JAKARTA – EINE METROPOLE ZWISCHEN SELBSTAUFGABE UND POLITISCHER HERAUS- FORDERUNG ULRICH KLINGSHIRN || Historischer Hintergrund der Stadtentwicklung Batavia rasch zum wirtschaftlichen Zentrum von Jakarta Indonesiens und zu einem der bedeutends- ten, wirtschaftlichen Umschlagsplätze in Jakartas Geschichte reicht weit bis in das ganz Südostasien. Diese Entwicklung war 15. Jahrhundert zurück. Die erste Stadt- mit einem erheblichen Zuwachs an Bevölke- gründung erfolgte auf Sunda Kelapa, dem rung verbunden, welche die VOC nach ethni- Hafen des hinduistischen Königreiches schen Merkmalen in bestimmten Gebieten Pajajaran. Im Jahre 1513 kam es zum ersten ansiedelte. Innerhalb des Stadtgebiets durf- Kontakt mit Europäern, als portugiesische ten Holländer und Chinesen wohnen, außer- Handelsschiffe in der Bucht von Jakarta lan- halb dieses Bereiches durften sich Javaner deten. Trotz eines Beistandsabkommens und sogenannte Mardijkers, die Nachfahren zwischen dem hinduistischen Königreich der Bevölkerung aus den portugiesischen und den portugiesischen Kolonialisten wur- Kolonien Asiens, ansiedeln. Die Stadtent- de die Stadt im Jahr 1527 von dem muslimi- wicklung konnte mit diesem Zuwachs nicht schen Prinz Fatahillah aus West-Java einge- Schritt halten und die starke Verdichtung nommen. Er gab der Stadt den Namen am Hafen von Sunda Kelapa führte zu unhy- Jayakarta, der übersetzt „glorreicher Sieg“ gienischen Lebensbedingungen. Epidemien bedeutet. Aus diesem Grund wird das Jahr und Seuchen von unvorstellbarem Ausmaß 1527 auch als Gründungsjahr der heutigen waren an der Tagesordnung. So lag damals Stadt Jakarta genannt.1 die durchschnittliche Lebenserwartung in Trotz der neu errungenen Unabhängigkeit der holländischen Kolonie Jakartas bei eroberte die niederländische Ostindien- knapp 35 Jahren und die Sterblichkeitsrate Kompanie (VOC) bereits im Jahr 1619 die für Kinder unter zehn Jahren lag bei 50 Pro- Stadt Jayakarta und gab ihr den Namen zent. Batavia lateinisch für Niederlan- Aufgrund dieser Problematik siedelte de/Holland.2 Die Holländer entwickelten die sich die wohlhabende Bevölkerung Batavias Stadt nach dem Vorbild niederländischer im 18. und 19. Jahrhundert zunehmend in Stadtplanungskonzepte mit einem geglie- höher liegende Gebiete südlich des damali- derten Kanalsystem und befestigten Stra- gen Stadtzentrums an. Nach dem Sieg im ßen, die sie als Alleen anlegten. Aufgrund Unabhängigkeitskampf der Indonesier wur- der umfangreichen Handelsverflechtungen de Batavia im Jahr 1949 in Jakarta umbe- der Ostindien Kompanie entwickelte sich nannt und unter dem ersten Präsidenten der ARGUMENTE UND MATERIALIEN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT 12 7 ULRICH KLINGSHIRN Republik Indonesien, General Soekarno, zur gebaut.4 Das Stadtbild Jakartas kann heute Hauptstadt Indonesiens erklärt.3 unter den Schlagworten „Kampung zwischen moderner Hochhausarchitektur“ charakteri- siert werden. Dies bedeutet, dass dörfliche Strukturen zwischen Wolkenkratzern und großen Einkaufszentren existieren, während in den anliegenden, traditionellen Siedlun- gen die Masse der einfachen und mittleren Bevölkerung lebt. Diese Wohnviertel sind aufgrund der dichten Besiedlung verkehrs- technisch nur schwierig anzufahren, beson- ders für größere Fahrzeuge der Müllabfuhr und der Feuerwehr. Dadurch entfallen grundlegende, städtische Versorgungsange- Stadtplan des historischen Batavia, Quelle: http://happygo bote. Trotz dieser Defizite ist ein Kampung luckyworld.com/2012/old-batavia-queen-of-the-east/#.U5 bWfXbm7ih [15.05.2014]. nicht mit einem Slumviertel gleichzusetzen. In den meisten derartigen Wohnquartieren Das Stadtbild von Jakarta heute haben die Eigentümer Grund und Boden legal erworben und es bestehen enge soziale Unter dem sozialistisch orientierten Prä- Vernetzungen, die auch zu einem hohen sident Soekarno veränderte sich das Gesicht Grad an innerer Selbstorganisation inner- der Stadt erheblich. Ganz im Sinne sozialis- halb des Viertels führen.5 tischer Vorbilder des Städtebaus ließ er eine ca. 20 Kilometer lange, großzügige Pracht- In den 70er und 80er-Jahren des 20. straße in Nord-Süd-Richtung errichten. Ent- Jahrhunderts setzte in Indonesien ein erheb- lang dieser Entwicklungsachse findet man liches Wirtschaftswachstum ein. Dieses viele weitere von Soekarno errichtete Wahr- Wachstum konzentrierte sich zunächst auf zeichen, wie das nationale Befreiungsdenk- die Hauptstadt Jakarta und war mit einem mal (Monas), das erste Hochhaus und Ein- Zuwachs der Bevölkerung verbunden. Inner- kaufszentrum in Jakarta (Hotel Indonesia halb kürzester Zeit wurden Büro-, Geschäfts- und Sarinah), das Sportstadion Gelora sowie und Bankenviertel mit moderner Hochhaus- Denkmäler, die den nationalen Unabhängig- architektur errichtet. Diese Entwicklung keitskampf und die Leistungen des Arbeiter- stoppte nur vorübergehend aufgrund der und Bauernstaats glorifizieren. Der zweite Finanz- und Wirtschaftskrise in Südostasien Präsident der Republik Indonesien Suharto, im Jahr 1997/98. Ein besonderes Wahrzei- der im Jahr 1967 an die Macht kam, setzte chen des modernen Jakarta sind die vielfäl- diese monumentale Bebauung fort. Während tigen Shoppingmalls, die auf die ausgepräg- seiner Präsidentschaft ließ er ein großzügig ten Konsumbedürfnisse der indonesischen angelegtes Diplomatenviertel und weitere Bevölkerung eingehen und auch zur Frei- wichtige Verkehrsadern errichten. Ebenso in zeitgestaltung der Käufer beitragen. Nir- seine Zeit fällt der Bau von Autobahnen, die gendwo sonst in Südostasien kann auf ein als Ringstraßen das innere und äußere derart breitgefächertes Angebot an interna- Stadtgebiet erschließen. Trotz dieser Bemü- tionalen Produkten zurückgegriffen werden hungen beträgt der Anteil des Straßenraums wie in Jakarta. Die unzureichende städte- an der gesamten Standfläche Jakartas bis bauliche Entwicklung von Jakarta ist über- heute nur 6,2 Prozent, wobei dieses Ver- wiegend auf die gesetzlichen Grundlagen hältnis in den meisten Großstädten bei un- zum Erwerb von Grund und Boden zurückzu- gefähr 20 Prozent liegt. Aufgrund des führen, die im Agraria-Gesetz aus dem Jahr Raummangels werden neuerdings Hochstra- 1960 festgelegt sind. Danach kann die Be- ßen oberhalb bereits existierender Straßen völkerung staatliche oder städtische Flächen 8 ARGUMENTE UND MATERIALIEN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT 12 J A K A R T A – EINE METROPOLE ZWISC HEN SELBSTAUFGABE UN D POLITISCHER HERAUSFO RDERUNG zur Bebauung nutzen, sofern für diese noch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr keine spezielle Flächennutzung festgelegt 1997/98 bei ca. 5 bis 7 Prozent pro Jahr und wurde.6 Dies bedeutet, dass die Bevölkerung damit etwas höher als der Durchschnitt Indo- staatliche Flächen entlang der Flüsse und nesiens. Verschiedene Schätzungen gehen der Eisenbahnlinien ohne Bebauungsge- davon aus, dass heutzutage in Jakarta mehr nehmigung besiedelte. Diese Überbauung als 13 Prozent des nationalen Bruttosozial- öffentlicher Flächen behindert die Provinz- produkts erwirtschaftet wird. Die Wirtschaft regierung der Stadt Jakarta jedoch zuneh- dieser Metropole setzte sich nach dem Brut- mend bei der Durchführung von notwendi- toinlandsprodukt im Jahr 2012 wie folgt zu- gen Infrastrukturvorhaben, da diese Flächen sammen: Finanzdienstleistungen/Banken (28 zwar in öffentlicher Hand sind, die Bewoh- Prozent); Handel und Fremdenverkehrsge- ner aber zunächst für die errichteten Ge- werbe (21 Prozent); verarbeitendes Gewerbe bäude entschädigt werden müssen. Die Ent- (16 Prozent); sonstiges Dienstleistungsge- schädigungszahlungen wirken sich im Falle werbe (13 Prozent) und zu einem kleineren einer Zwangsumsiedlung sicherlich positiv Teil Baugewerbe und Transportwesen (je- für die betroffene Bevölkerung aus. Gleich- weils 11 Prozent).8 Insgesamt ist die Wirt- zeitig bestehen aber große Probleme für schaft der Stadt dienstleistungsorientiert mit eine zeitnahe und angepasste Stadtplanung, einem relativ großen Anteil an verarbeiten- weil die Entschädigungssummen häufig in dem Gewerbe. Diese Struktur gibt besondere langwierigen Gerichtsprozessen festgelegt Impulse für den Großraum Jakarta aber auch werden müssen. für das gesamte Land. So ist Jakarta das wichtigste wirtschaftliche Zentrum Indonesi- ens. Viele internationale Firmen und Banken haben in Jakarta ihren Standort, einschließ- lich deutscher Betriebe wie Siemens, Merce- des Benz und BMW. Die Summe der ausländi- schen Investitionen im Großraum Jakarta lag im Jahr 2011 bei rund 4,8 Milliarden US- Dollar und trug schon damals erheblich zu den gesamten Auslandsinvestitionen in In- donesien in Höhe von knapp 15 Milliarden US-Dollar bei.9 Beispielsweise erwirtschafte- Moderne Hochhausarchitektur als Stadtsilhouette von Jakarta, Quelle: HSS Indonesien. te der Großraum Jakarta schon im Jahr 2005 62 Prozent des gesamten Sektors „Handel Rasantes Bevölkerungs- und Wirtschafts- und Finanzdienstleistungen“ in Indonesien. wachstum im Großraum Jakarta Die Bereiche Hotel/Gaststättengewerbe so- wie Transport/Kommunikation trugen im- Die indonesische Hauptstadt Jakarta hat merhin 40 Prozent zum nationalen Bruttoin- heute ca. 13 Millionen Einwohner, wobei im landsprodukt in diesen Sektoren bei.10 In- Großraum mehr als 23 Millionen Einwohner dustrielle Ansiedlungen und verarbeitendes leben. Jakarta ist damit bei weitem die be- Gewerbe befinden sich dagegen häufig an völkerungsreichste Metropole in ganz Süd- den großen Ausfallstraßen und dem weiteren ostasien und das Bevölkerungswachstum Umland der Stadt, mit einem Radius von ca. war und ist rasant. Im Zeitraum von 1950 50 Kilometern, besonders
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