Auf Dem Weg in Den Holocaust

Auf Dem Weg in Den Holocaust

Auf dem Weg in den Holocaust Die Brigaden des Kommandostabes Reichsführer-SS im Sommer 1941 von MARTIN CÜPPERS Kurz vor seinem 99. Geburtstag starb von der Öffentlichkeit unbemerkt im Juli 2011 einer der bis dahin wohl ranghöchsten noch lebenden SS-Offiziere. In seinem idyllisch im Taunus, unweit von Frankfurt am Main gelegenen Haus verschluckte sich der einstige SS-Obersturmbannführer Dr. Bernhard Frank beim Mittagessen und erstickte in den Minuten danach. In der Neonazi-Szene reagierte man betroffen auf die Todesnachricht, galt Frank doch als einer der letzten noch Verbliebenen aus dem direkten Umfeld Hitlers, wofür der SS- Offizier von braunen Gesinnungsfreunden aufrichtig verehrt wurde. Diesen Ruf hatte der Verstorbene durch die Veröffentlichung zweier Bücher über seine Zeit in Hitlers Feriendomizil auf dem Obersalzberg selbst mitbegründet.1 Frank, am 15. Juli 1913 als Sohn eines Kaufmanns in Frankfurt am Main geboren, realisierte eine nicht untypische SS-Karriere. Nach dem Abitur stu- dierte er Volkskunde und wurde von der NS-Studentenschaft für die national- sozialistische Bewegung gewonnen. Im Mai 1933 trat er dann der SS bei, ab- solvierte bald darauf eine militärische Ausbildung als Führeranwärter bei der SS-Verfügungstruppe und wurde 1935 als »wissenschaftlicher Sachbearbeiter« für Volkskunde an der Wewelsburg angestellt. Bald nach dem deutschen An- griff auf Polen endete die Karriere als Wissenschaftler in Heinrich Himmlers schwarzem Orden. Zum 1. März 1940 wurde Frank zum SS-Totenkopf-Infan- terieersatzbataillon III nach Breslau kommandiert, wo er eine einjährige mili- tärische Ausbildung erhielt. Im November 1941 kam der SS-Hauptsturmfüh- rer dann als Kompanieführer bei der SS-Freiwilligenlegion »Niederlande« in Nordrussland zu seinen ersten militärischen Einsätzen. Im Juli 1943 wurde er schließlich zu dem aus verschiedenen Einheiten der Waffen-SS bestehenden »Kommando Obersalzberg« versetzt, das mit dem militärischen Schutz von Hitlers Alpendomizil beauftragt war. Die dort während der folgenden knapp zwei Jahre erlebte Gegenwart des »Führers« und anderer Nazigrößen begrün- dete seine Prominenz unter Rechtsextremisten im Nachkriegsdeutschland.2 1 Bernhard Frank, Der Obersalzberg im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Eva Braun, Adolf Hitler und das brennende Berlin, Berchtesgaden 1991; ders., Als Hitlers Kommandant. Von der Wewelsburg zum Berghof, Kiel 2007. 2 SS-Stammkarte, Dienstlaufbahn, Fragebogen Dr. Bernhard Frank, Bundesarchiv Berlin (BAB), SSO Frank; Lebenslauf dess. v. 20.11.1937, ebd.; Markus Moors, Von der »SS-Schule Haus Wewelsburg« zum »Kommandostab Reichsführer SS«. Rudi Bergmann und Bernhard Frank zwischen SS-Forschung und Vernichtungskrieg, in: Jan Erik Schulte (Hg.), Die SS, Himmler Auf dem Weg in den Holocaust 287 Über seine Zeit beim sogenannten Kommandostab Reichsführer-SS (RFSS) schwieg Frank sich in den eigenen Publikationen dagegen auffällig aus. Bei diesem Stab war der SS-Offizier nachweislich im Sommer und Herbst 1941 als Ordonnanzoffizier der Führungsabteilung tätig gewesen.3 In jener Funktion erhielt er beispielsweise am 8. August ein namentlich an ihn gerichtetes Fern- schreiben, das als »heutiges Gesamtergebnis der Aktion Pripjetsümpfe« eine Zahl von 10.412 Todesopfern angab.4 Jene Quelle markiert genau die Phase, in der dem Kommandostab unterstellte Brigaden der Waffen-SS in der besetz- ten Sowjetunion erstmals überhaupt in großem Umfang zur unterschiedslosen Ermordung jüdischer Männer, Frauen und Kinder übergingen und damit den entscheidenden Schritt hin zur Ingangsetzung des Holocaust in der Sowjetuni- on realisierten. Der vorliegende Beitrag soll die Rolle der Einheiten der Waffen- SS während dieser Phase der Judenvernichtung im Sommer 1941 genauer dar- stellen, bei der Bernhard Frank Mitwisser und Mittäter war.5 Der »Fall Barbarossa« und die Gründung des Kommandostabes Ein Jahr nach seiner Einigung mit Stalin über die Aufteilung Polens entschloss sich Hitler im Sommer 1940 zum Angriff auf die Sowjetunion.6 Der Kampf gegen den nur vorübergehend als Verbündeten benutzten kommunistischen Erzfeind wurde von der nationalsozialistischen Führung von Beginn an als eine Auseinandersetzung geplant, die von Massenmord und konsequenter Igno- rierung der Normen des Kriegsvölkerrechts geprägt sein sollte. Der radikalen ideologischen Prägung der Kriegsplanungen entsprechend, wurde auch Himm- lers SS weitreichende Kompetenzen eingeräumt. Wie schon bei früheren Er- oberungszügen des Dritten Reiches waren auch für die Besetzung der Sowje- tunion spezielle Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst und die Wewelsburg, Paderborn 2009, S. 227-241. Die Historikerin Wendy Lower bereitet ge- genwärtig eine Biografie über Bernhard Frank vor. 3 Kriegsrangliste Kommandostab (Kdostab) v. 31.12.1941, Vojenský ústřední archiv Praha (VUA), Kdostab/Karton (K) 1, Akte (A) 1. 4 Bericht Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) Russland Mitte v. 8.8.1941, ebd., A 2. 5 Vgl. insgesamt Martin Cüppers, Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939-1945, Darmstadt 2005; um den Jahreswechsel 2010/11 sorgten teils sensationsheischende Presseartikel für Aufsehen, nach denen Frank ein bislang unentdeckter, bedeutender NS-Verbrecher sei, dem eine wesentliche Bedeutung als Täter im Holocaust zukomme, vgl. Bild v. 22.1.2011; Frankfurter Rundschau v. 23.1.2011; Mitteldeutsche Kirchenzeitung v. 10.12.2010. Im Rahmen der Presseberichterstattung fand der Kommandostab RFSS dagegen keinerlei adäquate Erwähnung. 6 Vgl. Gerd R. Ueberschär, Hitlers Entschluß zum »Lebensraum«-Krieg im Osten. Programma- tisches Ziel oder militärstrategisches Kalkül? in: ders./Wolfram Wette (Hg.), »Unternehmen Barbarossa«. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941. Berichte, Analysen, Dokumente, Paderborn 1984, S. 83-110, hier S. 96-101; Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg (DRZW), hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 4, Stuttgart 1983, S. 13-18..

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