Patriarchat in Der DDR Ursula Schröter Renate Ullrich Rainer Ferchland

Patriarchat in Der DDR Ursula Schröter Renate Ullrich Rainer Ferchland

Patriarchat in der DDR Ursula Schröter Renate Ullrich Rainer Ferchland Nachträgliche Entdeckungen in DFD-Dokumenten, DEFA-Dokumentarfilmen und soziologischen Befragungen 65 Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 65 Rosa-Luxemburg-Stiftung URSULA SCHRÖTER, RENATE ULLRICH, RAINER FERCHLAND Patriarchat in der DDR Nachträgliche Entdeckungen in DFD-Dokumenten, DEFA-Dokumentarfilmen und soziologischen Befragungen Karl Dietz Verlag Berlin Ursula Schröter, Renate Ullrich, Rainer Ferchland Patriarchat in der DDR Nachträgliche Entdeckungen in DFD-Dokumenten, DEFA-Dokumentarfilmen und soziologischen Befragungen (Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 65) Berlin: Karl Dietz Verlag 2009 ISBN 978-3-320-02210-5 © Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2009 Satz: Elke Sadzinski Umschlag: Heike Schmelter (unter Verwendung eines Fotos von Katja Worch) Druck und Verarbeitung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Printed in Germany Inhalt Vorwort 7 Ursula Schröter Die DDR-Frauenorganisation im Rückblick Zur Gründung des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) Frauenausschüsse erster Art 11 Das Wirkungsfeld des DFD. Frauenausschüsse zweiter Art 18 DFD West. Exkurs zu Lilli Wächter 31 Die 60er Jahre. Frauenausschüsse dritter Art 36 Weltoffenheit in der DDR 52 Einige Gedanken zum Schluss 58 Renate Ullrich Frauen in DEFA-Dokumentarfilmen Vorbemerkung 64 Wo sind die Frauen? 66 Frauen in DEFA-Dokumentarfilmen 80 Wäscherinnen, Köchinnen, Näherinnen und eine Trümmerfrau 96 Einige Gedanken zum Schluss 114 Rainer Ferchland Von der Endzeit- zur Umbruchsituation Gender-Aspekte 1987/88 und 1990 in der DDR Vorbemerkungen 120 Schlaglicht 1981: Die Untersuchung P81 121 Die Untersuchung SD87 128 Die Untersuchung IU88 157 Die Untersuchung UF90 170 Einige Gedanken zum Schluss 180 Nachbetrachtungen 185 Autorinnen und Autoren 186 Vorwort Warum noch einmal sozialistisches Patriarchat? Nachdem im Jahr 2005 unsere nachträglichen Entdeckungen in DDR-Forschungs- ergebnissen unter dem Titel »Patriarchat im Sozialismus?« erschienen waren, stellten wir sehr unterschiedliche Reaktionen fest. Innerhalb der kritischen Stim- men waren die Reaktionen zuweilen sogar gegensätzlich. So hörten wir zum ei- nen die erstaunte, nicht selten auch unwillige Frage, überwiegend von Leserinnen, warum der Titel mit einem Fragezeichen versehen ist. Der patriarchale Charakter des DDR-Staates sei schließlich unumstritten und durch die vorgelegte Analyse ja auch auf spezifische Weise bestätigt. Zum anderen fand die Publikation offen- sichtlich auch Leserinnen und Leser, die sich durch den von Vornherein postulier- ten Zusammenhang zwischen DDR-Sozialismus und Patriarchat betroffen oder gar verletzt fühlten, auch wenn der Zusammenhang als nachfragenswert einge- stuft wird. Meist wurde in solchen Debatten auf die gegenwärtige deutsche Ge- sellschaft und deren frauenfeindliche Defekte verwiesen. Das Fragezeichen im Ti- tel unserer Publikation empfanden demnach die einen als überflüssig, während es die anderen als wichtigste Botschaft lasen. Daraus schließen wir: Der patriarchale Charakter des DDR-Staates ist bis heute sehr wohl umstritten, ist möglicherweise heute umstrittener, weil mehr im Bewusst- sein als in den 40 DDR-Jahren. Wir hatten das auch reflektiert und die Frage nach dem Patriarchat mit »Ja, aber …« beantwortet: Patriarchat ja, aber ein anderes als das kapitalistische (Schröter, Ullrich 2005: 141). Insofern ist die gegenwärtige deutsche Gesellschaft hier nicht unser Thema. Wir kommen nur dann auf sie zu sprechen, wenn der Vergleich zwischen sozialistischem und kapitalistischem Pa- triarchat zur Durchsichtigkeit dieses »Ja, aber …« beitragen kann. In erster Linie geht es uns jedoch um Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit, so wie wir sie heute aus authentischen DDR-Dokumenten ableiten können. Es geht uns inso- fern um ausgewählte Aspekte der Geschlechterpolitik bzw. der Geschlechterver- hältnisse unter DDR-Bedingungen. Unser ungebrochenes Interesse am sozialistischen Patriarchat ist zumindest zweifach zu begründen. Zum einen sehen wir auf diese Weise eine Möglichkeit, uns in die gegenwärtige Debatte um den gelungenen oder weniger gelungenen Vereinigungsprozess in Deutschland einzufügen. In ihrem Bericht zum Stand der deutschen Einheit 2008 bekennt sich die Bundesregierung »weiterhin unein- geschränkt zur Überwindung der teilungsbedingten Unterschiede ... zwischen Ost und West«. Das halten wir zunächst für eine gute Nachricht. Werden doch auch 20 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland in sozial- wissenschaftlichen Studien und auch in regierungsamtlichen Sozialberichten noch 7 sehr stabile Ost-West-Unterschiede in Wertorientierungen, Verhaltensweisen und Lebensplänen identifiziert. Wenn beispielsweise im ersten Gender-Datenreport von 2005, vom Deutschen Jugendinstitut e. V. erarbeitet, die Ost-West-Differenz als eine der beiden großen Differenzierungslinien im gegenwärtigen Deutschland bezeichnet wird (Gender 2005: 15) oder wenn im Jahrbuch Gerechtigkeit (Kirch- licher 2007), von 31 kirchlichen Institutionen herausgegeben, auch noch für das Jahr 2007 ein deutlicher »Riss zwischen Ost und West« konstatiert wird, dann er- weist sich ein gründlicher Blick zurück als unumgänglich. Unumgänglich und (wie wir hoffen) auch politisch ertragreich, weil aus unserer Sicht die nachweis- baren Ost-West-Unterschiede in den Einstellungen und Verhaltensweisen – ge- rade in den familiären Entscheidungen – nicht generell als östliche Defizite ge- genüber der westlichen »Norm« zu werten sind, sondern partiell nach wie vor auch als Zukunftspotenziale für Deutschland (Hradil 1995). Wohlgemerkt, hier ist nur die Rede von den teilungsbedingten Unterschieden, von den Unterschieden, die den Blick auf die beiden Vergangenheiten rechtfertigen, nicht von den bei- trittsbedingten. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass es der etablierten Politik in Deutsch- land in den nächsten 20 Jahren besser als in den vergangenen gelingen möge, ak- tuelle gesellschaftliche Probleme auf ihre tatsächlichen Ursachen zurückzuführen. Offensichtlich erwies sich bisher die Frauen- und Familienpolitik der DDR als besonders geeignet für fragwürdige Kausalbeziehungen. So wurde in den 90er Jahren sehr oft und nicht nur in Talk-Shows die überdurchschnittlich hohe öst- liche Arbeitslosigkeit mit der »ungebrochenen Erwerbsneigung« ostdeutscher Frauen in Zusammenhang gebracht. Später galt die vermeintlich fehlende Freiheit in DDR-Kindergärten, z. B. der »Töpfchenzwang«, als eine der Ursachen für wachsenden Rechtsradikalismus. Und neuerdings wird in den Medien das er- schreckend hohe Maß an Kindestötungen mit dem vergleichsweise großzügigen Abtreibungsrecht der DDR in Verbindung gebracht. Zum anderen vermuten, hoffen wir, dass kommende Generationen sich sowohl für den Chancenreichtum als auch für die Grenzen der Geschlechterpolitik im er- sten deutschen Sozialismusversuch interessieren werden. Insofern geht es uns auch darum, eine der Ursachen für das Scheitern dieses Versuches zu markieren. Dabei können und wollen wir uns nicht in die gegenwärtige Geschichts- Debatte um Patriarchat und Matriarchat bzw. um geschlechtergerechte Gesell- schaftsformen einmischen. Plausibel erscheint uns aber, dass »das Patriarchat als ein System sozialer Beziehungen ein Produkt der historischen Entwicklung ist und also auch durch historische Prozesse beendet werden kann« (Lerner 1991: 23). Wie es dazu kam, welche historischen Ereignisse und Prozesse zur sozialen Zweitrangigkeit von Frauen führten, ob es überhaupt richtig ist, von einer sozia- len Zweitrangigkeit zu sprechen, ob nicht vielmehr weibliche Lebensprinzipien, die sich besonders deutlich in der Folge politischer Katastrophen zeigen, die letzt- lich dominierenden und umfassenden sind – solche Fragen überlassen wir den 8 HistorikerInnen, mehrheitlich Historikerinnen. Wenn im jüngsten Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, das ausschließlich westliche Frauenerfah- rungen und insofern ausschließlich das kapitalistische Patriarchat reflektiert, fest- gestellt wird, dass letztlich alle Definitionen von Patriarchat auf soziale Ungleich- heit und asymmetrische Machtbeziehungen verweisen (Cyba 2004: 13), dann können wir allerdings eine solche grobe Charakterisierung auch für das sozialisti- sche Patriarchat beanspruchen. Auch in der DDR wurde Frauenarbeit geringer ge- wertet, letztlich geringer bezahlt als Männerarbeit. Auch in der DDR waren Frauen materiell ärmer als Männer. Auch in der DDR waren die höchsten Lei- tungsfunktionen von Männern besetzt. Gleichzeitig waren auch in der DDR, mehr noch in der ersten Zeit nach ihrem Zusammenbruch, Persönlichkeitsdeformierun- gen und Selbstmorde überwiegend Männerprobleme. Wir greifen also unser Thema »Patriarchat im Sozialismus?« erneut auf und versuchen – nun auf der Grundlage anderer Quellen – die bereits gefundenen Aus- sagen und Vermutungen weiter zu präzisieren. Welche Fakten sprechen für patri- archale und damit zukunftsuntaugliche gesellschaftliche Verhältnisse, welche Fakten mildern (für wen) diesen Befund? Damit verfolgen wir das Ziel, den empi- rischen Fundus anzureichern und so die theoretische Verallgemeinerung zu er- leichtern. Als empirische Grundlagen dieser neuerlichen Analyse haben wir – zum ersten DFD-Dokumente und damit verbundene offizielle DDR-Unterlagen, vor allem aus den ersten beiden DDR-Jahrzehnten (Ursula Schröter), – zum zweiten DEFA-Dokumentarfilme (Renate Ulrich), – zum dritten Befragungsergebnisse, überwiegend aus den 80er Jahren, (Rainer Ferchland) ausgewählt. Auf diese Weise bilden wir im Vergleich

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