Das Buch Sie waren zeitlebens das hässliche Entlein der Populärkultur, vernachlässigt von den Medien und dem Mainstream, bevor man sie posthum zum generationsübergreifenden Kult erklärte, mitsamt ihrer Musik, ihrem Logo und ihrem Look. 22 Jahre tourten die Ramones durch die Clubs der Welt, veröfentlichten 14 Studioalben, verfassten zeitlose Hymnen wie »Sheena Is A Punkrocker« und infizierten auf ihrem arbeits- und fehdenintensiven Pfad zum erlösenden Hit unzählige Kids, die sich ihrer Gang nicht nur anschließen wollten, sondern ihre Idole schon bald überrundeten: von The Clash und den Sex Pistols über Black Flag und Dead Kennedys bis zu U2, Sonic Youth, Metallica oder Green Day. Auch Flo Hayler kettete sich an den Tour-Trek der Ramones. Zwischen 1990 und 1996 sah er das Quartett dutzendfach live, lernte dabei Crew- und Bandmitglieder kennen. Als Tribut an die »Fast Four« eröfnete er 2005 das weltweit erste und einzige Ramones Museum, das sich zur Pilgerstätte für Musikfans aus aller Welt entwickelte. Seine Geschichten und Anekdoten mit, von und über die New Yorker Punk-Ikonen sind in diesem Band enthalten, ergänzt durch hunderte Fotos und Dokumente aus der aktiven Karriere der Band. Der Autor Flo Hayler, aufgewachsen in Helmstedt, kommt 1986 mit Punk in Berührung. 1990 sieht er die Ramones zum ersten Mal live, was sein Leben verändern wird. Jahrelang fährt er ihnen auf Konzerten hinterher und wird zum Sammler. 2005 eröffnet er das weltweit erste Ramones Museum in Berlin. Nebenher war und ist er Radiomoderator bei Radio Fritz (RBB), Redakteur bei unclesally*s und ARD Text und Autor für VISIONS. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröfentlichung verweisen. Unter www.heyne-hardcore.de inden Sie das komplette Hardcore-Programm, den monatlichen Newsletter sowie alles rund um das Hardcore-Universum. Weitere News unter www.heyne-hardcore.de/facebook Verlagsgruppe Random House FSC® N001967 Copyright ©2018 by Flo Hayler Copyright ©2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Lars Zwickies Bildredaktion: Erik Weiss Design: Ta-Trung, Berlin (Pierre Becker, Johanna Goldmann) Vorsatzfotograien ©Danny Fields Nachsatzfotografien ©Stefan Ahbeck Satz: Ta-Trung, Berlin Druck und Bindung: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh Printed in Germany ISBN: 978-3-453-27051-0 www.heyne-hardcore.de 8 California Über Alles 287 Mehr Mittel als Zweck 19 Lektionen in Demut 294 Goldene Zeiten 26 Pink House of Horror 302 Lasst die Spiele beginnen 32 Wir können alles, und alles können wir sein 306 Nur über meine Leiche 44 Die Juwelen von Queens 320 Das Ende der Unschuld 62 Positive Diskriminierung 336 Kauf mich 72 Kein Country für junge Männer 342 Ruhe sanft 82 Irgendwas ist immer 354 And the chicks for free 96 Hey, weißer Junge, was machst du in Uptown? 362 Welcome to the Jungle 102 Auf Schicht in Radio City 374 Zu alt, um jung zu sterben 114 Kauft Klebstof – die Ramones kommen 390 Alles auf Anfang 136 Der Adler ist gelandet 408 Die Letzten ihrer Art 150 E pluribus unum 430 Verschwende deine Zeit 162 Wer zuletzt lacht 454 Zwischen den Welten 170 Es ist wohl besser, jetzt zu gehen 468 In the Army Now 180 Besuchen Sie Europa 486 Der Schöne und das Biest 192 Pantone 806 506 Endlich normale Leute 204 Frohes Neues 536 Spuckis gegen Sticker-Tipper 216 Schon mal das Gefühl gehabt, betrogen worden 554 Macerata oder Mailand, Hauptsache Italien zu sein? 568 Aber hier leben? Nein danke. 226 Die sieben Leben des Johnny Blitz 578 Die Akropolis sehen und sterben 234 Vier minus eins macht vier 594 Berlin, Endstation. 246 Wedding ist überall 600 Freunde fürs Leben 254 Alle gegen alle 612 Sie nannten ihn Blondie 262 Wir sind keine Schüler, wir sind die Ramones 626 So lange Johnny Thunders lebt 267 Hey, Pizza 637 Danksagung 282 Verkleidet in der letzten Reihe 638 Bildnachweise 7 1.01 Das Palace in der Vine Street von Los Angeles ist der Aus- tragungsort des letzten Ramones-Konzertes am 6. August 1996. (Hollywood Photo graphs) 8 1.02 1.03 1.02 Anzeige für die bevorstehenden Konzerte im Billboard Live, einem neuen Club am Sunset Boulevard. Die darauf angekündigten Auftritte der Ramones und von James Brown wurden verlegt oder verschoben – der Laden ist nicht rechtzeitig fertig geworden. 1.03 Unbenutztes Ticket für die letzte Ramones-Show im Billboard Live, die ins Palace an die Vine Street verlegt werden musste. 9 Riki Rachtman hat schon bessere Tage gesehen. Damals, vor vier Jahren, als der Gast- geber von Headbangers Ball noch wöchentlich die größten Stars der Hard-Rock- und Metal-Szene im MTV-Studio begrüßte und als Gegenleistung zu deren Partys und Video- drehs eingeladen wurde. Heute, am 6. August 1996, ist vom Fame des Fernsehstars nicht mehr viel übrig. Heute steht Riki Rachtman als Moderator des Radiosenders KLSX-FM auf einem staubigen Parkplatz am Sunset Boulevard und lässt in der sengenden Mittags- hitze ein paar Teenager gegenseitig ihre Mütter beleidigen. Derjenige, der dabei die nieder trächtigsten Worte für die Mami seines Gegenübers indet, bekommt von Racht- man zwei Eintrittskarten für das abendliche Konzert der Ramones, »das letzte«, wie er ohne Unterlass in sein Mikro labert, was den Kandidaten aber ziemlich egal ist. Für sie geht es um nichts anderes, als zur besten Sendezeit ihr jahrelang angestautes Arsenal an Fäkalvokabular und Beleidigungen unter die Gürtellinie ihres Gegners feuern zu dürfen. Ungestraft, ungehemmt, unzensiert und natürlich: live. Kurz nachdem eine womöglich sehr liebevolle, fürsorgliche und nette Mutter zur hässlichsten, fettesten, ärmsten, stinkendsten, kleinsten und bärtigsten Frau der Nation erklärt wurde, quatschen wir dem Sieger, der gerade unter tosendem Applaus der Kampfarena entstiegen ist, die Ramones-Tickets ab – im Tausch gegen einen Fünfzig-Dollar-Schein. Dabei klopfen wir dem Knaben anerkennend auf die Schulter, faseln irgendwas von »sowieso nichts verpasst« und machen uns aus dem Staub. Na dann: tschüss, ihr Idioten. »Sorry, Mann, das Konzert wurde verlegt«, sagt der mit lila Kurzhaarfrisur ge- segnete Mitarbeiter des Billboard Live, während Rachtman nebenan noch immer Mütter beleidigen lässt – mittlerweile allerdings für Konzertkarten von Soul Asylum. Die Ramones würden heute nicht hier auftreten, sondern in einem anderen Club, »nur ein paar Blocks weiter«, sagt er und reicht uns einen Flyer aus dem Stapel in seiner Hand. Die billige Kopie eines Zettels, auf den jemand mit schwarzem Filzstift so etwas wie einen Stadtplan gezeichnet hat, als Anfahrtsskizze zum Palace. Den Laden könne man nicht verfehlen, sagt der Lilamann. Er läge gleich gegenüber des berühmten Capitol- Records-Gebäudes an der Vine Street, jenes legendären Büroturms, der sich seit 1956 als architektonisches Wahrzeichen in den blauen Himmel von Los Angeles bohrt. Als wir nach etlichen endlosen Meilen unser Auto endlich vor dem Palace parken, sind wir neben einer Handvoll japanischer Fans ofensichtlich die ersten Gäste, die nicht wegen der Hot-Dog-Bude nebenan hier sind. Vor der Halle werden Scheinwerfer und Kabel aus einem Truck geladen. Ein Mann mit Handkamera ilmt die pittoreske Fassade des Ladens, in dem zweiunddreißig Jahre zuvor die Rolling Stones auftraten, anmoderiert von einem gelangweilten Dean Martin. Von Legenden dieses Kalibers ist heute aber nichts zu sehen. Noch nicht. Das Einzige, was bisher hier rollt, sind die Schweißperlen auf der Stirn der Filmcrew, die kistenweise Equipment in die Halle schiebt. Wir setzen uns in den Rinnstein und warten. 10 1.04 1.05 1.04 / 05 Während ein Billboard-Live-Mitarbeiter dem Deutschen den Weg zum Palace erklärt, drücken die Ramones ihre Hände in den Zement des »Rock Walk« am Sunset Boulevard. (Marc Zibirre / Warren Cohen) 11 Man sieht nur noch das Weiße in ihren Augen. Schwer zu sagen, auf welche Reise ihr Gehirn sie geschickt hat, aber der entrückten Gri- masse und den zuckenden Bewegungen nach zu urteilen hat das Mäd- chen entweder Probleme neurologischer Art oder die Blutbahn voll MDMA. Während sie sich auf den Händen der anderen Konzertbesu- cher um die eigene Achse dreht, quillt Spucke aus ihren Mundwinkeln, ihre Beine treten Löcher in die Luft und ihre Hände würgen einen nicht vorhandenen Gegner. Toll sieht sie aus. Wie eine Fee im Kampf ge- gen die eigenen Dämonen. Dreiundneunzig Sekunden dauert ihr Trip, danach wird sie mit dem letzten Takt von »Wart Hog« im Fotograben entsorgt – abgekippt wie eine Ladung Schutt, mit dem Gesicht voran. Die schöne Fremde ist nicht die Einzige, die heute Abend ihren ganz eigenen Film fährt. Sie ist eine der etwas mehr als tausend Anwe- senden, die nicht aussehen wie das Publikum eines Ramones-Kon- zertes, sondern eher wie Statisten einer Kinoproduktion. Hindrapiert, als Teil einer Inszenierung, zusammenchoreograiert für das große 1.06 Finale der Ramones und damit für einen Auftritt, den man am liebsten dauerhaft aus seiner Erinnerung streichen möchte. Nicht so sehr aus nostalgischen Gründen oder wegen der einsetzenden Phantomschmerzen, sondern aus Fremdscham und der Befürchtung, diese Show könnte die Erinnerung an das trüben, was ein echtes Ramones- Konzert ausmacht: jenes spannungsgeladene, aufgeregte Brodeln im Pub- likum, wenn das Saallicht erlischt und von der Bühne vier säulenartige Lichtkegel in Richtung Hallendecke emporsteigen, vorbei an dem Backdrop mit dem Ramones-Logo, das über
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