Von Prof. Dc Monika Nenon, University of Memphis K12 13 Sophie von La Roches literarische Beziehungen zwischen 1771 bis 1780 Nach einer kurzen Erinnerung an den zeitgenössi­ Kaufleuten, Pfarrern, Lehrern, Professoren, Juristen und schen Kontext' soll zunächst das vielleicht wichtigste Medizinern, die in den sich politisch und ökonomisch literarische Werk der Schriftstellerin Sophle von La langsam ausdifferenzierenden Staaten und Städten Roche, die„Geschichte desFräulein von Sternheim", vor­ immer wichtiger wird. Die Lesefähigkeit der deutschen gestellt werden, wobei ln diesem Zusammenhang die Bevölkerung steigt gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf Aspekte Geselligkeit, Briefkultur und literarische Öf­ 15 % und dieses neue Publikum verlangt jetzt auch fentlichkeit der Zeit besondere Berücksichtigung fin­ nach anderen Lesestoffen. Während zu Beginn des den werden, die in meinem jüngsten Buch zu Sophie 18, Jahrhunderts die Bibel und religiöse Erbauungs­ von La Rache und Friedrich Heinrich Jacobi,ßus der schriften noch weit verbreitet waren und das Lesen ein Fülle der Herzen"' breiter ausgeführt werden. Wiederholungslesenwar, wandelt sich Mitte des 18. Jahrhundertsde r Geschmack an Lektüre und wendet Als Sophie von La Roche am 18. Februar 1807 im sich welthchen Stoffen zu. Die englischen moralischen Alter von 76 Jahren stirbt, geht ein Leben zu Ende, das Wochenschriften, wie z. B. „The Spectator", finden sich in einer in historisch-politischer Hinsicht besonders auch in den deutschen Ländern Verbreitung und Nach­ spannenden Umbruchzeit, die durch Kriege und weit­ ahmer wie in den Journalen „Der Patriot" oder „Die reichende Neuordnungen in Europa und in der Neuen Diskurse der Maler".' Die Leser entwickeln sich im Welt geprägt ist, entfaltet hat. Ein gutes halbes Jahr vor 18. Jahrhundert zum literarischen Publikum, zu dem dem Todvon Sophie von La Roche gehtd as Heilige Rö­ zunehmendauch Frauen gehören.Während die Litera­ tnische Reich Deutscher Nation zu Ende; während ihrer tur der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch sehr Lebenszeit sieht sie den Siebenjährigen Krieg 1756 bis didaktisch orientiert ist, zeichnet sich um die Jahrhun­ 1763, die Loslösung der amerikanischen Kolonien von dertmitte mit der Rokokoliteratur, zu der ja auch Wie­ England, die in der amerikanischen Unabhängigkeitser­ land gehört, und der Anakreontik eine literarische klärung 1776 gipfelt, die Französische Revolution 1789 Richtung ab, die mehr das Vergnügen an Literatur als mit dem anschließenden Terrorreyme und den Revo­ ihre moralische Wirkung in den Mittelpunkt stellt. Der lutionskriegen, die sich auf viele deutsche Gebiete er­ Durchbruch zur Genieästhetik wird erst um 1770 mit strecken, und schließlich den Aufstieg und Erfolg Johann Gottfried Herder, dem jungen Goethe und den Napoleons, der in der Schlacht von Jena und Auerstedt Stürmern und Drängern vollzogen, die die Trennung am 14. Oktober 1806 das preußische Heer besiegt. von Literatur und Moral vollenden. In dieser Phase der Damit einher geht die Säkularisation und die Neuord­ Neuorientierung der I.iteratur und des Lesepublikums nung großer Teile der deutschen Gebiete. Auf dem Ge­ findet auch Sophie von La Roche ihren Platz, indem sie biet der Naturwissenschaften und 'lechnik werden im zunächst gezielt an den neuen Diskurs der literarischen 18. Jahrhundert beachtliche I'ortschritte erzielt. Carl Empfindsamkeit anknüpft und sich dabei vor allem an von Linnd veröffentlicht ein neues Pflanzenklassifika­ weibliche Leserschichten wendet. tionssystern, Benjamin Franklin entdeckt den Blitzab­ Betrachtet man die Herkunft von Sophie von La leiter und die Brüder Montgolfier starten die ersten Rache, so stammt sie gerade aus der neuen Schicht der Ballonfahrten.Diderot und D'Alembert fassen das ge­ leistungsorientierten, gebildeten Bürger, die im 18. Jahr­ samte Wissen ihrer Zeit in der französischen Enzyclo­ hundert immer wichtiger werden. Ihr Vater Georg pedie zusammen, die auch in den deutschen Ländern Friedrich Gutermann von Gutershofen ist Arzt, der es in große Aufmerksamkeit und weite Verbreitung findet. seinem langjährigen Wohnort Augsburg zum Dekan der Der Schriftsteller Georg Forster reist mit James Cook medizinischen Fakultät gebracht hat; er kümmert sich um die Welt und der Sklavenhandel der Kolonialländer um die Bildung seiner Kinder und unter seiner Aufsicht ist in vollem Gange. erhält Sophie Gutermann eine sorgfältige Erziehung, die Auch gesellschaftliche Veränderungen machen sich nach dem üblichen Bibelstudium auch die Fächer Geo­ bemerkbar.Aus der alten Ständegesellschafth eraus ent­ graphie, Naturkunde, Geschichte, die französische Spra­ wickelt sich langsam eine neue Schicht von Bürgern, che, Zeichnen und Malen mit einschließt. Durch Heirat die ihren Aufstieg in den Reichsstädten und in den ab­ mit Georg Michael Frank von La Roche', der als Sekre­ solutistischen Staaten nicht wie der Adel auf die erb­ tär im Dienst Graf Stadions steht und vermutlich sein liche Abstammung, sondern auf das Verdienst, d. h. auf leiblicher Sohn ist, kommt. Sophie von I.a Roche 1754 Bildung und Arbeit stützt. Diese Schicht besteht aus an den erzbischöflichen Hof von Mainz, an dem Graf Von Prof. Or. Monika Nenon, University of Memphis .4:,—,0~ ~ !' i, ' g4 , 'rakp, l GeorgMichael F rank von La Rache und Sophie vonL a Rache 1775. Friedrich von Stadion Minister ist und dort eine der Versorgung der Söhne und Töchter. Sie wissen, daß in höchsten Stellen im Alten Reich einnimmt. In dieser dem Zirkel der Gelehrten, meistens viele Verdienste der I Jmgebung hat sie Gelegenheit, höfische Kultur kennen Rechtschaffenheit — Wissenschaft und Nützflchkeit­ zu lernen, die im Kleinen auch in der an der franzö­ viele Bedürfnisse, aber wenig Reichthum zu finden ist, sischen Aufklärung orientierten Geselligkeitskultur der und daß die Einkünfte eines Landesherrn nicht hinrei­ Warthausener Jahre von 1761 bis 1768 fortgesetzt chend groß genug sind — die Wünsche seiner Diener, wird. Diese kulturelle Berührung einer von ihrer Her­ und seines eigenen Wohlwollens zu befriedigen.— Nun, kunft her bürgerlichen Frau mit dem Adel wird auch in für diesen ehrwürdigen in unserm Teutschland so zahl­ ihrer äußeren Erscheinung erkennbar, die Goethe im reichen Cirkel, berechnete ich die Briefe meiner Rosa­ 13. Buch von „Oichtung und Wahrheit"' zwischen s I!! Bürgertum und Adel beschreibt: „Siewar die wunder­ Nicht nur „Rosaliens Briefe", sondern im Grunde barste Frau, und ich wüßte ihr keine andre zu verglei­ alle Werke Sophie von La Roches richten sich an ein chen. Schlank und zart gebaut, eher groß als klein, hatte bürgerliches Publikum und vor allem an die Mädchen sie bis in ihre höheren Jahre eine gewisse Eleganz der und Frauen dieser Schicht. Sophie von La Roche war Gestalt sowohl als des Betragens zu erhalten gewußt, bis zum Ende ihres Lebens eine äußerst produktive und diezwischen dem Benehmen einer Edeldame und einer fleißige Autorin, die ein umfangreiches und vielfältiges würdigen bürgerlichen Frau gar anmutig schwebte." Werk hinterlassen hat. Da ihr erster Briefroman „Ge­ Während Sophie von La Roches äußere Erscheinung schichte des Fräuleins von Sternheim" ein yoßer lite­ und ihr Verhalten eher an eine Hofdame erinnern, so rarischer Erfolg in den deutschen Ländern wird, wird sind es doch die moralischen IJberzeugungen und sie zunächst als Romanautorin bekannt und dieser Werte, mit denen Sophie von La Roche aufgewachsen Ruhm begrenzt sich nicht nur auf Deutschland, denn ist und denen sie ihr ganzes Leben lang verpflichtet der Roman wird sofort in die engUsche und französische bleibt, die sie fest im Bürgertum verankern. Ihre Werke Sprache übersetzr. und findet europaweit Aufmerksam­ sind im Hinblick auf die Wirkungsästhetik der neuen keit. Auf diesen Roman werden noch sechs weitere fol­ Schicht des Bürgertums verpflichtet, in der sie ihr Lese­ gen. Sophie von La Roche war aber nicht nur publikum sieht, wie sie an vielen Stellen betont, wie Romanautorin, sondern war auch eine der ersten z. B. hier in Bezug auf ihren Roman„Rosaliens Briefe Frauen, die ein Journal selbst herausgegeben und weit­ an ihre Freundin Marianne von St.": „Junge Frauen­ gehend selbst geschrieben hat, nämlich die„Pomona".' zimmer baten mich oft um Romane — und Mütter Und sie war auch eine der ersten Frauen, die weite Rei­ machten oft die Wünsche für vermehrten Gehalt — für sen durch europäische Länder unternahm, wie z. B. durch die Schweiz", Frankreich", die Niederlande und ziehung im Elternhaus vermittelt wurden. Während England", Ihre Erfahrungen, Beobachtungen und Be­ ihre Mutter dem Geburtsadel angehört, ist der Vater ein gegnungen in diesen I.ändern hat sie anschließend in wohlgebildeter, tüchtiger und rechtschaffener Mann aus anschaulich geschriebenen Reisejournalen veröffent­ dem Bürgertum, der sein Selbstverständnis aus dem Be­ licht, die große Aufmerksamkeit fanden und einen sehr wusstsein des eigenen Verdienstes zieht. Sophie von interessanten Einblick in die Kultur der jeweiligen län­ Sternheim wird nach dem Grundsatz erzogen, dass Tu­ der geben." Neben moralischen Erzählungen" veröf­ gend und Kenntnisse bleibende ('rundlagen der Glück­ fenüicht sie dann umfangreiche Alterswerke, die man seligkeit sind, die von den Menschen und dem Schicksal alsCol lagewerke oder Erinnerungsbücher beschreiben nicht gefährdet werden können. Die Geschichte des kann, in denen ein pädagogisches Programm entwickelt Fräuleins von Sternheim besteht im Grunde darin, die wird.'" Wahrheit dieses Grundsatzes zu demonstrieren. Sophie Um einen Eindruck von dem literarischen Werk So­
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