Herausgegeben Von Hans Schleier AKADEMIE-VERLAG " BERLIN

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JAHRBUCH 37 FUR GESCHICHTE Fortschritt und Reaktion im Geschichtsdenken der ersten Hälfte des z9. Jahrhunderts Herausgegeben von Hans Schleier AKADEMIE-VERLAG " BERLIN 1 ý88 Redaktionsschluß: z5. Juni 1987 ISBN 3-05-000558-0 ISSN 0448-2526 Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1oS6 Berlin, Leipziger Str. 3-4 © Akademie Verlag Berlin 1988 Lizenznummer: zoz . 100/30/88 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckhaus Afaxim Gorki", Altenburg , 7400 LSV: 0215 Bestellnummer: 754 826 8 (2130/37) 02500 Inhalt Werner Diefiner/ Einige Aspekte der Gesellschaftstheorien von Kant und Martina Thom Hegel 7 .................... Jaroslav Kudrna Der theoretische und historische Gehalt der Hegelschen über die Vorlesungen Philosophie der Weltgeschichte" 43 Wolfgang Förster Die Geschichtsphilosophie Friedrich Schlegels 71 ..... Hans Schleier Wilhelm Wachsmuths Entwurf einer Theorie der Ge- schichte" aus dem Jahre 1820 ........... 103 Emil Niederhauser Johann Christian Engel und Ignatz Aurel Fessler über die Geschichte der Völker Osteuropas 137 ........ Andrzej F. Grabski Joachim Lelewel und die Geschichtswissenschaft seiner Zeit .................... 161 Conrad Grau Georg Heinrich Pertz (1795-1876) als Wissenschaftsorga- nisator. Dokumente über den Alltag und zur Professio- nalisierung der Geschichtswissenschaft 177 ....... Daniela Liilfing Friedrich Christoph Dahlmann - sein Beitrag zur Ent- wicklung der bürgerlich-liberalen Ideologie im 19. Jahr- hundert ................... 205 Hans-Peter Jaeck Gesellschaftsbildung als historiographisches Problem. Analysen und Erkenntnisse des Restaurationshistorikers Francois Guizot 237 ................ Kurt Holzapfel/ Tocqueville und die Geburt der bürgerlichen Gesellschaft Matthias Middell in Frankreich 267 ................. B. G. Mogil'nickij Timofej Nikolaevie Granovskij über Gegenstand und Aufgaben der Geschichtswissenschaft 297 ........ Hartmut Harnisch Georg Hanssen und die Entstehung der Agrargeschichte als Wissenschaftsdisziplin 323 eigenständige ....... Autorenverzeichnis ......................... 361 Conrad Grau Georg Heinrich Pertz (1795--1876) als Wissenschaftsorganisator Dokumente über den Alltag und zur Professionalisierung der Geschichtswissenschaft Die Geschichte der Historiographie stellt sich dem Forscher als ein außerordent- lich komplexes Untersuchungsgebiet dar. Die möglichen Zugänge zu dieser Problematik schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Es ist dabei völlig legitim, besonders die historisch-politischen Konzeptionen in den sich auf jeweiligen Entwicklungperioden" zu konzentrieren, da diese alle anderen ' Strukturelemente" maßgeblich bestimmen. Ebenso wichtig und unentbehrlich bleiben geschichtstheoretisch-methodologische Untersuchungen, biographische Forschungen sowie Darstellungen geschichtsforschender Institutionen und Orga- nisationen. Alle diese und andere Seiten des historiographischen Prozesses lassen sich durchaus getrennt voneinander untersuchen, bilden aber in praxi eine Einheit, die darstellerisch zu reproduzieren dem Geschichtsschreiber als Leitbild vorschwebt. Ob und wie weit ihm das gelingt, hängt außer von seinen Fähigkeiten nicht zuletzt von der Quellenlage ab. Die folgenden Überlegungen, angestellt im Umfeld der Forschungen zum idealistischen deutschen Historismus anläßlich des 100. Todestages von Leopold von Ranke und gestützt auf einen relativ geschlossenen Quellenbestand, beschränken sich darauf, in Form einer Fallstudie mit Dokumenten die Aufmerksamkeit auf bisher weniger beachtete Aspekte zu lenken. Die Möglichkeit dazu bietet eine in der Geschichte der Geschichtswissenschaft vielleicht einmalige Tatsache. Georg Heinrich Pertz stand als maßgeblicher Mit- des Freiherrn Stein der Wiege der Germaniae arbeiter vom an Monumenta Historica" (MGH). Als in seiner Zeit hochgeschätzter Historiker und Wissen- schaftsorganisator hat er das von ihm inhaltlich wesentlich bestimmte Unter- nehmen annähernd 50 Jahre geleitet, und zwar zunehmend selbständig, sogar fast autokratisch, wie die ausführliche Geschichte der MGH von Harry Bresslau Danach trat 1824 die Stelle des Schwankens Zweifelns, des Über- zeigt. an und leget und Beratens" nach Pertz' Übernahme der wissenschaftlichen Leitung Tat", daß der äußeren Organisation Wesentliches die ohne an geändert wurde. der Idee die Gesellschaft für ältere deutsche Nach wie vor war es nach Ge- schichtskunde, eine unsichtbare Kirche', wie Böhmer einmal sagt, von der das Unternehmen ausging und deren Eigentum es war. Nach wie vor aber bestand zwischen ihren Mitgliedern keinerlei Zusammenhang, wußten sie nichts vonein- Schieier, Hans, Geschichte der Geschichtswissenschaft. Grundlinien der bürgerlichen deutschen Geschichtsschreibung und Geschichtstheorien vor 1945, (Potsdam) 1983, S. 13. 12 Jahrbuch 37 178 Grau, Conrad ander und vermochten sie in den Angelegenheiten der Gesellschaft weder Beschlüsse zu fassen noch solche zu verhindern. "' In der Zeit der Reorganisation der MGH ab 1872, nachdem Pertz 1863 nach dem Tode Böhmers auch formal die alleinige Leitung übernommen hatte, würdigte zwar eine Kommission aus Berliner Akademiemitgliedern die Leistungen von Pertz - und das auch aus heutiger Sicht mit vollem Recht -, bezeichnete aber die Hauptübelstände als Folge dessen Autonomie". Direktion von unbeschränkter Eine sei zwar vor- handen", faßt Harry Bresslau das Gutachten ihr zusammen, aber gemeinsames Wirken nirgends erkennbar; die Gesellschaft sei seit mehr als dreißig Jahren ein Phantom. ` Obwohl die Staaten des Deutschen Bundes die Forschungsarbei- ten teilweise finanzierten, es sich also um ein staatlich gefördertes Unternehmen handelte, lagen alle Entscheidungsbefugnisse zunehmend letztlich bei Pertz. Nicht ohne sein Zutun hatte sich immer stärker ein Gleichheitszeichen zwischen den Namen Pertz und das Unternehmen MGH geschoben, in der Öffentlichkeit . galten Pertz und MGH schon seit den 30er Jahren weitgehend und schließlich völlig als Synonyme. hier Aus dieser nur angedeuteten Geschichte der Monumenta wird verständlich, daß deren Geschäftsakten aus der Zeit von 1820 bis 1872 einen Teil der Korre- Pertz spondenz von - vorwiegend Briefe an ihn - enthalten, die teilweise privaten Charakter tragen. Dieser Bestand aus dem Archiv der einstigen Zen- traldirektion der MGH wird heute nach verschiedenen Zwischenstationen im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR aufbewahrt. ' Ihn hat ebenso wie weitere Akten bereits Bresslau für benutzt, ' seine Geschichte" ohne ihn in den über die Belange der MGH im-engeren Sinne hinausgehenden Teilen erschöpfend auszuwerten. Diese Dokumente vermitteln zahlreiche Infor- mationen über das wissenschaftsorganisatorische Wirken von Pertz, biographi- sches Material über seine Korrespondenzpartner, Nachrichten über gesellschaft- liche Ereignisse und über Lebens- und Arbeitsbedingungen einzelner Historiker, sie bereichern unsere Kenntnis über die Systematik der Quellenerschließung in ganz Europa, und sie widerspiegeln das persönliche Echo auf die-quellenkund- lichen Bemühungen von Pertz. Für die Herausbildung des idealistischen deut- schen Historismus, über dessen Leitprobleme, Chronologie und damit zusam- menhängende weitere Forschungsprobleme intensiv- nachgedacht wird, ' vermag eine hier allerdings nur begrenzt vorzunehmende Auswertung und auszugsweise Veröffentlichung dieser Quellen ergänzende Kenntnisse zu vermitteln. Sie er- I Bresslau, Harry, Geschichte der Monumenta Germaniae Historica, Hannover 1921, S. 143 (Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 42). Vgl. auch Obermann, Karl, Die Begründung der Monumenta Germaniae Historica und ihre Bedeutung, in: Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jh. bis zur Reichseinigung von oben, hrsg. von Joachim Streisand, Berlin 1963, S. 113 ff. Bresslau, S. 486. Vgl. auch Waitz, Georg, Die Bildung der neuen Zentraldirektion der Monumenta Germaniae, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Ge- schichtskunde, 1876, Bd. 1, S. 1 ff. (mit Statut); ders., Georg Heinrich Pertz, ebenda, Bd. 2, S. 451 ff. y Zentrales Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR (im folg.: AAW), Be- standsgeschichte im Findbuch MGH, Abschnitt XXII. Der Leitung und den Mitarbei- tern des Archivs danke ich für ihre Unterstützung. Y Vgl. die Quellenübersicht bei Bresslau, S. VI-VIII. Georg Heinrich Pertz 179 Blicke Werkstatt der Geschichtswissenschaft, möglichen in den Alltag -und in die auch unter dem Gesichtspunkt ihrer. Professionalisierung. ' Den roten Faden der Darlegungen bietet die an äußeren Ereignissen arme Bio- Begegnung graphie von Pertz. Den wichtigsten Einschnitt - nach seiner 'mit die Stein - in seinem wissenschaftsorganisatorischen Wirken -für Geschichts- wissenschaft bildet das'Jahr 1842 mit der Übersiedlung von Hannover nach Berlin, seinem Arbeitsort bis ins hohe Alter. Der wissenschaftlichen Öffentlichkeit stellte' sich Pertz nach seinem Studium in Göttingen bei Arnold Heeren Dissertation Geschichte der mit seiner Die mero- wingischen Hausmeier" vor, die 1819 im Druck erschien, als auch die ersten Kontakte zu Stein geknüpft wurden. 1820 unternahm er durch dessen Vermitt- lung im Auftrage der Monumenta eine Archivreise nach Wien, von wo er 1821 nach Italien aufbrach. Hier arbeitete er bis 1823 in Rom. In Hannover, wo Pertz seit 1821 als Archivar angestellt war, hatte man ihn für diesen Zweck beurlaubt. Das 1819 der Gesellschaft für ältere deutsche Ge- seit erscheinende Archiv schichtskunde" redigierte Pertz von Band 5, der mit der Jahreszahl 1824 im folgenden Jahr publiziert

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