Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg JÜRGEN DENDORFER / CLAUDIA MÄRTL Papst und Kardinalskolleg im Bannkreis der Konzilien – von der Wahl Martins V. bis zum Tod Pauls II. (1417-1471) Originalbeitrag erschienen in: Jürden Dendorfer/Ralf Lützelschwab (Hrsg.): Geschichte des Kardinalats im Mittelalter (Päpste und Papsttum 39). Stuttgart: Hiersemann, 2011, S. 335-397. Papst und Kardinalskolleg im Bannkreis der Konzilien – von der Wahl Martins V. bis zum Tod Pauls II. (1417–1471) von Jürgen Dendorfer / Claudia Märtl Mit der Wahl Kardinal Oddo Colonnas zu Papst Martin V. auf dem Konstanzer Konzil endete im Jahr 1417 die Kirchenspaltung1. Es begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Papsttums, den die kirchengeschichtliche Forschung mit dem Schlagwort «Restauration» gekennzeichnet hat. Der mühsame Weg zur Wiederge- winnung des Kirchenstaats nach den Entwicklungen der avignonesischen Zeit, vor allem aber der Anspruch, das Papsttum und die Kurie wieder als unangefochtenen Bezugspunkt einer geeinten Kirche zu etablieren, prägen die nachfolgenden Jahr- zehnte. Dieser Prozess der erneuerten Durchsetzung päpstlicher Autorität vollzog sich in spannungsreicher Auseinandersetzung mit korporativ-konziliaren Vorstellun- gen und Praktiken der Kirchenleitung. Die Konzilien von Konstanz, Pavia-Siena und Basel debattierten zum einen grundsätzlich über das Verhältnis von konzi- liarer und päpstlicher Gewalt (potestas), entwickelten zum anderen aber auch Vor- stellungen von der Verfasstheit der Kirche neben und unter dem Papst, die jenseits der immer nur zeitlich begrenzt zusammentretenden Konzilien gelten sollten2. Da- bei sahen die Reformer die Angehörigen der drei Kardinalsordines, die sich an der Spitze der Kirche schon im Hochmittelalter als Kolleg etabliert hatten, als mög- liches kollegiales Korrektiv der päpstlichen plenitudo potestatis an, als eine Art kleines Konzil, das alle Teile der Christenheit an der Seite des Papstes repräsen- tierte und durch seine zwingend erforderliche Zustimmung zu päpstlichen Hand- lungen den Konsens der gesamten Kirche, der universalis ecclesia, verkörperte. 1 Zum Kapitel vgl. die kommentierte Bibliographie, S. 458–462, zur Quellenbasis die Quellenkunde, S. 53–62. 2 Zu den Konzilien des 15. Jahrhunderts: Brandmüller, Papst und Konzil; Helmrath/Müller, Konzi- lien; zu Konstanz (1414–1418): Frenken, Erforschung; Brandmüller, Konzil von Konstanz; zu Pa- via-Siena (1423/24): Brandmüller, Konzil von Pavia-Siena; zu Basel (1431–1449): Helmrath, Bas- ler Konzil; Sudmann, Basler Konzil. 336 Papst und Kardinalskolleg im Bannkreis der Konzilien Nie zuvor war die Stellung des Kardinalskollegs in der Kirche auf eine ähnliche Weise gesehen worden. Kennzeichnend für den hier betrachteten Zeitraum in der Geschichte des Kardi- nalskollegs – von der Wahl Martins V. (1417) bis zum Tode Pauls II. (1471) – ist, dass diese Ideen von der Aufgabe und den Funktionen des Kollegs durchaus Wir- kung entfalteten und als von den Konzilien gefordertes Regulativ die schon im Schisma tatsächlich gewachsenen Einflussmöglichkeiten des Kollegs verstärkend stützten. Vom kurialen Alltag der Entscheidung zwischen Papst und Kardinälen über die Reformvorschläge zur Aufwertung des Kardinalskollegs bis hin zur Größe des Kollegs und der Vorbildung seiner Mitglieder bildet dieser Abschnitt von 1417 bis etwa 1471 deshalb eine deutlich erkennbare Einheit. Zugleich beteiligten sich die Kardinäle an den päpstlichen Bestrebungen zur Erneuerung Roms, wurden ihre Paläste im Stil der Renaissance Orte der Repräsentation ihrer Rolle, entwickelten sich die Kardinalsfamilien zur Heimat für Humanisten und Künstler und traten nicht wenige Kardinäle selbst als Verfasser gelehrter Werke hervor. In dieser Hin- sicht unterscheiden sich die Kardinäle des 15. Jahrhunderts, selbst unter Berück- sichtigung des allgemeinen Wandels in diesem Jahrhundert, von ihren Vorgängern. Den deutlichsten Kontrast zur Stellung des Kardinalskollegs im 14. Jahrhundert aber bildete sicher der durch die Konzilien gestützte Anspruch der Kardinäle auf eine verbindliche Beteiligung an der Regierung der Kirche. I. Papst und Kardinäle 1. Die Kardinäle wählen den Papst und der Papst kreiert die Kardinäle – die Neudefinition tradierter Rollenzuweisungen (Jürgen Dendorfer) a) Die Kardinäle bleiben die Wähler des Papstes Im 15. Jahrhundert kam nicht jeder Papst durch die Wahl des Kardinalskollegs zu seinem Amt. Auch wenn in den vorhergehenden Jahrhunderten, vor allem im 13. Jahrhundert, die Wahl durch die Kardinäle mitunter zu unhaltbaren Verzöge- rungen führte, so blieb in ihnen das Wahlrecht der Kardinäle im Grundsatz unbe- stritten. Die Legitimität des neu gewählten Papstes gründete bis ins 15. Jahrhun- dert auf der Wahl durch das Kolleg, die dann gültig war, wenn sie nach den Regularien vor sich ging, die sich im 12. und 13. Jahrhundert ausgebildet hatten und in den erwähnten Wahlverfügungen von Licet de vitanda über Ubi periculum bis zu Ne Romani niedergelegt waren3. Fünf der sechs Papstwahlen, die hier zu 3 Herde, Papstwahl; Maleczek, Abstimmungsarten. Papst und Kardinäle 337 betrachten sind, vollzogen sich nach den Konklavebestimmungen Papst Gre- gors X. (1271–1276) in ihrer im 14. Jahrhundert leicht modifizierten Form (1431, 1447, 1455, 1464, 1471). Sie wurden alle in einer jeweils konkreten Bedrohun- gen geschuldeten Eile vollbracht, in der die Kardinäle dennoch auf eine peinlich genaue Einhaltung der Vorgaben des kanonischen Rechts achteten. Für die Entwicklung des Papstwahlverfahrens ist das 15. Jahrhundert deshalb nicht von Bedeutung. Der weite Überblick über die Geschichte des Konklaves verdeckt jedoch, dass sich in der ersten Hälfte etwas Grundlegendes veränderte: Nicht mehr die Kardinäle allein konnten einen legitimen Papst wählen. Vielmehr bot in der verfahrenen Lage des Schismas mit seinen am Ende drei konkur- rierenden Päpsten nur das vom Konzil in Konstanz geschaffene Vorgehen einen Ausweg. Im Konklave des Jahres 1417 hatten 30 Vertreter der Nationen die Mehrheit, erst nach Verhandlungen wurden die 23 anwesenden Kardinäle an der Papstwahl beteiligt4. Das Konzil repräsentierte nach seinem Selbstverständnis die gesamte Kirche, und dieser stand die Wahl des Papstes zu. Das Kardinalskolleg handelte folglich nur mehr im Auftrag der universalis ecclesia, sein Wahlrecht stand, solange die allgemeinen Konzilien des 15. Jahrhunderts versammelt waren, in einer latenten Spannung mit dem der Konzilien. 1447, als das Basler Konzil formell noch existierte, bereitete der längere Zeit kränkelnde Papst Eugen IV. (1431–1447) die Wahl nach seinem Tod deshalb besonders umsichtig vor. Denn auch auf dem Basiliense waren neue Wege der Papstwahl dekretiert worden, die dann beschritten werden sollten, wenn ein Konzil noch gültig versammelt sei. Nach dem Zerwürfnis zwischen dem Basler Konzil und Papst Eugen IV. wählte dieses 1439 selbst, wiederum in einem Verfahren ohne Beteiligung der Kardinäle, Papst Felix (V.)5 Aus dem Blickwinkel dieser konziliaren Vorschläge, die Papst- erhebung neu zu regeln, war das Wahlrecht der Kardinäle nur eine Alternative neben anderen Möglichkeiten des Wahlverfahrens – eine Alternative, die dann zum Tragen kommen sollte, wenn kein Universalkonzil versammelt war. Ihr Wahlrecht übten die Kardinäle fortan deutlicher als je zuvor als Stellvertreter und Repräsentanten der gesamten Kirche aus. Auch das Kardinalskolleg wurde da- mit in den Prozess der Neubewertung kirchlicher Strukturen in den Debatten des 15. Jahrhunderts hineingezogen. In ihnen wurde nicht nur das seit langem beste- hende Papstwahlrecht auf veränderte Weise legitimiert, sondern im Zuge dieser Neudefinition der kardinalizischen Stellung durch die konziliar-korporativen Diskussionen wurden dem Kolleg noch darüber hinausgehende Rechte zuge- standen. 4 Fink, Wahl Martins V.; Girgensohn, Berichte; Brandmüller, Konzil von Konstanz II, S. 322–370. 5 Zu den Regelungen des Basler Konzils für das Papstwahlverfahren: Zwölfer, Reform, S.15–28; zum Konklave Felix’ V.: Stieber, Amédée VIII – Félix V, S.339, Anm. 1; S. 349–354. 338 Papst und Kardinalskolleg im Bannkreis der Konzilien b) Die Wahlkapitulationen der Kardinäle Diese gestiegene Bedeutung des Kardinalskollegs in den Reformvorstellungen der Zeit hat eine Entsprechung im Selbstverständnis der Kardinäle. Das zeigt sich am deutlichsten an den Wahlkapitulationen, die das Kardinalskolleg im 15. Jahrhun- dert aufzustellen begann6. Zum ersten Mal 1431, ab 1458 dann in ununterbro- chener Folge versuchten die Papstwähler im Konklave denjenigen von ihnen, der zum Papst gewählt wurde, auf ein künftiges Handeln in ihrem Sinne zu verpflich- ten. Von Festlegungen auf bestimmte Programmpunkte bis hin zu Regeln für das Zustandekommen von Entscheidungen zwischen Papst und Kolleg reichen die Bestimmungen in diesen von allen Kardinälen vor der Papstwahl beschworenen capitula. Der älteren Forschung galten diese Wahlkapitulationen als realitäts- fremde Versuche, den pontifex maximus dem Willen des Kollegs zu unterwerfen, und damit als Höhepunkt seit dem Hochmittelalter immer wieder greifbarer oli- garchischer Bestrebungen der Kardinäle7. Nach dem Konklave wären sie kaum das Papier wert gewesen, auf dem sie standen, denn bei einem ernsthaften Kon- flikt mit dem Kolleg konnte der Papst sich über sie hinwegsetzen. Dagegen wiesen jüngere Beiträge darauf hin, dass sich die Päpste zumindest in den ersten beiden Dritteln des Jahrhunderts bemühten, die Bestimmungen der Wahlkapitulationen einzuhalten8. Beim derzeitigen Forschungsstand zur Herrschaftspraxis der Päpste
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