- stand Kaltenbrunner bei früheren Expedi- binierten Gelände mit Fels im III. und IV Vom Gipfel des Kangchendzönga zum tionen noch auf dem 8041 Meter hohen Vor- Schwierigkeitsgrad verlangt und Kamin- Yalung Kang. gipfel des Broad Peak und dem 8013 Me- klettern kurz unter dem Gipfel. ter hohen Vorgipfel des Shisha Pangma, die Die Voraussetzungen für einen Erfolg Gerlinde nach dem Gipfel im Lager III nach beide kaum niedriger sind als ihre – wegen waren zunächst schlecht: Acht Tage lang sa- durchfrorener Nacht. Wechten und Lawinengefahr oft nicht er- ßen sie nach der Ankunft wegen zu viel reichbaren – höchsten Punkte. Bei der Neuschnee im Basislager fest, danach war Gerlinde fast steif vor Kälte (Kantsch Lager Sammlung der 14 Achttausender, die Rein- harte Spurarbeit erforderlich. Am Gipfeltag III). hold Messner als erster vollständig hatte, verzögerte das Wetter den Aufbruch von 120 BERGSPORT HEUTE BERG 2007 Lager III auf 7700 Meter Höhe. Statt um Mit- anstrengende und nervtötende Angelegen- ternacht gingen sie fünf Stunden später los. heit – umso schwieriger, oft sogar aus- Es schneite, am Gipfel riss es jedoch kurz sichtslos ist es in einem Sturm, bei eisiger ganz auf, so dass sie auch den beeindru- Kälte, in dehydriertem, er- ckenden Rundumblick genießen konnten, schöpftem Zustand und bevor sie den Abstieg begannen. Um 19 Uhr mit klammen Fingern, die wurde es dunkel. Da die Fixseile in der in dicken Handschuhen Route zu alt waren, um sie für einen raschen stecken. »Es war brutal. Im Abstieg zu nutzen, kletterten sie im Schein Zelt mussten wir uns zu- ihrer Stirnlampen ab und bewältigten die erst gegenseitig das Eis schwierigen Felsabschnitte durch Abseilen. aus dem Gesicht kratzen. Sturm kam auf, den Dujmovits und Kal- Wir lagen zu zweit auf ei- tenbrunner auf eine Stärke von 100 Stun- ner Isomatte, mehr Platz denkilometer schätzten. Kurz bevor sie La- gab es im notdürftig auf- ger III erreichten, brach Dujmovits bei gestellten Zelt nicht. Un- schlechter Sicht durch die Schneedecke ei- sere Schlafsäcke waren ner Gletscherspalte, konnte sich aber hal- völlig durchnässt. Es war ten. Gegen 21 Uhr erreichten sie wieder La- eine eiskalte, sehr stürmi- ger III auf 7700 Meter Höhe. Ein Portugiese sche und schlaflose Nacht. hatte ihre Zelte inzwischen wegen des Erst am frühen Morgen Sturms vorsorglich abgebaut. Der Lager- waren wir in der Lage, platz war völlig zugeweht. Schon bei star- Schnee zu schmelzen und kem Wind ist der Aufbau eines Zeltes eine zu trinken«, berichtet Kal- BERG 2007 GERLINDE KALTENBRUNNER 121 Unbeschreiblicher Aus- blick vom Lager III am Lhotse Richtung Cho Oyu (morgens). tenbrunner, die nun wirklich nicht zu de- Kaltenbrunner und Dujmovits nur noch 116 nen gehört, die ihre Berichte dramatisieren. Höhenmeter unter dem Gipfel. Dujmovits Dabei stellte sich heraus, dass Dujmovits beschließt, trotz des nahen Zieles umzu- sich die Nase angefroren hatte. kehren. Es ist zu spät, das Risiko eines nächtlichen Abstiegs durch die teils über 50 Umkehr am Lhotse – nur 116 Höhen- Grad steile Lhotse-Rinne bei Neuschnee, meter vor dem Ziel auf teils harter Unterlage und in völlig ver- Nach dem Abstieg ins Basislager waren ausgabtem Zustand ist viel zu groß. »Auch sie alle so erschöpft, dass Takeuchi, Kal- ein ungeplantes Biwak hätten wir nicht tenbrunner und Dujmovits beschlossen, überlebt«, schreibt er in seinem Expedi- sich vor ihrem nächsten Ziel, der Besteigung tionstagebuch. Kaltenbrunner zögert, will des Lhotse (8516 m), eine dreitägige Erho- zunächst weiter, der Gipfel ist schließlich so lung in der Ama Dablam Garden Lodge bei nah. Dujmovits hat Angst um sie und steigt Tengpoche auf etwa 3700 Meter Höhe zu mit feuchten Augen ab, schließlich folgen gönnen. Am 22. Mai waren sie wieder im ihm Takeuchi und Kaltenbrunner doch Everest-Basislager zurück, das gleichzeitig nach. »Die Entscheidung, so kurz unter dem Ausgangspunkt ist für die Besteigung des Gipfel umzudrehen, war schwierig. Ich Lhotse. Die meisten Expeditionen waren brauchte gut zehn Minuten dafür, doch jetzt, zum Ende der Saison, bereits abge- dann spürte ich, dass ich vom Gipfel viel- reist, die anderen packten. Am 26. Mai, nur leicht nicht mehr zurückkommen würde 12 Tage nach dem hart erkämpften Kantsch, und musste an den Tschechen denken, der brechen Kaltenbrunner, Dujmovits und Ta- vier Tage zuvor tödlich abgestürzt war und keuchi von ihrem Hochlager in 7200 Meter am Einstieg der Rinne lag«. Im Nachhinein Höhe auf zum Gipfel. Ihnen bleibt nur die- sei sie sehr froh über ihre Entscheidung, die ser einzige Tag, um ihr Ziel zu erreichen, da an einem Achttausender jeder für sich allein für den nächsten schon wieder schlechtes treffen müsse. Umdrehen zu können, auch Wetter angekündigt ist – die Vorboten des so kurz unter dem Gipfel, ist dort oben von Monsuns. Kaltenbrunner und Dujmovits existenzieller Bedeutung. Viele, darunter spuren abwechselnd rund 1200 Höhenme- auch sehr erfahrene Höhenbergsteiger, ter durch die Wand, Takeuchi folgt den bei- schafften das nicht in einer ähnlichen Situ- den langsam nach. Um 17 Uhr befinden sich ation und bezahlten dafür mit dem Leben – 122 BERGSPORT HEUTE BERG 2007 Beispiele dafür gibt es in der Geschichte des gung des Gasherbrum II (8035 m) im ver- Höhenbergsteigens sehr viele und jährlich gangen Jahr: Nach 16 Stunden Aufstieg in kommen neue dazu. teils hüfttiefem Schnee und bei Temperatu- ren von bis zu minus 28 Grad Celsius er- Besteigungsstil – Wege zum Gipfel reichte sie den Gipfel. Nur zwei Mitglieder Alle ihre Achttausender hat die 35jährige eines italienischen Teams konnten ihr fol- Höhenbergsteigerin ohne Nutzung von gen, 13 weitere, die mit ihr aufgebrochen künstlichem Sauerstoff bestiegen. »Durch waren, mussten umkehren. Darunter auch künstlichen Sauerstoff wird die Besteigung ein italienischer Bergsteiger, der sie als Ein- eines Achttausenders zu der eines Sechs- ziger beim Hinaufwühlen durch den tausenders degradiert«, sagt sie und fügt Schnee mal eine Stunde lang ablöste und hinzu, dass dies zwar jeder für sich ent- sich dabei so verausgabte, dass er absteigen scheiden müsse, aber dass sie lieber auf die musste. Allein fürs Spuren der letzten 200 Besteigung eines Achttausenders verzich- Höhenmeter benötigte die schmale, beson- ten würde, wenn sie dazu Sauerstoff aus der nen und überhaupt nicht verbissen wir- Flasche bräuchte. Außerdem habe sie keine kende Bergsteigerin fünf Stunden und Lust, am Berg mit einer Maske im Gesicht wühlte sich dabei teils rittlings auf dem unterwegs zu sein. Bei ihren ersten Expe- Grat sitzend bis zum Gipfel durch. Nach ditionen war sie zwar noch in größeren dieser »Tour de Force« bewältigte Kalten- Gruppen, teils auch mit Fixseilen unter- brunner auch noch den Abstieg über 3000 wegs, inzwischen bevorzugt sie bei ihren Höhenmeter vom Gipfel bis ganz hinab ins Achttausender-Besteigungen aber längst Basislager, weil sie leichte Erfrierungen an den wesentlich anspruchsvolleren alpinen den Zehen davongetragen hatte und sie so Stil im kleinen Team, wobei jeder im Ruck- schnell wie möglich richtig versorgen sack mitschleppt, was er braucht. Dabei wollte. Als sie im Basislager eintraf, war sie wird einem der Auf- und Abstieg nicht rund 30 Stunden am Stück unterwegs! durch Sherpas erleichtert, die am Berg Fix- seile legen, eine Hochlagerkette errichten und die schweren Lasten schleppen, oft so- gar noch
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