Georg Gerson 1790–1825 3 Briefe an Jens Baggesen Herausgegeben von Christian Mondrup c 2018 Christian Mondrup Gesetzt mit LATEX. Unkommerzielle Vervielfältigung gestattet Inhaltsverzeichnis Copenhagen, 21. November 1820...................... 3 Literatur................................... 12 2 Copenhagen, 21. November 1820 [Seite 1] Ehe ich, verehrter Freund!1 zur Beantwortung Ihrer in Hamburg begonnenen und in Ffurt2 vollendeten mir so lieben Epistel schreite, muß ich wohl erst unsre finanziellen Verhältnisse berühren; Sie haben mich vielleicht schon im Verdacht der Windbeuteley gehalten - vielleicht sind schon einige freundliche Vorwürfe unterwegs für oder gar an mich. Diese und noch mehrere Vielleichtse quälten mich so oft ich an den alten Baggesen dachte (wie oft dazu in der letzten Zeit Veranlassung war, hat Courl:3 Ihnen berichtet) und dennoch zögerte ich theils freywillig mit einem begegnenden Briefe, theils verschob ich das Schreiben unwillkürlich, und zwar aus dem ganz einfachen Beweggrunde, daß ich meinem Briefe gerne die Rouensche Addresse einverleiben wollte an welche Ihre Kisten &c: gegangen, und daß ich durch überhäufte Geschäfte, mehr durch die Abwesenheit meines Associé’s4 herbeygeführt als durch brilliante Geschäfts Conjuncturen, verhindert wurde, auch nur Einen nicht- mercantilischen Brief zu schreiben. Letzteres habe ich nun dadurch beseitigt, daß ich einen Spät-Abend und einen Früh-Sontag zu Hülfe genommen. Erstens aber, die Aufgabe der Rouenschen Addresse, dürfte sich solange verzögern, daß ich, wenn ich ebenso lange gegen Sie schweige, die Vorwürfe verdiente, welche ich an mich bereits unterwegs wähne. Sämtliches Gepäck liegt nehmlich schon längst in Elseneur,5 wo auch wöchentlich Schiffegelegenheit ist – weil aber die durchpassierenden Schiffer, mehr auf Volumen als auf Gewicht und Werth sehend, eine unmäßige Fracht von 6 60 franken förderten, so hielten unsre Comissionairs sich nicht für befügt, unter so [Seite 2] schädlichen Bedingungen die Verladung zu bewerkstelligen. Auf diese Weise blieben mehrere Gelegenheiten unbenutzt. Jetzt habe ich indessen den Comissionair beordert allenfalls 50 fren. 7 zuzugestehen, und ??wende noch täglich Schiffe aus der Osten nach Havre und Rouen bestimmt, erwartet, worunter wohl ein Billiges sich finden wird. Sobald ich Ihnen hierüber etwas mit Gewißheit sagen kann, werde ich Sie dann in Kenntniß setzen. Im schlimmsten Falle müßen wir das Frühjahr abwarten, wo die Versendung zu billigeren Fracht, Jahreszeit- und Concurrenz-halber, und auch unter leichteren Assuranz-Prämie geschehen Kann. Courl er. 8 meint, daß die Sachen Ihnen nicht so wichtig oder nothwendig wären, daß man einem früheren Versande ein zu 1 Jens Baggesen (1764–1826), dänischer Dichter. Hat 1791 aus Bewunderung für Kant den Vornamen Immanuel angenommen. Siehe Wikipedia-DE, Jens Immanuel Baggesen, DBL-3, Jens Baggesen. 2 Wahrscheinlich in Frankfurt am Main während der Reise Jens Baggesens nach Paris 1820. Er hatte 1813–1820 in Kopenhagen gewohnt und siedelte 1820 nach Paris über. Jens Baggesen kildesamling, S. 31. 3 Martin Sigismund Wilhelm Courlænder (1784-1832, DJGB, I53862), Freund und Kollege von Gerson. Während der französischen Besatzung Hamburgs Polizeibeamter, musste „da sich aber das Blatt gewendet hatte, diese Stadt . verlassen“ (Abrahams, Meddelelser, S. 37). Die Kopenhagener Handelskammer widersetzte sich anfänglich seiner Suche um Gewerbeschein als Großkaufmann u.A. mit einem Hinweis an seinen Wandel in Hamburg (Fra Kongegunst til selvstyre., S. 366 ff., Lloyd und Campe 1815, S. 70 f., Lloyd 1814, S. 92). 4 Joseph Hambro (1780–1848), siehe DBL-3, Joseph Hambro 5 Französische Namensform der dänischen Hafenstadt Helsingør, nördlich von Kopenhagen. 6 Makler. 7 Wohl französische francs. 8 Note 3, Seite3 3 großes Opfer bringen sollte. Soweit die Erörterung („Entschuldigung“ mag ich nicht sagen, da ich bis jetzt gegen Sie wirklich nicht gefehlt habe) Ihres Comissionairs. Nun die Erläuterung Ihres salvo venia9 Banquiers. Als wir uns ganz wohl zu verständigen glaubten, muß doch ein Mißverständniß obgewaltet haben; ich verstand nehmlich, daß um Decb r. Termin R a 1500 Silber10 zu heben seyen, und in diesem Wahne versprach ich Sie bey Rougemt.11 für 4000 fr en. als approximativen Betrag zu accreditieren. Als ich aber mit der Vollmacht mich bey den Finanzen meldete, erfuhr ich, daß Sie die 3 Trimestres bereits erhoben hätten, und am 11n December folglich nur R a 375 zu heben seyen. Demnach 12 modificirte ich den versprochenen Vorschuß ebenfalls auf 1/4 und accredirte Sie bereits am 14n Octbr für 1000 fren. Sagen Sie mich nun gef[ällig]st, ob so Ihnen richtig ist, für noch 1000 fren. accreditirt zu seyn. In dieser Geldknappen Zeit13 bin ich lieber frey - wenn Sie es aber wünschen, so will ich meine Convenienz der Ihrigen [Seite 3] unterordnen, und, sobald Ihr Quartal bey mir in Cassa ist, wiederum fren. 1000 bey Rougem.t oder Rothschild14 (wo Sie wünschen) zu Ihre Verfügung stellen. Nun zur Beantwortung Ihres lieben, lieben Schreibens. Ich muß alle meine angestammte Unverschämtheit oder odle?? Dristigkeit zusammen nehmen, um auf einen solchen Brief zu antworten, und ich versichere Sie, daß ich nie so verlegen war, was und wie zu schreiben. Könnte diese Antwort gehaltreich werden, so würden Sie vielleicht die Form mit Güte übersehen, oder wüßte ich, die Form wenigen Werth zu geben, so könnte diese Ihnen die Schaalheit des Inhalts vielleicht ersetzen: aber das Gefühl, oder ich will ehrlich seyn: die Furcht, einen an Form und Gehalt gleich nicht-schönen Brief zu liefern, lähmt mir Geist und Feder - und ich bin überzeugt, daß ich an jede Andren besser schreiben könnte, als an Baggesen. Ich bin dessen ebenso sehr erzeugt, als ich zu wissen glaube, daß Oehlenschläger15 in den letzten Jahren nur darum so schlecht, desweil schlechter als früher schrieb, weil er für Sie zu schreiben wähnte. Furcht vor ernste Critik kann bey dem Gefühle der Schwäche nur schlechte Bücher und - schlechte Briefe gebähren.16 Ich schäme mich nicht, Ihnen meine Eitelkeit zu gestehen: Hätte ich nicht über unsre Geld-Angelegenheiten an Sie schreiben müssen, und hätte ich mir nicht die Fortsetzung Ihres mir so theuren 9 Fehlschreibung für „salva venia“, „mit Verlaub zu sagen“ 10 Wohl Dänische Rigsbankdaler Sølvværdi (Reichbankthaler Silberwert), Forordning, om Forandring i Penge- væsenet. 11 Wahrscheinlich Denis de Rougemont 1759–1839, Pariser Bankier, Berner Geschlechter o.D. 12 Wohl Fehlschreibung für „accreditirte“. 13 Das dänische Geldwesen geriet in tiefer Krise nach den Napoleonischen Kriegen. Eine Währungsreform 1813 entwertete das bisherige Geld bis zu einem Zehntel, Skovgaard-Petersen 1985, S. 84 f. 14 Pariserfiliale des Rothschildbankes, Wikipedia-DE, Rothschild. 15 Adam Gottlob Oehlenschläger, 1779–1850, dänischer Nationaldichter der Romantik, Wikipedia-DE, Adam Oehlenschläger. Gerson hat 2 Gedichte von Oehlenschläger vertont (G.48 und G.66). 16 Gerson nimmt hier die Partei Baggesens in dessen langwierigen (1813–1820) literarischen Fehde mit Oehlen- schläger (Verzeichnis, S. 163 f.). 4 Briefwechsels um jede Preis sichern wollen, so wären Sie bestimmt ohne Brief von mir geblieben. Schreiben Sie mir recht oft (ich verwahre die Briefe wie ein Heiligthum) und verbieten Sie mir das Antworten - und Sie machen mich doppelt glücklich. Dadurch sicherten Sie Sich auch, nie vergeblich auf eine Antwort von mir warten zu dürfen. Ueber die mir so gütig mitgetheilten 3 Gedichtchen mag ich nichts sagen; Sie [Seite 4] wissen ich glaube an Sie, und - bete an! Verdient Eines den Preis vor den anderen Beyden, so ist es, meiner Meynung nach, das 2te. an die jüngste und (wie Sie sagen, was ich aber dem Gedichte ungesagt fast abgelauscht hätte) schönste Tochter.17 Wie mich die Aussicht ergötzt, wenigstens vierteljährig dergleichen Lebens- Atteste von Ihnen erwarten zu dürfen, glauben Sie mir; wissen Sie. Ich stecke bestimmt den Brief zu mir, wenn ich zu Collin18 gehe, um das Geld zu heben, und, frägt er mich dann: „men lever ogsaa Baggesen“?19 so zeige ich ihm die Gedichte, und frage ihn statt aller Antwort, ob er glaubt, daß ich sie gemacht oder bey Oehlenschläger bestellt hätte. Ist der Mann in Acten nicht ganz versauert, so wird er den lebenden, vielleicht den wieder aufgelebten B. darin erkennen. Ich glaube auch noch nicht, daß er nach Beweisen Ihres Lebens fragen werde: ist er nun nicht ganz eingedäuert??, so wird er sich schämen, nach dem Lebens-Attest des Unsterblichen zu fragen. Dass Sie nicht in Hamburg einen Verleger suchten, war gewiss recht. Lotz,20 der Verleger der Originalien, muss jetzt gar sehr verlegen seyn, da er sein Blatt fortwäh- rend mit anonymen Bruchstücken aus dem Freßgedichte21 und mit dito Erzählungen 17 Wahrscheinlich „Sieg der Liebe“, von Gerson 1819 als dramatische Szene vertont (G.152), siehe Verzeichnis, S. 13, 157 f. 18 Jonas Collin 1776–1861, u.a. Sekretär der staatlichen Stiftung „Ad usus publicos“, die Wissenschaftler und Künstler wie Baggesen unterstützte, Wikipedia-DA, Jonas Collin und Wikipedia-DA, Fonden ad usus pu- blicos. 19 „Lebt denn auch Baggesen?“. 20 Hans Georg Lotz (1784–1844), „Schriftsteller und Belletrist, gründete 1817 eine Zeitschrift, die »Originalien«, deren Redaction er bis zu seinem Tode leitete“ (Allgemeine Deutsche Biographie, Lotz, Hans Georg). „Bag- gesens offentlige literaire Virksomhed i disse halvandet Aar var høist ubetydelig og indskrænker sig til Digtnin- gen af nogle enkelte Sange ... samt til Meddelelsen af nogle tydske Digte i det af Georg Lotz i Hamborg udgivne Literaturblad »Originalien«“
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