Dietmar Goltschnigg und Hartmut Steinecke (Hgg.) Heine und die Nachwelt Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare Band 1 1856–1906 ERICH SCHMIDT VERLAG Heine_Bd1.indd 3 18.09.2006 13:41:07 Uhr Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.ddb.de abrufbar. Weitere Informationen zu diesem Titel finden Sie im Internet unter ESV.info/3 503 07989 0 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung ISBN-13: 978 3 503 07989 6 ISBN-10: 3 503 07989 0 Alle Rechte vorbehalten © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., Berlin 2006 www.ESV.info Dieses Papier erfüllt die Frankfurter Forderungen der Deutschen Bibliothek und der Gesellschaft für das Buch bezüglich der Alterungsbeständigkeit und entspricht sowohl den strengen Bestimmungen der US Norm Ansi/Niso Z 39.48-1992 als auch der ISO Norm 9706. Gesetzt aus der 10 pt/12 pt Garamond Satz: Peter Wust, Berlin Druck: Hubert & Co., Göttingen Heine_Bd1.indd 4 30.08.2006 11:40:52 Uhr Vorwort „Heinrich Heine, der langjährige Gegenstand blinder Verehrung und einer eben so blinden Anfeindung, ist nicht mehr. In der That! nur wenige Dichter oder Schrift- steller haben während ihres Lebens so enthusiastische Bewunderer und so erbitterte Feinde gehabt. Während die Einen ihn als den größten lebenden Dichter, als den geistreichsten Schriftsteller priesen, fanden die Andern ihn leichtfertig, unsittlich, weihelos als Dichter, ohne Treu und Glauben, Würde und Ernst als Schriftsteller.“1 Mit diesen Worten beginnt der erste ausführliche Nekrolog, der über Heine in der deutschsprachigen Presse erschien, drei Tage nach seinem Tod, in der Wiener „Ost- Deutschen Post“ am 20. Februar 1856. Je intensiver sich die wirkungsgeschichtliche Forschung mit der zeitgenössischen Kritik befasste, desto nachhaltiger wurde diese Feststellung bekräftigt, wenn sich das Bild im Einzelnen auch sehr differenzierte. Als Begleitprojekt zu der Düsseldorfer historisch-kritischen Ausgabe (1973–97) wurden im Heine-Institut diese Rezeptionszeugnisse erstmals systematisch gesam- melt. In den Kommentaren der Ausgabe wurden sie punktuell herangezogen und ausgewertet. 1981 begann die Publikation Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeit- genossen, zunächst geplant auf drei Bände. Der Umfang der Materialien überraschte auch die Fachleute, er übertrifft alle früheren Schätzungen wesentlich. Bis 2005 er- schienen elf Bände, mittlerweile ist ein Gesamtumfang von zwölf Bänden vorgese- hen und der Abschluss für 2006 angekündigt. Dass sich ein solches Unternehmen für die Zeit nach Heines Tod nicht in gleicher Weise fortsetzen lässt, liegt auf der Hand. Es wäre weder vom Arbeitsaufwand und der Finanzierung her möglich noch wissenschaftlich sinnvoll. Eine solche positivis- tische Arbeit liefe letzten Endes auf die Digitalisierung großer Bestände des Heine- Instituts hinaus. Andererseits ist seit langem unbestritten, dass der Wirkungsgeschichte Heines in Deutschland ein hohes Interesse zukommt. Im ersten Jahrhundert nach seinem Tod zogen vor allem spektakuläre Kontroversen – Denkmalstreitigkeiten, antisemitische Kampagnen – die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Die Literaturwissen- schaft, die sich ohnehin nur in begrenztem Maße mit Heine beschäftigte, zeigte für dessen Wirkungsgeschichte wenig Interesse. Erst 1956, hundert Jahre nach Heines Tod, befasste sich die unveröffentlicht gebliebene Dissertation von Erika Schmohl Der Streit um Heinrich Heine. Darstellung und Kritik der bisherigen Heine-Wertung etwas ausführlicher mit dieser Thematik.2 Zu Recht konnte Helmut Koopmann in sei- nem Vortrag Heinrich Heine in Deutschland. Aspekte seiner Wirkung im 19. Jahrhundert (1966) den Forschungsstand so kommentieren: „es spricht einiges dafür, daß auch der Mangel an wirkungsgeschichtlichen Arbeiten über Heine zur Wirkungsgeschich- te Heines gehört.“3 Das änderte sich seither allmählich, vor allem in den letzten bei- den Jahrzehnten als Teil des allgemeinen Aufschwungs der Heine-Forschung. Aller- 5 Heine_Bd1.indd 5 30.08.2006 11:40:53 Uhr Vorwort dings hielt Jeffrey L. Sammons noch 2001 fest, dass zwar „die Rezeptionsgeschichte im allgemeinen, von Sankt Petersburg bis San Francisco, von Kuba bis Japan ei- nen beträchtlichen Anteil des Schrifttums über Heine ausmacht“, die deutsche Re- zeption aber nach wie vor ein vergleichsweise geringes Interesse finde.4 In der Tat entstanden zwar zahlreiche Einzelstudien, meistens in Form von Aufsätzen, gele- gentlich auch in Buchform; aber sie behandelten durchweg einzelne Autoren oder Epochen, bestimmte Fragestellungen oder Personenkreise. Ein Hauptgrund für diese Beschränkung war und ist, dass bei jedem dieser Teilaspekte eine Fülle von Quellen zu erschließen war, die nur durch intensive Arbeit in Archiven einigermaßen überse- hen werden konnte. Eine umfangreiche repräsentative Auswahl der Rezeptionszeug- nisse, die notwendige Grundlage weiter ausgreifender Darstellungen, fehlt erstaun- licherweise noch immer. Das hängt unter anderem wohl damit zusammen, dass in der Blütezeit der wir- kungsgeschichtlichen Forschung, Ende der 1960er und in den 1970er Jahren, als entsprechende Sammlungen über Goethe, Schiller, Lessing, Jean Paul oder Benn entstanden, Heine noch nicht so im Fokus der Forschung stand wie diese längst ka- nonisierten Autoren. So erschienen in diesen Jahren – 1975 und 1976 – zwar drei kleine Sammlungen mit Wirkungszeugnissen Heines, aber durchweg in schmalen Taschenbüchern, mit sehr kurzen Auszügen, die notwendigerweise nur einige Mo- saiksteine, oft zufällig ausgewählt, bieten konnten.5 Sie waren ausdrücklich als „Ma- terialien zum Literaturunterricht“, „zum akademischen und vorakademischen Un- terricht“ gedacht, sie beanspruchten in keiner Weise, Grundlage wissenschaftlicher Beschäftigung zu sein. In den drei Jahrzehnten seither wurden diese Ansätze nicht weitergeführt. So bedarf es kaum einer Begründung, wenn – 150 Jahre nach Heines Tod – erst- mals eine Dokumentation von Wirkungszeugnissen publiziert wird, die ein umfas- sendes, vielseitiges, differenziertes Bild dieser Wirkung, der öffentlichen Debatten wie der literarischen Auseinandersetzungen zu bieten versucht. Für die Konzentra- tion auf die deutschsprachigen Länder6 spricht nicht nur das konstatierte Defizit ge- genüber den Forschungen zur Rezeption im Ausland, sondern vor allem die beson- dere Ausrichtung der deutschen Wirkungszeugnisse: Es geht bei der Beschäftigung mit Heine weltweit in erster Linie – und fast ausschließlich – um den Dichter und seine Bedeutung, in Deutschland und Österreich hingegen von Beginn an immer auch und nicht selten primär um allgemeine literarische, kultur- und gesellschaftspo- litische Fragen. Selbst literarische Auseinandersetzungen wie Realismus gegen Ro- mantik oder wahre Dichtung gegen bloßes Feuilleton werden nicht selten bereits zu Lebzeiten politisiert, Heines Schreibweise mit seinem Verhältnis zum Französischen und zum Jüdischen erklärt und identifiziert. So werden Nationalismus und Antise- mitismus zu Kernzonen der Heinekritik, die Rolle dieser Denkweisen zeigt sich im Umgang mit Heine, und dieser Umgang selbst wird zum Symptom von deren Um- fang und Grad. Diesen Prozess über 150 Jahre deutscher Geschichte zu zeigen, nicht nur in herausgehobenen Quellenzeugnissen, sondern auch in der alltäglichen Be- schäftigung und Auseinandersetzung, ist das Hauptziel dieser Dokumentation. Da- bei liegt der Schwerpunkt nicht auf der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Heine im engeren Sinn, sondern auf den kritischen und journalistischen – vor allem: öf- 6 Heine_Bd1.indd 6 30.08.2006 11:40:53 Uhr Vorwort fentlichkeitswirksamen – Formen sowie dem Umgang der Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit der Person und der „Schreibart“, die mit seinem Namen untrenn- bar verbunden ist. Daher ist die Spannweite der Textsorten groß: Essays, Gedichte, Versepen, Erzählungen, Anekdoten, literarhistorische und philosophische Schriften, Aufrufe, Pamphlete. Eine größere Zahl dieser Texte ist seit dem Erscheinen nicht neu gedruckt worden, einige waren bisher nicht einmal bibliographisch erfasst und sind auch nicht im Archiv des Heine-Instituts zu finden. * Diese Dokumentation soll drei Bände umfassen, die jeweils fünfzig Jahre der Wir- kungsgeschichte behandeln (1856–1906, 1907–1956, 1957–2006). Durch die zeit- liche Nähe der „Gedenkjahre“ (1897/1906 usw.) ergibt sich am Ende jedes Zeitraums gleichsam eine Bilanz des zurückliegenden halben Jahrhunderts. Der vorliegende erste Band befasst sich mit einem Zeitraum, der bisher nur we- nig Aufmerksamkeit gefunden hat. Jeffrey L. Sammons konstatierte in seiner zi- tierten Arbeit außer den allgemeinen Defiziten der deutschen Wirkungsforschung über Heine „eine recht auffallende [...] Lücke: die ersten Jahrzehnte der deutschen Rezeption. [...] Man interessiert sich mehr für die Heinerezeption in Portugal und Korea als in der großen, grundlegenden Epoche der wilhelminischen [...] Zeit, die bestenfalls tastend, selektiv und einseitig berührt wird.“7 Diese Feststellung lässt sich auch durch die drei vorliegenden Sammlungen von Rezeptionszeugnissen Heines belegen, sie bieten in diesem Zeitraum lediglich zwi- schen acht und vierzehn Texte.8 Der vorliegende Band enthält 145 Texte und Text- auszüge, die Bibliographie verzeichnet über hundert weitere, insgesamt wurden für diese Auswahl über fünfhundert Texte gesichtet. Im Darstellungsteil wurde das Material
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