Infoblatt Gera

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Infoblatt Gera 14.12.2004 14:44 Uhr Seite 1 THÜRINGEN BLÄTTER ZUR LANDESKUNDE truktur und Ge- fach als Geschichte der schichte der Bezir- „alten“ Länder ver- Ske der ehemaligen standen, die nach 1952 Deutschen Demokrati- immerhin de iure wei- schen Republik haben ter existierten, auch im öffentlichen Be- wenn auf ihrem Terri- wusstsein bis heute ein torium bis 1990 Bezir- relativ verhaltenes In- ke eingerichtet worden teresse gefunden. Sie waren. Darüber hinaus gelten als künstlich- gelten vor dem Hin- konstruierte Verwal- tergrund des Struktur- tungseinheiten, als prinzips des „demokra- Fremdkörper in der tischen Zentralismus“ natürlichen Entwick- sowie der Tatsache, lung der Länder, als dass bei den Planungs- Instrument der Herr- entscheidungen die Be- schaftssicherung eines lange von Wirtschafts- auf Machterhalt be- zweigen und Kombi- dachten diktatorischen Zeiss-Forschungshochhaus naten häufig Vorrang Systems, das seinen in Jena. Baubeginn: 1969. gegenüber dem „Terri- Bürgern ihre regional- Die Universität bezieht das torium“ hatten, die Be- Gebäude im Jahr 1972. spezifische Identität ha- (Foto: Staatsarchiv zirke als „Regionen be nehmen wollen. Re- Rudolstadt) ohne Macht“. Eine sol- gionalgeschichte in der che Sichtweise ver- DDR wird daher viel- kennt jedoch die Exis- Zur Geschichte des Bezirkes Gera (1952 – 1990) tenz regionaler Eigeninteressen. Hier Der große Bereich der Kultur kann kam es auf die Machtbasis der betref- dabei aus Platzgründen keine Berück- fenden Funktionäre an, auf ihre Prä- sichtigung erfahren. (Zu den Bezirken senz in zentralen Parteigremien, auf Erfurt und Suhl liegen gesonderte Netzwerke. Betrachtungen in den „Blättern zur Die folgenden Ausführungen werden Landeskunde“ vor.) sich in einer groben, einführenden Der Bezirk Gera gehörte in seiner Skizze, quasi in Form von „Streiflich- flächenmäßigen Ausdehnung nach dem tern“, mit dem Bezirk Gera befassen. Bezirk Suhl und der Hauptstadt Berlin, Infoblatt Gera 14.12.2004 14:44 Uhr Seite 2 die seit Anfang der sechziger Jahre offi- Landkreisen Eisenberg, Gera, Greiz, ziell den Status eines Bezirkes innehat- Jena, Lobenstein, Pößneck, Rudolstadt, te, zu den kleinsten der 15 Bezirke der Saalfeld, Schleiz, Stadtroda und Zeulen- DDR. Ähnlich verhielt es sich im Hin- roda zusammen sowie aus den beiden blick auf die Wohnbevölkerung: Mit Stadtkreisen Gera und Jena. Bei der etwa 740.000 Einwohnern (Stand: 1987) Gründung des Bezirkes im Jahr 1952 rangierte er vor den Bezirken Frank- war zunächst die Stadt Jena als Be- furt/Oder, Neubrandenburg, Schwerin zirks(haupt)stadt im Gespräch, bevor und Suhl. Er setzte sich aus den elf die Wahl auf Gera fiel. Herrschaftsstrukturen Die Durchsetzung einer Bezirksstruk- Mitte der Fünfzigerjahre in drei Stadt- tur erfolgte mit der offiziellen Begrün- bezirke mit entsprechenden Parteiorga- dung einer größeren Bürgernähe. Tat- nisationen untergliedert war. In diesem sächlich ist die Einführung der neuen Bezirk existierten in den Fünfziger- bis Struktur unter herrschaftspolitischen zu Anfang der Sechzigerjahre zwei Aspekten erfolgt: Kleinräumige Verwal- Kreisleitungen der Wismut (Gera und tungseinheiten sind leichter kontrol- Ronneburg), die jedoch der Gebiets- lierbar als große. Ein schneller, einheit- leitung der Wismut in Karl-Marx-Stadt licher Befehlszug sollte zur besseren unterstanden. Eine weitere funktionale Umsetzung zentraler Beschlüsse von Kreisleitung war ab 1965 im Großbe- der Spitze der Staatsmacht bis in die trieb Carl Zeiss Jena eingerichtet. Diese Gemeinden geschaffen werden. An die KPO, in der in den Achtzigerjahren Stelle der alten Landtage und Landes- über 8.100 Mitglieder und Kandidaten regierungen traten daher seit 1952 die organisiert waren, war der SED-Be- Bezirkstage sowie die Räte der Bezirke, zirksleitung Gera unterstellt und zah- die Teil einer hierarchisch geordneten lenmäßig stärker als die meisten Kreis- „Rätepyramide“ waren, an deren Spitze parteiorganisationen des Bezirkes. Den der Ministerrat stand. Parallel dazu und drei größten KPO im Bezirk Gera nach in die Parteihierarchie eingebettet exi- der Bezirksstadt, Rudolstadt, Jena und stierten die neuen Organe der SED, also Saalfeld, gehörten etwa 9.000 bis 10.000 SED-Bezirksdelegiertenkonferenz, Be- Genossinnen und Genossen an. zirksleitung sowie Büro und/oder Sek- Der Chefposten der SED wurde im retariat der Bezirksleitung. Hier lag die Bezirk Gera wie in den beiden anderen eigentliche Macht auf Bezirksebene, thüringischen Bezirken häufig von natürlich vor dem Hintergrund zentra- Männern besetzt, die für ihren extrem ler Beschlüsse. Die staatlichen Organe autoritären Führungsstil bekannt wurden darüber hinaus durch die in waren. In der Amtszeit des Ersten ihnen angesiedelten Parteigruppen von SED-Bezirkssekretärs Heinz Glaser innen heraus kontrolliert. (1955 – 1959) hatte eine Brigade des Die Bezirksparteiorganisation Gera Zentralkomitees unter Leitung von der SED zählte im September 1989 fast Erich Honecker und Erich Mücken- 105.000 Mitglieder und Kandidaten, berger nach dem Rechten gesehen. davon waren etwa 19.000 in der Be- Glaser wurde schließlich vor allem we- zirksstadt organisiert, die Anfang bis gen der „Verletzung der Kollektivität“ Infoblatt Gera 14.12.2004 14:44 Uhr Seite 3 bei der Zusammenarbeit mit seinen Amtskollegen aus dem Bezirk Neubran- Sekretariatskollegen von seiner Funk- denburg, Johannes Chemnitzer, der bis tion entbunden. Für die Geschichte des 1963 dem Bezirkssekretariat Gera als Bezirkes Gera bedeutete die Person Sekretär für Landwirtschaft angehört Glasers jedoch nur eine relativ kurze hatte, zählte Ziegenhahn im Herbst Periode. Über zwei Drittel der mehr 1989 mit Abstand zu den dienstältesten als dreieinhalb Jahrzehnte währenden SED-Bezirkschefs der DDR. Die über- Existenz des Bezirkes Gera wurden lange Amtsdauer und ein Hang, sich als nachhaltig durch einen Mann geprägt: Musterschüler der Zentrale darzustel- Herbert Ziegenhahn. Am 14. Februar len, führten zu einem Herrschaftsge- 1963 war Ziegenhahn zum Ersten Sek- baren, das Kritik von Untergegebenen retär der SED-Bezirksleitung Gera ge- immer weniger tolerierte. wählt worden. Zusammen mit seinem Wirtschaftliche Strukturen und Probleme eine wirtschaftliche Prägung er- Keramische Werke Hermsdorf zum hielt der Bezirk Gera nicht durch VEB Elektronik zusammen gelegt. In Seinen dominanten Wirtschafts- diesem Betrieb sowie im Betriebsteil zweig wie zum Beispiel Halle („Che- Gera des Kombinates VEB Carl Zeiss miebezirk“) und Cottbus („Energiebe- Jena arbeiteten Mitte der Achtziger- zirk“). Bestimmend war vielmehr eine jahre etwa 8.000 Menschen. Die größ- industrielle Vielfalt, wobei es unter den ten Betriebe im Maschinenbau waren verschiedenen Sparten im Verlaufe der der VEB Werkzeugmaschinenfabrik Jahre Verschiebungen gab. Die traditio- UNION Gera und der VEB Textil- nelle Textilindustrie war in ihrer Be- maschinenbau Gera. Als Betriebe der deutung zwar rückläufig, spielte aber Leichtindustrie sind zum Beispiel der noch immer eine wichtige Rolle. Einen VEB Modedruck Gera, der VEB Zwi- besonderen Stellenwert nahmen die ckauer Kammgarnspinnerei, Betriebs- elektronische und optische Industrie teil Gera, und der VEB Thüringer ein. Aber auch die Leichtindustrie, der Teppichfabriken Münchenbernsdorf zu Maschinen- und Fahrzeugbau sowie nennen. Einen großen Einfluss auf die die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft Entwicklung der Stadt Gera hatte der waren vertreten. In den Achtzigerjah- Bergbau der Wismut AG, ganz beson- ren hatten sich vier Wirtschaftsräume ders die Ansiedlung von Bergarbeiter- herausgebildet: Gera, Jena, Rudolstadt- familien. Mit Lusan (35.000 Einwoh- Saalfeld-Orlasenke und Greiz-Elster- ner) und Bieblach (17.000 Einwohner) berg-Zeulenroda. entstanden riesige Neubaugebiete. Die Entwicklung der elektrotechni- Jena erfuhr zum Nachteil der Be- schen Betriebe hatte in der Bezirksstadt zirksstadt Gera insbesondere gegen Gera seit Mitte der Sechzigerjahre eine Ende der Ulbricht-Ära eine massive starke Forcierung erfahren. 1977 wur- Förderung. Die Stadt sollte nach dem de der VEB Kondensatorenwerk Gera Willen der Stadtplaner einen radikalen mit dem Betriebsteil Gera des VEB Umbau ihres Zentrums bekommen, Infoblatt Gera 14.12.2004 14:44 Uhr Seite 4 sich als Mittelpunkt des „wissenschaft- Zeiss produzierten 1-Mega-Bit-Speicher- lichen Gerätebaus“ durch die Ansied- schaltkreises übergeben. Das propa- lung technisch-gebildeter Fachkräfte gandistisch herausgestellte Ereignis zu einer „Boom-Town“ entwickeln und verklärte die im internationalen Ver- die Zahl ihrer Einwohner von 84.000 gleich sehr hohen Produktionskosten (1968) auf über 170.000 bis zum Jahr und den geringen Entwicklungsstand 2000 steigern. Allein in den Neu- dieser Technik. baugebieten von Lobeda-West und -Ost Weitere herausragende Betriebe in wohnten Mitte der Achtzigerjahre Jena waren u. a. der VEB Jenapharm, 34.000 Bürger. Die hochfliegenden Plä- ein Zentrum der pharmazeutischen ne, denen beinahe das altehrwürdige Industrie der DDR, sowie, zwischen Collegium Jenense der Friedrich-Schil- Gera und Jena gelegen, das Kombinat ler-Universität zum Opfer gefallen Keramische Werke Hermsdorf, das seit wäre, scheiterten schließlich an den Mitte der Sechzigerjahre zu einem begrenzten materiellen und finanziel- bedeutenden Betrieb der Elektro- len Ressourcen. Zeugnis der Bestre- technik/Elektronik entwickelt wurde. bungen jener Jahre, Jena zu einer Wichtige Großbetriebe in den beiden „Technopolis“ zu entwickeln, ist der zy- anderen oben genannten Wirtschafts- lindrische Hochhausturm der Univer- räumen waren beispielsweise

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