Cosenza 101 Kalabrien – Nomen est omen: Diamante Provinz Cosenza Reiseziel Kalabrien Obwohl fast gänzlich vom Meer umspült, liegt die Seele Kalabriens „oben“, wie der kalabrische Reisebuchautor Domenico Laruffa die Topographie seiner Heimat poetisch umschreibt. Die gut 15.000 qkm messende Fläche der südlichsten Festlandsregion Italiens ist Kalabrien nämlich genauso wie die Basilikata zu gut 90 % von Bergen und Hügeln bedeckt. – Provinz Ihre knapp 2,1 Millionen Einwohner verteilen sich auf die Provinzen Cosenza, Cosenza Catanzaro, Reggio Calabria, Vibo Valentia und Crotone. Obgleich Reggio Calabria mit 180.000 Einwohnern mit Abstand die größte Stadt auf kalabrischem Boden ist, erhielt das wesentlich kleinere Catanzaro 1971 den Zuschlag als Hauptstadt der neu formierten Region. Das Bruttosozialprodukt Kalabriens liegt fast 50 % unter dem nationalen Durch- Cosenza schnitt, entsprechend hoch sind Arbeitslosen- und Auswanderungsrate. Man lebt in erster Linie vom Oliven-, Zitrusfrucht- und Weinanbau und zunehmend vom Tourismus. Die Industrie spielt(e) kaum eine Rolle; lediglich um Crotone wurden seit den 1920er Jahren inzwischen wieder geschlossene Chemiewerke angesiedelt. Ansonsten dokumentieren die sporadisch in der Landschaft verteilten Ruinen nie in Betrieb genommener Fabrikanlagen, dass die (vermeintlich) geplante Industriali- sierung der Region fehlgeschlagen ist. Nur der im vergangenen Jahrzehnt ausge- baute Containerhafen von Gioia Tauro nährt eine gewisse Hoffnung auf die Schaf- fung von Arbeitsplätzen in großem Stil. Ein Grund für das Scheitern staatlicher Entwicklungsprogramme ist der gebiets- weise recht stark ausgeprägte (schatten-)wirtschaftliche Einfluss der kalabrischen 102 Kalabrien – Provinz Cosenza Mafiavariante N’drangheta. Deren bisweilen gewaltsam ausgetragenen internen Konflikte und erpresserischen Einschüchterungsversuche sorgen – v. a. in der Pro- vinz Reggio Calabria – dann und wann für Schlagzeilen und stellen für die Einhei- mischen mancherorts ein ernstes Problem dar. Für Touristen ist die N’drangheta jedoch ein kaum spürbares und erst recht kein gefährliches Phänomen. Die ökonomische Perspektive Kalabriens liegt im Tourismus, den man nun nicht länger auf die Küstenstreifen und die Sommermonate konzentriert, sondern quasi flächendeckend und saisonunabhängig zu entwickeln sucht. Mit maßgeblicher För- derung der EU besinnen sich die außergewöhnlich gastfreundlichen Kalabresen deshalb auf die natürlichen und (alltags-)kulturellen Ressourcen ihrer unmittelba- ren Umgebung, die regionsweit so ziemlich jedes Urlauberbedürfnis befriedigen. Weil auf der recht schmalen Halbinsel kein Ort mehr als 50 km vom Meer ent- fernt ist, archäologische Ausgrabungen, mittelalterliche Kirchen und barocke Adelspaläste in allen Teilen der Region für geistige Erbauung sorgen, kann man Wander-, Bade- und Bildungsurlaub problemlos miteinander kombinieren und dabei feststellen, dass Kalabrien auch kulinarisch durchaus mit dem Rest des Bel Paese konkurrieren kann. Provinz Cosenza Die größte Provinz der kalabrischen Halbinsel, deren Kapitale Cosenza so- wohl wirtschaftlich als auch kulturell als „heimliche Hauptstadt“ der Region gelten kann, öffnet sich zwischen Praia a Mare und Amantea im Westen und zwischen Rocca Imperiale und Cariati im Osten zum Meer. Dazwischen erhe- ben sich die teilweise dicht bewaldeten Gebirgszüge des Pollino-National- parks, der Catena Costiera, Sila Greca und Sila Grande. Neben Badevergnügen und Wanderfreuden bietet das nördliche Kalabrien aller- hand kulturell Erbauliches und spirituell Bewegendes. Höhlenzeichnungen in der Grotta del Romito nahe Papasidero am Rande des Pollino-Nationalparks belegen die Existenz menschlichen Lebens im prähistorischen Cosentino, die archäolo- gischen Ausgrabungen von Sibari erzählen von der antiken Blüteperiode der Magna Graecia, und in Rossano fühlt man sich ins byzantinische Kalabrien zu- rückversetzt. In einigen Dörfern des Pollino-Gebirges und der Sila Greca pflegen Angehörige der albanischen Bevölkerungsminderheit noch heute ihre ethnischen Traditionen, und mit der kleinen Gemeinde Guardia Piemontese hat sich eine okzitanische Sprachinsel erhalten, die die Aufmerksamkeit der linguistischen Forschung auf sich zieht. Aus der Küstenstadt Paola im Südwesten der Provinz stammt San Francesco, der über die Region hinaus verehrte Schutzpatron Kalabriens, und in der schlichten Kathedrale von San Giovanni in Fiore in der Sila Grande weht noch heute der Geist des heiligen Gioachino da Fiore, der durch seine Lehren nicht nur das reli- giöse Denken seiner Zeitgenossen inspiriert hat. Aber auch so manches historisch weniger spektakuläre Städtchen oder Dorf be- sticht durch ein charakteristisches, oft durch ein mittelalterliches Kastell bereichertes städtebauliches Profil, eine traumhafte landschaftliche Lage oder herausragende kulturelle Aktivitäten. Kalabrien – Provinz Cosenza Cosenza 103 Kalabrien – Provinz Cosenza Hier schlägt das Herz von Cosenza: Piazza Duomo Cosenza ca. 100.000 Einwohner Die architektonisch attraktive und atmosphärisch erlebenswerte Altstadt von Cosenza, dessen Name literarisch Gebildeten aus August von Platens schwermütiger Ballade „Das Grab im Busento“ bekannt ist, liegt auf dem von Busento und Crati umflossenen Colle Pancrazio. Auf dessen Gipfel wacht ein monumentales normannisch-staufisches Kastell über die ge- schichtsträchtige und gleichzeitig innovativste Stadt Kalabriens. Im Frühjahr 2005 wurden entlang des von eleganten Geschäften und Büros gesäumten Corso Mazzini die künstlerisch hochkarätigen Exponate des Museo All’Aperto enthüllt. Seitdem lohnt sich auch der Besuch des städtebaulich eher un- spektakulären neuen Teils der Provinzmetropole, bevor man den seit Mitte der 1990er Jahre erfolgreich restaurierten und revitalisierten Altstadthügel erklimmt. Man erreicht ihn, wenn man sich über die Piazza Bruzi am südlichen Ende der schicken Flaniermeile, die Piazza Campanella mit der Chiesa di San Domenico aus dem 16. Jh. und den Ponte Mario Martire zur Piazza Valdesi bewegt. An dem gas- tronomisch gut versorgten, von der Fassade der Akademie der schönen Künste de- korierten Platz jenseits des Busento angekommen, folgt man von dort dem stetig ansteigenden Corso Telesio. Die von Boutiquen, Bars, Geschäften, Galerien, Ate- liers und Werkstätten gesäumte, stetig ansteigende Straße verläuft mitten durch das vor gut 10 Jahren noch als baulich und moralisch verkommen gebrandmarkte Centro storico. Heute besticht es durch aufgeräumte Sträßchen und Treppenauf- gänge, ansehnlich renovierte Adelspaläste mit prächtigen Portalen und Balkonen und jahrhundertealte Kirchen, darunter die Chiesa di San Franceso d’Assisi nebst angeschlossenem Konvent. In Letzterem kann man derzeit bei der Restauration 104 Kalabrien – Provinz Cosenza berühmter Gemälde, z. B. von Werken von Mattia Preti, zuschauen (Mostra Perma- nente Laboratorio Restauro della Sopraintendenza, Mo–Sa 9–13 Uhr, Via San Francesco di Assisi). Den Liebhabern alter und neuer Meister sei zudem ein Abste- cher zur Galleria Nazionale im Palazzo Arnone jenseits des Crati empfohlen (Via Gravina, Di–So 10–20 Uhr), die regelmäßig Werkschauen bedeutender Maler aller Epochen im Programm hat. Doch zurück auf den Corso Telesio, der en passant im- mer wieder den Blick in das Alltagsleben Cosentiner Gassen freigibt, in denen so manches von der Renovierungswelle unberührt gebliebene Wohnhaus das insge- samt gefällige Altstadtbild trübt. Er öffnet sich auf halber Strecke zur Piazza Duomo, um nach weiterem Anstieg in die repräsentativ bebaute Piazza XV Marzo zu münden. Von der Piazza XV Marzo, hinter der der großzügige Stadtpark (Giardini Pubblici) grünt und blüht, geht’s weiter hinauf zum Castello Normanno-Svevo, einem stattlichen Bauwerk mit achteckigem Turm, imposanten Sälen und mystisch wirkenden Innenhöfen. Von den Normannen erbaut, den Staufern sowie fast allen folgenden Herrschergeschlechtern um- und ausgebaut, wird es seit vielen Jahren restauriert und bisweilen für Kulturveranstaltungen genutzt. Unter der Bezeichnung Brutia wurde Cosenza im 4. Jh. v. Chr. zum ersten Mal er- wähnt. Wie der Name erahnen lässt, lebten hier seinerzeit die Bruttier, die jedoch bereits unter griechischem Einfluss standen. Obgleich sie im Zweiten Punischen Krieg an der Seite Hannibals gegen die Römer gekämpft hatten, wurde ihre Ansied- lung 204 v. Chr. dann doch römisch, firmierte fortan als Cosentia und erlangte als eine wichtige Etappe der Via Popilia herausragende wirtschaftliche Bedeutung hin- sichtlich der Handelsbeziehungen mit Sizilien. Den römischen Eroberern folgten die Langobarden; allerdings erst, nachdem der sagenumwobene Gotenkönig Alarich, schwer beladen mit einem dort erbeuteten Schatz von Rom kommend, in der Stadt Station gemacht hatte, im Jahre 410 dort gestorben war und angeblich nebst seinem beachtlichen Vermögen im Flussbett des Busento seine letzte Ruhe gefunden hatte. Später wurde Cosenza byzantinisch, zwischenzeitlich mit Waffengewalt von den Sarazenen begehrt und 1050 von den Normannen erobert. Unter Letzteren avancierte die Stadt zum Zentrum des nördli- chen Kalabrien und behielt diese exponierte Position auch noch während der Herr- schaft der Anjou, Aragonier und Spanier. Seit dem 16. Jh. machte Cosenza auf intellektuell-kulturellem Gebiet von sich reden, weil der Humanist Aulo Giano Parrasio (1470–1521) hier 1514 eine später von dem berühmten cosentinischen Philosophen Bernardino Telesio (1509–1588) geistig befruchtete Akademie gründe- te. Im 19. Jh. beteiligten sich die Cosentiner an den zeitgenössischen liberalen
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