Retrospektive Friedrich Wilhelm Murnau Murnau – das war sein Künstler - name. Eigentlich hieß er Friedrich Wilhelm Plumpe, kam 1888 in Bie - lefeld zur Welt, machte in Kassel sein Abitur, studierte in Berlin und Heidelberg Kunstgeschichte und Literatur und engagierte sich früh u im Studententheater. Ab 1913 ge - a n r u hörte er zum Ensemble der Rein - M m hardt-Bühnen in Berlin. Da nannte l e h l er sich bereits Murnau – nach i W h c dem Künstlerort in Oberbayern, i r d e i der ihm bei einem Besuch offen - r F , bar gut gefallen hatte. Den Ersten s g n i Weltkrieg überlebte er als Kriegs - n n a J freiwilliger, am Ende im Range l i m e eines Leutnants, interniert in der : T Schweiz. Er kehrte nach Berlin zu - S U A F rück und drehte 1919 seinen ers - u z ten Film – DER KNABE IN BLAU – n e t i e dem in schneller Folge fünf wei - b r a h tere folgten. Leider sind diese ers - e r ten Filme von Murnau nicht erhal - D ten, wir können uns nur aus der zeitgenössischen Kritik Mit NOSFERATU. EINE SYMPHONIE DES GRAUENS ein Bild von ihnen machen. Zu Murnaus Darstellern ge - schuf Murnau sein erstes klassisch gewordenes Werk, hörten damals schon Conrad Veidt, Fritz Kortner und das Urbild aller Vampir-Filme, gedreht nach Bram Sto - Eugen Klöpfer. kers Roman »Dracula«. Es hat Tom Tykwer bis in seine Im Gegensatz zu seinen Regie-Kollegen Fritz Lang und Träume verfolgt: »Das war heimliches Fernsehgucken. u a Ernst Lubitsch lebte Murnau eher zurückgezogen; er Ich weiß, dass der Film schon angefangen hatte und n r u verbarg sein Privatleben wohl auch, weil er homosexu - dass ich ’ne halbe Stunde geschafft habe. Ich hab’ M ell war. Er galt als distanziert, sein Wirkungsfeld waren mich derartig gegruselt, dass ich irgendwann abge - m l schaltet habe, was ein Riesenfehler war, weil ich noch e die Filmstudios. An gesellschaftlichen Ereignissen h l i nahm er selten teil. Als Fotograf hat er in Berlin, später nicht einmal die Konklusion mitbekommen habe, dass W auch in Amerika und in der Südsee, gern Aktaufnah - der Vampir wenigstens stirbt. Ich habe jahrelang den h c i Film nicht sehen können, weil ich mich wirklich so ge - r men junger Männer gemacht. In dem Band »Friedrich d e Wilhelm Murnau. Die privaten Fotografien 1926-1931« fürchtet habe davor. (…) Dass man den Film nicht ver - i r F ist 2013 eine Auswahl bei Schirmer/Mosel publiziert gessen kann, liegt an dieser Entschlossenheit der Bild - worden. gestaltung, an der stillen ikonografischen Geste, die 72 DER GANG IN DIE NACHT, das Melodram eines Augen - der Film hat, und an der Masse an eindrucksvollen Ge - arztes, einer Tänzerin und eines blinden Malers, ist der mälden, die irgendwo im Unterbewusstsein mitschwim - älteste erhaltene Murnau-Film, er wurde im Januar men und die gesamte Filmgeschichte mitgeprägt 1921 in Berlin uraufgeführt. Wie so oft bei diesem Re - haben.« (in: AUGE IN AUGE, 2008). gisseur standen große Darsteller im Mittelpunkt; hier Für Murnaus folgende Filme, DER BRENNENDE ACKER, waren es Olaf Fönss, Erna Morena und Conrad Veidt. PHANTOM, DIE AUSTREIBUNG und DIE FINANZEN DES Willy Haas, der als Filmkritiker früh die Bedeutung Mur - GROSSHERZOGS (1921-24), schrieb Thea von Harbou, naus erkannte, schrieb im Film-Kurier : »Es ist das Wun - die damals mit Fritz Lang liiert war, die Drehbücher. derbarste, dessen unser Herz überhaupt fähig ist: eine Zeitgleich entstanden dessen Filme DR. MABUSE, DER neue Musik schlägt leise in uns die Augen auf.« SPIELER und DIE NIBELUNGEN. Für Verbindungen zwi - schen Lang und Murnau sorgte der Produzent Erich dreht und galt als Regisseur von Weltrang. An jenem Pommer. Und: es waren die Inflationsjahre – die deut - Märztag war Charles Chaplin gerade in Berlin zu Be - sche Filmkunst florierte mehr als die Wirtschaft. such. Am Abend hörte er während einer Varieté- Emil Jannings war der Hauptdarsteller in drei Murnau- Vorstellung von Murnaus Tod. Überliefert ist sein Kom - Filmen Mitte der 1920er Jahre: DER LETZTE MANN, mentar: »Er war einer der besten Männer, die Deutsch - TARTÜFF und FAUST. Die Tragikomödie um einen al - land nach Hollywood entsandt hat. Ich kann das ternden Hotelportier, der zum Toilettenmann degradiert Schreckliche noch gar nicht fassen.« wird, gilt als Murnaus Meisterwerk. Willy Haas schrieb Am 19. März fand eine kleine Trauerfeier in Hollywood nach der Premiere enthusiasmiert und Goethe variie - statt. Dann wurde Murnaus Leichnam nach Deutsch - rend: »Kinder, von hier und heute beginnt eine neue land überführt und am 11. April 1931 auf dem Stahns - Epoche in der Geschichte der Kinematographie.« Der dorfer Waldfriedhof zu Grabe getragen. Fritz Lang Film war auch in Amerika erfolgreich. Die Molière- sprach damals Gedenkworte am Sarg: »Er trat – stets Komödie vom Erbschleicher Tartüff erweiterte Murnaus guter Laune und verbindlich lächelnd – mit weit aus - Drehbuchautor Carl Mayer um eine Rahmenhandlung greifenden Schritten ins Atelier und verbreitete schon aus dem Filmmilieu, die Haupthandlung verlegte er ins durch seine bloße Anwesenheit Arbeitslust und Elan. Preußen des Alten Fritz. »Eine deutsche Volkssage« war Wirkend wie ein gutsituierter Herr aus großem Hause, der Untertitel zum FAUST-Film mit Gösta Ekman als Ti - der sich aus bloßer Neugier mit der Materie ›Film‹ wie telfigur, Jannings als Mephisto und Camilla Horn als zur Zerstreuung befasst, war er im Gegenteil ein zäher Gretchen. Ein Lichtspiel und ein Schattenspiel. Eric und intensiver Arbeiter; denn hinter seinem saloppen Rohmer hat darüber seine Dissertation geschrieben. Charme stand verbissene Energie, die er aber nie Als FAUST im August 1926 in Berlin uraufgeführt merken ließ. Wenn einmal Jahrzehnte vergangen sein wurde, war Murnau schon in Amerika. Dorthin hatte ihn werden, dann wird man wissen, dass hier ein Pionier William Fox, der Chef des großen Fox-Studios, mit mitten aus dem Schaffen abtrat, dem der Film die ei - einem Vierjahres-Vertrag gelockt. Nur seinen ersten gentliche Basis verdankt, sowohl in künstlerischer wie Film, SUNRISE, nach der Erzählung »Die Reise nach in technischer Beziehung. Er erkannte, dass der Film Tilsit« von Hermann Sudermann, konnte Murnau ohne weit mehr als die Bühne das Leben als Gleichnis darzu - Eingriffe des Studios drehen, dann wurden ihm die stellen berufen ist – denn alle seine Werke waren ei - kommerziellen Erwartungen der Produzenten und der gentlich in Bildform vorgetragene Balladen. Mit dem rasche Wechsel vom Stummfilm zum Tonfilm zum Ver - Wunsch und der Mahnung, der Hingeschiedene möge hängnis. Man nahm ihm bei THE FOUR DEVILS (der als Beispiel für alle ernsthaft Schaffenden weiter fort - Film ist leider nicht erhalten) und bei CITY GIRL (Dreh - wirken, mit dem Begrüßungswort der Südseeinsulaner u a n buch: Berthold Viertel) die Fertigstellung aus der Hand. ›Alo ha’Oe Murnau‹.« (zitiert nach Robert Herlth und r Es wirkt wie eine Flucht aus der Realität, dass Murnau Lotte H. Eisner). u M ) t dann ein Projekt auf einer Süd - m l u H e t i seeinsel realisierte: TABU, be - h l i m ( u gonnen mit dem Dokumentaris - W a n h ten Robert Flaherty, nach einem r c u i M r Streit mit dem Co-Regisseur d m l e e i h r l allein zu Ende geführt. Diese i F W Liebeserklärung an eine ferne h c i r Kultur war für Frieda Grafe d 73 e i r F »eine Kosmogonie des Ki nos: , n die Entstehung seiner Formen a m k e aus gleißenden, glitzern den a t s Wasseroberflächen.« Die Pre - ö G : miere von TABU hat Murnau T S U A nicht mehr erlebt. F u z Am 11. März 1931 starb er n e t i nach einem Autounfall in Santa e b r a Barbara, Kalifornien. Er war 42 h e r Jahre alt, hatte 21 Filme ge - D Im Murnau-Buch der Deutschen Kinemathek zur Retro - spektive 2003 schrieb Thomas Koebner im Schlussab - satz seines Essays: »Im Kern war der ›romantische Preuße‹ Murnau ein Elegiker : ein Erzähler vom verlore - nen Paradies, vom verlorenen Glück, dessen Wieder - kehr oder schwache Spiegelung – wenn es überhaupt dazu kommen sollte – er selbst ironisch brach (DER LETZTE MANN) oder nur nach einer Beinahe-Katastro - phe gewährte (SUNRISE). Außenseitern gehörte seine Sympathie und seine Einfühlung: den Verlierern und An - geprangerten, den Einfältigen und den Mutigen, auch den Schönen (gerade in seinem Spätwerk), die offen - sichtlich den Neid der Götter erregen. Wer sich auf seine Filme einlässt, erspürt alsbald eine unvergleichli - 81 min | viragiert | Der Augenarzt Eigil Börne verlässt che Stimmung von leiser, dennoch nachhaltiger Innig - seine Verlobte für die Varieté-Tänzerin Lily. Doch Lily keit und diskreter Trauer, von Lebhaftigkeit und Bedau - fühlt sich zu einem Maler hingezogen, den Börne von ern, von unaufdringlichem Mitleid für seine Figuren, seiner Blindheit geheilt hat. »Murnaus Variante von versetzt mit kleinen Blitzen eines weichen Humors, Sternbergs Verfilmung des ›Professor Unrat‹, das einer milden gelassenen Heiterkeit.« (Friedrich Wilhelm Ganze ins Mythologische überhöht und mit Elementen Murnau. Ein Melancholiker des Films. Berlin 2003) des Zombiefilms gekreuzt. Wenn man den Film ge - Er war einer der Großen des deutschen Films, beein - nauer ansieht, lehrt er in seinen großen Momenten flusst von Malerei, Literatur und Schauspiel. Sein Bei - nicht die abgedroschenen Weisheiten eines filmhistori - trag zur Entwicklung einer spezifischen Filmsprache ist schen Kanons, sondern etwas ganz anderes: Dann früh erkannt worden. Er arbeitete mit den besten Kame - sieht man auch, dass in den Abgründen der düsteren raleuten seiner Zeit zusammen: Fritz Arno Wagner, Karl Filmgenres zumeist ein tieferes Wissen über die Freund, Carl Hoffmann, Charles Rosher, Ernest Palmer, menschliche Psyche haust.« (Dominik Graf) Gezeigt Floyd Crosby. Die prominentesten Schauspieler drängte wird erstmals eine neu rekonstruierte Version des Film - es in seine Filme. Und für viele Nachgeborene in museums München, ausgehend vom Originalnegativ.
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