SWR2 Musikstunde

SWR2 Musikstunde

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Dänische Entdeckungen (5) Niels Wilhelm Gade und Carl Nielsen Von Jörg Lengersdorf Sendung: Freitag, 31. Juli 2015 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR2 Musikstunde, 31. Juli 2015 Ich weiß ein Lerchennestlein, und mehr verrat ich nicht, liegt unter einem Ästlein, versteckt vorm Augenlicht. Im Nest da gibt es Junge, in frischem Federkleid Sie piepen, haben Zungen, die Schnäbel offen weit Die beiden alten Lerchen, die fliegen dicht heran Ich denke mir, sie merken, dass man mir trauen kann Ich blinzle hinterm Zaune, da seh´ ich alles fein Ich stell mich auf die Zehen, ich will ganz stille sein. Der Fuchs, der will sie beißen, ein Junge will ans Nest Doch niemand soll es wissen, wo mein Geheimnis ist. Musik 1, 1.00min Carl Nielsen Jeg ved en laerkerede, Kinderlied Inga Nielsen (Kinderaufnahme, mit 9 Jahren eingesungen, Vater Arne sitzt am Klavier) Voices - Live and studio recordings 1952-2007 Chandos 10444 Im Alter von Neun Jahren machte die damals noch ganz kleine dänische Starsopranistin Inga Nielsen diese Aufnahme mit dem Herrn Papa am Klavier, 1955: „Ich weiß ein Lerchennest“ Carl Nielsen schreibt bis 1931 immer wieder Kinderlieder, Chorlieder, Wanderlieder, Liebeslieder, häufig auf zeitgenössische dänische Gedichte. Und viele dieser winzigen Juwelen werden auch deshalb so populär, weil die einprägsamen Melodien schon zu seinen Lebzeiten in Schulbüchern abgedruckt werden und in Gesangbüchern der Volkshochschulen. Die dänische Singbewegung ist bis heute ohne Carl Nielsens Musik nicht denkbar. Misstöne häufen sich um 1912 vor allem im Privatleben von Carl und Ehefrau Anne Marie. Das Paar mit 3 Kindern ist ein frühes Beispiel einer Beziehung, in der beide Partner vehement ihre beruflichen Karrieren verfolgen. Anne Marie als erfolgreiche Bildhauerin, Carl als Komponist und Dirigent. Streit und Eifersüchteleien gibt es deswegen eigentlich seit Beginn der Beziehung, aber irgendwann scheint die Liebe unrettbar verloren. Wenn man sich fragt, warum zwischen Eheleuten ein so umfangreicher Briefwechsel existiert wie zwischen Carl und Anne Marie, dann lautet die Begründung denkbar einfach: die beiden sehen sich fast nie. Marie arbeitet oft monatelang ununterbrochen an einem Reiterstandbild für das dänische Königshaus, ist selten daheim. Carl geht derweil auf die Suche nach erotischer Ablenkung. Musik 2, 1.25min Coda aus: Serenata in vano für Klarinette, Fagott, Horn, Cello und Kontrabass Brynildsen, Lars Christian Holm {Klarinette}; Hannevold, Per {Fagott} Olsen, Vidar {Horn}; Guenther, Sally {violc} Eide, Torbjørn {Kontrabass} Labelcode: 03240 BIS Bestellnummer: 428 „Serenata in vano“, vergebliche Serenade, so lautet der Titel dieses humorvollen Nielsen Stücks von 1914, das privat durchaus auf einen ernsten Hintergrund trifft. Das Stück beschreibt, wie der Liebesruf eines Musikers ungehört vor dem Haus der Geliebten verhallt. Carl Nielsens Liebesrufe verhallen zwar um 1914 bei der Ehefrau Anne Marie, dafür werden sie aber zu Anne Maries Unglück wohl zu oft anderweitig erhört. Schon aus ganz jungen Jahren hat Nielsen einen unehelichen Sohn mit einer Dienstmagd, 1912 kommt noch eine uneheliche Tochter dazu: Rachel Siegmann, Spross einer Liaison mit einer jungen Frau vom Theater. Als Carl dann auch noch während Anne Maries langer Abwesenheiten eine Affäre mit dem Kindermädchen beginnt, ist das Maß für die Ehefrau voll. Nach einem letzten gemeinsamen Skiurlaub 1915 trennt sich Anne Marie von Carl Nielsen, das Scheidungsgesuch hat sie bereits eingereicht. Offiziell wird das Gesuch auch 1919 bewilligt, eine Scheidung danach allerdings nie wirksam vollzogen. Letztlich haben sich bis in die Gegenwart sämtliche Nielsen Biografen mit den Krisenjahren des Paares beschäftigt, aber die Recherche bleibt schwierig, denn viele Dokumente bleiben bis heute auf familiären Wunsch unter Verschluss. Sicher ist: Zwischen 1915 und 1922 leben Anne Marie und Carl getrennt. Die widerstreitenden Kräfte des Lebens beschreibt Carl Nielsen in seiner vierten Symphonie von 1916. Zwei Pauken zerfetzen wild den orchestralen Zusammenhalt. Eine Pauke steht vor, eine hinten im Orchester. „Das Unauslöschliche“ so überschreibt Nielsen seine vierte Symphonie. Die Musik pumpt unablässig Adrenalin… Musik 3, 2.54min Allegro aus: Sinfonie Nr 4, op 29 Orchester: London Symphony Orchestra Dirigent: Schmidt, Ole Labelcode: 07905 Labelname: UNICORN Bestellnummer: 2000/2 Keine atonale Musik, viel mehr eine durch den Tonraum taumelnde, auch vom Rhythmus hin und hergerissen, die schließlich in ein strahlendes E Dur mündet. Ein Kritiker beschreibt den Triumph der Uraufführung 1916 so: „Zum ersten Mal hat Nielsen ein Meisterwerk geschaffen, das sich zu den höchsten Wolken erhebt, und doch beide Füße fest auf den Boden setzt. Diese eine Symphonie wird außerhalb der Grenzen unseres kleinen Landes triumphieren! Die dänischen Farben werden wehen über dieser aufrüttelnden, virilen menschlichen und doch so fremden neuen Musik. Die Welt da draußen wird die Ohren öffnen und auf Dänemark schauen.“ Die euphorischen Worte des Kritikers greifen vielleicht ein bisschen zu hoch, denn die Welt da draußen hat 1916 auch noch anderes, weniger Erhebendes, im Sinn. Vor den Toren Dänemarks tobt der Weltkrieg. Im Privaten löst sich langsam das Familienleben in Einzelteile auf. Der Sohn hat seit seiner Kindheit wegen einer Hirnhautentzündung einen irreparablen Hirnschaden, und arbeitet in der Nähe des Ferienhauses der Familie auf wechselnden Bauernhöfen. Die beiden Töchter heiraten. Die erste Tochter wird Arztgattin, die zweite setzt die musikalische Familientradition fort, und verliebt sich in den ungarischen Geiger Emil Telmanyi. Zuerst trifft sich das Liebespaar heimlich in Schweden, denn Carl Nielsen hat Vorbehalte gegen den jungen Mann als Schwiegersohn, versucht wohl gar, seiner Tochter den Geliebten auszureden. Schließlich lenkt der Vater ein. Die beiden lassen sich 1918 trauen, und Carl Nielsen bringt noch zum Fest ein Hochzeitsgeschenk mit: das Orchesterstück „Pan und Syrinx“. Musik 4, 3.13min Carl Nielsen Pan und Syrinx op. 49 Sinfonieorchester des Schwedischen Rundfunks Dirigent: Salonen, Esa-Pekka (30.06.1958) Finnland Labelcode: 00149 Labelname: CBS MK44934 Die schöne Nymphe Syrinx wird von Gott Pan verfolgt, als sie keinen Ausweg mehr sieht, läuft sie ins Uferschilf eines Flusses, und bittet Göttin Artemis, sie in ein Schilfrohr zu verwandeln. Als Pan dann auf der Suche nach Syrinx vor lauter Schilf die verwandelte Nymphe nicht mehr findet, schneidet er sich aus dem Schilf ein Rohr, bläst darauf, und erfindet so die Panflöte. Pan und Syrinx komponiert Carl Nielsen 1918 für die Hochzeit seiner jüngsten Tochter. Auch das nächste große Projekt Nielsens spielt im Reich von Sagen und Legenden, die äußeren Umstände geraten allerdings deutlich weniger märchenhaft. Zu einer geplanten monumentalen Aufführung des Bühnenstückes „Aladdin und die Wunderlampe“ vom Kopenhagener Dichter Adam Oehlenschläger schreibt Nielsen 1918 eine Schauspielmusik, in die er enorm viel Energie und Ideen steckt. Die Premiere soll ein Feuerwerk an modernster Theatertechnik werden, es wird alles an Effekt aufgefahren, was Kopenhagener Bühnen hergeben. Scheinbar aber wird einiges bei der Planung nicht bedacht, Dramaturgie und Raumbedarf platzen aus allen Nähten, so dass zuletzt die Premiere auf zwei Abende ausgedehnt werden muss, während bei zugebautem Orchestergraben nirgendwo auf der Bühne mehr Platz fürs Orchester bleibt. Als der Produktionsleiter schließlich beschließt, das komplette Orchester unter eine Bühnentreppe zu quetschen , außerdem einige Stücke von Nielsen komplett zu streichen, ist das zu viel für den Komponisten. Empört distanziert sich Nielsen von der gesamten Aufführung, und verlangt, dass sein Name von Plakaten gestrichen, aus Pressemitteilungen und Programmheften genommen wird. Ironischerweise wird Nielsens Musik trotzdem einer der größten Schlager der skandinavischen Musikgeschichte. Musik 5, 4.29min Carl Nielsen Schlusstanz aus Suite zur Bühnenmusik „Aladdin“ Nach Adam Oehlenschläger Göteborgs Symfoniker, Ltg: Järvi, Neeme Estland;USA 00173 Deutsche Grammophon Bestellnummer: 447757-2 Nach der Premiere der Aladdin Mammutproduktion, von der sich Nielsen offiziell distanziert, stellt der Komponist aus einem Bruchteil der hunderten Seiten Schauspielmusik eine Suite zusammen, die noch heute gern bei Galakonzerten großer Symphonieorchester gegeben wird. Carl Nielsen arbeitet seit der Aladdin Musik häufig in Ruhe und Abgeschiedenheit auf dem Land. Er hat 1918 eine Sommerresidenz gekauft, wohl auch, um Noch- Ehefrau Anne Marie zurück zu gewinnen. In einem Brief schreibt er: Das Haus in Skagen habe ich extra gekauft in der Hoffnung, Du mögest herkommen um mit mir

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