DEUTSCHE BAUZEITUNG 56. JAHRGANG. * N 2 78. * BERLIN, DEN 30. SEPTEMBER 1922. * » * * HERAUSGEBER: DR.-ING. h. c. ALBERT HOFMANN. * * * * Alle Rechte vorbehalten. — Fiir nicht verlangte Beitrage keine Gewahr. Vom Mórtelknaben zum Akademie-Senator. (Zum 70. G eburtstag von Heinrich S e e 1 i n g.) Yon Dr. Albert Hofmann. s war gegen Ende Septem ber des Jahres 1852, Gesellen, die ihn mit Spitzhacke, Hammer imd Kelle, mit da begab es sich, daB Frau Therese Seeling, Putzkartatsche und Schablone vertraut machen muBten, geborene Stein, in Zeulenroda, dem treff- wobei ihm „nix geschenkt" wurde. Selbst „Wurscht und Uchen, fleiBigen Industrie-Stadtchen des Fiir- Schnaps“ muBte er fiir die Gesellen zum Fruhstuck ein- stentums ReuB Altere Linie, beschloB, sich holen. Das schonste Erlebnis war ihm, wenn er zum Schmied einige Zeit der Mitwelt zu entziehen. „Sie zum Stahlen des Hammers geschickt wurde. So lernte er verzierte,“ wie Gustav Freytag in so anmutiger Weise im mit Bruchstein, Werkstein, Ziegel und Putzmaterial um- Eingang seines Romanes „Soli und Haben" von seinen Per­ gehen und sah sich in der Zimmerei, Tischlerei und sonen erzahlt, „ihre weiBbaumwollene Bettgardine mit einer Schlosserei um. So half er die Hauser des Yaters mit bauen breiten Krause und zwei groBen Quasten und verschwand vom ersten Fundamentstein bis zum obersten Dachziegel; unter der hSchsten Billigung aller Freundinnen auf einige er war auch tief im Brunnenschacht beim Sprengen des Ge- Wochen dahinter, gerade nachdem sie die letzte Falte zu- steins und stand hoch oben an der letzten Schicht des in recht gestrichen und sich iiberzeugt hatte, daB die Gardine die Liifte gestreckten Dampfschomsteines. Dabei hatte der von untadelhafter Wasche war.“ Am 1. Oktober 1852 mel- Yater nicht versaumt, ihn auch mit „Abstecken1' und „An- dete hinter dieser Gardine ein neuer Weltbiirger mit kraf- legen“, mit Lohnlisten und Lohn-Auszahlen vertraut zu tiger Stimme sich an, unser Held Heinrich Seeling war machen. Sonntags lehrte er seinen Sohn, noch ehe dieser geboren. in die Lehre ging, mit Schiene und Winkel, ReiBfeder und Sein Vater war der Maurermeister Christian See­ Tusche umzugehen; haarscharf und sauber muBte gezeichnet ling, der in den Jahren 1848—49 noch sein Meisterstiick werden, und wenn es Gesimsschatten darzustellen galt. ais Polier an dem groBen Elstertal-Yiadukt im sachsischen wurden diese mit zwanzig Lagen und mehr getuscht und Voigtland gemacht hatte, was damals im Ansehen noch dabei durfte kein Fleckchen entstehen. Auch die Mauer- etwas galt; hatte er diesen EntschluB nicht gefaBt, dann verbande, die einfachen Dachbinder und ahnliche Baukon- ware er seines alteren Bruders Knecht auf einem schonen struktionen lernte Heinrich schon ais Schuljunge kennen. Bauemgut des GroBvaters im Weimarischen ge worden; Der Der Unterricht im Freihandzeichnen wurde nach Yorlagen jungę Heinrich gedieh zusehends, schaufelte ais Jungę Sand. in der Schule gegeben und fand seine Erganzung Sonntags wenn der Yater neue Fuhren bekam und half auf dem Hof bei einem „begabten" Strumpfwirkenneister. Heinrich galt mit Kalk loschen. Er war auch dem Yater beim Gips- in jener Zeit ais ein ausgesprochenes Zeichentalent und giefien behilflich, wenn dieser sich die Y erzierungen der seine Zierschriften (nach Vorlagen) waren beruhmt. Das hatte Fassaden der Hauser, die er baute. selbst goB und hierzu so seine drei Sommer gedauert, wahrend welcher Zeit er Tonformen benutzte, die er nach Holzmodellen gewonnen mit gliihendem Eifer zu lernen trachtete, was zu lernen war. hatte, die er eigenhiindig mit dem Federmesser geschnitten Die dazwischen liegenden drei Winter verbrachte er auf hatte. Daneben ging Heinrich auch in die Schule, in die der Baugewerkschule in Holzminden, wohin er im Herbst sogenannte hohere Burgerschule seiner Yaterstadt, wo ein 1866 zum ersten Mai, zunachst einige Stunden mit der Post. alter Lehrer unentwegt und unverdrossen Latein paukte, dann mit der Eisenbahn „in die Fremde“ fuhr. Dort saB die punischen Kriege behandelte und ais groBte Ruhmestat der fiinfzehnjahrige mit einem 36jahrigen verheirateten der Romer bezeichnete, daB sie iiber das Mittellandische Maurer auf der Schulbank. Ais praktisch und theoretisch Meer schifften. Das war fiir unseren Heinrich eine góttlich geschulter Maurer-Gesell ging unser Held dann im Alter schone Zeit. Sie endete, ais er Ostern 1866 konfirmiert von 17 Jahren 1869 „in die Weit”. Die ganze Romantik der wurde. Nun trat der Ernst des Lebens an ihn heran. Der Jugend tut sich auf bei der Geschichte dieses Werdeganges. V ater gab seinem Jungen ais Zunftzeichen ein schweins- Natiirlich strebte Seeling nach Berlin, was ihm aber ledernes Schurzfell und uberantwortete ihn ais Lehrling den zunachst noch nicht gelang; zuerst kam er ais Zeichner in 457 Hamburger Rathaus bearbeitete, Stellung, ging aber schon im das Zentralburo der Berlin—Lehrter Bahn in Stendal. Die nachsten Jahr, 1877, nach Italien. „Jetzt oder nie!“ sagte er ersten yerdienten 25 Thaler Monatsgehalt waren tur lim sich und wagte die Reise, obwohl er wie mancher Italienfahrer ein Ereignis. Im Friihjahr 1870 aber gluckte es doch, in jener Zeit, nicht gerade uber fiirstliche Reichtumer verfiigte. das Atelier von Ende & Bockmann in Berlin aufgenomm Denn ais er von Koln in Rom ankam, fanden sich bei einem zu werden und nebenbei ais Hospitant auf der damaiig unyermuteten Kas&ensturz nur noch 8 Franken in der Reise- Bauakademie weiter zu lemen. Im Herbst 18/3 aber stie e kasse. Aber Freunde halfen aus, und die Lieferung von er wieder weiter und ging nach Wien zu dem Oberbaurat Reiseśkizzen an Buchliandler, sowie das Honorar fiir kunst- Neumann, wo damals die groBe zweite Renaissance em- gewerbliche Entwiirfe, die von Italien aus in die Heimat gesetzt hatte und die zahlreichen Monumentalbauten ent­ gin fen ermoglichten dann einen fiinfmonatlichen Aufent- standen, die heute die Ring-Strafie zieren. Zu Neujahr 1875 lensterwand eines Ilatsstuben-Abteiles 111 i t Ve r b i n d u n g s t U r zur W e i n s t u b e des E a t s k e 11 e, r s. (Yergleiche die Abbildung Seite 47 oben dieses Jahrganges). kehrte er nach Berlin zuruck und trat in das Atelier von halt. Seeling kam damals nur bis Pastum, erst in den Kayser & von Groszheim ein; die Freude aber war nur neunziger Jahren konnte er auch Sizilien durchstreifen. Im kurz, denn es war, wie fiinf Jahre yorher bei Ende & Bock­ Sonnner des folgenden Jahres, 1878, griindete er seinen mann, nichts mehr zu tun. Nun hieB es: „Hilf dir selber!“ Hausstand und darf heute, nach beinahe 45 jahriger gliick- Er bewarb sich um den groBen Staatspreis fiir Architekten licher Ehe sagen: „Jung gefreit, hat Niemand gereut'. Es an der Akademie der Kiinste zu Berlin, der zu einer Studien- waren auch fernerhin auBer denen, welche die Liebe spendet, reise nach Italien verliehen wurde und schnitt auch in der keine Rosen auf seinen Lebenspfad gestreut, aber mit Klausur sehr gut ab, um aber dann doch schlieBlich gegen fnschem Mut nahm er den Kampf mit dem Leben auf. Bis seinen Freund, Herm. Stiller, den spateren Direktor der 1882 halfen Lehrtatigkeit an der Kunstschule zu Berlin und Kunstgewerbeschule zu Dusseldorf, zu unterliegen. Er fand die Tatigkeit ais Assistent von Hermann Ende an der darauf bei Hugo Licht, dem Ratsbaudirektor in Leipzig, damaligen Bauakademie iiber die ersten Schwierigkeiten mit dem gemeinsam er einen Wettbewerbsentwurf fiir das nmweg. Dann aber kam der erste Erfolg. Ais Ergebnis 458 No. 78. eines Wettbewerbes im Architekten-Verein zu Berlin wurde theaters in Halle auf der GroBen Berliner Kunstausstellung ihm der Auftrag fiir einen Rathaus-Neubau in Calau zuteil des Jahres 1887 brachte ihm ais Auszeichnung die KI eine und es entstand nach seinen Entwurfen und unter seiner Goldene Medaille. Leitung der erste selbstandige Bau, freilich mit sehr be- Nun folgte eine Periode, wahrend welcher zahlreiche schrankten Mitteln. Schon im Jahr 1882 stellte sich der Wettbewerbs-Arbeiten entstanden, die jedoch, obwohl teil­ zweite, diesmal bedeutend groBere Erfolg ein: im Wett­ weise zur Auszeichnung gelangt, Bauauftrage nicht brach- bewerb um Entwiirfe fiir das Haus des Deutschen Reichs- ten. Fiir den Entwurf zum Neubau einer Universitats- tages in Berlin errang er den II. Preis. Die Erteilung des Bibliothek in Leipzig errang er den II. Preis. Fiir den T ii r a n d e r Ruckwand des „miirkischen Saales.“ (Siehe die Abbildung Seite 9 dieses Jahrganges). I. Preises im Wettbewerb fiir ein neues Theater in Halle a. S. preisgekronten Entwurf fiir ein neues Hoftheater in Stock­ im gleichen Jahr brachte den ersten Theaterbau, der 1886 holm wurde ihm auf der Miinchener Jubilaums-Kunstaus- seiner Bestimmung iibergeben wurde. Es war_der erste stellung die Kleine Goldene Medaille zuerkannt. Aber Preise, Theaterbau nach der Kątastrophe beim Brand des Ring- Ankaufe und Medaillen halfen vorlaufig praktisch nicht Theaters in Wien, der auf neuer Grundlage, auf weiter. Da stellte sich 1890 ein neuer Erfolg ein: Mit dem neuen Anordnungen des Grundrisses, beruhend auf den I. Preis im Wettbewerb um ein neues Stadttheater in Essen Erfahrungen von Wien, aufgebaut war. Heinrich Seeling an der Ruhr errang er sich die Ausfiihrung seines zweiten wurde damit der Begriinder einer neuen Periode Theaterbaues. Der dritte Theaterbau war das „Neue des Theateibaues in Deutschland. Die A us­ Theater" am Schiffbauerdamm in Berlin, zu dem die Piane stellung der Piane und der Ansichten des neuen Stadt- formlich aus dem Armel geschtittelt werden muBten und 30. September 1922. 459 hiilfe, die Lungenheilstatte Waldhaus Charlottenburg bei das 1892 nach nur neunmonatlicher Bauzeit eroffnet wurde. Beetz-Sommerfeld hinter Spandau und der sehr umfang- Auch die langsame Bebauung der ehemaligen Schickler scnen leiclie Erweiterungsbau des Rathauses genehmigt und die Zuckersiederei-Grundstiicke an der Schickler-StraBe in der Ausfiihrung wurde sofort scharf in Angriff genommen. Nahe des Bahnhofes Alexander-Platz in Berlin mit einer Mitten in diese Tatigkeit schlug wie der Blitz der Gedanke Reihe herrschaftlicher Zinshauser unter einheitlicher fassade der Griindung des „Deutschen Opernhauses" in Charlotten­ fiel in diese Zeit, Zwischendurch errang er im W ettbewerD burg und dessen Ausfiihrung durch die Stadt.
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