Bis Zum Juni 1968 Hatte Sich Das Leben Des Stefan Welzk In

Bis Zum Juni 1968 Hatte Sich Das Leben Des Stefan Welzk In

204 ZdF 33/2013 Welzk, Stefan: Leipzig 1968. Unser Pro- test gegen die Kirchensprengung und seine Folgen (= Schriftenreihe des Säch- sischen Landesbeauftragten für die Sta- si-Unterlagen, Bd. 11), Leipzig: Evange- lische Verlagsanstalt 2011, 232 Seiten, 9,80 €. Bis zum Juni 1968 hatte sich das Leben des Stefan Welzk in durchaus DDR- konformen Lebensbahnen entwickelt, so daß die berechtigte Hoffnung bestand, das Insistieren seiner Mutter, ihn doch an der Oberschule anzunehmen, sei nicht vergebens gewesen, und aus dem Dokto- randen für Physik könne sich ein passab- ler Kader für die wissenschaftliche Lauf- bahn entwickeln. Die Neigung Welzks, „Resistance [zu] spielen“, und die Orga- nisation einer Wette in seiner Klasse zum Ausgang der Volkskammerwahl im Jah- re 1958 konnten daher noch als Jugend- streiche eingeordnet werden. Seine Über- zeugung, für eine Reformierbarkeit der DDR zu kämpfen, indem Reformwillige in die SED eintreten und das Land mit Hilfe der Partei verändern, konnte mit seinem Enthusiasmus erklärt werden. Doch er selbst fing ab 1961 an zu zwei- feln. Für den Bau der Mauer im Som- mer 1961 hatte er zwar durchaus noch Verständnis, doch die Propaganda, die mit diesem Ereignis einherging, ließ ihn zum „Opponenten und Dauerprovoka- teur“ werden. In der Folgezeit baute er für seine Kommilitonen und Freunde ei- nen offenen Gesprächskreis auf, um sich nicht länger der „informativen Ödnis“ aussetzen zu müssen. Seine hoffnungs- volle Karriere bekam die ersten Risse. Einer Exmatrikulation konnte er nur ent- gehen, weil er sein Studium ein Semester früher beendete als vorgesehen. Die letzte Hoffnung, die DDR von innen zu refor- mieren, begrub Welzk unter den Trüm- mern der gesprengten Leipziger Universi- tätskirche, deren Sprengung die Stadtvä- ter nicht offen diskutierten, um Unruhen und Proteste zu vermeiden. In der Öffent- lichkeit wurde davon im Zusammenhang mit dem Umbau der Leipziger Innenstadt Rezensionen 205 nur von „Abtragung von Altbausubstanz“ fuhr Welzk erst Jahre später nach Ein- gesprochen. sicht in seine Stasi-Akten. In den nachfolgenden Tagen tüftelten Da zahlreiche Klarnamen sowie Deck- Welzk und zwei weitere Freunde einen namen und Spitznamen genannt werden, Mechanismus aus, mit dessen Hilfe wäh- kann der Leser leicht den Überblick ver- rend des Abschlußkonzertes des lieren – in Spitzenzeiten geht die Staats- III. Internationalen Bach-Wettbewerbes sicherheit im Umfeld von Welzk gegen in der Leipziger Kongreßhalle ein großes 146 Personen vor Viele kommen in Haft Transparent mit den Umrissen der ge- und werden später freigekauft. Welzk sprengten Kirche und den Worten „Wir unterstützte sie, so gut er konnte, von der fordern Wiederaufbau“ vom Schnürbo- Bundesrepublik aus, indem er sich bei den entrollt werden sollte. Mit dem er- verschiedenen Hilfsorganisationen für folgreichen Ablauf der Aktion war Welzk deren Freikauf einsetzte und seinen Ar- endgültig für die DDR verloren – er plan- beitgeber, Carl Friedrich von Weizsäcker, te mit seinem Freund Harald Fritzsch, um entsprechende Empfehlungsschreiben einem der Beteiligten an der Protestakti- bat. Weizsäcker hatte Welzk nach dessen on, die Flucht in einem Faltboot von Bul- Ankunft in der Bundesrepublik von ei- garien über das Meer an die türkische nem Philosophiestudium überzeugt und Küste. Sie glückte, und die beiden lande- ihn später am neugegründeten Max- ten unbeschadet in der Bundesrepublik, Planck-Institut zur Erforschung der Le- ohne zu ahnen, wie dicht die Staatssi- bensbedingungen der wissenschaftlich- cherheit ihnen in ihren Ermittlungen technischen Welt eingestellt , besser be- teilweise auf der Spur war. In seiner kannt als Friedensforschungsinstitut be- Leichtfertigkeit, derer er sich selbst an- schäftigt. klagt, hatte Welzk dem Ministerium für Das Buch von Stefan Welzk ähnelt teil- Staatssicherheit durchaus Hinweise auf weise einem Kriminalroman, etwa wenn die Beteiligten gegeben, die zum Glück er beschreibt, was die Staatssicherheit nicht entdeckt wurden: Zum einen brüste- alles an ihr zur Verfügung stehenden ge- te er sich vor dem Dichter Peter Huchel, heimpolizeilichen Mitteln aufbot: Es be- in dessen Garten er das Transparent aus- ginnt mit der Flucht, ausgelöst durch den breitete, zum anderen weihte er einen Protest, erstreckt sich über abgehörte Te- Freund in die Aktion ein, obwohl dazu lefonate, Verrat, Inoffizielle Mitarbeiter keine Notwendigkeit bestanden hätte. In aus der Bundesrepublik (so genannte der Bundesrepublik nicht nur physisch, Kundschafter des Friedens), Verhaftun- sondern auch beruflich angekommen, gen, Verhöre, Kassiber, Zelleninformato- lernt er jemanden kennen, der sich, nach ren bis hin zum Abhören von Anwaltsge- späterer Einsicht in die eigene Stasi-Akte, sprächen. Lesenswert ist das Buch auch als verhängnisvoller Kontakt entpuppen deshalb, weil der Autor sich nicht scheut, sollte. Er traf auf den West-Berliner Stu- zu beschreiben, wie eitel er als junger denten Bernard Langfermann vom Otto- Mann war. Auch seine oppositionelle Suhr-Institut der Freien Universität Ber- Haltung stellt Welz immer noch in Frage. lin. Der junge Mann war politisch links „Was war das für eine Leistung, in der engagiert und Redaktionsmitglied der DDR opponiert zu haben?“ fragt der Au- Sozialistische Politik (SoPo), einer ein- tor den Leser. Und ergänzt, ob „die Be- schlägigen Zeitschrift für Politik- und reitschaft, an einer Überdosis von Mut zu Sozialwissenschaft. Langfermann gab krepieren, wirklich so bewundernswert“ sich DDR-kritisch, tatsächlich aber hatte gewesen sei. er sich selbst der Stasi als Kontaktperson angeboten und die Fluchtpläne von Das Buch von Stefan Welzk ist ein auto- Welzks Freunden verraten Das alles er- biographisches Werk, das trotz aller Ent- täuschungen und der Bestätigung von 206 ZdF 33/2013 Vermutungen, die er nach Einsicht in geliefert wurden, sie Haftstrafen verbü- seine Stasi-Unterlagen erfahren hat, keine ßen mußten, Freundschaften daran zer- Abrechnung ist. Der Autor zeichnet die brachen. Ereignisse im Juni 1968 nach und korri- Es ist Stefan Welzk und den anderen Be- giert dabei einige Fehlannahmen, die sich teiligten zu wünschen, daß dieses Buch bis heute hartnäckig halten. Aus Welzks der vollständigen Geschichte des Protests Sicht waren diese Korrekturen nicht zu- gegen die Leipziger Kirchensprengung letzt deshalb nötig geworden, weil sich Geltung verschafft. seit Ende der 1990er-Jahre ein vermeint- Melanie List licher Freund, Dietrich Koch, mit der Vorbereitung und Ausführung der Pla- kataktion rühmt und im Laufe der Zeit auch noch seinen Bruder zum Protagonis- ten stilisierte. Beide werden seitdem von der Stadt Leipzig und den Medien als tapfere Widerständler gefeiert. Dietrich Koch hat seine Sicht der Dinge in mehre- ren Büchern dargelegt (zum Beispiel in dem dreibändigen Werk Das Verhör. Zerstörung und Widerstand oder in Nicht geständig. Der Plakatprotest im Stasi- Verhör. Mit Erfolg hat sich Koch in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit als Hauptprotagonist der Protestaktion etab- liert. Anläßlich des 40. Jahrestages der Sprengung der Kirche durfte er einen Beitrag in der Zeitschrift Der Stachel- draht (4/2008) veröffentlichen. Darin stellt er Welzks Flucht als Weggang in den Westen dar. Seinen Kontakt zu Ber- nard Langfermann, dem bundesdeutschen IM, legt Koch als Freundschaft aus, die zum Verrat der Freunde in der DDR ge- führt habe. (Dietrich Koch: „Situation Universitätskirche“. Der Widerstand ge- gen die Sprengung der Leipziger Univer- sitätskirche St. Pauli). Nach Ansicht Kochs hätte Stefan Welzk erkennen müs- sen, daß Bernard Langfermann keine ver- trauenswürdige Person war, da dieser mit der Sozialistischen Einheitspartei West- berlins (SEW) sympathisierte und später sogar deren Mitglied wurde. Welzk ver- traute Langfermann jedoch damals, weil dieser unter seinem Hemd Texte der „Frankfurter Schule“ in die DDR ge- schmuggelt hatte und keinerlei Sympa- thien für das SED-Regime erkennen ließ. Kochs Äußerungen wiegen besonders schwer, da durch diese Verbindung zahl- reiche Freunde der Staatssicherheit aus- 208 ZdF 33/2013 Lauter, Gerhard: Chefermittler. Der zeichnung mit dem Karl-Marx- oberste Fahnder der K in der DDR be- Stipendium, das er noch heute für seine richtet. Berlin: edition ost 2012, 288 Sei- wichtigste Anerkennung hält: „Es war ten, 14,95 €. wie ein kleiner Ritterschlag in der gesell- Er war der dritte Mann, der am Abend schaftlichen Hierarchie der DDR.“ des 9. November neben Günter Nach seinem Dienstantritt 1973 im De- Schabowski und Oberstleutnant Harald zernat II der Volkspolizei, dem VP- Jäger im zufälligen Zusammenspiel für Untersuchungsorgan auf Bezirksebene, die Öffnung der Berliner Mauer sorgte. sollte Lauter bereits 1974 Leiter der neu Schabowski las ab, was Gerhard Lauter, gegründeten Antiterroreinheit der Volks- damals Leiter der Hauptabteilung (HA) polizei werden, obwohl er seine Schieß- Paß- und Meldewesen, auf einen Hand- resultate selbst als nur mäßig einstufte. zettel geschrieben hatte. Das veranlaßte Die Antiterroreinheit wurde der Hauptab- den BILD-Journalisten Brinkmann zur teilung K des Innenministeriums als Re- Frage, ab wann diese Regelungen in ferat IX zugeordnet, womit sie nur „zu- Kraft trete. Oberstleutnant Jäger öffnete fällig numerisch verwandt [war] mit der einige Stunden später in der Bornholmer entsprechenden Einheit des Bundes- Straße den ersten Schlagbaum. grenzschutzes (GSG 9)“, mit der sie laut Der 1950 in Dresden geborene Lauter Lauter auch gemeinsam hatte, daß beide begann nach dem Jurastudium am in Reaktion auf offenkundig mangelnde 1. Februar 1973

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