Zu den Ursachen des Untergangs der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik – Versuch einer Bestandsaufnahme für Mecklenburg und Pommern Beiträge zum Seminar des Vereins für Politik- und Sozialgeschichte Mecklenburg-Vorpommern e.V. in Rostock am 30. August 2001 (Band 2) 2 Herausgeber: Rosa-Luxemburg-Stiftung. Regionalbüro Mecklenburg- Vorpommern und Forum für politische und interkulturelle Bildung M-V e.V. 18055 Rostock, Augustenstraße 78, Tel. 0381 4900450 E-Mail: [email protected] Verein zur Politik und Sozialgeschichte Mecklenburg- Vorpommerns e.V. 17489 Greifswald, Friedrich-Löffler-Str. 29 Redaktion: Dr. Michael Herms V.i.S.d.P.: Dr. Werner Lamprecht 3 Inhalt Fred Mrotzek Sozialdemokratie und Koalitionsregierungen in beiden Mecklenburg 1932 Heinz Koch Zur Auseinandersetzung zwischen SPD und KPD am Ende der Weimarer Republik in Mecklenburg-Schwerin Werner Lamprecht Die Arbeiterparteien in Pommern in den ersten Monaten der Nazidiktatur Wolf Karge Demokratische Gruppierungen in Mecklenburg in der Weimarer Republik Dietrich Eichholtz Das deutsche Großkapital und die Machtübergabe an Hitler Joachim Copius Die Machtübertragung an die Hitlerbewegung und ihre Auswirkungen an der Universität Greifswald, besonders an der Medizinischen Fakultät 4 Vorbemerkung Der „Verein zur Politik- und Sozialgeschichte Mecklenburg- Vorpommerns e.V.“ und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Forum für politische und interkulturelle Bildung M-V e.V. veranstalteten am 30. Juni 2001 in Rostock ein Seminar zum Thema „Zu den Ursachen des Untergangs der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik – Versuch einer Bestandsaufnahme für Mecklenburg und Pommern“. Band 1 dieser Tagung erschien im April 2002 mit Beiträgen von Kurt Pätzold, Klaus Schwabe, Mario Niemann, Hermann Langer, Gustav-Adolf Strassen, Joachim Copius, Ernst- Joachim Krüger sowie einer Vorbemerkung des Initiators Werner Lamprecht. Unglückliche Umstände verzögerten die Herausgabe des zweiten Bandes, der ebenso wie Band 1, der leider nur noch in begrenztem Umfang vorliegt, Anregungen zur Beschäftigung mit der Geschichte unserer Region bieten. Rostock, im März 2007 Dr. Michael Herms 5 Sozialdemokratie und Koalitionsregierungen in beiden Mecklenburg 1932 Fred Mrotzek Der schwere Weg der Demokratie Das Jahr 1932 stellt ohne Zweifel eine wesentliche Zäsur auf dem Weg in die „deutsche Katastrophe“1 dar. Bis heute streiten Historiker darüber, ob der Regierungsantritt Hitlers hätte verhindert werden können. Die DDR-Historiographie behauptete, dass die Hauptschuld für den 30. Januar 1933 bei der Sozialdemokratie und deren fehlender Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Kommunisten zu suchen sei. Diese einseitige Schuldzuweisung taugt allenfalls zur Ablenkung der von Stalin initiierten Politik der KPD in den 20er und 30er Jahren. Auch in Mecklenburg war die KPD eine antidemokratische Partei, die wesentlich zur Radikalisierung der politischen Verhältnisse beitrug. Eine Analyse sozialdemokratischer Politik in den mecklenburgischen Freistaaten am Ende der Weimarer Republik kann nicht erfolgen, ohne auf das Verhältnis der SPD zur ersten deutschen Demokratie und deren Geschichte einzugehen. Während der Novemberrevolution wurde die 1 Friedrich Meinecke: Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1947. 6 Sozialdemokratie nicht nur zum „Konkursverwalter des alten Regimes“, wie Friedrich Ebert am 6. Februar 1919 während einer Sitzung der Nationalversammlung feststellte, sondern auch stärkste Ordnungskraft und „die erste unter den Geburtshelferinnen“2 der Demokratie. Der gebremste Charakter der Revolution war nötig, um einen deutschen Bürgerkrieg zu verhindern. Allerdings konnte in der folgenden Zeit die Sozialdemokratie ihre politischen Mehrheiten in den Parlamenten nicht nutzen, um die Macht der alten Eliten einzuschränken. Der von der äußersten Linken und konservativen Rechten erhobene Vorwurf des sozialdemokratischen Verrats ist nicht haltbar. Von ihrer demokratischen Grundeinstellung und ihren freiheitlichen Traditionen hat die SPD auch während des Bestehens der Weimarer Republik keine Abstriche gemacht. In Mecklenburg vollzog sich 1918 bis 1920 mit der Abschaffung der ständischen Rechtsverhältnisse und der Einführung einer modernen demokratischen Verfassung ein ungleich größerer Entwicklungsschub als im Reich und den anderen Ländern. Die SPD war hier mehr noch als anderswo Hauptinitiator der parlamentarischen Demokratie. Obwohl die mecklenburgische Sozialdemokratie „nie zu einer Gliederung von überregionalem Gewicht“ wurde und „immer im Schatten 2 Alfred Kastning: Die deutsche Sozialdemokratie zwischen Koalition und Opposition 1919-1923, Paderborn 1970, S. 7. 7 ungleich größerer und einflussreicherer Bezirke und Gliederungen der Sozialdemokratischen Partei“3 stand, konnte sie von 1918 bis 1932 in beiden mecklenburgischen Freistaaten auf beachtliche Wahlerfolge verweisen: In den ersten Parlamenten – am 15. Dezember 1918 in Mecklenburg- Strelitz und am 26. Januar 1919 in Mecklenburg-Schwerin gewählt – stellte die SPD mit deutlichem Abstand die stärkste politische Kraft dar. Die Sozialdemokraten waren in den Kabinetten beider mecklenburgischen Länder häufiger vertreten als in den Reichsregierungen der Weimarer Republik. Am Ende von Weimar stand die SPD einem übermächtigen extremistischen Gegner gegenüber: Kommunisten und Nationalsozialisten lieferten sich nicht nur gegenseitig blutige Straßenschlachten, sondern bekämpften – in zwei überregionalen, spektakulären Ereignissen auch als Verbündete – den demokratischen Staat mit allen Mitteln. In Mecklenburg wurde die Sozialdemokratie mehr noch als im Reich und den Ländern zur einzigen Verteidigerin der Demokratie. Als die NSDAP in Mecklenburg-Schwerin im Juli 1932 die Regierungsgewalt übernahm, trat deshalb das Scheitern der Republik frühzeitiger und deutlicher als im Reich zu Tage. 3 Werner Müller/Fred Mrotzek/Johannes Köllner: Die Geschichte der SPD in Mecklenburg und Vorpommern, Bonn 2002, S. 9. 8 Das Schicksalsjahr 1932 Der Zusammenbruch der Weimarer Republik begann bereits im Jahr 1930: Am 27. März 1930 trat die letzte parlamentarische Mehrheitsregierung unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Hermann Müller zurück. Als Konsequenz des Bruchs der Großen Koalition fand eine Machtverlagerung vom deutschen Reichstag auf den Präsidenten statt. Die konservativen Pläne sahen die Umgestaltung der Weimarer Republik in einen autoritären Präsidialstaat vor. Am 29. März 1930 ernannte Reichspräsident von Hindenburg den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler. Wenig später begann das Regime der Notverordnung nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung.4 Die SPD hätte die Abkehr von der parlamentarischen Demokratie verhindern können – „freilich nur um den Preis einer Parteikrise und wohl auch nur auf kurze Zeit“5. Der Rückfall in den Obrigkeitsstaat war der Anfang vom Ende der Weimarer Republik. Bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 verbuchte die NSDAP, deren Aufstieg bereits im Spätherbst 1929 begann, starke Stimmengewinne und wurde hinter der SPD 4 Vgl. Heinrich August Winkler: Weimar – Bonn – Berlin. Die Entwicklung der deutschen Demokratie im 20. Jahrhundert, in: Die zweite gesamtdeutsche Demokratie. Ereignisse und Entwicklungslinien, Bilanzierungen und Perspektiven, hrsg. von der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, München 2001, S. 14. 5 Ders.: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933, Bonn 2002, S. 488. 9 zweitstärkste Partei. Reichskanzler Brüning verfügte über keine Mehrheit im Reichstag und konnte nur durch die Tolerierungspolitik der Sozialdemokratie bestehen. „Die SPD tat dies, weil sie eine noch weiter rechts stehende, von den Nationalsozialisten abhängige Reichsregierung verhindern (…) wollte.“6 Das Jahr 1932 wurde in der Tat zu einem Schicksalsjahr. Die deutsche Staatskrise spitze sich im Sommer zu. In der Folge entstanden bürgerkriegsähnliche Zustände. Mit der Entlassung des Kabinetts Brüning und der Berufung der so genannten Regierung der „nationalen Konzentration“ unter Franz von Papen begann am 30. Mai 1932 die Periode des autoritären, offen antiparlamentarischen Präsidialstaates.7 Nach den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 entstand kurzzeitig ein politisches Machtvakuum. Die NSDAP ging mit 230 Abgeordneten als stärkste Partei hervor und verfügte zusammen mit der KPD über die Mehrheit der Mandate. Durch die Stärke der beiden totalitären Parteien wurde der deutsche Reichstag als konstruktives Verfassungsorgan unbrauchbar und zur Erfüllung seiner Pflichten untauglich.8 Während des Reichstagswahlkampfes hatten sich Nationalsozialisten und Kommunisten blutige 6 Winkler (Anm. 4), S. 14. 7 Vgl. ebenda, S. 15. 8 Vgl. ebenda. 10 Auseinandersetzungen geliefert. In dieser Krisensituation blieb die SPD Ordnungskraft. Der durch die Tolerierung der SPD im April 1932 wieder gewählte Reichspräsident Paul von Hindenburg lehnte im Sommer den Anspruch Adolf Hitlers auf das Amt des Reichskanzlers ab. Als am 6. November die zweiten Reichstagswahlen im Jahr 1932 folgten, hatten die Nationalsozialisten ihren Zenit überschritten. Die NSDAP verlor über zwei Millionen Stimmen und erreichte 37,3 %. Gewinner der Wahlen waren die Kommunisten, die mit einem Stimmenanteil von 16,9 % auf 100 Abgeordnetenmandate kamen. Obwohl die Nationalsozialisten geschlagen schienen, erhielten sie eine letzte Chance. Angestachelt von dem Wahlerfolg intensivierte die KPD ihren Klassenkampf und propagierte offen den Bürgerkrieg. Hitler, der als Konsequenz aus dem gescheiterten Putsch 1923 den „legalen“ Weg
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