Evadarstellung Im Werk Gauguins

Evadarstellung Im Werk Gauguins

Evadarstellung im Werk Gauguins Eine Auseinandersetzung mit Sünden und Tod Inauguraldissertation zur Erlangung des Akademischen Grades einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt am Main Vorlegt von Sophia Yu Min Kao aus Taipei 2014 1. Gutachter: Professor Thomas Kirchner 2. Gutachter: Professor Lothar Ledderose Tag der mündlichen Prüfung: 18. November 2014 Inhaltverzeichnis I. Einleitung 1 I.1. Gauguin und seine Kunst 1 I.2. Ziel und Methodik der Untersuchung 3 I.3. Vorblick auf die Untersuchung 4 II. Die Dualität in Gauguins Charakter 11 II.1. Die Selbstdarstellungen als Christus 14 II.1.1. Der Selbstporträtkrug: Martyrium und die innere Vision 14 II.1.2. Der grüne Christus 17 II.1.3. Der gelbe Christus 23 II.1.4. Christus am Ölberg 29 II.2. Die Selbstdarstellung als Wilder 32 II.2.1. Der leidende, stoische Wilde 33 II.2.2. Der Wilde als perverser Verführer 37 II.3. Der Apostel Paulus als Synthese vom Christus und Wilden 41 II.3.1. Abstieg in die Hölle 47 III. Gauguins Frauenbilder vor der Reise auf Tahiti 52 III.1. Zwei sich gegenüberstehende Frauentypen 52 III.2. Das Motiv des Frauenanliegens in der Bretagne 60 III.3. Die bretonischen Evas 63 III.4. Das Gasthaus von Marie Henry 68 III.4.1 Die Pariser Weltausstellung 70 III.4.2. Der Speisesaal im Gasthaus von Marie Henry 72 III.4.2.1 Westwand 74 III.4.2.2. Ostwand 81 III.4.2.3. Südwand 86 IV. Die ewige Mutterschaft und der Maria-Komplex 99 IV.1. Bildanalyse und Bildmotiv von Ia Orana Maria 99 IV.1.1. Bildgenesis der Marienverehrung 103 IV.1.2. Ave Maria 106 IV.2. Eva-Maria-Komplex in Nave nave moe 110 IV.3. Bébé und Te tamari no atua – Die Szenen der Geburt Christi 115 IV.3.1. Bébé 116 IV.3.2. Te tamari no atua – der Sohn Gottes 117 IV.4. Die ideale Mutterschaft in Gauguins Spätwerk 120 V. Das Eva-Motiv auf Tahiti 125 V.1. Te nave nave fenua – Zögern und Versuchung als Gegenüberstellung 125 V.2. Manao tupapau 133 V.2.1. Die Rolle der Venus in Giorgiones und Tizians Gemälde 135 V.2.2. Manets Olympia – ein Vergleich mit Venus von Urbino 139 und Manao Tupapau V.2.3. Manao tupapau – leidenschaftliche sexuelle Begierde 142 und beängstigender Tod V.2.4. Parau na te Varua Ino – Dialog zwischen Eva und dem Teufel 151 V.3. Dʼoù venons-nous – der Mensch unter dem Baum der Erkenntnis 156 VI. Schlusswort 167 Bibliographie 179 Abbildungsverzeichnis 187 I. Einleitung I.1. Gauguin und seine Kunst Die Kunst eines Künstlers gibt die Welt dieses Künstlers preis, seine Einstellung zum Leben, seine Haltung zum Glauben, seine Wertung gesellschaftlicher Normen, sowie seine Wechselbeziehungen gegenüber seiner Umgebung. Dies gilt mit unterschiedlicher Ausprägung und unterschiedlichem Maße nahezu für alle Künstler, aber in ganz hohem Maße und in besonderer Art und Weise für Paul Gauguin (1848-1903). Gauguin malte Selbstporträts, allerdings nicht in großer Menge. Viele seiner Bilder sind Frauen gewidmet, weil er Sympathie für sie hatte. Auf der anderen Seite sind Gauguins Darstellungen von Frauen zugleich Darstellungen von seinem Selbst; zugleich seine Selbstdarstellung; Gauguins Einsicht in die Lebenslage der Frauen, und sein Mitleid mit ihnen gelten auch, und zwar zunehmend in erster Linie, ihm selbst. Mit einem Worte, Gauguins Kunst hängt aufs engste mit seinem Leben zusammen. In dieser Arbeit werden wir diesen Zusammenhang näher betrachten. Gauguin hätte ein bequemes und konformes Leben führen können. Als Börsenmakler an einer Bank war er finanziell gesichert; und eine glückliche Familie hatte er auch. Er war verheiratet mit der Dänin Mette-Sophie Gad und hatte fünf Kinder aus dieser Ehe. Er begann als Amateurmaler, allerdings begnügte er sich nicht damit. Er entdeckte eine Welt in der Kunst, und ein anderes Selbst in sich. Er war nicht nur ein Gentleman in einer zivilisierten Gesellschaft, sondern zugleich ein Wilder. Nachdem er 1882 infolge einer Wirtschaftskrise seine Stelle in der Bank verloren hatte, beschloss er, auf eine bürgerliche Karriere zu verzichten und sich gänzlich der Malerei zu widmen. Seine Entscheidung fand keine Zustimmung bei Mette, und als die Familie allmählich in wirtschaftliche Not geriet, verschlechterte sich die Beziehung zwischen den Eheleuten. Gauguins Beziehung zu seiner Frau hat großen Einfluss auf sein Frauenbild sowie auf seine Kunst, wovon unten noch ausführlicher zu sprechen ist. Auf der anderen Seite ist wichtig für das Verstehen von seiner Kunst, dass Gauguin sein Anliegen im Medium der Frauen zum Ausdruck bringt. Nach ihm konnten Frauen, die in der vom Christentum stark geprägten europäischen Gesellschaft lebten, nicht ihren inneren Rufen gehorchen und frei nach 1 wahrer Liebe suchen. Mette war ein typisches Beispiel für solche Frauen, die nur die bürgerlichen Werte anzuerkennen und die herkömmlichen Normen einzuhalten wußten. Dagegen war Madeleine, die zarte und sensible Schwester von Bernard, die Gauguins Zuneigung nicht erwiderte, zu fügsam, als dass sie gegen die gesellschaftlichen Schranken hätte rebellieren können. Nun war Gauguin davon überzeugt, dieses Schicksal mit den Frauen zu teilen. Es war ihm kaum möglich, sein wildes Selbst in dem Streben nach Liebe sowie in der Hingabe an die Kunst zu fördern. Indessen, anders als die meisten Frauen, war er über diese Lebenslage bewusst. Schließlich verließ er Europa und ging auf Tahiti. Seine Entscheidung, auf Tahiti zu reisen, fiel aus dem Grund, dass er auf der idyllischen Insel neue Anregungen für seine Kunst finden und damit der wirtschaftlichen Notlage seiner malerischen Karriere ein Ende setzen wollte. Zugleich glaubte er, dass er in jener schlichten Gesellschaft, fern von der verdrießlichen europäischen Zivilisation, sein wildes Selbst entfalten konnte. Nach kurzer Zeit musste er feststellen, dass Tahiti kein Paradies war. Er war von Krankheit und Armut geplagt. Ferner gab Gauguin nach der Trennung von Mette zwar die Hoffnung auf eine glückliche Familie nicht auf, glitt die Suche nach Familiengründung zunehmend in den Drang nach sexueller Befriedigung ab. Obwohl Gauguin glaubte, damit die wilde Seite seiner Selbst ausleben zu können, war er zu tief in der christlich-europäischen Zivilisation verwurzelt. Seine sexuellen Ausschweifungen mögen seine Bedürfnisse befriedigt haben, machten ihm andererseits auch große Sorge; denn dadurch könnte er Krankheit und Tod zu sich ziehen. Die christliche Lehre von Sündenfall, nach der sich Sexualität und Sünde sowie Tod verbinden, drängte sich in sein Bewusstsein. Auf Tahiti entwickelte er seine Evadarstellung, die er bereits in der Bretagne begonnen hatte, weiter. Durch die Evas bringt Gauguin seine Reflektionen sowohl über das Geschick der Frauen wie insbesondere auch über sein eigenes Leben zum Ausdruck. Er lehnte sich vehement gegen den Glauben an die Erbsünde auf, weil er Angst vor ewiger Verdammnis hatte. Das Eva-Motiv bat ihm gedankliche und bildliche Räume, sich mit der christlichen Lehre der Erbsünde auseinanderzusetzen und seine eigenen Gedanken über Sinnlichkeit, Liebe und Tod herauszubilden. Die vorliegende Untersuchung widmet sich in erster Linie Gauguins Darstellungen von Evas. Wir werden sehen, wie er Autobiographisches vor allem in seine 2 Evadarstellungen integriert, und wie er sich mit der drückenden Frage nach dem Zusammenhang von Liebe, Sexualität und Tod auseinandersetzt. I.2. Ziel und Methodik der Untersuchung Gauguins Evadarstellungen sind in der Forschung viel diskutiert. Wenig beachtet ist jedoch, dass er selbst in seinen Darstellungen von Frauen durchscheint. In seinen Eva-Bildern schildert er sowohl ihre Suche nach Liebe, als insbesondere ihr Zögern, nach Liebe zu suchen. Seine Evas stehen vor Verführung; sie wollen sich darauf einlassen, haben aber Angst vor der verhängnisvollen Konsequenz. Gauguin freilich auch. Seine Evas verraten Gauguins eigenes Leid und Schicksal; oder, derselbe Sachverhalt aus einer anderen Perspektiv ausgedrückt, Gauguin ist stellvertretend für die Frauen, die ähnliches Los wie er haben. Was seinen Evas gilt, gilt in höherem Maße Gauguin selbst. Man kann ja ohne große Übertreibung behaupten, dass es eher Gauguin ist, der in der Mitte der Evadarstellungen steht. Wir werden seine Evabilder zusammen mit seinen Selbstdarstellungen aus dieser Perspektiv untersuchen. In der vorliegenden Arbeit wird ausführlich eingegangen, wie Gauguin aus seiner Lebenslage heraus über Liebe und Triebe, über Leben und Tod nachdenkt und bildlich seine Reflektionen vermittelt. Gauguin war nicht nur Maler, er war zugleich Skulpteur und Schriftsteller. Deshalb werden seine Skulptur sowie Schriften in Betrachtung gezogen, damit wir uns ein möglichst umfassendes Bild von seiner Kunst sowie seiner inneren Welt verschaffen. In der Forschung ist über den gedanklichen Hintergrund und die Vorgänger seiner Werke gute Arbeit geleistet worden. Der christliche Bezug einzelner Eva- und Christusbilder ist erkannt und entsprechend analysiert. Wir aber begnügen uns nicht damit, jeweils den Gedanken und den Bezug auf christliche Lehre eines einzelnen Werks klarzumachen; vielmehr werden seine Werke, vor allem seine Eva- und Christusdarstellungen, auf die Spannung von Liebe und Sünde hin gesehen und interpretiert. Sie veranschaulichen Gauguins Versuche, den Sündenkomplex neu zu deuten und zu überwinden. Daher ist leicht erklärlich, dass er in einer völlig neuen Lebensumgebung auf Tahiti immer noch auf den altchristlichen Problematik einging. Nicht 3 zuletzt erweist sich dieser Ansatz der Untersuchung als ergiebig. Denn auch Werke, deren Bezug auf christliche

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