industrie-kultur 3/2005 Die Schwelle zur Industriellen Revolution Der Museumsverbund Ironbridge Gorge im Tal des Severn in beschaulicher Ort westlich von Birmingham, im 20. Jahrhundert führte zu seinem Verfall, doch eine Ansiedlung, scheint es, ohne rechtes Zen- inzwischen wurden zahlreiche Produktionsstät- Etrum. Was man heute kam mehr glauben mag: ten in der Ironbridge Gorge restauriert. Heute bil- Hier in Ironbridge und dem nahen Coalbrookdale, den die faszinierenden Industriedenkmale an den beides Ortsteile der heutigen Stadt Telford, begann bewaldeten Ufern des Severn einen beeindrucken- die Industrialisierung Großbritanniens, und so hat den Museumsverbund. Sein Wahrzeichen ist die sich die Ortschaft mit der Bezeichnung »Birthplace of Brücke, in deren Umgebung der nach ihr benannte Industry« geschmückt. Schon seit Beginn des Mittel- Ort Ironbridge entstand. alters lag der Geruch von Schwefel und Rauch, von verbranntem Holz und Metall in der Luft. Nachts, so Die Iron Bridge erzählten Reisende, war das ganze Tal hell erleuchtet. Die Gebäude, die bewaldeten Hänge, der Himmel – Der Bau der Brücke über den Severn repräsentiert alles glühte förmlich im Widerschein der Hochöfen. den Schnittpunkt zwischen herkömmlichen Bauwei- Die Schlucht des Severn: ein loderndes Inferno. Rot sen mit Stein und Holz und der Einführung neuer färbte sich zeitweise der Fluss, zeigte die Farbe des Materialien in den Brückenbau. Die Iron Bridge war Eisens. Ein Geschenk der Natur, die alle Rohstoffe zur die erste Brücke ganz aus Gusseisen. Mit ihr beginnt Eisengewinnung in den Hängen des Tales bereithielt: eine Ära, die später in die Konstruktion riesiger Lehm und Kalk, Kohle, Holz und Eisenerz. Schon Stahlbrücken münden sollte. Das Haupttragwerk seit dem 17. Jahrhundert hatte sich das romantische der Brücke besteht aus insgesamt fünf halbkreisför- Hügelland um den Fluss Severn in eine frühindus- migen Bögen, die jeweils aus zwei vorgefertigten trielle Landschaft verwandelt, weithin sichtbar durch Teilen zusammengesetzt wurden. Im Bogenscheitel den aufsteigenden Rauch. sind die beiden gegenüberliegenden Bogenhälften Abraham Darby III. war gerade 13 Jahre alt, als mit Schlusseisen verklammert. In der Nähe des sein Vater starb und er Erbe einer Industrie-Dynas- Widerlagers wird die Fahrbahn durch senkrechte tie wurde, die seit Generationen im Tal des Severn Stäbe unterstützt, die von der Basis des Bogens auf- Industriegeschichte geschrieben hatte. Ende des 18. steigen. Die einzelnen Bögen sind zusätzlich durch Jahrhunderts war das Tal durch die Darbys zum Querriegel miteinander verbunden. fortschrittlichsten Ort der industriellen Entwicklung Obwohl die tragenden Teile der Brücke vollstän- gewachsen: Räder und Kessel für große Dampfma- dig aus Eisen bestehen, griffen die Konstrukteure schinen wurden hier ebenso gegossen wie Töpfe für auf Arbeitsweisen zurück, die aus dem Holzbau den Haushalt. Mit 18 übernahm der junge Darby bekannt waren. Man findet Details wie Schlitze, die Geschäftsleitung der Coalbrook Company. Fünf Schwalbenschwänze, Zapfen- und Fugenverbin- Jahre später, 1773, schlug ihm der Architekt Tho- dungen. Dagegen sucht man die später im Stahlbau mas Pritchard den Bau einer Eisenbrücke über den üblichen Bolzen oder Nieten vergebens. Mit dem Fluss vor – ein Plan, der den Eisenwarenfabrikanten neuen Material hatte man zur Zeit des Baus nur sofort begeisterte. Bisher regelten sechs bis sieben wenig Erfahrung. Aus heutiger Sicht sind viele Tei- Fähren den Waren- und Menschentransport über le der Brücke überflüssig, was wohl auf ein Unter- den Severn. Eine unbefriedigende Lösung, denn der schätzen der konstruktiven Möglichkeiten – oder Fluss war nur wenige Monate im Jahr – begrenzt schlicht: auf mangelndes Vertrauen in das verwen- durch Hochwasser im Winter und Niedrigwasser dete Material zurückzuführen ist. Das Vertrauen im Sommer – zuverlässig schiffbar. Die Brücke sollte nahm jedoch erheblich zu, nachdem im Jahr 1795 ein nun einen über das ganze Jahr zuverlässigen Trans- Hochwasser fast alle Holzbrücken über den Severn portweg schaffen. Darby ließ eine Zeichnung seiner zerstörte, die Eisenbrücke bei Coalbrookdale jedoch Vision anfertigen, die ahnen ließ, wie fortschrittlich, völlig unversehrt blieb. ja revolutionär, das neue Bauwerk aussehen sollte. 378 Tonnen verflüssigtes Eisen waren nötig, um Für eine Brücke dieser Art, die sich 30 Meter frei die Teile der Brücke zu gießen. Die Menge ent- über das Tal wölben sollte, gab es keinerlei Erfah- sprach einem Drittel der gesamten Jahresproduk- rung und keine Vorbilder. tion. Zugunsten der ehrgeizigen Vision eines 23- 1780 fertig gestellt, ist die »Iron Bridge« in der Jährigen schwanden weitere Waldflächen aus dem Tat das erste markante Bauwerk der modernen Tal des Severn: Abraham Darby III. ließ neue Hoch- Industriegeschichte. Eine Geschichte, die im immer öfen bauen. 3.000 Pfund kalkulierte er damals an schnelleren Takt der Dampfmaschinen das Tal des Materialkosten, was heute etwa einer Million Euro Severn, Mittelengland und danach die gesamte Welt entspräche. Am Ende kostete die Brücke mehr als verändern sollte. Die Verwendung von Eisen beim Brücken-, Schiff- und Hausbau machte die Schlucht von oben: (engl. gorge) zu einem der größten Eisenprodukti- 1–3 Iron Bridge onszentren der Welt. Der industrielle Niedergang 4, 5 Coalbrookdale Museum of Iron 3/2005 industrie-kultur das Doppelte, das meiste zahlte Darby aus eigener gewesen ist, für die sich die Bezeichnung »Industri- Tasche. 1779, sechs Jahre nach den ersten Entwür- elle Revolution« durchgesetzt hat. Dazu gehört die fen, begann die Produktion der Brückenteile. Die Tatsache, dass England reich an Kohle war und von fünf großen Halbkreise, die die Brücke tragen soll- diesem Rohstoff früher und umfassender Gebrauch ten, wurden in den Sommermonaten gegossen und machte als andere Staaten, da sein Waldbestand montiert. Sechs Tonnen wog allein jede einzelne der stark dezimiert war. Schon im ausgehenden 17. Jahr- gewaltigen Rippen. hundert hatte England fünfmal so viel Kohle geför- Erstaunlicherweise kann man heute nur vermu- dert wie das gesamte übrige Europa zusammen. ten, wie die Brückenteile transportiert und errichtet Außerdem verfügte das Land über Eisenerz. Die wurden. Es gibt keine Protokolle über den Bauher- Kohleförderung regte die Entwicklung der Dampf- gang, keine Abhandlungen oder Zeichnungen. Fest maschine an und schuf die Basis für eine Eisenpro- steht, dass sie am Neujahrstag 1781 eröffnet wurde. duktion großen Stils. Der originale Schmelzofen bil- Zwei Jahre hatten die Arbeiter von Coalbrookdale an det das Herzstück des Museums in Coalbrookdale. der ersten gusseisernen Brücke der Welt gebaut: 384 Es verteilt sich auf eine Anzahl von Gebäuden, die Tonnen schwer, die Spannweite 30 Meter bei einer mit der einflussreichen Coalbrookdale Company Bogenhöhe von zwölf Metern. Am Tag ihrer Eröff- zu tun hatten. Hier wurden die ersten Eisenräder nung begann ein Parlamentsbeschluss wirksam zu und -zylinder für die erste Dampfmaschine herge- werden, der die Iron Bridge als Privatbrücke von stellt. Eine restaurierte Lokomotive und gusseiserne Abraham Darby III. auswies. Jeder, der sie überque- Statuen, viele davon zur Weltausstellung von 1851 ren wollte, musste eine Maut entrichten. Das galt geschaffen, befinden sich unter den ausgestellten auch für das Militär und die englische Krone. Im Produkten der Coalbrookdale Company. »Tollhouse« – der ehemaligen Mautstelle am Südu- Die Entwicklung neuer Verfahren zur Eisenge- fer – ist heute ein Museum untergebracht, das den winnung beflügelte die Visionen der Ingenieure, das Bau der Brücke erläutert. Die Iron Bridge selbst, 1934 Material auf immer neuen Gebieten anzuwenden. unter Denkmalschutz gestellt und für den Autover- Die Iron Bridge ist dafür ein frühes Beispiel. Mit kehr gesperrt, ist Teil dieses Museums und wird von ihrer Vollendung erfüllte sich Abraham Darby III. Radfahrern und Fußgängern auch mehr als 220 Jahre einen Jugendtraum. Darüber hinaus war aber auch nach ihrer Errichtung noch rege benutzt. das Kalkül des nüchtern rechnenden Geschäftsmann aufgegangen: Der Werbeeffekt, den ein solch spekta- Das Museum of Iron kuläres Bauwerk für seine Produkte und das Tal des Severn auslösen würde, war schon dem 23-Jährigen Die Herstellung brauchbaren Roheisens mit Koks bewusst. Mit der Iron Bridge schob er alle Vorurteile gelang erstmals dem englischen Eisenhüttenmann gegenüber den industriellen Errungenschaften bei- Abraham Darby (1676–1717), dem Großvater des seite. Der Glaube an die technischen Möglichkeiten, Erbauers der Iron Bridge. Dabei kam ihm zugute, die geschmolzenes Eisen eröffnete, hat entschei- dass bei Coalbrookdale, wo Darby ein aufgelas- dend das Gesicht der Welt verändert. Eisenbahnen, senes Eisenwerk zunächst gepachtet hatte, Flöze Autos, Wolkenkratzer und nicht zuletzt zahlreiche schwefelarmer Kohle unmittelbar zutage traten, Eisenbrücken sind die technischen Kinder der Iron die zu Koks verschwelt werden konnten. Das damit Bridge des Abraham Darby. geschmolzene siliziumreiche Roheisen enthielt im Eine Abteilung des Museums of Iron behan- Vergleich zum Eisen, das mit Holzkohle gewonnen delt die Geschichte der Quäkergamilie Darby und wurde, immer noch zu viel Schwefel, als dass es ihren Einfluss auf die Gemeinde Coalbrookdale. zur Herstellung von Schmiedeeisen im Frischeherd Aus diesem Blickwinkel lässt sich auch der Bau der geeignet gewesen wäre. Es war jedoch dünnflüssig Iron Bridge betrachten. Die Bereitschaft, die Brücke und in Sandformen gut vergießbar. Der Eisenguss über den Severn
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