SWR2 Musikpassagen

SWR2 Musikpassagen

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 Musikpassagen Anspruchsvoll, nicht elitär Der Dresdner Komponist, Produzent und Musiker Sven Helbig Von Bernd Gürtler Sendung: Sonntag, 3. Dezember 2017, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2017 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Die SWR2 Musikpassagen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Und heute, anspruchsvoll, nicht elitär. Sven Helbig, der Dresdner Komponist, Produzent und Musiker steht auf dem Programm der nächsten Stunde. Es gibt ein Interview und Musik, viel Spaß beim Zuhören wünscht Bernd Gürtler. SVEN HELBIG: Abendglühen (2:32) CD/01 Sven Helbig wird 1968 im brandenburgischen Eisenhüttenstadt geboren, damals noch Hoheitsgebiet der DDR und alles andere als eine Kulturmetropole. Nicht das Elternhaus lässt ihn zur Musik finden, auch nicht die Schule oder beste Schulfreunde. O-Ton: (deutsch) Ich habe als Junge im Alter von dreizehn, vierzehn angefangen Radios zu basteln, das war mein Hobby. Mein Opa sammelte Radios, er hatte in jeder Ecke eins stehen, und ich habe die mit großer Lust, als ich noch kleiner war, auseinandergenommen, für Unfrieden gesorgt. Die Reichweite der Radiobasteleien aus Teenagertagen ist äußerst gering, der Erlebnisgewinn umso größer. Empfangbar nachts heimlich unter der Bettdecke, grade mal die Mittelwelle mit Radio DDR Eins, zu später Stunde ein reines Klassikprogramm. O-Ton: (deutsch) Und dort habe ich meine ersten Opernarien gehört, meine ersten Orchesterwerke, ohne zu wissen, was das ist, aber das war so intensiv! Das war heimlich, das war selbstgebastelt. Das habe ich aufgesogen, das war meins, weil es nämlich in meiner Familie nicht gehört wurde. Es wurde schon Musik gehört, aber Orchestermusik gab es in meinem Freundeskreis nicht, in meiner Familie kaum, meine Oma hörte ein bisschen Operette. Aber das war eine merkwürdige verklärte Welt, die kam da durch meinen Ohrhörer, den ich mir ans Ohr pressen musste. Dann musste ich immer mal den Ferritkern in der Spule drehen, wenn es knisterte. Dann kam meine Mutter rein, dann musste ich es verstecken. Fast zwangsläufig bei dieser Vorgeschichte, sein Studium an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Nebenher spielt er in einer Jazzcombo Schlagzeug, entdeckt die elektronische Musik, HipHop, Rock und Pop für sich. Ein Markstein seiner Karriere wird das Album "Mein Herz brennt" mit Orchesterfassungen von Songs der Berliner Rockformation Rammstein. Torsten Rasch ist der Komponist, Sven Helbig der Produzent. Der Klangkörper, der zum Einsatz kommt, das sind die Dresdner Sinfoniker, deren Mitbegründer Sven Helbig gemeinsam mit Markus Rindt gewesen ist. TORSTEN RASCH: Herzeleid II (4:29) CD/02 Sven Helbig ist in diversen Stilgattungen zu Hause und verbindet die unterschiedlichen Einflüsse zu einer Musik von bemerkenswerter Eigenständigkeit. Ist das Klassik? Vielleicht, das Popsongformat jedenfalls entspricht ihm auch sehr. O-Ton: (deutsch) Ich liebe gut geschriebene Songs, und die sind dreieinhalb, vier Minuten in der Regel lang. Natürlich gibt es auch längere und kürzere, das wissen wir. Aber dieses 2 Format, ein Thema für die Strophe, ein Thema für den Refrain, eine Bridge dazwischen, vielleicht ein C-Teil, eine Modulation. Das hat mich geprägt. Außer mit Rammstein entwickelt sich eine enge Zusammenarbeit mit den Pet Shop Boys. Sven Helbig schreibt dem britischen Elektroduo Orchesterarrangements und lernt im Gegenzug etwas über die wahre Raffinesse eines Popsongs von den beiden. O-Ton: (deutsch) Da erinnere ich mich an die Worte von Neil Tennant, der zu mir mal gesagt hat in einer Produktion, dass es gut ist, wenn ein Popsong ganz am Ende noch mal ein neues Thema bringt. Damit man das Gefühl hat, der entwickelt sich noch, nur man selbst geht raus aus dem Song nach dreieinhalb Minuten, aber der Song geht eigentlich vielleicht weiter. Man hat nicht das Gefühl, der tritt sich tot und hoffentlich ist es bald zu Ende, jetzt können wir mal das nächste machen. Sondern es geht immer weiter, immer weiter, und dann kommt oft in den letzten acht Takten noch mal eine neue Melodie, die vorher noch gar nicht aufgetaucht ist. Ich habe festgestellt, dass das mein Denken ist. Für mich ist ein Gedanke nach dreieinhalb Minuten erzählt. Nicht, dass ich die lange Form ablehne, die genieße ich auch sehr. Ich gehe gern ins Konzert, nehme auch gern die Partituren mit und gebe mich dieser Fülle hin. Wenn ich selbst schreibe, kommt das aber immer wieder durch, dieses Songdenken. Mit den Pet Shop Boys wurden mehrere Projekte realisiert. Das Orchesterwerk "A Man From The Future", eine Hommage an das britische Mathematikgenie Alan Turing. Die Ballettmusik "The Most Incredible Thing", und davor ein Soundtrack zu Sergei Eisensteins Stummfilmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin". Die Premiere fand 2004 auf dem Londoner Trafalgar Square statt, eine weitere spektakuläre Aufführung auf der Prager Straße in Dresden. Anlass ist die 800-Jahrfeier der sächsischen Elbmetropole gewesen. Erneut dabei, die Dresdner Sinfoniker. TENNANT/ LOWE: Comrades! (3:52) CD/01 TENNANT/ LOWE: Men And Maggots (3:30) CD/02 TENNANT/ LOWE: Our Daily Bread (1:30) CD/03 2013 erscheint sein erstes Soloalbum, "Pocket Symphonies", mit Orchesterkompositionen in Songform. Gedacht für unterwegs in der U-Bahn vielleicht, von Sven Helbig selbst so empfohlen. Das traf nicht unbedingt den Nerv eines jeden Kritikers, den Komponisten wiederum irritiert das Unverständnis. O-Ton: (deutsch) Wo ich lebe, dort ist Musik, und ich lebe ja nicht im Konzertsaal. Ich lebe auch nicht im Stereokreuz. Weiß nicht, was man sich da aufregt. Der Alltag ist heute von Musik durchdrungen, bis in den letzten Winkel und nicht mehr derselbe Alltag wie vor Jahren noch. Der moderne Komponist wird sich daran orientieren. O-Ton: (deutsch) Ich beurteile das aus dem Leben, das ich lebe. Ich habe einen Freundeskreis, ich habe Familie, und da sind dann auch wieder Freunde von Freunden. Das ist ein großer Biotop, in dem ich mich bewege, und für den schreibe ich Musik. Ich finde, das ist das natürlichste von der Welt. Und die Leute bewegen sich und haben kurze 3 Frequenzen in dem was sie tun. Wo es toll ist, wenn dazwischen ein Lied passt. Daran ist überhaupt nichts Verwerfliches, Musik zu schreiben für diese Momente. Meinetwegen, wenn man auf eine U-Bahn wartet. Ich hatte das damals so salopp gesagt, das fällt mir jetzt auf die Füße. Aber warum nicht, ich liebe das, wenn jemand in der U-Bahn sitzt und hat den Kopfhörer auf und hört einen Track, der genau dreieinhalb Minuten ist, bis zur nächsten Station. Und die Bilder, die er sieht, sind die Bilder zu dieser Musik, weil ich mit der Musik meine heutige Zeit reflektiere. Das verschmilzt zwangsläufig, das ist ein wunderbarer Prozess. Vorausgehen sollte den "Pocket Symphonies" unter anderem noch das Album "Frei" der Dresdner Rockformation Polarkreis 18. Sven Helbig ist der Produzent und besorgt die Orchesterarrangements. POLARKREIS 18: All That I Love (3:24) CD/03 Orchestermusik muss entsprechend beschaffen sein, wenn sie im Alltag bestehen soll. Schon wegen der Umgebungsgeräusche. Sven Helbig hat das sehr wohl bedacht bei seinen "Pocket Symphonies". O-Ton: (deutsch) Deswegen habe ich es so produziert, dass es auch funktioniert. Das heißt, die Orchestermusik, erst mal muss sie laut sein. Wenn man Klassikradio hört, ist das immer so, dass das völlig abfällt gegen alles, was rechts und links auf der Skala da war. Also habe ich es sehr laut gemischt, so wie man das im Film macht. Flüstern ist da nicht leise, sonst würde man es nicht hören, und schreien ist nicht wirklich laut, das erkennt man an der Intensität der Tongebung. Also die Sachen sind nicht nur in der Länge komprimiert sondern auch in der Lautstärke, und in den Affekten. Es geht nie so ganz hoch, nie so ganz runter, sondern es bleibt monochrom in einer Stimmung. Man kann das in einer Lautstärke hören, und deswegen funktioniert das auch draußen. Pocket Symphonies to go! Man kann die zwölf Stücke der "Pocket Symphonies" sehr gut als Ganzes hören, aber eben auch einzeln zwischendurch. SVEN HELBIG: Am Abend (3:23) CD/01 Die Aufführung des "Panzerkreuzer Potemkin"-Soundtracks im öffentlichen Raum in London, in Dresden. Die "Pocket Symphonies", Orchesterminiaturen in Songform. Könnte es ein, dass Sven Helbig seine Musik ganz bewusst im Alltag verankern will? O-Ton: (deutsch) Ja, natürlich habe ich darüber meine Gedanken und habe da auch meine Position. Aber man würde den armen Noten und Melodien Unrecht tun, wenn man mit ihnen irgendwas wollen würde. Das entsteht ganz automatisch durch die Haltung dessen, der es tut. Und eine Haltung hat er. Wenn Sven

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