Hans Peter Herrmann Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit Der »Fall Eggebrecht«, die Universität Freiburg und die Etappen deutscher Erinnerungspolitik 1957-2005 in memoriam Joachim W. Storck Der Anstoß zu diesem Aufsatz kam von der Podiumsdiskussion des Studium generale zum »Fall Hans Heinrich Eggebrecht« am 9. Juli 2010.1 Sie hatte Klarheit bringen sollen über Eggebrechts Tätigkeit im »Dritten Reich«, immerhin war wieder einmal ein Mitglied der bundesrepublikanischen Bildungselite tiefer in den Nationalsozialismus verwickelt und näher an einem seiner Verbrechen gewesen, als wir von ihm bisher wußten und er je erzählt hatte. Doch die Veranstaltung im voll besetzten Höraal 1010 der Universität verlief turbulent und polarisierte sich rasch, auf dem Podium und in der Zuhörerschaft. Die einen kämpften immer wieder empört gegen Boris von Hakens Behauptung, der 22jährige Soldat Eggebrecht habe 1941 aktiv am Judenmord von Simferopol teilgenommen; die anderen betonten die Bedeutung dieses Massakers auf der Krim und versuchten mehrfach, das Grundsätzliche an Eggebrechts Ge­ schichte in den Vordergrund zu rücken. Beide Positionen blockierten sich gegenseitig, eine Verständigung zwischen ihnen kam nicht zustande. Mich hatte die Heftigkeit irritiert, mit der an diesem Abend eine relevante Zahl von Akademikern den verstorbenen Kollegen, akademischen Lehrer und angesehenen Wissenschaftler verteidigte. Sie hatte mich an eine Podiumsdiskussion von 2002 über »Die Freiburger Medizin im Nationalsozialismus« erinnert (zu ihr später), als ein halber Hörsaal von — meist jungen — Medizinerinnen und Medizinern begeistert Beifall klatschte, sobald auf dem Podium etwas Entlastendes über das Handeln verstorbener Freiburger Medizinprofessoren im »Dritten Reich« vorgebracht wurde. Auch dort waren Teile der Zuhörerschaft vor allem daran interessiert gewesen, ehemalige Mitglieder der eigenen Institution gegen zweifelhafte Schuldvorwürfe zu verteidigen, und hatten damit verhindert, daß einläßlich über das NS-Herrschaftssystem selbst gesprochen wurde und daß die Verwicklungen in dieses System als ein historisches Problem sichtbar gemacht wurden, das alle anging. In beiden Veranstaltungen war nicht etwa der Nationalsozialismus verteidigt worden wie einst nach 1945. Im Gegenteil, der Nationalsozialismus drohte zu verschwinden. Er war bei vielen nur noch als ein vages Verhängnis präsent, abstrakt geworden durch 1 Zum Sachstand im »Fall Eggebtecht« s. »Stichworte zum Heft« S. 7-8. Ich gehe im Hinblick auf Eggebrechts Tätigkeit auf der Krim von den Untersuchungsergebnissen Friedrich Geigers aus: Friedrich Geiger, Quellenkritische Anmerkungen zum »Fall Eggebrecht«, Online-Publikation Hamburg 2010. URL: / [14.3.2012]. 75 die Identifikation mit einer angesehenen Person oder Wir-Gruppe, die vom Verdacht gereinigt werden sollte, an jenem Verhängnis mitschuldig gewesen zu sein. Verschwunden waren damit alle weitergehenden Fragen an das NS-System; verschwunden waren aus dem Blick aber auch diejenigen, um die es in den jeweiligen Situationen im »Dritten Reich« als Personen eigentlich ging: die russischen Juden zum Beispiel, die 1941 in Simferopol zu Tausenden umgebracht worden waren, oder die achtunddreißig jüdischen Mitglieder der medizinischen Fakultät, die 1933 unter stillschweigender Duldung ihrer Kollegen entlassen worden waren. Sie kamen in den hoch engagierten Verteidigungsdiskursen auf beiden Veranstaltungen nicht vor. Die Doppelerfahrung führte in meinen Augen zu grundsätzlichen Fragen. Woher kam und was bedeutete es, wenn individuelle Loyalitäten und kollektive Identifikationen derart den Blick auf die NS-Vergangenheit beherrschten? War das Verschwinden nationalsozialistischer Wirklichkeit aus dem Diskurs nur zufälliger Nebeneffekt momentaner, agonal bedingter Emotionalisierung oder diente die Heftigkeit berechtigter Schuldabweisung auch dem Zweck, eine inhaltliche Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zu vermeiden? Und, in historischer Perspektive: in welchem Verhältnis stehen heute solche situativen Eliminierungsmechanismen zu jener früheren »Vergangenheitsverdrängung« nach 1945, auf deren mühsame Überwindung die deutsche Gesellschaft mit Recht einigermaßen stolz ist? Es sind Fragen, die die Geschichtswissenschaft m.E. auch dann stellen und ausarbeiten muß, wenn sie sie nicht eindeutig beantworten kann. Sie hatten mich schon früher beschäftigt, als 2004 die NSDAP-Mitgliedschaft von Walter Jens, Peter Wapnewksi und anderen öffentlich verhandelt worden war und die Betroffenen, wie ich meine, ihr historisches Wissen an ihr individuelles Rechtfertigungsbedürfnis verrieten. Jetzt tauchten diese Fragen erneut und erweitert auf. Um ihnen nachzugehen, werde ich die beiden Freiburger Diskussionen in ihren zugehörigen Kontext stellen: die lange Geschichte des Umgangs der Freiburger Universität mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.2 3 Diese Geschichte ist in ihrem ersten Teil, dem Jahrzehnt nach 1945, gut erforscht.4 Doch für die Zeit nach 1957 gibt es bisher keine zusammenhängende Darstellung. Das war die Zeit, in der die Albert-Ludwigs-Universität damit konfrontiert wurde, daß der Nationalsozialismus nicht einfach vorbei war, sondern als traumatischer »Zivilisationsbruch« (Dan Diner) ein nicht auszulöschender Bestandteil ihrer Ge­ 2 Hans Peter Herrmann, »Rein« konnte im Dritten Reich niemand bleiben, in: Badische Zeitung, Freitag, 5.12.2003; ders., Sorge um Ehre und Anstand, in: Frankfurter Rundschau, 21.02.2004. Grundsätzlich zum Thema der erinnernden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, das im Zentrum dieses Aufsatzes steht: Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006. Kritisch zu Assmanns Konzept des »kollektiven Erinnerns« und zu anderen Positionen gegenwärtiger Erinnerungskultur: Elke Jureit, Christian Schneider, Gefühlte Opfer, Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010. Silke Seemann, Die politischen Säuberungen des Lehrkörpers der Freiburger Universität nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945-1957), Freiburg 2002; dies., Die gescheiterte Selbstreinigung: Entnazifizierung und Neubeginn, in: Bernd Martin (Hg.), Von der Badischen Landesuniversität zur Hochschule des 21. Jahrhunderts. 550 Jahre Albert- Ludwigs-Universität, Bd. 3., Freiburg/München 2007, S. 536-554. 76 schichte blieb. Es war die Zeit meist verdecktet, manchmal offener Auseinandersetzungen zwischen denen, die öffentlich danach fragten, was damals eigentlich geschehen war und wie es zu verstehen sei, und denen, die solches »Bohren in der Vergangenheit« für unnötig oder imageschädigend hielten. Beide wollten eine tragbare, zukunftsfähige Einstellung zu den »Nazijahren« gewinnen - unter entgegengesetzten Prämissen. Am Ende dieser Zeit, 2005, hat die Universität ein öffentliches »Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus« eingeweiht, mit breiter Zustimmung. Dahinter droht nun die lange, schwierige Vorgeschichte zu verschwinden. Wichtige Etappen sind schon vergessen, anderes wird falsch im kollektiven Gedächtnis der Universität — und der Stadt — aufbewahrt. Ich will deshalb versuchen, einen Überblick zu geben über die Auseinandersetzungen der Freiburger Universität mit dem Nationalsozialismus seit 1957. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft. Das Thema ist inzwischen — als »zweite Geschichte des Nationalsozialismus« — ein eigenes Aufgabenfeld der Zeitgeschichtsforschung geworden.5 Eine einzelne Universität ist unter diesem Gesichtspunkt meiner Kenntnis nach bisher nicht untersucht worden.6 Aus Zeitgründen und wegen der Sperrfrist auf wichtigen Personalakten geschieht dies im Folgenden mit einem begrenzten Anspruch auf Vollständigkeit und Eindringtiefe, doch mit dem Blick auf andere Universitäten und bundesrepublikanische Diskussionen. Dabei werde ich zuerst chronologisch über die Etappen der Freiburger Entwicklung berichten und diese dann zusammenfassend in den westdeutschen Rahmen stellen. Auch auf die Diskussion um Eggebrecht werde ich noch einmal zurückkommen. Wenn ich dabei von d e r Universität rede, so ist das keine willkürliche Konstruktion. Die Universität tritt in sprachlichen und symbolischen Handlungen, in Entschlüssen des Senats und Verlautbarungen des Rektoramtes als juristisches oder politisches Subjekt auf und hat als solches auch Positionen zum Nationalsozialismus bezogen. Mit geringerer Verbindlichkeit, aber auch als offizielle Stimme >der< Universität, haben die Freiburger Universitätsblätter, »herausgegeben im Auftrag des Rektors der Albert- Ludwigs-Universität«, gelegentlich Probleme der NS-Vergangenheit behandelt. Und unterhalb dieser beiden Ebenen gibt es das Studium generale als quasi halbamtliches Vortrags- und Veranstaltungsprogramm, mit dem die Universität Themen und Probleme ihres eigenen, vielfältigen Lebens und des Lebens >draußen< aufgreift, sofern 5 Peter Reichel [u.a.] (Hg.), Der Nationalsozialismus — Die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung, Erinnerung, München 2009. Früher schon, für die Zeit der Entnazifizierung: Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS- Vergangenheit, München 1996. 6 Materialien dazu in den neueren Arbeiten zu einzelnen Universitäten, in gegenseitiger Ergänzung verzeichnet bei: Bernd Martin, Martin Heidegger und das Dritte Reich<, Darm­ stadt 1989, S. 12, Anm. 29; Uwe Hoßfeld (Hg.), »Kämpferische Wissenschaft«: Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln [u.a.] 2003, S. 91, Anm. 30, und Jürgen Elvert/Jürgen Nielsen-Sikora (Hg.), Kulturwissenschaft und Nationalsozialismus, Stuttgart 2008,
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