ZOBODAT - www.zobodat.at Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database Digitale Literatur/Digital Literature Zeitschrift/Journal: Göttinger Naturkundliche Schriften Jahr/Year: 1997 Band/Volume: 4 Autor(en)/Author(s): Heitkamp Ulrich Artikel/Article: Die Auswirkungen von Wasserableitungen durch kleine Wasserkraftanlagen auf Fließgewässer-Ökosysteme am Beispiel der Sieber im Harz (Südniedersachsen) 249-283 Göttinger Naturkundliche Schriften 4, 1997: 249-283 © 1997 Biologische Schutzgemeinschaft Göttingen Die Auswirkungen von Wasserableitungen durch kleine Was­ serkraftanlagen auf Fließgewässer-Ökosysteme am Beispiel der Sieber im Harz (Südniedersachsen) The effects of draining-offs of little hydroelectric power plants on river- ecosystems by example of the river Sieber in the Harz mountains (southern Lower Saxony) U lrich H e it k a m p Summary The effects of drain-offs on the river ecosystem are described and a prognosis is given of the level of watercourse necessary for an intact zoocoenosis due to a small hydroelectric power plant on the river Sieber in the Harz mountains (southern Lower Saxony). Several drain-offs occur in the metarhithral of the Sieber which drain the whole quantity of water at low and middle water levels. This water is used by hydroelectric power plants and for indu­ strial purposes. River sections up to length of 200-300 m after the weirs fall dry, while over further 1-1,5 km the water level of the Sieber is reduced to 20-40 % during long periods of the year. In the dry sections of the river there is a total loss of the moss-fauna and a nearly total loss of the macrozoobenthos. There are high deficits of the interstitial-fauna and a clear shift of the spectrum of species in relation to sections of the river which are not affected by water drain off. The reduction of the flow rate to 100-300 1/s (= 25-40 %) of the standard flow off causes high deficits in all groups of the fauna, in the number of species and individuals, and in the compositi­ on of species and the composition of functional groups. At low water levels nearly two thirds of the macrofauna is provided by filtraters. This functional group is without importance in river sections lacking drain-offs. In comparison to sections without drain-offs, a reduction of the flow of 20-30 % causes no diffe­ rences in the structure of the zoocoenosis. The results of this study demonstrate that a drain off of 20-30 % can be tolerate if the flow dynamics of the river is maintained and there is no interrupti­ on of the river continuum. This demand of a low water utilization would, however cause severe economic problems for small hydroelectric power plants. Under these conditions an operation on the river Sieber would net be possible. From the point of view of nature conservation the operati­ on of hydroelectic power plants in rivers and brooks of high naturalness must be regeded. 1. EINLEITUNG Der Nutzung der Wasserkraft als regenerati­ der Nutzung der Atomenergie einige Bedeu­ ver Energieträger kommt in der Diskussion tung zu. Nach DVWK (1996b) kann das um die Problematik herkömmlicher Energie­ wirtschaftlich nutzbare Wasserkraftpotential träger sowie um Entsorgungsprobleme bei in Deutschland auf ca. 20 % der theoretisch 2 4 9 vorkommenden Wasserkraftressourcen aus­ Veränderungen der Lebensgemeinschaften gebaut werden. Zur Zeit wird in Deutschland verschiedener Habitate bzw. Choriozönosen etwa 4 % des Energiebedarfs durch Wasser­ des Gewässers, Benthal, Interstitial und kraft gedeckt, ein vergleichsweise sehr ge­ Moospolster, beschrieben werden (vgl. ringer Anteil gegenüber Österreich mit mehr HEITKAMP et al. 1984a,b, LESSMANN 1983, als 70 % und der Schweiz mit etwa 60 %. PlEHL 1983). Inwieweit dabei die Unterbre­ Bei den meisten der bestehenden kleinen chung des Fließgewässerkontinuums (V an - Kraftwerke handelt es sich um Ausleitungs­ NOTE et al. 1980) eine Rolle spielt, kann mit kraftwerke, bei denen das Triebwasser über diesen Untersuchungen nicht beantwortet einen Betriebsgraben seitlich des Bachbettes werden. Die Aussagen, die hinsichtlich der den Wasserturbinen zugeleitet wird, um an­ „Restwassermenge“ gemacht werden, kön­ schließend wieder in das Gewässer eingelei­ nen als repräsentativ für Fließgewässer des tet zu werden. Bei derartigen Anlagen fallt Harzes angesehen werden, die eine ver­ das Bachbett zwischen Aus- und Wiederein­ gleichbare Struktur der abiotischen Parame­ leitung weitgehend trocken bzw. ist durch ter und biotischen Bestandteile des Lebens­ langfristige Niedrigwasserstände gekenn­ raumes wie die Sieber aufweisen. zeichnet. Aufgrund eines deutlich gewach­ senen Umweltbewußtseins in der Bevölke­ rung geraten Ausleitungs-Wasserkraft werke 2. BESCHREIBUNG DES UNTER­ immer stärker in die Kritik. Es ergibt sich SUCHUNGSGEBIETES daraus der Konflikt der umweltfreundlichen 2.1 Geographische Lage, naturräumliche Energiegewinnung durch Wasserkraft einer­ Gliederung, Geologie seits und den durch dieses Verfahren beding­ ten negativen Auswirkungen auf das Ökosy­ Die Sieber gehört zum Gewässersystem von stem Fließgewässer. Weser, Aller und Leine. Sie durchfließt die Während bei Neuanlagen von Wasser­ naturräumlichen Regionen „Harz“ und„We- kraftwerken ausreichende rechtliche Mög­ ser-Leine-Bergland“ mit den Untereinheiten lichkeiten (NNatG, NWG, Nds.FischG) be­ „Oberharz“, „Harzterassen“ und „Harzvor­ stehen, um Forderungen nach Umleitungs­ land“ gerinnen (DVWK 1996a) oder ausreichend Das Quellgebiet der Sieber hegt am Süd­ dimensionierte Restwassermengen durch­ ostrand des Bruchberges im Oberharz in ei­ zusetzen, treten bei alten Rechten die vorste­ ner Höhe von 930-870 m ü.N.N., die Mün­ hend beschriebenen Probleme auf. In einer dung in die Oder in 174 m Höhe (Abb. 1). DVWK-Studie (1996b) wird versucht, die Die Gesamtlänge beträgt 32,7 km, bei einem zur Zeit vorhegenden Grundlagen und Er­ Höhenunterschied von 726 m (HEITKAMP et kenntnisse in ein praktikables Bewertungs­ al. 1985). verfahren umzusetzen. Das Ergebnis zeigt, Das Quellgebiet der Sieber hegt im daß aktuell viele Ansätze vorhanden sind, die Hochmoorgebiet des Bruchberg- und Son­ Ergebnisse aber sehr unterschiedlich ausfal- nenbergmoores. Im Bereich des Harzes len und damit darauf hinweisen, daß es keine durchfließt durchfließt der Fluß Formationen allgemeingültige Formel für alle Fließgewäs­ des Acker-Bruchberg-Quarzits, Brocken­ sertypen geben kann, sondern daß jeweils granits und der Sieber-Grauwacke. Im Harz­ eine individuelle Betrachtungsweise not­ vorland dominieren pleistozäne Lößauflagen, wendig ist. Kiese und Sande sowie holozäne Ablagerun­ Dem wird in dem folgenden Beitrag gen. Bei Hörden-Aschenhütte durchfließt die Rechnung getragen. Aufgrund umfassender Sieber wasserdurchlässige Zechsteinforma­ zoozönotischer Bearbeitungen von Abschnit­ tionen. In diesem Versickerungsgebiet ver­ ten verschiedenster Belastungsstufen durch liert der Fluß jährlich etwa 15 Mül. m3 Was­ Wasserkraftanlagen in der Sieber, eines klei­ ser (Haase et al. 1970), das in der Rhume- nen Mittelgebirgsflusses im Harz, können die quelle wieder zutage tritt. 2 5 0 Abb. 1: Das Flußsystem der Sieber. Einzugsgebiet, Lage der Probestellen für die faunistiscken Bestandsaufnahmen und Lage der Wehranlagen 2.2 Klima Die klimatischen Verhältnisse werden im A ugust (S ee d o r f & M e y e r 1992, D eu t ­ Harz durch oft lange und schneereiche Win­ scherwetterdienst 1964). ter mit Monatsmittelwerten von Dezember bis Februar unter 0 °C und kühle Sommer 2.3 Vegetation mit Juli-Durchschnittstemperaturen von 10- 15 °C geprägt. Die Jahresmitteltemperaturen Im Quellgebiet der Sieber hegen die bis zu hegen oberhalb 800 m zwischen 3-4 °C, am 4 m mächtigen Hochmoore des Bruchberges Harzrand unterhalb 300 m zwischen 7-8 °C und des Sonnenberges, deren Entstehung auf (Deu tsc h er W etterdienst 1964). das Atlantikum (ca. 5000 v.Chr.) zurück­ Im Gebiet herrschen Westwinde vor. Die geht. Die Randgebiete sind mit versumpfen­ Niederschlagsmengen steigen mit zunehmen­ den Fichtenwäldern bestanden (Jen se n 1981, der Höhe an. Im Quellgebiet der Sieber wur­ 1987, 1990). den im langjährigen Mittel 1475 mm gemes­ Fichtenwälder mit einzelnen eingestreuten sen, am Harzrand in Herzberg 840 mm. Die Lärchen- und Douglasienbeständen bestim­ höchsten Monatsniederschläge hegen in den men das Bild des gesamten oberen und mitt­ Monaten November bis Januar und Juni bis leren Siebertales. Der Fluß selbst wird bis ins 251 Abb. 2: Abflußkurve am Pegelschreiber „Pionierbrücke“ in der Ortschaft Sieber aus dem Jahr 1982/83 als Beispiel für die Abflußdynamik der Sieber (Quelle: Harzwasserwerke) Epirhithral hinein von einem oft nur mehrere Nach der Einteilung von HUET (1949, Meter breiten Erlenwaldstreifen (Stellario- 1954) müssen die ersten acht Kilometer dem Alnetum) gesäumt. Zum Südausgang hin sind Epirhithral (obere Forellenregion, Gefäalle die Hänge zunehmend von Buchenwäldern 5,9 %) zugeordnet werden. Bis km 24 er­ (Luzulo-Fagetum , teilweise Melico-Fagetum) streckt sich das Metarhithral (untere Forel­ bedeckt (DlERSCHKE & PEPPLER 1984). lenregion, Gefälle 1,3 %). Die Strecke bis Im Harzvorland treten ausgedehnte zur Mündung entspricht dem Übergang vom landwirtschaftliche Nutzflächen oft bis un­ Meta- zum Hyporhithral (Äschenregion, mittelbar an den Fluß heran. Auwaldreste mit Gefälle 0,5 %). Das durchschnittliche Gefälle Weiden, Eschen, Erlen usw. sind nur noch an des gesamten Flußlaufes beträgt 2,23 % wenigen Stellen kleinflächig vorhanden. An den nicht nutzbaren Flußhängen wächst ein eichenreicher Buchenmischwald, der z.T. als
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