DEUTSCHLAND „Wir machen das gemeinsam“ Georg Schertz, letzter Polizeipräsident West-Berlins und erster Polizeipräsident des gemeinsamen Ber- lins, über die polizeilichen Herausforderungen rund um die deutsche Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Die Bilder des „Mauerfalls“ am 9. Wie sahen die Polizeistrukturen November 1989 in Berlin sind um die 1989 im geteilten Berlin aus? Welt gegangen. Wie haben Sie diesen Auf der einen Seite stand der Sicher- Abend erlebt? heitsapparat der DDR, einer Diktatur, in Die Ereignisse waren trotz allen der die SED – und letztlich die Sowjet- Wissens um die Destabilisierungsten- union – das Sagen hatte, auf der ande- denzen des Ostblocks für mich letztlich ren Seite die Berliner Polizei, die nach völlig überraschend. Nach den Ereignis- dem Viermächtestatus de jure für ganz sen im Sommer 1989 gab es zwar ab et- Berlin, de facto aber nur für die West- wa September 1989 interne Hinweise, sektoren, später West-Berlin genannt, dass die DDR möglicherweise bald tätig wurde. In West-Berlin regierte der Reiserleichterungen bekanntgeben wür- aus demokratischen Wahlen hervorge- de; unvorbereitete Grenzöffnungen wa- gangene Senat mit der ihm unterstellten ren aber nicht zu erwarten. Die Verwir- Polizei. In der DDR gab es die Volks- rung nach der plötzlichen Verkündung polizei, die auch für den Ostteil von von Ausreisemöglichkeiten aus der Berlin als zuständig angesehen wurde. DDR bei einer internationalen Presse- Der langjährige Innenminister Friedrich konferenz am Abend des 9. November Dickel war zugleich Chef der Volkspo- 1989 war groß. Der Grenzübergang an lizei. Das Überwachungssystem der der Bornholmer Straße wurde an diesem Georg Schertz, Berlins erster gemeinsa- SED zeigte sich auch an bestimmten Abend wohl deshalb als erster geöffnet, mer Polizeipräsident nach der Wende. Polizeifunktionen: So gab es innerhalb weil die DDR-Grenzbeamten von ihren der Volkspolizei in Ost-Berlin rund 500 Vorgesetzten nur abwartende Erklärun- gleich erst für einen ferneren Zeitpunkt. Abschnittsbevollmächtigte, die von der gen erhielten und letztlich allein gelas- Der wirtschaftliche Niedergang der Bevölkerung zunächst durchaus als ört- sen wurden. Mit den Menschenmassen DDR war wohl kaum aufzuhalten und liche Ansprechpartner angesehen, aber aus Ost-Berlin ging dann alles ziemlich der Wandel in der Sowjetunion bot im Laufe der Zeit zunehmend auch als schnell – so auch die ersten, wenngleich langfristig die Hoffnung, dass sich in Exponenten des „Schnüffelwesens“ zunächst nur mündlichen, informellen der Geschichte ein Fenster für einen empfunden wurden. An der Mauer wa- Kontakte zwischen der Berliner Polizei friedlichen Prozess öffnen würde. Ich ren DDR-Grenztruppen stationiert. An und den Grenzorganen sowie den Poli- habe allerdings nicht geglaubt, dass es den Grenzübergängen standen Passkon- zeikräften der DDR. Das war wirklich noch zu meinen Lebzeiten dazu kom- trolleinheiten, die zum Ministerium für bemerkenswert, da es fast dreißig Jahre men könnte. Mit dem Mauerfall war zu- Staatssicherheit gehörten. Im November keine polizeiliche Verbindung auf bei- nächst einmal naheliegend, dass sich 1989 prallten also zwei vollkommen un- den Seiten der Mauer gegeben hatte. das Regime der Sozialistischen Ein- terschiedliche Welten aufeinander. Besonders in Erinnerung ist mir eine Si- heitspartei Deutschlands, der SED, tuation am Grenzübergang Invaliden- nicht mehr lange in der DDR halten Gab es Anfang 1990 in der BRD straße am späteren Abend des 9. No- würde. Dadurch erwuchs die Hoffnung, schon konkrete Pläne für ein zukünfti- vember geblieben: Als ich dort ankam, dass nicht nur eine friedliche Kooperati- ges Polizeisystem in der DDR? um mir selbst einen Eindruck von der on beider deutscher Staaten, sondern ei- Ich halte es für wenig wahrschein- Lage zu verschaffen, sah ich, dass sich ne Wiedervereinigung erreichbar sein lich, dass das in Bonn zu Jahresbeginn einer meiner Beamten direkt vor der könnte. Dass sie aber innerhalb eines 1990 schon inhaltlich in allen Einzelhei- Mauer, also bereits in der DDR, befand. Jahres kommen würde, war nicht so ten durchdacht wurde. Klar war, dass Als ich ihm zurief, dass er in Ost-Berlin sehr von den innenpolitischen Entwick- man die überwiegende Mehrheit der stehe und zurückkomme solle, rief mir lungen abhängig, sondern vielmehr von Volkspolizisten für die Aufrechterhal- ein Hauptmann der DDR-Grenztruppen, den Westalliierten USA, Großbritannien tung der inneren Sicherheit benötigen der neben ihm stand, zu: „Das geht hier und Frankreich sowie der Sowjetunion. würde, zumal sich am Horizont schon schon in Ordnung, wir machen das ge- Wie die Verhandlungen dort laufen ein völlig neuer kriminalgeografischer meinsam.“ würden, war zunächst nicht einzuschät- Raum in Europa abzeichnete – mit zen. Klar war aber, dass ausschließlich Straftatbeständen und Deliktsformen, Haben Sie damit gerechnet, dass es die erkennbaren politischen Verände- die für die Polizisten der ehemaligen weniger als ein Jahr nach dem „Mauer- rungen in der Sowjetunion und die Ein- Ostblockstaaten gänzlich neu waren. fall“ ein wiedervereinigtes Deutschland stellung der dort Maßgeblichen der poli- Die Zukunft des Bundesgrenzschutzes geben würde? tischen Führung die allgemeine politi- war bereits ein Thema, denn durch den RIVAT : P Ich habe immer eine Wiedervereini- sche Wetterlage langfristig zu unseren Wegfall von Reisebeschränkungen und OTO F gung Deutschlands erwartet, wenn- Gunsten ändern könnte. zahlreiche neue Grenzübergängen zwi- ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 9-10/20 69 DEUTSCHLAND schen Ost und West gab es starke Ver- Bei vielen Volkspolizisten machte sich änderungen an der innerdeutschen Unsicherheit über die weitere berufliche Grenze. Zunächst wurden auf der politi- Existenz bemerkbar, sie wollten keine schen Ebene aber möglichst baldige Fehler machen und reagierten daher oft freie Wahlen gefordert, in der Erwar- gar nicht. Diese Unsicherheit verlor sich tung, dass sich dann weitere Schritte oh- auch nach der Vereinigung erst allmäh- nedies „von selbst“ ergeben würden – lich. zum Beispiel auch für die DDR eine fö- deralistische Staatskonstruktion einzu- Wie konnten 1990 in so kurzer Zeit führen. Die Polizei war in der Bundes- zwei derartig unterschiedliche Behörden republik im Wesentlichen immer in der Volkspolizist und West-Berliner Polizist wie die Polizei in West-Berlin und die alleinigen Zuständigkeit der Bundeslän- kurz nach der Wende: Verschiedene Volkspolizei in Ost-Berlin zusammenge- der angesiedelt. Dass es für den Fall der Uniformen und Streifenwagen. führt werden? staatlichen Einheit, also der Wiederver- Es gab keine Alternative. Berlin war einigung in Deutschland, keine zentrale terhin das „Gesetz über die Aufgaben das einzige deutsche Bundesland, wo Polizei wie in der DDR geben würde, und Befugnisse der Deutschen Volkspo- sich Ost und West quasi auf Knopf- war nie in Frage gestellt. Nach der ers- lizei“ als wichtigste Rechtsgrundlage. druck „zusammenzuraufen“ hatten – ten freien Wahl der Volkskammer in Die Bürger weigerten sich zunehmend, das war gerade im Bereich der inneren der DDR am 18. März 1990 steuerte zu- Anordnungen der Volkspolizei Folge zu Sicherheit besonders sensibel. Im West- mindest ab den Sommermonaten 1990 leisten, selbst wenn diese, wie zum Bei- teil Berlins zählten wir rund 20.000 Po- alles auf eine tatsächliche Einheit zu. spiel im Verkehrsrecht, durchaus legi- lizeibedienstete, im Ostteil – bei der Die 1952 aufgelösten Länder im Osten tim waren. Der rapide Verfall der poli- Volkspolizei – waren es etwa 11.000. Deutschlands wurden noch vor der Wie- zeilichen Autorität war gerade in Ost- Die DDR-Bürger waren es nach 40 Jah- dervereinigung wieder gegründet und Berlin augenscheinlich. Erst drei Wo- ren offensichtlich leid, polizeilichen nicht die DDR insgesamt, sondern die chen vor der staatlichen Vereinigung Anweisungen auf der Grundlage sturer „Neuen Länder“ traten gemäß dem da- verabschiedete die Volkskammer am Befehle Folge zu leisten. Dies war unter maligen Artikel 23 des Grundgesetzes 13. September 1990 ein Polizeigesetz, anderem auch der Grund für die soforti- am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik das sich weitgehend an den bundesdeut- ge Durchmischung des Personalkörpers bei. Für den Ostsektor Berlins geschah schen Länderbestimmungen orientierte. in Berlin. 2.300 West-Berliner Polizei- dies über Artikel 3 des Einigungsvertra- beamte wurden in den Ostteil der Stadt ges. Damit war der Weg zur Errichtung ZUR PERSON versetzt, 2.700 Ost-Berliner Volkspoli- von neuen Polizeiorganisationen in die- zisten in den Westteil. Dadurch eröffne- sen Ländern letztlich vorgegeben. Georg Schertz, gebo- te sich auch ein Weg, bei dem sich ren am 24. April 1935 in Volkspolizisten durch die tägliche Zu- Im Laufe des Jahres 1990 berichte- Berlin als Sohn eines Ma- sammenarbeit mit West-Berliner Poli- ten Medien immer wieder von einer ge- jors der Schutzpolizei, zisten mit der westlichen Gesetzeslage wissen Unsicherheit und Ratlosigkeit in- studierte Rechtswissen- im polizeilichen Alltag vertraut machen nerhalb der Volkspolizei und einem an- schaften an der Freien Universität konnten. Das hat es weder in anderen geblich „rechtsfreien Raum“ in der DDR Berlin. Nach dem Abschluss mit der Berliner Behörden, noch in anderen bei der Kriminalitätsbekämpfung. Inwie- ersten juristischen Staatsprüfung Bundesländern in dieser Form gegeben. weit stimmte diese Darstellung? 1958 war er als Referendar im Kam- Für die Bevölkerung war dieser Schritt Es gab keinen „rechtsfreien Raum“, mergerichtsbezirk tätig. Auf die durch gemischte
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