Dokumentation Chronik 2001-2002' 2001 Juli 1.-3.7. Bei seiner Russlandreise trifft Staatspräsident Jacques Chirac neben Prä• sident Wladimir Putin auch dessen Amtsvorgänger Boris Jelzin. Haupt­ themen der Gespräche sind Fragen der Sicherheit in Europa sowie die Wirtschafts beziehungen. Chirac begrüßt den - trotz einiger Meinungs­ unterschiede in der Tschetschenienfrage - mit Putin existierenden neuen Schwung in den französisch-russischen Beziehungen. 9.7 Die grüne Umweltministerin Dominique Voynet verlässt die Regierung, um sich vollständig ihrem Amt als Nationalsekretärin der Grünen zu widmen, in das sie knapp drei Wochen zuvor gewählt worden war. Neuer Umweltminister wird der Grüne Yves Cochet. Bei seinem Besuch in Washington trifft Verteidigungsminister Alain Richard seinen amerikanischen Amtsko\1egen Donald H. Rumsfeld. Hauptgesprächsthemen sind die amerikanischen Pläne zur Errichtung ei­ nes Raketenabwehrschildes (NMD) sowie die Lage in Mazedonien. 20.-22.7. Staatspräsident Chirac und Premierminister Jospin nehmen am G 8- Gipfel in Genua teil. Die Proteste von rund 200.000 Globalisierungskriti­ kern, in denen Gesundheitsminister Bernard Kouchner einen sich anbah­ nenden weltweiten Mai '68 erkennen will, sollen nach Meinung von Staatspräsident Chirac ernst genommen werden, da sie die Ängste der Leute gegenüber der Globalisierung widerspiegeln. 26.7. Der Sprecher der Sozialisten (PS), Vincent Peil/on, bedauert in einem In­ terview mit "Le Nouvel Observateur", dass keine Vertreter seiner Partei zu den Demonstrationsteilnehmern in Genua gehörten, da die dort vertre­ tenen Werte auch die des PS seien. Die ihm zufolge reformistischen De­ monstranten hätten außerdem zu Recht die grundsätzliche Legitimität der G 8-Gipfel in Frage gestellt, da diese kein klares Mandat hätten. 26.-28.7. Zu Beginn seiner dreitätigen Baltikum-Reise bekräftigt Staatspräsident Chirac gegenüber dem litauischen Präsidenten Valdas Adamkus die Un­ terstützung Frankreichs für einen EU-Beitritt Litauens, den er im Jahr 2004 für möglich hält. Den Wunsch der drei baltischen Republiken nach einem NA TO-Beitritt bezeichnet Chirac als legitim, da jeder Staat seine Allianz selbst wählen dürfte. In Estland erklärt Chirac, dass das Land auf- * Zusammengestellt von Klaus Wurpts, Insitut für Politikwissenschaft, Universität Leipzig 258 Dokumentation grund seiner außergewöhnlichen Reformen zu der ersten Gruppe der EU­ Beitrittskandidaten gehöre. August 4./5.8. Bei den 20. Internationalen Nationalistischen Tagen in der Stadt Corte auf Korsika treffen sich korsische Nationalisten mit ausländischen Delegatio­ nen u.a. von der irischen Sinn Fein und der baskischen ETA. Der Führer der Koalition Corsica Nazione, Talamoni, erklärt, die Befreiung der poli­ tischen Häftlinge sei die Hauptforderung der Nationalisten. 7.8. Der Präsidentschaftskandidat der Verts, Alain Lipietz, spricht sich auf "France-Info" für eine Politik der nationalen Versöhnung in Korsika aus, für die eine Amnestie politischer Häftlinge die Voraussetzung sei. Der PS ist gegen eine solche Generalamnestie. 8.8. Frankreich und Deutschland bringen bei den Vereinten Nationen eine gemeinsame Initiative ein, durch die ein weltweites Verbot des Klonen von Menschen erreicht werden soll. Laut einer Umfrage des Instituts Ifop für "Le Journal du Dimanche" vom 12.8. lehnen 90 Prozent der Franzo­ sen das Klinen zu reproduktiven Zwecken ab. 52 Prozent sprechen sich gegen therapeutisches Klonen aus, 45 Prozent sind dafür. 16.8. Nachdem die NATO am Vortag die Entsendung eines Vorauskommandos von 400 britischen Soldaten nach Mazedonien beschlossen hat, kündigt der Sprecher des französischen Außenministeriums, Franr;ois Rivasseau, an, dass Frankreich sich mit etwa 530 Soldaten an der Operation "Essen­ tial Harvest" beteiligen werde. 17.8. Der korsische Nationalist Franr;ois Santoni, ehemaliger Generalsekretär der Gruppierung A Concolta Naziunalista, dem legalen Zweig der natio­ nalistischen Partei FLNC-Canal historique, wird in Monacia d' Aullene in Südkoriska ermordet. Innenminister Vaillant verurteilt die Tat und er­ klärt, dass der einzige Weg zu mehr Autonomie für die Insel nur der von Premierminister Jospin initiierte Matignon-Prozess sei. Die Opposition fordert Jospin auf, seine Korsika-Politik zu ändern und einen totalen Ge­ waltverzicht einzufordern. 26.8. Militante Vertreter der der Bauerngewerkschaft Conf6d6ration Paysanne, der Organisation Attac und der Verts zerstören zwei Felder mit gen modi­ fiziertem Mais in der Nähe von Mont61imar (Dröme). Der Sprecher der Sozialisten, Peillon, verurteilt die Tat, während grüne Parlamentarier Ver­ ständnis zum Ausdruck bringen. 27.8. Staatspräsident Chirac spricht sich bei einer Konferenz der französischen Botschafter für die Bildung einer europäischen Eingreiftruppe aus, die den Vereinten Nationen zur Verfügung stehen solle. Ebenso fordert Chirac die Bildung einer Avantgardegruppe im Zuge des europäischen Integrati­ onsprozesses. Zur internationalen Politik sagte Chirac, eine multipolare Welt bleibe weiterhin das von Frankreich angestrebte Ideal. 27.8. Finanz- und Wirtschaftsminister Laurent Fabius gibt den Auszahlungsbe­ ginn für die Beschäftigungsprämie, der "prime pour I'emploi", bekannt. Die im Mai vom Parlament beschlossene negative Einkommensteuer wird für das Steuerjahr 2000 etwa zehn Millionen Geringverdienern Steuerer­ leichterungen von insgesamt acht MilIarden Francs bringen. In den näch• sten Jahren solle die Prämie ausgeweitet werden. Dokumentation 259 28.8. In einer Fernsehansprache auf TFI sagt Premierminister Jospin, die Schwerpunkte seiner Politik seien weiterhin der Abbau der Arbeitslosig­ keit, die innere Sicherheit und soziale Gerechtigkeit. In Bezug auf Korsi­ ka sieht er keine Alternative zum Matignon-Prozess. Eine Generalamne­ stie stehe zur Zeit nicht auf der Tagesordnung. Jospin spricht sich ferner für eine internationale Regulierung der Globalisierung aus und erklärt, die Debatte um die Besteuerung der internationalen Devisentransaktionen (Tobin-Steuer) fördern zu wollen. 30.8. Gesundheitsministerin Elisabetlz Guigou gibt die Schaffung von 40 000 Stellen in öffentlichen Krankenhäusern in den nächsten drei Jahren be­ kannt. Gewerkschaften bezeichnen die Maßnahme, die mit der Einfüh• rung der 35-Stunden-Woche einher geht, als unzureichend. September 4.9. Wegen eines Verfahrensfehler des Richters Ralplz Halplzen hat der Cour d'appel entschieden, dass Staatspräsident Chirac in der Affäre um die Pa­ riser Sozialwohnungen (HLM) nicht als Zeuge geladen werden kann. Nach einer Entscheidung der Chambre de l'instruction dürfen auch die Videos mit den Aussagen Jean-Claude Merys nicht gerichtlich verwendet werden. Richter Halphen wird das Verfahren nach knapp sieben Jahren entzogen. Die Cour de cassation hebt in Berufung auf das Recht auf Informations­ freiheit gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Gesetz von 1977 auf, das die Veröffentlichung von politischen Meinungsumfra­ gen in der Woche vor einer Wahl verboten hatte. 5.9. Bei einem informellen deutsch-französischem Treffen in Berlin ("Blaes­ heim-Prozess") vereinbaren die Staats- und Regierungschefs die Einrich­ tung einer Arbeitsgruppe zum Thema Globalisierung. Bundeskanzler Gerhard Schräder und Staatspräsident Chirac bezeichnen die Tobin­ Steuer als ein mögliches Instrument, jedoch nicht das einzig mögliche. Auf Korsika wird der dem am 21.8. ermordeten Fralll;ois Santoni nahe stehende militante Nationalist Nicolas Montigny erschossen. 10./11.9. Unter dem Einfluss der weltweiten Börseneinbrüche der vergangenen Wo­ chen stehen auch die Technologie-, Medien- und Telekommunikations-Titel des französischen Hauptindexes CAC 40. Trotz stabiler nicht-techno­ logischer Aktien, hat der Index ein Viertel seines Wertes vom Januar verlo- ren. 11.9. Nach den Terror-Anschlägen in den USA ruft Staatspräsident Chirac die lnnen-, Außen-, Transport- und Verteidigungsminister sowie Premiermi­ nister Jospin zu einer Sondersitzung zusammen. In einer Fernsehanspra­ che verurteilt der Staatspräsident die Anschläge, "die mit solch einer Brutalität noch kein Land der Welt zuvor erlebt hat". Frankreich stehe voll und ganz an der Seite des amerikanischen Volkes. Chirac bietet US­ Präsident Bush "vollständige Unterstützung" an. Jospin verurteilt "die ab­ scheuliche Anwendung terroristischer Gewalt", bei der möglicherweise auch Franzosen ums Leben gekommen sind. Vor allem in Paris herrscht Angst vor ähnlichen Anschlägen, laut staatlichen Angaben gibt es aber "keine identifizierbare Bedrohung für Frankreich". An der Pariser Börse bricht der Aktienindex CAC 40 um knapp zehn Prozent ein. Zahlreiche Sport- und Kulturveranstaltungen werden abgesagt. 260 Dokumentation 12.9. In Stellungnahmen verurteilt die gesamte politische Klasse Frankreichs die Anschläge in den USA. Innenminister Vaillant veranlasst Grenzkon­ trollen, im ganzen Land werden gemäß dem "Plan Vigipirate" die Sicher­ heitsrnaßnahmen erheblich erhöht. Alle wichtigen und öffentlichen Ge­ bäude werden von Soldaten und Polizisten bewacht. Nach einem Bericht von TV France International (TVFI) wurden im Jahr 2000 französischen Filme und Fernsehsendungen im Wert von 848 Mil­ lionen Francs exportiert - so viel wie nie zuvor (+ 13,4 Prozent gegen­ über dem Vorjahr). 13.9. In einem CNN-Interview sagt Staatspräsident Chirac, man müsse zu­ nächst die Situation analysieren und die Schuldigen der Anschläge in Amerika finden. Sollten danach Sanktionsmaßnahmen nötig sein, stehe Frankreich an der Seite der USA. Es werde militärische Aktionen geben, man wisse aber noch nicht
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