„Rosenholtz“. Warum Deutschland Eine Neue Stasi-Debatte Bevorsteht

„Rosenholtz“. Warum Deutschland Eine Neue Stasi-Debatte Bevorsteht

410_71_76_Knabe 19.12.2003 9:48 Uhr Seite 71 Warum Deutschland Die Akte „Rosenholtz“ eine neue Stasi-Debatte bevorsteht Hubertus Knabe Die Stasi schilderte ihren Inoffiziellen lung zwischen Ost und West bei den Mitarbeiter als Westberliner Bauunter- Stasi-Verstrickungen ist ein bleibender nehmer und CDU-Funktionär. Der IM Makel im deutschen Einigungsprozess. „Delphin“, so der Deckname, habe enge Die Sonderbehandlung der West- Beziehungen zur Spitze der christdemo- Spione begann schon während der Auflö- kratischen Arbeitnehmerschaft. Laut Ar- sung der Stasi. Der Zentrale Runde Tisch beitsplan der DDR-Spionage sollte er räumte der HVA damals das Recht ein, 1989 Informationen zur Deutschlandpoli- sich ohne Kontrolle selbst aufzulösen. tik und zur Beurteilung der Bundespoli- Auch nach den ersten demokratischen tik der CDU beschaffen. Bis heute ist un- Wahlen im März 1990, als die Bundesre- klar, wer sich hinter dem IM „Delphin“ gierung in Sicherheitsfragen bereits eng verbarg. mit der DDR-Regierung zusammenarbei- Antwort darauf können die so genann- tete, kümmerte sich niemand um das ten Rosenholtz-Unterlagen geben, eine Stasi-Netz im Westen. Als die HVA im elektronische Kopie der Personenkartei Juni 1990 ihr Archiv schließlich abgewi- der Stasi-Spionage, die die USA vor eini- ckelt hatte, waren so gut wie alle Akten ger Zeit der Bundesrepublik übergeben vernichtet. haben. In der zentralen Kartei der einsti- Das Interesse, einen Schlussstrich zu gen Hauptverwaltung A – kurz: HVA – ziehen, war damals allenthalben spürbar. sind nach Angaben der Gauck-Behörde Wolfgang Schäuble wollte als Bonner etwa 12 000 westdeutsche Agenten regis- Innenminister alle Stasi-Spione amnestie- triert. Die, die bis zum Schluss aktiv wa- ren. Die HVA-Generäle boten an, den ren – rund 2000 Bundesbürger –, sind zu- bundesdeutschen Diensten im Gegenzug sätzlich in einer Mobilisierungskartei für ihr geheimes Wissen zu offenbaren. Eine den Kriegsfall aufgelistet. Die Daten um- öffentliche Aufarbeitung der westdeut- fassen das komplette Agentennetz der schen Stasi-Verstrickungen wurde nicht HVA – das letzte große Geheimnis der gewünscht. DDR-Staatssicherheit. Für die Stasi-Spione interessierten sich Dass dreizehn Jahre nach der Wieder- damals nur die USA. Sie konnten Anfang vereinigung immer noch nicht bekannt der neunziger Jahre unter ungeklärten ist, wer alles für den Staatssicherheits- Umständen die komplette Personenkar- dienst im Westen spioniert hat, ist er- tei der HVA als Mikroverfilmung an sich staunlich genug. Während im Osten bringen – mit den Namen aller Inoffiziel- Deutschlands tausende wegen früherer len Mitarbeiter. Entgegen einem vom Stasi-Tätigkeit ihren Job verloren, genos- Bundestag verabschiedeten Gesetz, dem- sen Stasi-Mitarbeiter in der alten Bundes- zufolge sämtliche Stasi-Unterlagen der republik eine seltsame Gnade der west- Gauck-Behörde zu übergeben sind, lagert deutschen Geburt. Die Ungleichbehand- die Kartei bis heute beim CIA – ohne dass Nr. 410 · Januar 2004 Seite 71 410_71_76_Knabe 19.12.2003 9:48 Uhr Seite 72 Hubertus Knabe die Bundesrepublik öffentlich dagegen dert CDs. Doch als im März 2000 – Spio- Einspruch erhoben hätte. nage für die DDR war inzwischen ver- Immerhin durfte der Bundesverfas- jährt – die erste CD in Deutschland ein- sungsschutz damals nach Washington traf, unterlagen auch diese Daten plötz- fahren und die Karteikarten von knapp lich der Geheimhaltung. Die CDU, die da- 1600 West-IM abschreiben. Die Aktion rin einen Rechtsverstoß sah, warf der trug die Tarnbezeichnung „Rosenholtz“, Bundesregierung vor, die Daten über die später auch für andere aus Ameri- West-Agenten aus politischen Gründen ka zurückkehrende Unterlagen benutzt unter Verschluss zu halten. wurde. Der Verfassungsschutz meldete der Bundesanwaltschaft insgesamt über „Zweierlei Maß“ 1800 Westdeutsche, gegen die anschlie- Mehr als drei Jahre vergingen, in denen ßend Ermittlungen eingeleitet wurden. die Akte „Rosenholtz“ weiterhin ver- Über neunzig Prozent der Verfahren wur- schlossen blieb. Während die IM-Akten den freilich wieder eingestellt. Die Am- von DDR-Bürgern großzügig über das nestie, die im politischen Raum keine Land verteilt wurden, sah sich die Aufar- Mehrheit bekommen hatte, kam so auf beitung westdeutscher Verstrickungen kaltem Wege zu Stande. Nur etwa fünfzig unüberwindlichen Hindernissen ausge- Spione mussten wirklich in Haft, inzwi- setzt. schen sind alle wieder auf freiem Fuß. Eine Ahnung, wie groß das Spionage- Einige haben sich inzwischen in Organisa- netz der DDR gewesen war, vermittelte tionen wie dem Verein „Kundschafter des nur die späte Entschlüsselung einer Da- Friedens“ zusammengeschlossen und kla- tenbank, in der die HVA die Berichte ih- gen über die angebliche Siegerjustiz. rer Agenten registriert hatte. Allein für Gleichwohl wurden die Rosenholtz- den Zeitraum von 1969 bis 1987 waren in Unterlagen weiterhin wie ein Staatsge- den so genannten SIRA-Dateien fast 5000 heimnis gehütet. Zwar waren die Ab- Quellen registriert – ohne Wirtschafts- schriften schon 1993 der Gauck-Behörde spione. In der Datenbank finden sich die übergeben worden, doch statt sie für die Titel der Informationen und die Deckna- Aufarbeitung des westdeutschen Stasi- men der Informanten aus dem Westen. Netzes zu nutzen, sperrte man sie in den Doch wer sich dahinter verbarg, geht Panzerschrank. Die Folge war, dass selbst nicht daraus hervor. überführte Spitzenspione wie der Bonner Die Verantwortlichen bemühten sich, SPD-Chef Rudolf Maerker von der Stasi- kritische Nachfragen in der Öffentlichkeit Akten-Behörde als unbelastet eingestuft als unbegründet zu zerstreuen. Mehrfach wurden. Ohne Zugang zu den Rosen- erklärte die Bundesanwaltschaft, dass holtz-Papieren verfestigte sich der Ein- alle DDR-Spione enttarnt seien. Die Zahl druck, die Zusammenarbeit mit dem der Agenten wurde zudem nach unten Staatssicherheitsdienst sei in erster Linie korrigiert. Während die Gauck-Behörde ein Problem der Ostdeutschen. 1998 in ihren Karteien noch 20 000 bis Bürgerrechtler aus der ehemaligen 30 000 West-IM zählte, hieß es plötzlich, DDR wandten sich schon vor fünf Jahren lediglich 1550 Bundesbürger hätten für an den damaligen US-Präsidenten Bill die HVA spioniert. Anfragen, wer sich Clinton und forderten, die Personenkar- hinter den zahlreichen inzwischen be- tei der HVA nach Deutschland zurückzu- kannt gewordenen Decknamen verberge, führen. Ein Jahr später erklärten sich die wurden in der Regel mit dem Hinweis be- USA tatsächlich bereit, die Unterlagen zu- antwortet, dass man diese nicht ent- rückzugeben, kopiert auf mehrere Hun- schlüsseln könne. Die Rosenholtz-Unter- Seite 72 Nr. 410 · Januar 2004 410_71_76_Knabe 19.12.2003 9:48 Uhr Seite 73 Die Akte „Rosenholtz“ lagen, in denen die Klarnamen der Quel- len genannt sind, blieben unter Ver- Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des schluss. Staatssicherheitsdienstes Marianne Birthler Mit großer Aufmerksamkeit nahm die bei der Präsentation der Rosenholtz-Stasiakten am 8. Juli 2003 in Berlin. Öffentlichkeit deshalb Ende Juni die Mit- © dpa, Foto: Wolfgang Rumm teilung der Stasi-Akten-Beauftragten Ma- rianne Birthler wahr, dass die USA die Geheimhaltung der Dateien aufgehoben hätten. In einer Presseerklärung kündigte Frau Birthler an, dass die Daten künftig wie die anderen Karteien des Staatssi- cherheitsdienstes genutzt werden könn- ten. Wissenschaftler und Journalisten stellten umgehend Anträge, um Auf- schluss zu erhalten, wer im Westen für die Stasi arbeitete. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Auf einer Pressekonferenz teilte die Bun- desbeauftragte im Sommer mit, dass die Unterlagen zwar nicht länger geheim seien; doch das bedeute nicht, dass sie ab sofort vollständig zugänglich seien. Die Daten müssten erst „abgeglichen und ge- gebenenfalls korrigiert“ werden, was mehrere Monate in Anspruch nehmen würde. Die Anträge auf Einsichtnahme wurden erneut abschlägig beschieden. Entgegen dieser Ankündigung bekam Auf einer kleinen Karte ist der Name des die Öffentlichkeit Ende Juli dann aber Betreffenden notiert, zusammen mit einer doch noch eine Karteikarte aus den Ro- Registriernummer, die zu einer zweiten senholtz-Unterlagen zu sehen – die erste, Karte führt, auf der der Deckname und die überhaupt herausgegeben wurde. der Führungsoffizier der Quelle stehen. Dass sie ausgerechnet den PDS-Vorsit- Ein drittes Blatt stammt aus der erwähn- zenden Lothar Bisky und damit einen ten Mobilisierungskartei und enthält wei- ehemaligen DDR-Bürger betraf, brachte tere Angaben zu dem jeweiligen Spion, die Behörde in Erklärungsnöte. Warum, allerdings nur zu denen, die 1988 noch ak- so fragte sich mancher Ostdeutsche, tiv waren. Die im Vorfeld verbreiteten wurde die Karte zu Bisky herausgegeben, Vermutungen, die Unterlagen seien von während die der westdeutschen IM wei- den USA manipuliert, stellten sich als terhin gesperrt sind? haltlos heraus. Immerhin konnte sich die Öffentlich- keit auf diese Weise erstmals ein eigenes Auch Ostdeutsche betroffen Bild von den geheimnisumwitterten Ro- Deutlich wurde an dem Fall Bisky auch, senholtz-Papieren machen. Bei den he- dass nicht nur Westdeutsche für die Stasi- rausgegebenen Unterlagen zu Bisky han- Spionage arbeiteten. In den Rosenholtz- delte es sich um Kopien der üblichen Unterlagen sind auch 40 000 DDR-Bürger Stasi-Karteikarten, die bei der Selbstauf- als IM erfasst, die bislang bei allen Über- lösung der HVA beseitigt worden waren. prüfungen als unbelastet eingestuft wor- Nr. 410 · Januar 2004 Seite 73 410_71_76_Knabe 19.12.2003 9:48 Uhr Seite 74 Hubertus Knabe den waren. Da die

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