SWR2 Musikpassagen

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 Musikpassagen Sad Peter Pan Der Singer/ Songwriter Vic Chesnutt Von Bernd Gürtler Sendung: Sonntag, 12.04.2015 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2015 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Musikpassagen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Paul Butchard war mit seiner Formation The Side Effects zur rechten Zeit am rechten Ort und gilt als wichtiger Zeitzeuge. (10) O-Ton: (englisch/deutsch) (2:22) (01) Vor 1977/78, vor den B52’s klang die Populärmusik in Athens wie überall, in den Sechzigern nach Memphis Soul und Bläsern, in den Siebzigern nach Allman Brothers. … Von welchem Planeten die B52’s kamen, weiß kein Mensch, sie sind ohne Beispiel gewesen. Jeder aus dem Umfeld der B52’s wollte originell klingen. Nimm‘ die Einflüsse deiner Umgebung und forme deinen eigenen Sound! … Keiner von uns war musikalisch vorbelastet. Ich wusste nicht, was eine Harmonie ist, musikalische Fachbegriffe sind Böhmische Dörfer für mich gewesen. Unsere Musik war nicht auf den Kopf gerichtet, wir wollten emotional bewegen, zum Tanzen bringen. Lange war der Athens-Sound von den eingeschränkten Möglichkeiten der Musiker geprägt. … Dann sind R.E.M. groß rausgekommen, und jeder wollte wie R.E.M. klingen. Überall dasselbe Gitarrengebimmel, derselbe Harmoniegesang, der aufpolierte Popsound. Das ging so weit, dass Studenten 1984 einen Flyer verteilten, darauf stand, ihr Langweiler, warum muss jede Band in Athens wie R.E.M. klingen?! … Danach wollte jeder ganz anders als R.E.M. klingen. Etwa um dieselbe Zeit zieht es Vic Chesnutt nach Athens. Seit einem selbstverschuldeten Autounfall mit achtzehn ist er vom Hals abwärts querschnittsgelähmt, aber nicht zu völliger Bewegungsunfähigkeit verdammt. Irgendwie kann er Hände, Arme und Beine doch bewegen und überzeugt bald jeden mit seinen eigenwilligen Songs. 2009 begeht Vic Chesnutt Selbstmord, er stirbt an einer Medikamentenüberdosis. VIC CHESNUTT: Super Tuesday (1:25) CD/10 Vic Chesnutt fällt sofort auf in Athens, Georgia, wegen seiner Querschnittslähmung ist er an den Rollstuhl gefesselt. Die Musikgeschichte der Stadt kennt einen wie ihn auch noch nicht, berichtet Paul Butchard. (20) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:51) (02) Er war ein Dichtersänger, ein Spielmann auf der Durchreise. Einer, der in Athens Station macht und das Leben in seiner Gesamtheit betrachtet. … Seine Musik war ganz die seine. Athens hat Bands bevorzugt, ein Solist mit akustischer Gitarre war neu. Ein Jammer, dass er nicht mehr unter uns ist. Er war ein echtes Original, wollte nicht berühmt sein, bloß Musik machen. Das war ihm ein Bedürfnis. 3 Beginnen sollte Vic Chesnutt bei einer Band, als Mitstreiter der kaum bekannten La-Di-Das. Später sucht er noch mehrmals die Gesellschaft von Bands, 1998 entsteht ein Album mit Lambchop aus Nashville, Tennessee. Lambchop-Oberhaupt Kurt Wagner wird sein bester Freund. Schwer zu beschreiben, was genau sie beide verbunden hat, grübelt Kurt Wagner. (26) O-Ton: (englisch/deutsch) (1:25) (02) Es ist etwas gewesen, das ich von jeher in einem Song höre. Lange her, aber schon bei unserer ersten Begegnung dachte ich, das entspricht mir sehr. … Es war generell die Art seiner Musik, seines Gesangs, wie er die Welt sah, seine Wortwahl. Das kam mir bekannt vor, war aus einem sehr persönlichen Blickwinkel formuliert und genau beobachtet. Ich bin begeistert gewesen, fand ihn clever, humorvoll. Normalerweise bringe ich das mit Popmusik nicht in Verbindung. ... Er konnte nachdenklich sein ohne anzustrengen. Vorgebracht war das, wie ich es auch angehen würde, als Beobachter in der ersten Person. Bruchstücke seiner Erinnerung ergeben in der Quintessenz etwas Allgemeingültiges. Ein Song 1990 vom Debütalbum „Little“ heißt „Speed Racer“ und versteht sich als Hinweis auf eine gleichnamige Zeichentrickfernsehserie seiner Kindheit. Jeder, der davon weiß, dürfte allerdings eher noch an den verhängnisvollen Autounfall denken. Später liefert der Song eine Aussage in eigener Sache. Ich bin kein Opfer, ruft Vic Chesnutt, um im selben Atemzug auf religiösen Beistand zu verzichten. Ich bin Atheist, verkündet er des Weiteren. (34) VIC CHESNUTT: Speed Racer (4:44) CD/07 Egal was bei Vic Chesnutt an Cleverness, Humor, Nachdenklichkeit, an Peter-Pan-Naivität mitschwingt, ein Quantum Zorn ist immer dabei gewesen. Stimmt, entgegnet Zeitzeuge Paul Butchard. (37) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:36) (04) Er war voll Zorn. Das erste Mal gehört habe ich von ihm, als jemand erzählte, Downtown verteilt ein Kerl im Rollstuhl Flyer, auf denen steht, es gibt keinen Gott. … Das war Vic Chesnutt. Er trug einiges an Zorn mit sich rum. … Weiß nicht, ob er sich selbst in seine Situation gebracht hat oder ob es ein Unfall war. Ob ein Selbstmord geplant war, der fehlgeschlagen ist. Widerspruch von Kurt Wagner, seinem besten Freund. (38) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:26) (05) Würde ich nicht sagen, dass er ein zorniger Mensch war. Nicht nach meinem Eindruck. … Er war wie jeder andere auch, manchmal zornig, manchmal nicht, aber nicht generell zornig. Sich geschont hat er jedenfalls nie. „Gluefoot“, fauler Sack heißt ein wenig schmeichelhaftes Selbstporträt, eingebettet in beklemmende Erinnerungen an verschiedene Krankenhausaufenthalte. Man kann das Antiseptikum im OP beim Zuhören riechen. (42) VIC CHESNUTT: Gluefoot (2:21) CD/07 Sein Autounfall war das fatale Resultat jugendlichen Leichtsinns, immerhin ist Vic Chesnutt betrunken gewesen. Das ist eine Lesart, eine andere, 4 dass es ein fehlgeschlagener Selbstmordversuch war. Kurt Wagner überlegt. (46) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:33) (06) Ich meine, er hätte mir erzählt, dass er es vorher schon versucht hat. Sicher bin ich nicht, aber gut möglich, dass er den Drang schon in jungen Jahren verspürt hat. … Das war lange vorher in ihm drin. Ein Unfall ist das bestimmt nicht gewesen. Vielfach ist gerätselt worden, worum es bei Vic Chesnutt eigentlich geht. Es geht genau darum: Dass das Leben vergänglich ist, und er das Ende selbst bestimmt. Das ist sein Thema, das zieht sich durch alle seine Songs. Kurt Wagner kann nur beipflichten. (50) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:28) (07) Das war immer da. … Bei seinen letzten Schallplatteneinspielungen kam es klarer zum Vorschein, davor lag es mehr im Verborgenen. Das hat ihn verfolgt, seit wir uns kannten. Songs wie „Onion Soup“ sind kostbare Momente ungetrübter Heiterkeit im Vic-Chesnutt-Gesamtwerk. (52) VIC CHESNUTT: Onion Soup (4:41) CD/05 Es gibt Menschen, die werden mit einer Lebensunlust geboren und nichts, was das ändern könnte. Vic Chesnutt ist so jemand gewesen, vermutet Kurt Wagner. (55) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:36) (08) Gute Frage, warum empfindet jemand so. Depressionen sind sicher eine Ursache. … Sehr kompliziert. Es ist eine Krankheit, die oft in Depressionen stürzt. Der Zuspruch des Publikums trägt eine Weile. Sein Album „About To Choke“ von 1996 ist all den guten Menschen gewidmet, die ihm schreiben, bitte stirb‘ nicht. Mit „Little Vacation“ enthält „About To Choke“ seinen bis dahin ulkigsten Song. (59) VIC CHESNUTT: Little Vacation (4:43) CD/07 Mit Hilfe eines Muskelrelaxans befördert sich Vic Chesnutt zu Weihnachten 2009 ins Jenseits. Er stirbt am 25. Dezember im Alter von fünfundvierzig Jahren. Die Nachricht von seinem Tod wird von Spekulationen begleitet, ob es nicht doch ein Unfall gewesen sein könnte. Für Kurt Wagner besteht kein Zweifel. (64) O-Ton: (englisch/deutsch) (0:15) (09) Ich war nicht dabei, bin mir aber sicher, nach allem, was ich weiß, dass die Überdosis selbst beigebracht war. Es gab einen akuten Auslöser für seine Tat, ein Schuldenberg von 50.000 Dollar aus unbeglichenen Arztrechnungen. Ein Ausweg schien sich anzubahnen, aber nicht rechtzeitig genug, beklagt Kurt Wagner. O-Ton: (englisch/deutsch) (1:10) (10) Er war in besten Händen. Mit Hochdruck wurde nach einem Krankenhaus, einer Pflegeeinrichtung gesucht, wo ihm geholfen werden konnte. Aber das zog sich, die Krankenversicherung tat sich schwer. … Mit einer besseren Gesundheitsversorgung

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