Rockband The Rolling Stones 1964: Du kannst sein, wer du willst, wenn du nur eine Gitarre in der Hand halten kannst 114 DER SPIEGEL 27/2012 Kultur LEGENDEN Die Letzten ihrer Art Sie lieferten den Sound zur sexuellen Revolution, zum Studentenprotest und zum Drogenrausch. Seit 50 Jahren tun die Rolling Stones Dienst, immer noch als die größte Band der Welt. Von Georg Diez und Thomas Hüetlin ick und Keith, was soll man dazu men, die eine Menge Geld bezahlten, um Mick Jagger wird dann 70 Jahre alt sagen: zwei Helden, zwei Irre, sich mit den Stones zu schmücken. „Ich sein, Keith Richards 69, Charlie Watts 72, Mzwei Untote? Der eine ein teufli- will nur eines: eine verdammte Platte von und selbst Ron Wood, der erst 1975 ein- scher Engel, der andere ein Gitarrist wie den Jungs. Alle 18 Monate.“ stieg, hat dann mit 65 das offizielle engli- eine rauchende Lunte. Narziss und To- Es gibt Regeln. Und es gibt die Rolling sche Rentenalter erreicht. tenkopf. Eines der großen Paare des 20. Stones. Sie haben eine Karriere darauf auf- Mit diesen Tourneen erzielen die Rol- Jahrhunderts. gebaut, sich nicht an die Regeln zu halten. ling Stones Rekordeinnahmen, zuletzt Sie passen im Grunde nicht zusammen, Chess hat flinke, grüne Augen. Sein mit „A Bigger Bang“: 558 Millionen Dol- der ehemalige Student und der Arbeiter- Haar ist grau. Seinen Musikverlag hat er lar. Der nicht nachlassende Erfolg, auch sohn, der Geschäftsmann und der Selbst- verkauft. Er spüre das Alter, sagt er. Den in Zeiten elektronischer Downloads, hat zerstörer. Gemeinsam veränderten sie Rücken, die Knie. Am Wochenende habe die Mitglieder der Band sehr reich ge- den Lauf der Dinge. er Zahnschmerzen gehabt, so schlimm, macht. Jaggers Vermögen wird auf 300 Sie verkörpern das Helle und das dass er dachte, jemand bohre mit einem Millionen Dollar geschätzt, Richards soll Dunkle, das Hedonistische und das Dio- Dolch in seinem Kiefer herum. Ein Höl- 270 Millionen schwer sein, Watts 125 Mil- nysische unserer Zeit – ihre lionen, Wood 55 Millionen Geschichte erzählt davon, Dollar. wie wir wurden, was wir sind. Was da zu besichtigen ist Im Kleinen: wie der Erfah- in Fußballstadien oder auf rungsraum von Krieg, Not matschigen Feldern, sind die und Hunger ersetzt wurde großen Überlebenden aus durch den Erlebnisraum von der Stunde null des Pop. Die Liebe, Spaß und Konsum. Letzten ihrer Art. Im Großen: wie der Westen Bill Clinton hält Lobreden herrschte. auf die Band und ließ sie zu Und so ist ein Blick auf 50 seinem 60. Geburtstag auf- Jahre Rolling Stones auch ein spielen. Hollywood-Regisseur Blick auf das vergangene hal- Martin Scorsese sagt: „Sie ga- be Jahrhundert, das die Ära ben meiner Generation eine des Pop war. „Das Gesicht Stimme, eine Form.“ von Keith Richards“, sagt der Sie sind die Band der Baby- britische Historiker Simon boomer, jener Generation, Schama, „sagt mehr über das / GETTY IMAGES MICHAEL WARD S. 114: (R.) VERLAG (L.); / PRESTEL MIRRORPIX ALAMY die das Konzept der Jugend 20. Jahrhundert als jedes an- Rolling-Stones-Plakate 1964, 1973: Sex als Waffe für sich erfand, den Sex, den dere Dokument.“ Spaß, wie man heiratet, Kin- Alle Wut und alle Widersprüche haben lengeschäft, der Rock’n’Roll, sagt Chess. der kriegt, einander betrügt und sich sich in dieses Gesicht gegraben, die Er sei froh, dass er nicht mehr dabei sei. scheiden lässt, wie man lebt und liebt und Schönheit, der Sex, die Verschwendung, Aber die Rolling Stones? altert, indem man nicht altert. die Gefahr. Es war eine tolle, es war eine „Denen ist das egal“, sagt Chess. „Ihre Die Stones lieferten den Soundtrack harte Zeit. Manche haben überlebt, man- Welt ist anders. So wie der Mars anders zur eigentlichen Revolution des 20. Jahr- che nicht, manche gerade so. ist.“ hunderts – Jahre bevor ein paar Studen- „Als ich mit den Stones fertig war, habe Ihren ersten Auftritt hatten die Rolling ten in Paris und Berlin auf die Barrikaden ich meinen Revolver in den East River Stones am 12. Juli 1962 in einem Londo- stiegen. Und diese Revolution hatte einen geschmissen“, sagt Marshall Chess. Er ist ner Club namens Marquee. Seit 50 Jahren kurzen Namen: Pop. 70 Jahre alt und steht im 10. Stock seines sind sie im Dienst. Pop schaffte die Gesellschaftsgrenzen Büros in einem denkmalgeschützten Art- Aber was für ein seltsames Ding ist die- ab, indem er die Geschmacksgrenzen déco-Wolkenkratzer in New York. ses Jubiläum? Es gibt keine Tournee zu abschaffte. Pop war ein Umsturz der Chess war Geschäftsführer bei den Rol- diesem Anlass, keine CD, sie ziehen es Verhältnisse, der Machtarrangements, der ling Stones, er hat einige ihrer wichtigsten vor zu schweigen, es gibt nur den schnell Art zu reden, zu denken, zu leben. Pop Platten produziert, er hat ihnen Häuser zusammengeleimten Bildband „The Rol- war eine Revolution, die ästhetisch be- besorgt, Autos, Frauen, Drogen, alles, da- ling Stones: 50“ im Prestel Verlag mit lust- gann und politisch und ökonomisch trium- mit es weiterging. „Es ist mir egal, was losen Kommentaren. Goldenes Jubiläum? phierte. du tust“, sagte ihm Ahmet Ertegün, Prä- Ohne uns. Eine Welttournee ist für das Pop war eben nicht nur Oberfläche, sident von Atlantic Records, einer der Fir- kommende Jahr geplant. Glitzer und Sex, Pop war auch Demokra- DER SPIEGEL 27/2012 115 Kultur tisierung, Pop war Gute-Laune-Kapita - nomics. Richards, der Sohn eines Arbei- der eines Krieges, den Englands Eltern lismus – Pop war eine Revolution, die ters, hing an einer Kunstschule rum, wo geführt hatten. Es war nicht ihr Krieg ge- links begann, im kollektiven Widerstand er Mülltonnen explodieren ließ, einem wesen. Aber sie erbten den Mangel, die gegen die herrschenden Verhältnisse, und Kakadu Aufputschpillen fütterte und auf Strenge, die Nachkriegsdepression. die rechts endete, im Individualismus dem Klo Gitarre spielte. Er war, wie man Dagegen wehrten sie sich. Mit ihrer und der Frage, wer mehr kann und wer im Britannien der Nachkriegszeit zu sa- Musik, mit ihrem Stil, mit ihrer Kultur: mehr hat. gen pflegte, Futter für die Kriege in den Es war die Erfindung des Teenagers aus Im Grunde stellte Pop Karl Marx auf Kolonien. Ein Prolet, dem Untergang dem Geist der aufblühenden Wohlstands- den Kopf: Pop veränderte die Welt, in- geweiht. gesellschaft. Denn auf einmal war auch dem er sie anders interpretierte – alt ist Gemeinsam mit dem Gitarristen Brian Geld da, zuerst in Amerika, wo das alles schlecht und jung ist gut, und du kannst Jones hausten die beiden in einer Zwei- anfing, dann in Europa: Geld für Autos, sein, wer du willst, wenn du nur eine Zimmer-Wohnung, sie waren arm und Geld für Röcke, Geld für blaue Wild - Gitarre in der Hand halten kannst. hatten nicht einmal einen Namen. lederschuhe. Die Jugend war auf der Sie- Und so veränderten die Rolling Stones „Wir hatten kein Gas damals und froren gerseite der Geschichte – und veränderte die Welt, indem sie am Rand der west - uns den Arsch ab“, so geht die Geschich- den Kapitalismus, indem sie einen neuen lichen Vernunft tanzten. Sie waren die te, die Keith Richards erzählt. „Kein Was- Markt erfand. Pragmatiker des Pop. Sie hatten kein Kon- ser, nichts, alles war abgestellt. Aber end- In diesem Markt mussten die Stones zept, keinen höheren Plan. Sie waren kei- lich hatten wir einen Gig, also sagten wir: ihren Platz erst finden. „Ich wollte an ne Missionare. Sie wollten nicht Kunst Rufen wir doch mal die ,Jazz News‘ an. den Wochenenden nicht Rock, sondern sein wie die späten Beatles; sie wollten Die fragten: Wer? Jede Sekunde am Te- Blues spielen“, sagte Mick Jagger einmal. immer das pure Leben sein, groß und ge- lefon kostete wertvolles Geld. Da lag eine „Rock, das waren lauter mittelmäßige, fährlich. Platte von Muddy Waters rum, und der langweilige Typen, die in grässlichen „Die Beatles wollen deine Hand hal- erste Song darauf war ,Rollin’ Stone Theatern vor Leuten auftraten, die sich ten“, hat der amerikanische Schriftsteller Blues‘.“ Und Brian sagte in aller Panik: prügelten. Überall roch es nach altem Tom Wolfe gesagt, „die Stones wollen „Ich weiß nicht … Rollin’ Stones.“ Bier und ungewaschenen Kleidern.“ deine Stadt niederbrennen.“ Der Name traf das Gefühl einer Gene- 1963 wurde ein Mann namens Andrew Sie nahmen die Musik der Schwar - ration. Ortlos, ziellos, Geröll. Sie waren Loog Oldham ihr Manager. Was die meis- zen und ließen die weiße Mittelschichts- alle Kinder des Krieges. Brian Jones war ten abstieß – der raue, schwarze Sound, jugend dazu tanzen. Es war die lässigste 1942 geboren, Keith und Mick 1943. Kin- die schmutzige Lust in ihren Songs, der Art, die Rassenschranken zu Sänger, der sich bewegte wie überwinden. eine Königskobra: Oldham „Sie spielten den Blues“, war sich sicher, dass er Großes sagt Marshall Chess, den ver- vor sich hatte. „Es war Sex. pönten Blues, die Leidens- Und ich war einen Schritt vor musik der schwarzen Skla- dem Rest der Meute dran.“ ven – der Vater und der Onkel Oldhams nächste Idee war von Chess, Kinder jüdischer es, diese anarchische Haltung Einwanderer aus Polen, hat- gegen die erfolgreichste Band ten in Chicago eine Firma für des neuen Jahrzehnts, ge - diese Musik gegründet: Chess gen die fröhlich-beschwingten Records. Beatles zu stellen. „Wir ma- In Amerika spielte mit dem chen aus euch genau das Ge- Feuer, wer den Blues sang. genteil dieser netten, sauberen, Der Blues beschwor den Sex, ordentlichen Beatles. Und je er galt als liederlich, böse, mehr die Eltern euch hassen, desto mehr werden die Kids kinderverderbend. Jede Blues- Band war eine Band auf der / DAPD KOCH JOERG euch lieben“, sagte Oldham. Flucht. Gitarrist Richards in München 2003: Zu viel Geld auf dem Tisch „Wartet nur ab.“ In England gab es kaum Der Trick funktionierte. Läden, die solche Platten ver- Die Zeitungen geißelten die kauften, man musste sie per Band als „langhaarige Mons- Post bei Chess bestellen, und ter“, ihre Platten rasten an die genau diese Platten waren der Spitze der Charts.
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