Deutschland Braune Diener des neuen Staats Zeitgeschichte Innenminister de Maizière lässt die Gründerzeit seiner Behörde erforschen. Hohe Beamte mit Affinität zu den Nazis bestimmten die Politik des Ressorts mit. m Donnerstag, dem 31. August dern der NSDAP“, eingebracht von Innen - als Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Per - 1950, irgendwann zwischen 9.30 minister Gustav Heinemann, dem späteren sonalreferenten, Ministerialbürodirektoren Aund 13.15 Uhr verpasste die junge Bundespräsidenten. in Ministerien und anderen obersten Bun - Bundesrepublik Deutschland die Gelegen - Die Nazis hatten Heinemann 1920 aus desbehörden zu verzichten. heit, jene Entwicklung zu stoppen, die heu - einem Saal geworfen, weil er bei einem Adenauer widersprach. Man solle sie te zu den Schandflecken ihrer Geschichte Auftritt Hitlers gegen dessen Judenhass nicht „allgemein“ ausschließen und lieber zählt. Das Kabinett tagte im Hörsaal des protestiert hatte. Im „Dritten Reich“ ver - „von Fall zu Fall entscheiden“ – was in der Zoologischen Museums Koenig in Bonn, vielfältigte der Jurist in seinem Keller Flug - Praxis darauf hinauslief, dass NS-belastete der provisorischen Unterkunft des Kanzler - schriften für die Bekennende Kirche. Nun Spitzenbeamte zu Hunderten eingestellt amtes, und Kanzler Konrad Adenauer rief beklagte Heinemann, dass zu viele Beamte wurden. Tagesordnungspunkt 15 auf: „Die Beset - mit brauner Vergangenheit in die Ministe - Mehr als 60 Jahre liegt der Beginn dieser zung von Abteilungsleitern in den obers - rien der neuen Bundesrepublik strebten. Fehlentwicklung zurück, und die Folgen ten Bundesbehörden mit früheren Mitglie - Er schlug vor, auf solche Leute zumindest werden zurzeit so intensiv diskutiert wie nie. Allein sechs Bundesministerien sowie diverse Bundesbehörden haben Historiker - teams damit beauftragt, in der Frühge - schichte der Republik zu graben und nach Kontinuitäten zum „Dritten Reich“ zu su - chen. Wie braun waren die Gründerjahre der Republik? Kommende Woche will nun Heinemann- Nachfolger Thomas de Maizière (CDU) erste Ergebnisse für das Innenministerium präsentieren, das bedeutendste Ressort der Adenauer-Republik. Der Innenminister war damals auch zuständig für Wissen - schaft, Forschung, Frauen, Jugend, Sport, Kultur, Gesundheit, Soziales und Umwelt – dafür gibt es heute mehrere Ministerien. De Maizière hat das Institut für Zeit - geschichte und das Zentrum für Zeithisto - rische Forschung mit der Aufarbeitung be - auftragt. Die Historiker stießen überall auf ehemalige NSDAP-Leute, wie die Instituts - direktoren Andreas Wirsching und Frank Minister de Maizière in Berlin 2014: Als Aufklärer präsentieren Bösch dem mitteilten: Der Anteil der Beamten mit brauner Vergangenheit im Bundesinnenministerium (BMI) sei „ausgesprochen hoch“ gewesen. Schlim - mer noch: Die „Affinitäten zum NS-Re - gime“ ließen sich „anfangs auch in der konkreten Sachpolitik des BMI nachwei - sen“. Ausgerechnet jenes Ministerium, das die Einhaltung der Verfassung in besonde - rer Weise schützen sollte, war offenbar selbst eine Gefahr für die freiheitlich-de - mokratische Grundordnung. Noch halten die Wissenschaftler Details ihrer Ergebnisse zurück. Doch Recherchen des im Bundesarchiv und den Na - tional Archives in Washington sowie be - reits vorliegende Forschungen ergeben auch so ein düsteres Bild. Danach hat Adenauer zunächst Politiker an die Spitze des Innenministeriums beru - fen, die sich im „Dritten Reich“ untadelig * Mit Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (l.) und Kanzler Adenauer 1962*: „Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat“ Innenminister Hermann Höcherl (M.) im Bundestag. 42 DER SPIEGEL /0 / .,-0 verhalten hatten. Doch unterhalb der Mi - diziner leitete von 1954 an die Abteilung nisterebene gab es viele Männer mit brau - Gesundheitswesen und stieg zum höchs - Wer als „verwahrlost“ ner Vergangenheit. Von den sieben Staats - ten Medizinalbeamten der Bundesrepu - galt, sollte in einer „ge - sekretären bis 1967 hatten vier der NSDAP blik auf. Dabei hatte der Arzt 1936 ver - angehört. Von 35 überprüften Abteilungs - langt, „Schädlinge oder Geisteskranke“ eigneten Anstalt“ zwangs - leitern in den Jahrzehnten bis 1971 waren nicht auf Kosten der Allgemeinheit „hoch - untergebracht werden. mehr als die Hälfte dem NS-Regime zuge - zupäppeln“. Er war nach Angaben der Me - tan. Zeitweise bestand das verbeamtete dizinhistorikerin Sabine Schleiermacher später den Vorwurf einbrachte, er habe alle Personal des BMI zu mehr als 40 Prozent an der Durchsetzung von Zwangssterilisa - Entscheidungen der NS-Justiz zusammen - aus Personen, die 1945 ihren Posten verlo - tionen beteiligt und schimpfte 1941 als getragen und damit jenen Beamten, die ren hatten – zumeist weil sie Teil der Nazi- Amtsarzt von Krakau, die Juden seien„dis - Juden noch halfen, die Möglichkeit genom - Herrschaft gewesen waren oder diese un - ziplinlos“ und würden durch „Herumva - men, sich im Fall des Erwischtwerdens auf terstützt hatten. Der Anteil ist ein trauriger gabundieren“ jenes Fleckfieber verbreiten, Unkenntnis berufen zu können. Rekord unter Bonner Ministerien. das damals im Getto grassierte. Als zweit - Mit der neuen Zeit tat sich Behnke er - In den Behörden, die dem Innenministe - höchster Gesundheitsfunktionär des Ge - kennbar schwer. Er war maßgeblich am rium unterstanden, sah es oft nicht besser neralgouvernements nahm er an Konfe - Entwurf des vorläufigen Bundespersonal - aus. Im Bundesarchiv findet sich eine Auf - renzen teil, auf denen die Ermordung von gesetzes beteiligt, gegen das die Alliierten stellung aus dem Jahr 1958: Seitenweise Juden gefordert und Versuche an Men - 1950 ein Veto einlegten. Deren Begrün - sind dort die Namen ehemaliger NSDAP- schen mit Fleckfieber impfstoffen beschlos - dung: Der Entwurf beruhe auf dem Beam - Mitglieder und SS-Leute im öffentlichen sen wurden, die das KZ Buchenwald dann tengesetz von 1937 mit seinen „Nazi-Be - Dienst und in der Beamtenschaft aufge - durchführte. stimmungen“. Behnkes Karriere blieb da - führt. Beim Bundeskriminalamt, dem Bun - Ähnlich irritierend ist die Ernennung von unbeschadet. desamt für Verfassungsschutz, dem Deut - des Juristen Kurt Behnke zum Chef der Schon Anfang 1949, als die Bundes - schen Archäologischen Institut, der Bun - Abteilung für Beamten- und Personalrecht. republik noch nicht existierte, hatte eine desanstalt für Landeskunde, dem Institut Behnke hatte sich nach 1933 beim Preußi - kleine Gruppe ehemaliger Staatsdiener aus für Raumforschung, dem Bundesgesund - schen Oberverwaltungsgerichtshof an der dem Reichsinnenministerium die Rück - heitsamt, dem Statistischen Bundesamt. „Säuberung des Staatsdienstes von Demo - kehr von Beamten auch mit brauner Ver - Und, und, und. kraten“ beteiligt, wie der Historiker Do - gangenheit vorbereitet. Sie sammelten sich Karriere im BMI machten damals Leute minik Rigoll schreibt. 1937 verfasste er um Hans Globke, der einen Kommentar wie Otto Buurman. Der ostfriesische Me - einen juristischen Kommentar, der ihm zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasst Deutschland hatte, und fertigten Listen mit Namen von Bundesrepublik, waren viele Unbelastete Dienst der Bundesregierung“ befinde. Am Kandidaten an. tätig. Leute aus Globkes Truppe diffamier - Ende machte Bonn in Paris Druck, die Sie bevorzugten alte Kollegen, NS-Be - ten sie als unfähig, und Adenauer miss - Franzosen sprachen den Mann frei. lastung war ein untergeordnetes Kriterium. traute ihrer Loyalität. Bargatzky zählte zu den wenigen Be - Wichtiger schien die Loyalität zu Ade - Vermutlich wünschte sich keiner der amten, die wussten, dass der Verfassungs - nauers CDU. Infolgedessen dominierten NS-belasteten Diener des neuen Staates schutz ehemalige Gestapo- und SS-Leute ehemalige Nationalsozialisten einzelne Ab - ein „Viertes Reich“. Wohl aber war die verdeckt als „freie Mitarbeiter“ beschäf - teilungen wie jene für das Sozialwesen. Bereitschaft gering, die Ahndung von NS- tigte. Anstatt das Vorgehen zu unterbin - Dort wurden die Passagen über die „Hilfe Verbrechen zu unterstützen. Etwa beim den, half er der Kölner Behörde noch. für Gefährdete“ im Sozialhilfegesetz von späteren Präsidenten des Deutschen Roten Solche Erkenntnisse lassen de Maizières 1962 verfasst. Im „Dritten Reich“ waren Kreuzes, Walter Bargatzky, über den der Vorgänger Otto Schily (SPD) und Wolf - Obdachlose, Prostituierte und andere Historiker Bernhard Brunner geforscht gang Schäuble (CDU) schlecht aussehen. Randgruppen als sogenannte Asoziale ver - hat. Bargatzky stieg 1955 im BMI zum Ab - Sie hatten jahrelang jede Form der Auf - folgt und ermordet worden. Die Fortset - teilungsleiter auf. Er war Mitglied in der arbeitung abgelehnt. Das BMI habe „keine zung solcher Verbrechen forderte niemand SA und der NSDAP gewesen und hatte nationalsozialistische Vergangenheit, die im BMI, doch aus dem Gesetzestext im besetzten Frankreich Geiseln für völ - der Aufarbeitung bedarf“, erklärte Schily. spricht ein durch und durch illiberaler kerrechtlich umstrittene Erschießungen Auch de Maizière hatte zunächst geblockt. Geist. Wer als „willensschwach“ oder in mit ausgewählt. Außerdem entlastete er Inzwischen haben sich die Zeiten ge - seinem „Triebleben besonders hemmungs - hohe SS-Leute mit der absurden Behaup - wandelt. Die PR-Experten von Ministern los“ galt, riskierte, in einer „geeigneten tung, sie hätten in Paris von der systema - und Behördenchefs haben erkannt, dass Anstalt“ zwangsweise untergebracht zu tischen Judenvernichtung keine gesicherte Historikerkommissionen die Gelegenheit werden. Das Bundesverfassungsgericht
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