KIRCHNER HECKEL SCHMIDT-ROTTLUFF Geheimnis der maTerie KIRCHNER HECKEL SCHMIDT-ROTTLUFF Geheimnis der maTerie Herausgegeben von Regina Freyberger Städel Museum, Frankfurt am Main Sandstein Verlag Inhalt Vorwort 6 Philipp Demandt „Geheimnis der Materie“ 8 Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff Regina Freyberger Katalog 20 Ausstellungs- und Geschäftsgrafik der „Brücke“ „Zurück zum Ursprung, zu den Quellen, 30 zur Natur und zum Material“ Holz – Material mit Geschichte Theresa Nisters „Im steten Fluss bleibende Darstellungsenergien“ 48 Fruchtbare Wechselwirkungen zwischen den Medien im Werk von Ernst Ludwig Kirchner Alexander Eiling „Aufbauarbeit zum Besten der lebenden Kunst 64 und der Künstler selbst“ Der Sammler Carl Hagemann Iris Schmeisser „Auch die unbezeichnet bleibenden Teile 84 des Blattes formen das Bild“ Anmerkungen zum Papier Ruth Schmutzler und Sabine Protze Katalog Ernst Ludwig Kirchner 94 Erich Heckel 168 Karl Schmidt-Rottluff 212 Ausgestellte Werke 274 Ausgewählte, abgekürzt zitierte Literatur 286 Impressum, Bildnachweis 294 8 / 9 „Geheimnis der Materie“ Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff Regina Freyberger 10 / 11 Kein Material ist mit der Kunst des deutschen Expres- zeug (Hohleisen, Geißfuß) aus dem Holz herausgeho- Wege zum Holzschnitt tion der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir sionismus stärker verbunden als Holz – und „nichts ben. Die Holzplatte zeigt nun die Darstellung in Form und zur Holzskulptur alle Jugend zusammen“, heißt es im Programm der ist so sehr ‚Brücke‘ wie der Holzschnitt“.1 Bei dieser eines flachen Reliefs. Dessen erhabene Bereiche wer- Künstlergruppe „Brücke“ (Kat. 1, S. 21), „und als Ju- Drucktechnik ‚schnitzt‘ der Künstler die zu drucken- den anschließend mit einer Walze gleichmäßig ein- Die Auseinandersetzung mit dem natürlichen Werk- gend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und den Formen wie ein Relief ins Holz. Die Bildidee ver- gefärbt und sodann mithilfe eines Reibers oder Falz- stoff Holz begann für Kirchner, Heckel und Schmidt- Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlan- mittelt sich entsprechend „als Abdruck oder Spur beins von Hand (Handdruck) oder mit einer Presse auf Rottluff über den Holzschnitt. Kirchner besserte eige- gesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der dessen, was in einer gleichsam bildhauerischen Arbeit einen Bogen Papier abgezogen.5 Nach dem Abziehen nen Angaben zufolge bereits als Gymnasiast „alte in unmittelbar und unverfälscht das wiedergiebt, was ihn geschaffen“ wurde.2 So beschrieb schon 1895 Julien des Papiers vom Stock bilden die zuvor eingefärb- Holz geschnitten[e] Papierfabrikzeichen“7 für seinen zum Schaffen draengt.“ Kirchner hatte dieses Manifest Leclercq die Holzschnitte Paul Gauguins als mittleres ten, hochliegenden Bereiche die Darstellung spiegel- Vater aus, einen Chemiker und Ingenieur, der sich 1906 verfasst und – ebenso wie das erste Signet der Medium zwischen Skulptur und Malerei.3 Auch die verkehrt auf dem Papier ab. Mithilfe mehrerer, auch unter anderem der Erforschung von Papier verschrie- „Brücke“ 1905 (Abb. 5) – programmatisch in Holz ge- Holzschnitte der drei Gründungsmitglieder der „Brü- zersägter Druckstöcke können zuletzt verschiedene ben hatte und für dessen Wasserzeichensammlung schnitten: Kantige, markante Großbuchstaben in cke“ Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Erich Heckel Farben neben- und übereinander gedruckt werden, Kirchner den Stempel gefertigt haben dürfte (Abb. 1).8 schlankem Satzspiegel ergeben ein typogra fisches (1883–1970) und Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) wo­­bei das Drucken der Farben in unterschiedlicher Die frühesten überlieferten Holzschnitte Kirchners Kunstwerk, das sich entschieden von zeitgenössischen nehmen eine solche Gelenkstelle ein. Sie haben eine Reihenfolge zu neuen Farbmischungen und damit zu stammen aus dem Jahr 1904, sicherlich befördert Druckwerken absetzt und in der Wahl der Technik nicht skulpturale Dimension und wurden ganz bewusst im einer gänzlich eigenen Farbwirkung führen kann. durch das Erlebnis der Holzschnitte Albrecht Dürers nur für die zukünftige Ausstellungs- und Geschäftsgra- Dialog mit dem Material geschaffen, dessen Struktu- Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff dürfte im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und fik der „Brücke“ wegweisend wurde, sondern für das ren und Besonderheiten manchmal Teil der Gestal- dieses große experimentelle Potenzial des Druckver- durch einen Kurs zu diesem Druckverfahren, den der gesamte künstlerische Schaffen der drei Gründungs- tung sind, manchmal hinter der zeichenhaften Faktur fahrens mindestens so gereizt haben wie das Holz, das junge Student an der Debschitz-Schule in München mitglieder Kirchner, Heckel und Schmidt- Rottluff. geradezu verschwinden. Es überrascht angesichts in seinen natürlich gewachsenen Strukturen immer bei Hugo Steiner-Prag absolviert hatte.9 Jene frühen Dies ist durchaus bemerkenswert, wurde der dessen wenig, dass sich Kirchner, Heckel und Schmidt- auch ein Element des Zufälligen in sich birgt. Die Aus- Schnitte zeigen eine Reihe karikierter Köpfe (vgl. Holzschnitt um 1905 doch dank der Arts-and-Crafts- Rottluff etwa gleichzeitig und in enger Wechselwir- einandersetzung mit der Eigenart des Materials und Abb. 2),10 die im klaren Schwarz-Weiß-Kontrast und in Bewegung, Jugendstil und einzelner Künstler wie Félix kung dem Holzschnitt und der Holzskulptur zuwand- der Technik zieht sich entsprechend wie ein roter Faden der ironischen Überzeichnung Illustrationen der da- Vallotton, Paul Gauguin oder Edvard Munch erst lang- ten. Der Holzschnitt nimmt in ihren druckgrafischen durch die Œuvres der drei Künstler. Dies geschah be- mals populären satirischen Wochenzeitschrift Simp- sam wieder als genuin künstlerisches Medium gese- Œuvres gar den breitesten Raum ein. Weit über die wusst wie unbewusst eingebettet in einen geistes- licissimus ins Gedächtnis rufen. Ebenfalls noch als hen.13 Auf diese Entwicklung bauten die jungen „Brü- „Brücke“-Zeit hinaus tritt hier der spezifisch künst- geschichtlichen Kontext, in dem Industriekritik, Exo- Schüler schnitt Erich Heckel 1903 verschiedene kleine cke“-Künstler auf: Der Holzschnitt reizte sie als spe- lerische Ausdruck aller drei Künstler vielleicht am tismus, romantische Mittelalterrezeption, die Idee der Landschaftsmotive in Holz (vgl. Abb. 3),11 und Karl zifisches Druckverfahren mit seinen Grenzen und deutlichsten zutage. Menschheitskindheit, lebensreformerische Vorstel- Schmidt-Rottluff schuf wohl um dieselbe Zeit einzelne Möglichkeiten, nicht als Mittel der Vervielfältigung. Der Holzschnitt, die älteste der grafischen lungen und vieles mehr mit der Wahrnehmung von Exlibris für Freunde und Studienkollegen (Abb. 4),12 die Sie druckten daher die meisten Blätter selbst, nicht als Techniken zur Bildherstellung, ist ein Hochdruckver- Holz und Holzschnitt verwoben waren (vgl. hierzu den – wie die frühen Arbeiten Kirchners und Heckels – Auflagengrafik, sondern in wenigen (nicht nummerier- fahren. Der Druckstock wird aus einer wenige Zenti- Aufsatz von Theresa Nisters, S. 30–47). Auch zwi- ohne eine Rezeption des Jugendstil kaum denkbar ten) Abzügen. Von Kirchner ist von einzelnen Holz- meter starken, sorgfältig geglätteten Holzplatte ge- schen Holzschnitt und Skulptur, Zeichnung und Male- sind. Eine eigene Formensprache entwickelten die drei schnitten bisweilen nur ein Abzug bekannt.14 wonnen, die so aus dem Stamm eines eher weichen rei gibt es viele wechselseitige Bezüge:6 inhaltlich, aufstrebenden Künstler im Holzschnitt erst wenige Bereits 1905 zeigten die „Brücke“-Künstler eine Holzes geschlagen wird, dass die Fasern, die im Quer- wenn einzelne Motive oder Themen in den verschie- Jahre später in Dresden. Auswahl ihrer eigenen Holzschnitte in einer Grafik- schnitt die Jahresringe bilden, in Richtung der Bildflä- denen Medien neu interpretiert wurden, und formal, 1901 hatte sich Kirchner in der sächsischen Re- ausstellung in Leipzig und ließen sie ab Juli 1906 durch che verlaufen (Längsholz). Schmidt-Rottluff, Heckel wenn beispielsweise das dreidimensionale Schnitzen sidenzstadt zum Studium der Architektur an der Tech- acht deutsche Städte touren.15 Auch bei der ersten und Kirchner wählten für ihre Druckstöcke die unter- auf das zweidimensionale Schaffen zurückwirkte und nischen Hochschule eingeschrieben; dort lernte er Ausstellung als eigene Gruppe, in Dresden-Löbtau im schiedlichsten Hölzer, auch solche, die aufgrund ihrer umgekehrt. Am Werk von Ernst Ludwig Kirchner lässt 1904 durch Vermittlung des älteren Bruders, Manfred September 1906, waren zahlreiche Holzschnitte zu markanten Struktur als eher ungeeignet galten.4 Die sich dies in eindrücklicher Weise exemplarisch nach- Heckel, Erich Heckel kennen, der 1905 den Schul- sehen, und die zweite Gruppenausstellung, im Winter zu druckende Darstellung wird auf dem Holzstock zu- vollziehen (vgl. dazu den Aufsatz von Alexander Eiling, freund Karl Schmidt(-Rottluff) bei Kirchner einführte. 1906/07, widmete sich sogar gänzlich diesem künstle- nächst mit einem Messer scharf umschnitten, sodass S. 48– 63). An den Holzschnitten und Skulpturen aus Noch im Juni desselben Jahres gründeten die drei rischen Medium: Gezeigt wurden neben Drucken von die Linien und Flächen der Zeichnung in Form von er- dem Bestand des Städel Museums kann beispielhaft gleichgesinnten Architekturstudenten zusammen mit Kirchner, Heckel und Bleyl Arbeiten der erst unlängst habenen Stegen, Graten oder Inseln stehenbleiben. gezeigt werden, wie vielgestaltig das Holz als Material ihrem Kommilitonen Fritz Bleyl die Künstlergemein- der „Brücke“
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