Die Welt ist ein Dorf Vor fast drei Jahren zog Uwe Gensheimer hinaus, um die Welt zu erobern. Bereits in seiner ersten Saison bei PSG wurde er Torschützenkönig der französischen Liga und der VELUX EHF Champions League. Im Interview schaut der „beste Linksaußen der Welt“ auf seinen Senkrechtstart zurück und blickt in die Zukunft. Zum ersten Mal haben Sie Paris zur Ver- Gensheimer: Das kann man nicht Germain. Das Szeneviertel bietet aus- tragsunterschrift besucht. Das ist jetzt an einem bestimmten Tag festma- gefallene Cafés, gute Restaurants und fast drei Jahre her. Wie hat sich Ihr Bild chen, es war eher ein Prozess. Ich lie- gilt mit zahlreichen Buchhandlungen von der Stadt verändert? be diese Stadt einfach und genieße die und Galerien als Kulturzentrum der Uwe Gensheimer: Beim ersten Tatsache, dass ein kurzer Blick nach Hauptstadt. Mal war ich nur für ein paar Stunden links und rechts ausreicht, um zu wis- hier. Ich fuhr durch die Stadt, sah sen, dass man in Paris ist. Die Archi- Was hat Sie am meisten in ihrer neuen links und rechts einige Sehenswür- tektur und die Geräuschkulisse sind Heimat überrascht? digkeiten und besuchte ein französi- unverwechselbar. Gensheimer: Wenn ich ehrlich bin, sches Restaurant. Paris war zunächst hatte ich im Vorfeld keine genauen ein Gefühl, doch gekannt habe ich Wann ist Paris am schönsten? Vorstellungen. Ich wollte einfach diese noch nichts. Obwohl meine Frau und Gensheimer: Wenn die Sonne Stadt erleben und mich beruflich und ich mit unserem Baby in die französi- scheint (lacht). In diesem Jahr hatten privat in einem komplett neuen Umfeld sche Hauptstadt gezogen sind, unter- wir viele Sonnentage und teilweise ausprobieren. Als Profi-Handballer nahmen wir schon im Sommer 2016 war es sogar zu heiß. In Paris gibt es hast du allerdings keinen Berufsalltag relativ viel. übrigens keine Freibäder, wie wir die im normalen Sinne. Wir fahren nicht aus Deutschland kennen. Im Sommer morgens mit der S-Bahn ins Büro und Was zum Beispiel? flüchtet die Stadtbevölkerung an die zehn Stunden später wieder zurück. Gensheimer: Wir haben mit den Atlantikküste. Im August, wenn unse- Somit ist mein Bild sehr individuell. typischen Touri-Sachen angefangen, re Vorbereitung beginnt, sind die Stra- Was mich überrascht hat, ist zum Bei- Triumphbogen, Notre Dame, wir wa- ßen der Hauptstadt teilweise komplett spiel die Anonymität der Großstadt. ren auch am Eiffelturm. An einem Tag leer. Die schönste Jahreszeit hier ist Wir wohnen in einem Haus, wo man sind wir mit einem Touristen-Boot auf der Frühling. die Bewohner vielleicht vom Sehen der Seine unterwegs gewesen und ha- kennt und auch immer kurz freundlich ben die Stadt mit einem Sightseeing- Haben Sie einen „Happy Place“ für sich grüßt, aber niemand weiß genau, wer Bus erkundet. entdeckt? eigentlich in der Nachbarschaft wohnt. Gensheimer: Ich bin sehr gerne Sinnbildlich für diese Anonymität sind Ab wann fühlten Sie sich hier zu Hause? im Herzen der Stadt, im Bezirk Saint die Klingelschilder: Dort stehen Foto: Sascha Klahn TITEL keine Namen, nur die Nummern der tigen. Wir hatten persönlich ein gutes rektor Robert Mohr gehört inzwischen Wohnungen. Das ist in meiner Heimat Verhältnis und die Zusammenarbeit auch zu den Leuten, die ich gerne pri- schon etwas anders. war auch erfolgreich. Immerhin haben vat treffe. wir es zweimal zum VELUX EHF FI- Gibt es sonst Unterschiede zu Ihrem Le- NAL4 nach Köln geschafft, zum Titel Ganz schön viele deutsche Freunde. ben in Deutschland? hat es bisher leider nicht gereicht. Der Gensheimer: Ich unternehme auch Gensheimer: In Paris bin ich ein Champions League-Sieg ist weiterhin oft mit Mannschaftskollegen etwas. Handballprofi – und das war‘s dann ein großes Ziel unseres Clubs. Die französische Sprache habe ich re- auch schon (lacht). lativ schnell gelernt, sie ist also keine Barriere. Unterhaltungen in der Mut- Wie ist das gemeint? „ DAS GROSS- tersprache lassen dennoch eine etwas Gensheimer: Ich meine, dass sich andere Tiefe in den Gesprächen zu. STADTGEFÜHL mein Leben hier – neben der Fa- milie – fast ausschließlich um den GEFÄLLT Haben Sie sich auch auf anderen Sport- Handball dreht. In der alten Heimat MIR GUT“ veranstaltungen umgeschaut? konnte ich mich ständig spontan mit Gensheimer: Ich war beim Ry- Freunden treffen. der Cup mit den besten Golfern der Wie ist das Club-Leben beim PSG? Welt und hab mich auf ganz großes Damals hatten Sie auch noch kein Kind. Gensheimer: Ich habe ein sehr Tennis bei den French Open Roland Vielleicht ist der zweieinhalbjährige Matti enges Verhältnis zum Trainerteam Garros gefreut. Das waren wirkliche der Grund für diese Veränderung? der Fußballer, zum PSG-Coach Tho- Highlights! Gensheimer: Das kann natürlich mas Tuchel und zu seinem deutschen auch sein. Co-Trainer und Videoanalyst Benny Wer hat Ihnen in den ersten Wochen Weber, der demnächst ein Mädchen geholfen? Ist Ihr Sohn ein kleiner Franzose? heiratet, das ich vom Studium kenne. Gensheimer: Das befürchte ich Das ist ein wirklich witziger Zufall, manchmal. Er will seine Pasta immer da Benny in seiner früheren Karriere mit Butter (lacht). auch mit Sven Raab, einem Physiothe- rapeuten der Löwen, zusammengear- Wie kommen Sie mit der Größe der beitet hat. Die Welt ist ein Dorf. Stadt klar? Gensheimer: Das Großstadtgefühl Haben Sie auch mit den Superstars aus gefällt mir gut. Wenn ich nach der der dem Fußballteam Kontakt? Sommerpause wieder nach Paris kom- Gensheimer: Die Fußballer trai- me, freue ich mich richtig auf diese nieren 20 Kilometer außerhalb von pulsierende Stadt. Paris, daher laufen wir uns nicht un- bedingt über den Weg. Einige schauen Obwohl Sie gar nicht so viel weggehen … sich unsere Spiele zwar gerne an und Gensheimer: Aber ich könnte, wenn auch wir gehen ins Stadion. Wir sa- ich wollte ... gen Hallo, geben uns die Hand, doch von einem privaten Kontakt kann man Als Sie nach Paris kamen, hieß ihr nicht wirklich sprechen. Dafür habe Trainer Noka Serdarusic. Wie war die ich den Eigentümer des Rugby Clubs Zusammenarbeit? kennengelernt. Hans-Peter Wild ist Gensheimer: Die legendäre Vorbe- ein gebürtiger Heidelberger, dessen reitung von Noka ist wirklich so hart, Unternehmen die breite Öffentlichkeit wie man sich das erzählt. Das kann hauptsächlich wegen der Marke Capri Foto: Privat ich jetzt aus eigener Erfahrung bestä- Sonne kennt. Sein deutscher Sportdi- Uwe Gensheimer mit seiner Frau Sandra beim Roland Garros 20 AUSGABE #24 6/2018 TITEL Gensheimer: Ich habe viel Unter- schen Liga und der VELUX EHF Champi- Ich habe schon bei den Rhein-Neckar stützung vom Verein erfahren. Das ons League. Wie geht das? Löwen unter Top-Bedingungen ge- war auch später so, als Matti bei- Gensheimer: Für mich war es eine arbeitet, was ich aber hier in Paris spielsweise einen Kindergartenplatz schöne Bestätigung, dass ich mich vorfand, war schon noch eine Überra- brauchte. Aber auch meine Mitspieler, sportlich so schnell akklimatisieren schung für mich. Als ich beispielsweise wie Niko oder Daniel, haben mir Hilfe konnte. Ich brauchte keine Anlaufzeit, verletzungsbedingt zum MRT musste, angeboten. um mich hier, in einem fremden Land, wurde ich von einem Chauffeur abge- in einer unbekannten Sprache und mit holt und im Anschluss der Untersu- Haben Sie das in Anspruch genommen? neuen Mitspielern zurechtzufinden. Zu chung wieder nach Hause gebracht. Gensheimer: Klar. Als es darum zeigen, was ich kann, das war für mich Der Club tut alles, damit sich die Spie- ging, wo wir hinziehen sollten oder die größte Motivation. Erst wenn deine ler auf den Sport und auf ihre eigene wo man am besten essen geht, habe Mitspieler sehen, was du so draufhast, Leistung konzentrieren können. ich sie gefragt. geben sie dir auch in kritischen Situa- tionen den Ball. Sind Sie selbst auch ein Starthelfer? „ MAN LERNT Gensheimer: Ich denke, ja. Wo- Sie sollen laut Experten der beste Links- DIE DINGE bei ich genau darüber in den letzten außen der Welt sein. Kann man das dann ERST SCHÄTZEN, Jahren oft nachgedacht habe. Wie noch steigern? WENN SIE NICHT es sich anfühlt, ein Ausländer bei ei- Gensheimer: Sicher. Ich arbeite im- MEHR SELBST- nem neuen Club zu sein, wusste ich mer an mir und an meinen Würfen. VERSTÄNDLICH noch nicht, als ich Kapitän der Löwen Ich habe den Anspruch, das Niveau war. Vielleicht hätte ich mich damals zu halten, doch jünger werden wir alle SIND“ manchmal intensiver um meine neuen nicht. Ich bin auch schon mal höher Mitspieler kümmern müssen. Es hat gesprungen. Wie eng ist Ihr Kontakt zu den Löwen? sich zwar keiner beschwert, aber viel- Gensheimer: Die Sommerferien ha- leicht sollte man mehr auf die Kleinig- Welche Vorteile genießt Paris gegenüber ben Sandra, Matti und ich mit der Fa- keiten achten. anderen Clubs? milie von Oliver Roggisch verbracht. Gensheimer: Das hat sicherlich mit Unsere Söhne sind beste Freunde. Zu den finanziellen Möglichkeiten zu tun, Andy und Patrick habe ich auch viel „ ICH BIN doch für uns ist es ein riesiger Vor- Kontakt. Auf die Zeit mit der National- AUCH SCHON teil, dass wir zu unseren Champions mannschaft freue ich mich jedes Mal, MAL HÖHER League-Spielen mit einer Charterma- auch wegen meines Zimmerkollegen. schine anreisen können. Damit gewin- Unser Verhältnis ist nach wie vor sehr GESPRUNGEN“ nen wir jedes Mal einen ganzen Tag gut. Manchmal lernt man die Dinge und das macht in Summe am Ende der erst schätzen, wenn sie nicht mehr Für Kim Ekdahl waren Sie in Paris sicher- Saison viel aus. Bei den Vorteilen muss selbstverständlich sind. lich eine Starthilfe. Immerhin haben Sie man auch die Trainingsbedingungen ihn im Sommer bei sich einziehen lassen. nennen. Wir spielen und trainieren Das klingt wehmütig. Gensheimer: Wir hatten eine sehr in der gleichen Halle und werden hier Gensheimer: Es ist eher eine Er- entspannte Männer-WG in der Zeit auch physiotherapeutisch bestens ver- kenntnis, wofür ich dankbar bin. der Saison-Vorbereitung. Meine Fa- sorgt. Ein Athletiktrainer kümmert milie war noch in Deutschland und sich zusammen mit einem Team von Endet das französische Abenteuer der Fa- Kim zog bei uns ein.