KANZLERBUNGALOW KANZLERBUNGALOW Prestel München • Berlin • London • New York Inhalt 6 Vorwort Wulf D. von Lucius/Hans Walter Hütter ARCHITEKTUR ECHO 10 50 Gebaute Diplomatie – Der Kanzlerbungalow in der öffentlichen Diskussion Der Kanzlerbungalow in seiner Zeit Judith Koppetsch Wolfgang Pehnt 34 Der Kanzlerbungalow im internationalen Vergleich Heinrich Wefing NUTZUNG REVITALISIERUNG 66 106 Der Kanzlerbungalow als Wohn- Die bauliche Revitalisierung des Kanzlerbungalows und Empfangsgebäude Georg Adlbert Udo Wengst 132 88 Veranstaltungen am historischen Ort – Der Kanzlerbungalow als Ort informeller Perspektiven der Nutzung Politik und persönlicher Begegnungen Hans Walter Hütter Volker Busse Autoren 138 Literaturhinweise 139 Bildnachweis 142 Impressum 144 Vorwort Am 14. Juni 1989 war der Kanzlerbungalow Schauplatz eines denkwürdigen Treffens: Im Rahmen seines ersten Staatsbesuchs in der Bundesrepublik Deutschland folgte Michail Gorbatschow mit seiner Gattin einer privaten Einladung von Hannelore und Helmut Kohl in ihr Bonner Domizil. Nach Mitternacht spazierten der Bundeskanzler und der Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU fern jeglichen Protokolls und nur von einem Dolmetscher begleitet durch den Park. Schließlich setzten sie sich auf die kleine Mauer, die den Park zum Rhein hin abschließt. In einem offenen und sehr persönlichen Gespräch kamen sich die beiden Staatsmänner hier auch in der deut- schen Frage näher. Ohne Übertreibung ist aus heutiger Perspektive festzuhalten, dass dabei erste Weichen für die Wiedervereinigung gestellt wurden. Diese für die deutsch-sowjetischen Beziehungen so wichtige Begegnung ist nur eine der zahlreichen Geschichten, die sich mit dem Kanzlerbungalow verbinden und von denen viele für die Historie der Bundesrepublik Deutschland relevant wurden – ent- weder bei offiziellen Treffen und Gesprächen oder bei privaten Gelegenheiten. Darü- ber hinaus wird das Gebäude selbst durch seine baulichen Veränderungen, die viel vom individuellen Lebens- und Repräsentationsstil der Bewohner vermitteln, zum historischen Objekt, zum historisch authentischen Schauplatz von Geschichte. Dass das »Wohn- und Empfangsgebäude für den Bundeskanzler« – wie der Kanzler- bungalow offiziell unprätentiös hieß – einmal der Öffentlichkeit zugänglich sein würde, ließ sich vor einigen Jahren noch nicht absehen. Mit dem Umzug von Par- lament und Bundesregierung nach Berlin 1999 verlor das Bauwerk seine ursprüngliche Funktion. 2005 unterbreitete die Wüstenrot Stiftung der Bundesregierung das Ange- bot, den Kanzlerbungalow in ihr Denkmalprogramm für die Erhaltung und Revita - lisierung hochkarätiger Bauten der Moderne aufzunehmen. Von 2007 bis 2009 setzte sie diese bauliche »Wiederbelebung« mit hohem denkmalpflegerischen Anspruch ins Werk und unterstützt auch die Nutzung in den ersten Jahren finanziell. In der umfassend sanierten Architektur und der musealen Ausstattung der Räume spiegelt sich heute nicht nur der bauzeitliche Zustand, sondern in einigen Teilen auch die spätere Gestaltung wider. Eine kleine Dauerausstellung im Eingangsbe- reich veranschaulicht zusätzlich die Nutzungsgeschichte dieses architektonisch bedeutenden Gebäudes. Der Besucher kann beim Gang durch die Räume im reprä- sentativen Teil verschiedene Zeitschritte nachempfinden. Architektur und Ausstattung stammen hier teils aus der Zeit des Bauherrn Ludwig Erhard, teils aus den Jahren des letzten Bewohners Helmut Kohl. Der private Wohnbereich und der Wirtschaftsteil wurden im vor der Revitalisierung vorgefundenen Zustand belassen. Darüber hinaus wird der Eindruck einer »Zeitreise« durch die Umgebung des Gebäudes noch verstärkt: Der Kanzlerbungalow ist in den an den Rhein grenzenden Park eingebettet und Teil des historisch bedeutsamen Gebäudeensembles zwischen Adenauerallee und Rhein. Das Gebäude liegt in unmittelbarer Nähe zum Bonner Amtssitz des Bundes- präsidenten – der Villa Hammerschmidt – und zum Amtssitz des Bundeskanzlers in der Bundesstadt – dem Palais Schaumburg – sowie zum 1976 fertiggestellten neuen Kanzleramt. Auch das ehemalige Bundeshaus befindet sich nur wenige Hundert Meter vom Bungalow entfernt. Die wichtigsten Bauwerke der deutschen Demokratie in Bonn umrahmen den Kanzlerbungalow gleichsam. Unser Dank gilt an dieser Stelle den Autoren dieses Buches. Ihre aufschlussreichen Beiträge beleuchten Gestalt und Geschichte des Kanzlerbungalows aus vielfältigen 6 Perspektiven – architekturhistorisch, zeitgeschichtlich, politisch. Dabei stehen nicht nur die Bau- und Nutzungsgeschichte, sondern auch der Prozess der baulichen Revita- lisierung sowie die Perspektiven der künftigen Nutzung im Vordergrund. Die Revitalisierung des Kanzlerbungalows ist das Ergebnis des Zusammenwirkens vie- ler Beteiligter. Für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit danken wir dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Für die Geschäftsführung der Wüstenrot Stiftung, die beauftragten Architekten, Fachleute und Firmen und die Stiftung Haus der Geschichte der Bun- desrepublik Deutschland bedeutete das Projekt über mehrere Jahre hinweg inten- sive Planung, Steuerung und Realisierung. Für diese große Leistung gebührt allen Be- teiligten ausdrücklicher Dank – ihre Anstrengungen haben sich gelohnt. Wir freuen uns, dass sich der zeitgeschichtlich und architektonisch bedeutsame Kanzlerbunga- low heute wieder mit Leben und dadurch mit neuen Geschichten füllt. Prof. Dr. Wulf D. von Lucius Prof. Dr. Hans Walter Hütter Vorsitzender des Vorstands Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Wüstenrot Stiftung der Bundesrepublik Deutschland 7 ARCHITEKTUR Der Münchner Architekt Sep Ruf gestaltet das »Wohn- und Empfangsgebäude für den Bundes- kanzler« als Bungalow mit großen Fenster- fronten. Die sachlich moderne, transparente Architektur unterstreicht die Funktion des Hauses als Ort der Begegnung und des Gesprächs. GEBAUTE DIPLOMATIE – DER KANZLERBUNGALOW IN SEINER ZEIT Wolfgang Pehnt Als der unbekannteste der bekannten deutschen Nachkriegsarchitekten wurde Sep Ruf lange Zeit gehandelt. Selbst auf der Höhe seines Ruhms habe er in der zweiten Reihe gestanden, dort aber ganz vorn, scherzte der Münchner Architekturhistoriker Norbert Huse. Gebaut hat Ruf allerdings viel. In Nürnberg und in München, neben Bonn die wichtigsten Orte seines Wirkens, ist sein Œuvre nicht zu ignorieren. Aber manche Faktoren, die heutzutage das Renommee von Architekten befördern, fehlen in seinem Werk. So hatte er zwar viele Freunde und aus seiner Lehrtätigkeit an den Nürnberger und Münchner Kunstakademien auch dankbare Schüler, doch die gro- ßen, öffentlichkeitswirksamen Auftritte waren selten. Der rustikale Charme des hünenhaften Mannes wirkte im kleinen Kreis. Auch schriftliche Äußerungen sind rar, eine anspruchsvolle theoretische Positionsbestimmung ergibt sich nicht daraus. Ein eindrucksvolles Spätwerk fehlt. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens musste er sich krankheitshalber zurückziehen. Sein Büro entwickelte bis dahin und erst recht nach Rufs Rückzug Routine, immer weit über dem Durchschnitt, aber ohne die Sensatio- nen, für die auch damals schon ein Hans Scharoun oder ein Egon Eiermann zu sor- gen wussten. Denn was heute icon building heißt, die Einmaligkeitsikonen der Architekturszene, gab es auch damals schon, wenn auch nicht bei Ruf. Zwar bestand er auf dem Recht auf freie Kunst, auf Baukunst: »Gestaltung muss in die Sphäre des rein Künstleri- schen vorstoßen.« Doch das Künstlerische mischte sich bei Ruf mit dem Vernünfti- gen, die Freiheit der Gestaltfindung mit einem Gefühl für das Angemessene. Damit findet man Zustimmung bei Auftraggebern, deren Sache das vorbehaltlos Auffällige, das ungewohnt Neuartige nicht ist, aber weniger bei den Medien, die Meinung machen und der Architekturgeschichte das Material vorbereiten. Als Ruf tatsächlich einmal vor den Augen der Weltöffentlichkeit agieren konnte, beim Entwurf der Deut- schen Vertretung auf der Brüsseler Weltausstellung 1958, musste er sich den Ruhm mit einem Öffentlichkeitsgenie und Publikumsliebling teilen, mit Egon Eiermann. Gilt das Wort von der zweiten Reihe, »dort aber ganz vorn«, auch heute noch? Die intensivere Beschäftigung von Denkmalpflege und Öffentlichkeit mit der Architektur der 1950er und 1960er Jahre, nicht zuletzt veranlasst durch eine Welle spektakulärer Abrisse, ist auch Ruf zugute gekommen. Einer großen Ausstellung im Münchner Architekturmuseum im Jahre 2008 zu Sep Rufs 100. Geburtstag folgte eine sorgfältig recherchierte und attraktiv gestaltete Buchpublikation, die erste seit Hans Wichmanns Monografie zwanzig Jahre zuvor. Die Restaurierung des Bonner Kanzlerbungalows, mit der die Wüstenrot Stiftung ihre Rettungsaktionen für bedeutende Zeugnisse der modernen Architektur fortsetzte, schaffte den Weg sogar in die Abendnachrichten des Fernsehens. Es scheint, als fände die spröde Eleganz dieses minimalistischen Bauens heute mehr unmittelbare Zustimmung als in den Dekaden davor. Die Kraft der stillen Werke Das Ende des Zweiten Weltkrieges hat der damals 37-jährige Architekt Sep Ruf als Offizier in der Sowjetunion erlebt. Noch im Mai 1945 konnte er sich zu Fuß nach Deutschland durchschlagen. In den Vorkriegsjahren hatte sich der junge Münchner Architekt bereits ein Büro aufbauen können, in dem rund fünf Dutzend Einfamilien- häuser entstanden waren, neben einigen anderen Bauten. Überwiegend sind es knapp gefasste, weiß verputzte Hauskörper, auf denen die Sattel- und Walmdächer 10 Architektur UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE Wüstenrot Stiftung Ludwigsburg, Stiftung Haus der Geschichte
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