Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 2005 Die Bedeutung vom Burgen und Ruinen Email: [email protected] . Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini . - 2 - 2005 Die Bedeutung vom Burgen und Ruinen Heinrich Boxler in: Gesicherte Ruine oder ruinierte Burg? - Erhalten - Instandstellen - Nutzen. (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 31) Bearb.: Marianne Flüeler-Grauwiler. Basel: Schweiz. Burgenverein, 2005. - 3 - S. 11: «Burg mit Tourismuspotenzial» In einer Publikation des Bundesamts für Kultur war 2003 zur neuen Nutzung der Gesslerburg zu lesen:1 «Das Denkmal lebt! Die Gesslerburg hat nationale Ausstrahlung. Mit der modellhaften Sanierung unter Berücksichtigung der ökologischen und petrografischen Aspekte erhält die Gesslerburg nebst ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung nun weitere erlebnisreiche und vermittelbare Werte. Mit ihrer Geschichte, ihrer Vielfalt an Lebensräumen für Flora und Fauna sowie ihren unterschiedlichen Bausteinen stellt sie ein reichhaltiges pädagogisches Lehrstück dar. Sie ist ein Entdeckungsraum für Schulklassen und Erwachsene. Mit Begleitmassnahmen wie Broschüren, Geschichten, Führungen, Hinweistafeln, Frage-Antworten, Festen, Ritterabenden, Eröffnungsevents, in Kombination mit regionaltypischen Produkten, könnte erreicht werden, dass die Gesslerburg eine nachhaltige Wertschöpfung für die Innerschweiz darstellt» Was würden die Freiherren von Küssnacht von der Einschätzung ihrer Burg (Abb. 1) halten, wenn sie läsen, dass mit der Ruine das Tourismuspotenzial der Innerschweiz erhöht werde? Was verständen sie unter ökologischen und petrografischen Aspekten? Drastischer könnte der Funktionswandel einer Burg vom adligen Wohnsitz zum touristisch vermarktbaren Erlebnisraum kaum zum Ausdruck kommen. Und wie heute eine Ruine gleichzeitig die Bedeutung eines kulturgeschichtlichen Monuments, eines Biotops, eines interessanten Bauwerks oder eines pädagogischen Lehrstücks haben kann, so erfüllte die Burg im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Aufgaben. - 4 - S. 12: Bedeutung und Funktionen der Burg im Mittelalter Lange Zeit herrschte die Meinung vor, eine Burg diene in erster Linie oder ausschliesslich dem Schutz ihrer Bewohner. Neuere Forschungsergebnisse, darunter besonders auch die Arbeiten von Werner Meyer,2 haben gezeigt, dass die mittelalterliche Burg ein ganzes Bündel verschiedener Funktionen zu erfüllen hatte. Die Burg als Wohnsitz einer Adelsfamilie - 5 - In erster Linie war die Burg Wohnsitz einer Adelsfamilie. Schon die frühen Herrenhöfe in den Siedlungen oder in ihrer unmittelbaren Umgebung, die so genannten Curtes, zeichneten sich durch geräumigere Bauten aus als jene der bäuerlichen Bevölkerung (Abb. 2). Solche Herrenhöfe dürften bis ins 11. Jahrhundert, teilweise sogar noch länger, an der Stelle der späteren Burgen Zug, Bümpliz BE und in Stans NW, vermutlich auch als Vorgänger der Burgen Friedau in Zizers GR oder Rosenberg in OW gestanden haben. Die Nutzung der Burg als Wohnsitz beeinflusste ihre bauliche Entwicklung ganz entscheidend, war sie doch stets mitgeprägt vom Bedürfnis nach vermehrtem Wohnkomfort. Auf den Burgen des niederen Adels führte der Weg vom einfachen, engen Wohnturm zum Bau eines Palas und weiterer Gebäude. Im Band 28 der «Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters» (SBKAM) wird diese Entwicklung am Beispiel der Burg Zug ausführlich dargelegt. 3 Fast jede neue Bauphase bringt mehr Komfort, mehr Raum oder greift neue Modeströmungen auf. Die Wehrfunktion der Burg In der unsicheren Zeit der Ungarn- und Sarazeneneinfalle verschanzten sich die Menschen auf Fluchtburgen vor feindlichen Überfallen. Abgelegene, versteckte Plätze, versehen mit Wall und Graben, allenfalls in Verbindung mit Palisaden aus zugespitzten Pfählen, dienten den Menschen einer Siedlung oder einer Talschaft bei feindlichen Übergriffen als Rückzugsmöglichkeit. Der Burgbesitzer des Hochmittelalters schützte sich mit einem festen Turm und meist auch mit starken Ringmauern vor feindlichen Handstreichen. Im Lauf des Spätmittelalters verstärkte man die grösseren Burgen zunehmend mit Flankierungstürmen, mit ausgeklügelten Toranlagen und mit weiteren Annäherungshindernissen. Das verbreitete Bild der Burg mit überbordenden Wehrelementen, wie es in neueren und neusten Sachbüchern noch immer muntere Urständ feiert, geht vor allem auf die Burgenromantik des 19. Jahrhunderts zurück. Diese Epoche schwelgte in wehrhaften Elementen und prägte ein Burgenbild, das selbst kleine Burgen mit Zugbrücken, Fallgattern, Schiessscharten und Gusserkern ausstattete. Neuere Forschungen haben allerdings gezeigt, dass solche spätmittelalterliche oder neuzeitliche Verteidigungseinrichtungen, wo sie überhaupt bestanden, zu fixen Attributen des adligen Standes geworden waren und nur zum Teil funktionstüchtig - 6 - waren. 4 Sie dienten vor allem der Legitimation und der Repräsentation aufstrebender Familien. Die Burg als Herrschafts- und Verwaltungszentrum Ursprünglich lag das Recht zum Burgenbau beim König. Nur mit seiner Einwilligung durften wehrhafte Bauten errichtet werden. Dieses königliche Vorrecht spiegelt sich zwar noch in der Gesetzgebung Friedrichs II. 5 doch dürfte das Recht zum Burgenbau dem König schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts entglitten und an die weltlichen und geistlichen Landesherren übergegangen sein. 6 Überhaupt ist es ungewiss, wie weit der Hochadel das Befestigungsrecht durchsetzen konnte. Die unzähligen Rodungsburgen im Gebiet der heutigen Schweiz sprechen mindestens für die Zeit nach 1200 dagegen. Die Burg an sich ist noch kein Machtfaktor. Aber mit dem Bau einer Burg nagelte ein Adliger gleichsam seinen Herrschaftsanspruch fest.7 Grund für den Bau einer Burg konnten beispielsweise Besitzrechte, Besitzansprüche oder Vogteirechte sein, die es wahrzunehmen galt. Burgen dienten dem Schutz von Plätzen, an denen z.B. Zoll- oder Geleitrechte wahrgenommen und durchgesetzt werden mussten. In Verbindung mit der Gerichtshoheit waren sichere Verwahrungsorte nötig. 8 Auf den Burgen wurden Schenkungs-, Tausch-, Kaufs- und Verkaufsurkunden ausgestellt. Auch Abgaben mussten dort abgeliefert werden. Immer mehr Verwaltungskompetenzen verlagerten sich somit auf die Burg. S. 13: Burgen wurden nicht nur auf allodialem Besitz, d.h. auf Eigenbesitz, erbaut, sondern auch auf Lehensbesitz. Besonders gern errichtete man sie in jenen Gebieten, in denen die Besitzansprüche unklar waren. Das führte oftmals dazu, dass sich ein adliger Konkurrent herausgefordert fühlte und seinerseits mit - 7 - einer Burg Präsenz markierte. In vielen bisher unerschlossenen Gebieten bauten grosse und kleine Herren Rodungsburgen (Abb. 3), in deren Schutz neues Acker- oder Weideland für Neusiedler gewonnen wurde. 9 Infolge der zunehmenden Territorialisierung, wie sie mächtige Adelsgeschlechter und später auch die Städte anstrebten, gewannen die Burgen als Verwaltungsmittelpunkte zunehmend an Bedeutung. Das lässt sich etwa am Habsburger Urbar ablesen, trugen doch viele Verwaltungsbezirke, die so genannten Ämter, Namen von Burgen und Burgstädten. 10 Sehr deutlich wird dies bei den Landvogteischlössern. Im Kanton Zürich wurden alle sieben, später alle neun äusseren Vogteien von Burgen aus verwaltet, und bis zur Helvetischen Revolution von 1798 trugen diese Landvogteien auch die Namen der betreffenden Burgen, nämlich Regensberg, Greifensee, Grüningen, Kyburg, Eglisau, Andelfingen, Knonau, Wädenswil und Sax-Forstegg. Selbst die Besitzer der zahlreichen kleinen Gerichtsherrschaften sassen fast ausschliesslich auf ehemaligen Burgen 11 (Abb. 4) oder auf neu erbauten Schlösschen, wie etwa die Beispiele von Trüllikon, Berg am Irchel, Teufen oder Weiningen im Zürcher Gebiet zeigen. S. 14: Welche Bedeutung man den Burgen zuschrieb, zeigt sich auch im Öffnungsrecht. Wo es einem Adligen, später auch einem städtischen Gemeinwesen, innerhalb ihres Interessen- oder Herrschaftsbereichs nicht gelang, eine Burg mit ihren Rechten in ihren Besitz zu bringen, versuchten sie, mindestens das Öffnungsrecht zu erwirken. Dieses erlaubte ihnen, in kriegerischen Zeiten eine Besatzung in die Burg zu verlegen. - 8 - Selbstverständlich mussten für einen Burgherrn schon zwingende Gründe vorliegen, sei dies Geldknappheit, massive Bedrohung oder politischer Druck, bis er in ein solches Öffnungsrecht einwilligte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich immer mehr Herrschaftsrechte und Verwaltungskompetenzen auf der Burg konzentrierten, wodurch diese an Bedeutung gewann. Das führte dazu, dass sie in den Augen der Untertanen mehr und mehr zum Symbol, ja zur Verkörperung der Herrschaft und der Herrschenden überhaupt wurde. Dabei darf Herrschaft allerdings nicht nur negativ gesehen werden. Sie gewährleistete den Untergebenen auch ein Leben in Frieden, Ordnung und Sicherheit. Die Burg als Wirtschaftszentrum Die wirtschaftliche Bedeutung einer Burg wird neben ihrer Wehrfunktion gern unterschätzt. Überreste von Speichern, Ställen und Scheunen, vor allem aber auch die grosse Menge bäuerlicher Werkzeuge, die bei Grabungen gefunden werden, beweisen die grosse Bedeutung der Landwirtschaft für die Burgbewohner. 12 Die Burggüter, die von einer grossen Burg aus bewirtschaftet wurden, unterschieden sich von jenen abhängiger Bauern. Sie zeichneten sich durch eine grössere Vielfalt und eine grössere Menge an Vieh und landwirtschaftlichen
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