![75 Jahre Erdmagnetisches Observatorium Wingst – Ein Rückblick](https://data.docslib.org/img/3a60ab92a6e30910dab9bd827208bcff-1.webp)
Wissenschaftliche Beiträge 75 Jahre Erdmagnetisches Observatorium Wingst – ein Rückblick Dietrich Voppel, Buchholz, Günter Schulz, Otterndorf und Monika Korte, Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ Am 3o. April 1938 wurde das Erdmagnetische Observato- Zweikomponenten-Spulensystems (nach Fanselau-Braun- rium Wingst feierlich unter Beteiligung zahlreicher Wis- beck), mit dem an Schiffsmodellen der magnetische Ei- senschaftler der Geophysik und Personen des öffentlichen genschutz (MES) gegen magnetische Minen erprobt und Lebens in Betrieb gegeben. Es ist Nachfolgestation von Wil- verbessert werden sollte. Eine andere aus dem Krieg stam- helmshaven, wo die Observatoriumsarbeiten wegen zu- mende Aktivität ist die Nutzung von Spulen mit Weichei- nehmender technischer Störungen durch Industrie und senkernen aus englischen Minen zur Registrierung von Hafen kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges nicht mehr zu- natürlichen erdmagnetischen Pulsationen. verlässig getätigt werden konnten. Hauptaufgabe war es Nach dem Krieg wandte man sich den (vernachläs- dort, am Standort des Marine-Observatoriums seit 1878 sigten) wissenschaftlichen Themen und der Optimierung (ERRULAT 1939), mit der Beobachtung des erdmagneti- der magnetischen Messpraxis zu. Otto Meyer, Observator schen Feldes und dessen zeitlichen Änderungen Misswei- von 1938 bis 1954, fand im Rahmen einer Studie über erd- sungsangaben für die Marine und Seeschifffahrt zu erstel- magnetische Baystörungen (MEYER 1951) heraus, dass die len (Abb. 1), und auch die Entwicklung von Methoden zur Ausschläge der Z-Komponente in Wingst und Niemegk bei Messung auf beweglichen Plattformen wie Schiffen voran- diesem Störungstyp stets gegenläufig waren. Er schloss da- zubringen. raus auf die Existenz eines induzierten Erdstromes in der Diese Arbeiten mit modernen Instrumenten in norddeutschen Tiefebene. Das löste in der Folgezeit eine Wingst wieder aufzunehmen, wurde Prof. Dr. Friedrich sehr aktive Untersuchung der „norddeutsch-polnischen“ Errulat von der Deutschen Seewarte übertragen. Er sagte Leitfähigkeitsanomalie aus und führte letztlich zu dem, mir (D.V.), als ich 1954 meinen Dienst als Observator in was man heute als Elektromagnetische Tiefenforschung Wingst antrat, der sehnsüchtigste Wunsch eines messen- bezeichnet. An diesen Untersuchungen war auch das Erd- den Erdmagnetikers sei es, die Stärke des Erdmagnetfeldes magnetische Observatorium Wingst beteiligt. Außerdem auf Knopfdruck messen zu können. wurde in dieser Zeit der erdmagnetische Variograph der Er erzählte mir das, da er noch die Zeit erlebt hatte, Askania-Werke (Berlin) entwickelt. In Wingst wurden in als zur Messung der Horizontalintensität neben der Ablen- der Folgezeit etwa 12o Geräte dieses Typs geeicht, auf das kungs- eine Schwingungsmessung ausgeführt werden Einsatzfeld (weltweit) eingestellt und testiert. musste, die sich zur Messung der Schwingungsperiode der Im Jahr 1954/55 wurden Feuchtigkeitseinflüsse auf „Auge-Ohr-Methode“ bediente: Mit dem Auge beobachtete die Messungen von Quartz-Horizontal-Magnetometern man die Nulldurchgänge des schwingenden Magneten und (QHM, s. Abb. 2) festgestellt und Koeffizienten gemessen mit dem Ohr hörte man die Zeitmarken eines Chronometers. (MEYER & VOPPEL 1959). Versuche zur Messung der In- Aus zahlreichen Durchgängen wurde dann die Schwin- klination mit einem teils selbstgefertigten Förster son - gungsdauer mit hoher Präzision errechnet. Mir stand aber den(Fluxgate)-Theodoliten (MEYER & VOPPEL 1954) konn- schon ein Chronograph zur Verfügung, auf dem beide Sig- ten damals nicht in die Messroutine übernommen werden, nale registriert werden konnten. da die Sonden noch zu instabil waren. Erst etwa 3o Jahre Wie dieser im Jahr 1938 noch völlig utopische Wunsch später gelang das (s.u.). im Laufe der 75 Jahre im Observatorium Wingst unter den Etwa 1o Jahre nach Kriegsende war das Wirtschafts- Einflüssen von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natür- wachstum in vollem Gange. Gesellschaftspolitisch wurde lich Wissenschaft und Technik verwirklicht werden konnte, der Sonnabend arbeitsfrei und die wöchentliche Arbeits- davon berichten wir im Folgenden. zeit wurde stufenweise von 48 auf 4o Stunden reduziert. Ein Jahr nach der Gründung des Observatoriums Das erforderte bei gleichem Personalstand und noch knap- Wingst unter der Federführung der Deutschen Seewarte pen Haushaltsmitteln erhebliche Eigeninitiative und Im- im Jahr 1938 begann der Zweite Weltkrieg. Im Observato- provisation der Bediensteten, um durch Installation von rium wurde eine Halle errichtet für die Aufnahme eines Thermostaten in den Registrierräumen und Messlaboren 2o DGG-Mitteilungen 3/2o13 Wissenschaftliche Beiträge Auswertearbeiten (Temperaturreduktionen) zu erleichtern xis. Der sehr anfällige Erdinduktor (Abb. 2) wurde nun ab- bzw. einzusparen. Die Beschriftung der in den Magneto- gelöst, weil nunmehr die Totalintensität anstelle der grammheften veröffentlichten Originalregistrierungen Inklination mit wesentlich geringerer Messunsicherheit wurde durch Eigenentwicklung eines optischen Beschrif- erfasst werden konnte. Mit dem nächsten Schritt, der Ent- tungsapparats automatisiert (VOPPEL 1972a). wicklung von Spulentheodoliten zur Komponentenmes- Die Deutsche Bahn plante die Elektrifizierung der im sung mit dem Protonenmagnetometer (z.B. VOPPEL 1969, Abstand von 5oo m am Observatorium vorbeiführenden 1972b), vollendete sich der Übergang von der elektrome- Strecke von Stade nach Cuxhaven. Um technische Störun- chanischen in die elektronische Erfassung des Magnetfel- gen am Observatorium zu vermeiden, wurden Maßnah- des für die Basismessungen. Die Ablenkungsmessungen men zur Stromzuführung und -ableitung durch die Schie- mit der Gaussschen bzw. Lamontschen Methode (Stations- nen überlegt und vorsorglich mit der Bahnverwaltung be- theodolit Schulze 75, Abb. 2) erübrigte sich nun. Der Über- sprochen. Schließlich verzichtete die Deutsche Bahn aus gang auf dem Gebiet der Registrierungen erfolgte später, wirtschaftlichen Gründen auf die Maßnahmen. nachdem die Fluxgate-Sonden für diesen Zweck stabil ge- Die Lage des Observatoriums im Luftkurort Wingst nug waren (s.u.). ist hinsichtlich künstlicher von menschlichen Aktivitäten 1973/74 wechselte der Beobachter. Überlappende Ein- erzeugter Störungen ideal. Jedoch liefert auch die „Weiße arbeitungszeiten sorgten dafür, das Know-how des erfah- Industrie“ (Land- und Forstwirtschaft, Erholung und Frei- renen Vorgängers an den Nachfolger weiterzugeben – eine zeitgestaltung) Störquellen, z.B. der Ersatz eines hölzernen sinnvolle Investition, wenn es darum geht, eine Beobach- Aussichtsturmes durch einen aus Stahlbeton in 2oo m Ab- tungsreihe in hoher Qualität unterbrechungsfrei fortzu- stand oder der Autoverkehr auf den Wegen um das Obser- setzen. Diese Begründung gilt heute nach wie vor für die vatorium. In diesen Fällen mussten einschränkende Auf- Observation, und, im Zeitalter der digitalen Datenaufzeich- lagen zur Vermeidung von Störungen erarbeitet werden. nung, auch verstärkt für die Aufbereitung der Messwerte Auf wissenschaftlich-technischem Gebiet versucht bis zur Veröffentlichung – von ersten, nahezu in Echtzeit man an jedem Observatorium die Kontinuität der Regis- zur Verfügung gestellten bis zu den mehrfach kontrollier- trierungen zu gewährleisten und die Messunsicherheit zu ten definitiven Ergebnissen. minimieren. In den Zeitraum der zweiten 25 Jahre des Ob- Mittlerweile waren zum einen Fluxgate-Sonden so- servatoriums Wingst fiel die Einführung des Protonenre- weit entwickelt worden, dass sie (im Nullfeld betrieben) sonanz-Magnetometers in die erdmagnetische Messpra- die an Observatorien geforderte Linearität erreichten; zum anderen war die Digitaltechnik auf ei- nem Stand angelangt, der die Speiche- rung und Weiterverarbeitung der Da- ten vor Ort erlaubte. Zur gleichen Zeit hatte der Sender DCF77 der PTB Braunschweig mit der Ausstrahlung von Zeitsignalen in kodierter Form be- gonnen; das Problem der Synchroni- sation der Aufzeichnungen war damit elegant gelöst. Im Laufe der Folgejahre entstand so am Observatorium Wingst ein recht modernes Registriersystem. Die Flux- gates waren getrennt installiert und auf unkonventionelle Weise derart orien- tiert worden, dass beide Horizontal- komponenten einen Beitrag zum Sei- tenschlussfehler lieferten, der sich lau- fend über ein Protonenmagnetometer kontrollieren ließ (SCHULZ 1988). Es zeigten sich allerdings bald saisonale Schwankungen der Basen, die auf Feuchtigkeitsänderungen im Variome- terhaus zurückgeführt werden konn- ten. Zur Sicherung der Deklinationsba- Abb. 1: Deklination Wilhelmshaven und Wingst seit 1886. Bis 1911 sowie 1931 und 1932: Mari- sis wurde der Spulentheodolit (s.o.) neobservatorium Wilhelmshaven + 36,4’; 1935: Reichsvermessung, Säkularpunkt Wingst; ab fortan auch für die relative Bestimmung 1939: Observatorium Wingst des magnetischen Meridians genutzt DGG-Mitteilungen 3/2o13 21 Wissenschaftliche Beiträge Abb. 2: Wingst, Absoluthaus, Blickrichtung NW (vor 1970). Zu sehen sind die folgenden Instrumente: Sockel SW: QHM, NW: Erdinduktor Schulze 552, NE: Stationstheodolit Schulze 75, SE: BMZ, Nordwand: Schwingungskasten zum Schulze 75, Stativ: Gfz Askania, darunter: Sen- sor des Protonenmagnetometers Varian4931 (SCHULZ 1981). Erst mit der nächsten Fluxgate-Generation Das Umfeld ist weitgehend ungestört, sehr homogene wurden die Probleme mit der Feuchtigkeit beherrschbar Zusatzfelder konnten schon früh über hochwertige Helm- (SCHULZ 1998). holtzspulen und sehr stabile Stromquellen erzeugt werden. Mitte
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages6 Page
-
File Size-