Tobias Fuchs Die Kunst des Büchermachens: Autorschaft und Materialität der Literatur zwischen 1765 und 1815 Lettre Tobias Fuchs, geb. 1981, ist Literaturwissenschaftler und arbeitet als Redakteur bei einer Tageszeitung. Er promovierte in Neuerer deutscher Literatur an der Freien Universität Berlin und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Univer- sitäten München und Erlangen-Nürnberg. Tobias Fuchs Die Kunst des Büchermachens: Autorschaft und Materialität der Literatur zwischen 1765 und 1815 Freie Universität Berlin, Dissertation, 2020. Unterstützt durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung im Rah- men des Forschungsprojektes »Manuskript, Buch, Makulatur - Zur Materialität des Schreibens und Publizierens um 1800« (2013-2016) an der LMU München und der FAU Erlangen-Nürnberg. Die Publikation wurde ermöglicht durch eine Ko-Finanzierung für Open-Access- Monografien und -Sammelbände der Freien Universität Berlin. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für be- liebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/ by/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenan- gabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber. Erschienen 2021 im transcript Verlag, Bielefeld © Tobias Fuchs Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Handgeschriebenes Titelblatt eines Exzerptbandes aus dem Nachlass Jean Pauls, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Jean Paul. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5530-8 PDF-ISBN 978-3-8394-5530-2 https://doi.org/10.14361/9783839455302 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download Inhalt 1. Einleitung..................................................................... 7 2. Handgeschriebene Bücher ................................................... 37 2.1. Aus der »Taschendruckerei«: Zur Mimesis buchspezifischer Materialität ....... 37 2.2. Die blaue Reihe in Jean Pauls Privatbibliothek .................................. 41 2.3. Bücher-nach-machen: Schreiben als Akt der Nachahmung..................... 60 2.4. Handgeschriebene Bücher in der Fiktion: Maria Wutz und Quintus Fixlein ....... 80 3. ImDruckerscheinen......................................................... 85 3.1. Papierne Existenzen: Typographie und Gelehrsamkeit ......................... 85 3.2. Entgrenzung der Gelehrtenrepublik durch Autorschaft ......................... 87 3.3. »Schriftstellersucht« und Büchermarkt um 1800 .............................. 93 3.4. Autorschaft als Koppelung von Biographie und Bibliographie.................. 106 4. Buchmacherei ............................................................... 121 4.1. Lichtenberg als Büchermacher des Königs .................................... 121 4.2. Bücherwissen und »Materialbewusstsein«.................................... 130 4.3. Buchform und Werkform..................................................... 139 4.4. Im »schönsten Gewande«: Zur Ästhetik des Büchermachens.................. 158 4.5. »Setzer = Zersetzer«: Autorschaft und Druckfehler .......................... 169 4.6. Wem gehört das Buch? Geistiges Eigentum und Buchmaterialität .............. 181 5. Makulatur................................................................... 203 5.1. Makulatur als Medium zwischen Gelehrsamkeit und Genie..................... 203 5.2. Makulatur publizieren, schreiben, erzählen .................................... 211 5.3. Makulatur publizieren: Vom Ende der Autorschaft..............................214 5.4. Makulatur schreiben: Lichtenbergs Autorsatiren und ihre Vorbilder............ 240 5.5. Makulatur erzählen: Poetologie der Pfeffertüte bei Jean Paul ................. 251 6. Schluss ..................................................................... 267 7. Literatur.................................................................... 285 Abbildungsverzeichnis .......................................................... 325 Danksagung ...................................................................... 327 Vorveröffentlichungen ........................................................... 329 1. Einleitung Jean Paul muss lange warten. Erst 1786 erscheint sein Name im »Gelehrten Teutschland«, dem berühmten Autorenlexikon1 – drei Jahre nach der Veröf- fentlichung seines ersten Buches. Man findet Jean Paul im Nachtragsband der vierten Ausgabe, Seite 526, Buchstabe R, unter seinem bürgerlichen Namen: »RICHTER (Johann Paul Friedrich)«, ergänzt um knappe Angaben zur Person. Im Geburtsjahr fehlt – womöglich ein Druckfehler – die letzte Zahl. Darauf folgt der bibliographische Nachweis des Erstlingswerks: »Grönländische Pro- cesse oder satirische Skizzen. Berlin, 1783.«2 Der Lexikoneintrag umfasst vier Zeilen. Damit zählt Jean Paul endlich zu den Schriftstellern des 18. Jahrhun- derts – als einer von Tausenden. Herausgegeben wird »Das gelehrte Teutschland« vom Erlanger Ge- schichtsprofessor Johann Georg Meusel. Man könnte in seinem Nachschla- gewerk die abseitige Vergnügung eines späten Polyhistors sehen, eine im historischen Maßstab unbedeutende Fleißarbeit. Tatsächlich entwickelt sich »Das gelehrte Teutschland«, gegründet 1767, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu einem unerreichten Referenzmedium, zunächst der Ge- lehrtenrepublik, später der deutschsprachigen Literatur. Wer von »Meusels gelehrtem Teutschland« spricht, tut das bis weit ins 19. Jahrhundert mit einer anerkennenden Selbstverständlichkeit, die später Meyers Konversationslexi- kon oder den Brockhaus auszeichnen wird. Das Besondere an Meusel: Mit einer enormen Akribie und Beharrlichkeit verbindet er Namen mit bibliographischen und biographischen Daten. So ver- hilft er Konsistorialräten wie bettelarmen Poeten zu einer zweiten, einer pa- 1 Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint. 2 Johann Georg Meusel, Georg Christoph Hamberger, Das gelehrte Teutschland oder Lexi- kon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, Lemgo 1767-1834, 4. Ausg., 1. Nachtrags- band (1786), S. 526. 8 DieKunstdesBüchermachens piernen Existenz als eingetragene Schriftsteller. Sein Lexikon ist um 1800 das unbestrittene Leitmedium der Autorschaft. Als solches dokumentiert »Das gelehrte Teutschland«, wie Autorschaft sich zwischen 1765 und 1815 zu einem sozialen Phänomen auswächst. Umfasst das Werk in der Gründungszeit nur 2.000 bis 3.000 Schriftsteller, so schätzt Meusel deren Zahl im Jahr 1808 auf 12.000.3 Zugleich erhellen die Auswahlkriterien des Lexikons, wo Autorschaft im »druckpapiernen Weltalter« (SW I.5, 25) ihren Ursprung hat – im typogra- phischen Artefakt. Auf eine Formel gebracht, bedeutet dies: Bücher machen Autoren. Wer einen Druck größeren Umfangs vorweisen kann, den würdigt Meu- sel mit einem Eintrag in seinem Nachschlagewerk. Publizierende sind für ihn »Büchermacher«4. Daran hält er unerschütterlich fest. Auch wenn der Profes- sor selbst über »Vielschreiberey«5 klagt oder in Friedrich Nicolais »Allgemei- ner Deutscher Bibliothek« (ADB) davon die Rede ist, dass manch »ein an- gehender Gelehrter es darauf angelegt zu haben scheint, in Meusels Lexicon ganze Seiten füllen zu wollen«6. »Das gelehrte Teutschland« findet seinen Nie- derschlag in solchen Rezensionsorganen, aber auch in der zeitgenössischen Literatur. Jean Paul offenbart in seinen Erzählungen eine ausgesprochene Vorlie- be für das literarhistorische opus magnum aus Erlangen. In den »Flegeljah- ren« präsentiert er »Das gelehrte Haßlau«, ein fiktives Lexikon, für das ein »Einlaßzettel« genügt, nämlich ein »gedrucktes Blatt«. Während Meusel, wie es heißt, eine große Menge an Autoren »aus seinem gelehrten Deutschland verstößt«, weil »er nicht einmal Leute einläßt, die nur ein Büchlein geschrie- ben« (SW I.2, 1010) haben. Im »Hesperus« von 1795 wird erwogen, den Post- hund Spitzius Hoffmann, der als »fleißiger Handlanger und Kompilator und Spediteur der Gelehrsamkeit« vorgestellt wird, für einen »Sitz im gelehrten Deutschland« (SW I.1, 1233) zu empfehlen. Und im »Siebenkäs« sinniert Hein- rich Leibgeber über die Frage, ob er »Meusels gelehrtes Deutschland und Jö- chers Gelehrten-Lexikon vollständig« verinnerlicht habe (SW I.2, 122f.). 3 Meusel,Hamberger, DasgelehrteTeutschland,5.Ausg.,XII(1806),S.VI,sowieXIII(1808), S. VIII. 4 Siehez.B.Meusel,Hamberger, Das gelehrte Teutschland,5.Ausg.,XII(1806),S.LXIX,zur Wortbedeutung Art. »Büchermacher«, in: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wör- terbuch, Leipzig 1854ff., II (1860), Sp. 473. 5 Meusel,Hamberger, Das gelehrte Teutschland, 5. Ausg., XII (1806), S. XLV. 6 [Anonymus], Rez. »Handbuch für Gesandte«, in: Allgemeine Deutsche Bibliothek (1792), 106, S. 89-90, hier: S. 89. 1.
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