Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 1

Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 1

Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 1 Die Sollinger Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 2 Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 3 Die Sollinger Volksbilder aus dem Sollinger Walde Von Heinrich Sohnrey Berlin 1924 -------------- Deutsche Landbuchhandlung G.m.b.H. Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 4 Alle Rechte vorbehalten Druck von Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Buchdruckerei G.m.b.H., Berlin SW 68, Kochstraße 68 – 71. Titelzeichnung von J. von Kulas Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 5 Herrn Oberregierungsrat Siegert in Münster der sich als Landrat des Kreises Uslar unablässig und in segensvollster Weise für die Wohlfahrtspflege des Sollings eingesetzt hat in herzlicher Verehrung gewidmet. Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 6 Vorwort. Als ich vor einigen Jahren einmal im Kreise guter Freunde im Ratskeller zu Göttingen saß, kam ein Herr, der meinen Namen gehört hatte, an unseren Tisch und fragte sehr lebhaft, wo eigentlich mein Buch „Die Sollinger in Sitte, Sang, Sage und Sprache“ erschienen wäre? Auf mein Erstaunen lächelte er wie ein heimlich Wissender und sagte, er hätte anfangs der achtziger Jahre in der „Göttingen- Grubenhagenschen Zeitung“ einen Aufsatz von mir über die Matthiasgebräuche im Solling gelesen, dem die Fußnote beigefügt war: „Aus einem demnächst erscheinenden Werke ,Die Sollinger in Sitte, Sang, Sage und Sprache‘.“ Also gab es doch jemand, der die voreilige Ankündigung des jungen Bergdorfschulmeisters nicht nur gelesen, sondern auch über all die Zeit hinaus, das heißt an vier Jahrzehnte, behalten hatte. Denn es verhielt sich in der Tat so, daß ich bereits im Jahre 1883 aus das lebhaft geplante Werk über das Volk- stum des Sollings hinwies. „Demnächst!“ Damals dachte ich wahrhaftig nicht, daß wir erst 1923 schreiben müßten, ehe das Werk im Druck erscheinen würde. Nun, damals hatte ich erst das Volkstum der Weper, des sehr eigenartigen Bergzuges, der dem Sollin- ger Walde im Osten vorgeschoben ist, erforscht und darüber mancherlei in den Zeitungen und Zeit- schriften veröffentlicht, den eigentlichen Solling aber nur flüchtig durchstreift. Als ich mich dann tie- fer in sein Volkstum hineingehorcht hatte, sah ich erst ein, wie ungeheuer viel noch zu sammeln und zu tun war, um den Titel zu rechtfertigen, den ich meinem Werke geben wollte. Und da ich mich auch noch an der Universität ein wenig umsehen wollte, so schob ich vernünftigerweise meinen Plan auf und nahm mir vor, die nächsten Jahre auf die Durchforschung des inneren Sollingsgebiets zu verwen- den. Nach meiner Göttinger Zeit vom Schicksal dann zunächst nach Süddeutschland verschlagen, begann ich dort, mich mit dem Volkstum des Schwarzwaldes zu befassen, und es vergingen Jahre, ehe ich wieder in den Solling zurückkam. Von 1895 an aber, als ich von Freiburg i. Br. nach Berlin übergesie- delt war, hielt ich mich, so oft ich konnte, wieder im Sollinge auf und ging den Bewahrern von ur- sprünglichem Volksgut in Sitte und Brauch, abergläubischen Anschauungen, Sprichwörtern und Re- densarten, Sagen und Liedern mit unablässigem Eifer nach. Nun kann man ja in einem derartig abgeschlossenen Wäldergebirge, wie es der Solling ist, schließlich aus jedem Dorfe ein volkskundliches Buch holen. Meint man mit einem fertig zu sein und kommt nach Jahr und Tag dahin zurück, so sieht man immer wieder neue Quellen aufsprudeln. Kurz und gut, ich glaube damit zur Genüge erklärt und gerechtfertigt zu haben, weshalb sich die Herausgabe dieses Werkes, das sich in der Vorstellung meiner Freunde schon zu einer Art Seeschlange entwickelt hatte, über einen so großen Zeitraum hinaus verzögerte*). Aus der weltentrückten Lage des Sollings und seiner geringen industriellen Entwicklung erklärt es sich, daß die über zahlreiche Dörfer und verschiedene kleine Städte verteilte Bevölkerung von der Weltkultur noch nicht übermäßig angegriffen, beeinflußt und angekränkelt ist. Sie hat sich, natürlich besonders in den Dörfern, noch viel ursprüngliche Denkweise, Kraft und Frische bewahrt. Das Volk- *) Um mit in den gegenwärtigen Stand des Volkstums im Sollinge neue Einblicke zu verschaffen, durchradelte ich im Frühsommer 1922 sechs Wochen hindurch noch einmal das ganze Sollingsgebiet. Leider ging mein dik- kes Skizzenbuch dann im Eisenbahnzuge verloren, und alle meine Bemühungen um Wiedererlangung des Bu- ches, aus dessen Deckel mein Name gedruckt stand, blieben erfolglos. Es wäre ja nicht ganz unmöglich, daß ich mit diesem Buche ein irgendwo schlafendes Gewissen wecken könnte. Darum sei hier meine genaue Adresse mitgeteilt: Prof. Dr. h. c. Sohnrey, Berlin-Steglitz, Beymestraße 9. Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 7 stum des Sollings ist noch ein wirklicher Jungborn; ein unerschöpflicher Quell sprudelt uns entgegen, wenn wir uns liebevoll und mit innigem Verständnis zu ihm hinabneigen. So bietet uns der Solling denn auch noch eine reiche Fülle und bunte Mannigfaltigkeit von alten Volkstumsgütern, wie auch an Sondergestalten kräftigsten Gepräges. Man möge aber nur deshalb nicht etwa aus geistige Beschränktheit und Zurückgebliebenheit schlie- ßen. Urwüchsig in ihrem Wesen, stark in Beharrlichkeit und Unentwegtheit, ist den Sollingern neben einer natürlichen Schwerfälligkeit eine gute Dosis Mutterwitz, eine lebhafte Intelligenz, wie auch – in neuerer Zeit – eine gute Volksschulbildung eigen. Es ist eine, allerdings noch gebundene, kernhafte geistige Kraft, die, oft überraschend, aus der physischen hervorleuchtet. Das darf nicht vergessen wer- den, wenn wir in dem so treu bewahrten geistigen und sittlichen Erbe der Väter so mancherlei finden, was man mit dem nüchternen Menschenverstande nicht recht zu vereinbaren weiß. Die Sollinger sind ja heute in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht mehr in dem Maße Subjekt abergläubischen Denkens und Tuns wie die früheren Geschlechter. Man hat jedenfalls zu unterscheiden zwischen einem noch gutgläubigen, naiven Volksteile und dem geistig stärker fortgeschrittenen, dem alles bereits in eine gewisse Entfernung gerückt ist. Als erfahrener Sammler aber weiß man schon nach kurzer Unterhal- tung, ob der Gewährsmann oder Erzähler; dem einen oder dem andern Volksteile zuzuzählen ist, also ob er einem Brauche, einem Aberglauben schon objektiv gegenübersteht, oder selbst noch Gläubiger und Ausübender ist. Natürlich sind die Zustände in den inneren Sollingsdörfern noch erheblich ursprünglicher und quellfri- scher als in den Randorten, wie z. B. in dem westlichen Wesertale. Am Strom mit Furt und Fähre, an bedeutenden Verkehrsstraßen hat der Wogenschlag der Zeit, obgleich auch lange aufgehalten, früher und stärker gewirkt als in den Gebirgs- und Waldwinkeln des inneren Sollings. Der alte Volksgeist geht dort einer rascheren Zersetzung entgegen, sein nachklingendes Raunen hörte früher auf, denn sie sterben allmählich aus, die letzten Märchen- und Sagenerzähler, die letzten Gewährsmänner alter Bräuche, und jeder nimmt einen Teil alter Überlieferungen, alter Volkspoesien mit ins Grab. Doch auch im inneren Sollinge, darüber dürfen wir uns trotz allem und allem nicht hinwegtäuschen lassen, ist der Abbruch stellenweise schon offensichtlich und die Ursprünglichkeit der Überlieferungen mehr und mehr bedroht. Jedenfalls ist es hier wie dort höchste Zeit, das mündlich überlieferte niederzu- schreiben, zu sammeln und zu bewahren. Aufzeichnungen z. B., die weiland Pastor Harland in Schön- hagen in den siebziger und achtziger. Jahren machte, und die mir von den Angehörigen in dankens- werter Weise zur Verwertung überlassen wurden, könnten heute zu einem guten Teile noch gemacht werden. „Alles Volkstümliche, so schön und vertraut es sein mag gehört Überwundenem und Versunkenem an,“ sagt Professor Dr. Hans Naumann in seinem geistvollen Werke „Grundzüge der deutschen Volkskunde“ (Leipzig 1922). Kann ich das in dieser Unbedingtheit auch nicht als richtig anerkennen – Volkstümliches an sich kann ja überhaupt nicht, veralten –, so stimme ich dem Gelehrten um so leb- hafter zu, wenn er dann zu dem Schlusse kommt: „... aber aus den Gütern der primitiven Gemein- schaftskultur strömt eine, köstlich-frische, erdhaft-junge, ewig-urwüchsige Kraft.“ – Das entspricht ja dem klassischen Urteil W. H. Niehls, dessen Name in diesem Buche nicht fehlen soll: „Solange es Volksgruppen gibt, deren volle jugendliche Triebkraft noch halb im Schlummer liegt, gleich der Triebkraft ihres heimischen, vom Anbau noch nicht ausgesogenen Bodens, Volks- gruppen, die noch in den Flegeljahren der Kulturgeschichte stecken, solange soll man noch nicht vom Ende Deutschlands reden. Wenn die Mittagssonne der Zivilisation die Ebenen bereits versengt hat, dann wird von den kulturarmen Berg- und Hochländern der Odem eines ungebrochenen naturfrischen Volksgeistes wie Waldeslust wieder neubelebend über sie hinwehen.“ Sohnrey, Die Sollinger Stand: 31.12.10 8 Inzwischen haben wir den Weltkrieg erlebt, dessen verheerende Wirkungen sich in unserem ursprüng- lichen Volkstume offenbaren müssen. Solche Wirkungen und Entwicklungen lassen sich nicht aufhal- ten, auch in den Sollingsbergen nicht, und man wird im Laufe der kommenden Jahrzehnte den Welt- krieg mit seinen gewaltigen. Auswirkungen immer deutlicher als den großen Grenzwall erkennen, der das ursprüngliche, primitive Volkstum scheidet von dem neuzeitlichen Volkstum, dessen geistiger, gesellschaftlicher und politischer Inhalt mit dem ursprünglichen kaum noch etwas gemein hat. Die volkskundliche Wissenschaft der Neuzeit unterscheidet zwischen romantischer und moderner Volkskunde. Nun, ich stehe dem alten, naiven Volkstume, wenn ich auch eine starke Liebe zu

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