SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 23. 09. 1968 [56] 23. September 1968: Fraktionssitzung AdsD, SPD-BT-Fraktion 5. WP, 100 Überschrift: »Protokoll über die Fraktionssitzung am Montag, 23. 9. 1968, 17 Uhr im Fraktionssitzungssaal«. Dauer: 17.00–20.40 Uhr. Anwesend: 146. Vorsitz: Schmidt. Bun- desregierung: Brandt, Heinemann, Strobel. PStS: Arndt, Jahn. Protokoll: Laabs. Datum der Niederschrift: nicht bekannt. Sitzungsverlauf: A. Informationen B. Mittelfristige Finanzplanung und Finanzreform (BE: Möller) C. Parlamentsinitiativen der Fraktion bis Sommer 1969 (BE: Helmut Schmidt) D. Neue Termine E. Verschiedenes Im Namen der Fraktion wünscht er [Helmut Schmidt] der erkrankten Helene Wessel schnelle Genesung. Die Genossen Hamacher, Dr. Hubert und Steinhoff werden nach überstandener Krankheit in der Fraktionsmitte begrüßt. Der Assistent Hartmut Soell scheidet am 31. Oktober 1968 aus, um sich zu habilitieren. Für ihn tritt der Assistent Paul Friedrich als neuer Mitarbeiter in die Fraktion ein.1 Wegen ihrer Geburtstage werden die Genossen Kreutzmann, Alwin Brück, Helene Wessel, Reischl, Beuster, Herklotz, Urban, Strohmayr, Stephan und Saxowski beglück- wünscht. Tagesordnungspunkt 1:2 Informationen Rolf Meinecke fragt, welche Organisationen im Hinblick auf Biafra3 als spendenwürdig und seriös anzusehen seien? Welche Auffassung man zur Haltung Englands gegenüber Biafra zum Ausdruck bringen kann?4 Gerhard Jahn antwortet, daß als Organisationen das Rote Kreuz und die beiden Orga- nisationen der Kirchen in Betracht kommen. Nigerianer betrachten den Streit als innere Angelegenheit. Eine einstimmige Auffassung zu dieser Frage ist im Ministerrat der Westeuropäischen Union daran gescheitert, daß England Eigeninteressen zeigte und Frankreich keine Möglichkeit für eine einstimmige Auffassung dazu gesehen hat. Bei der Betrachtung der englischen Haltung muß berücksichtigt werden, daß die Russen 1 Friedrich war persönlicher Assistent des Fraktionsvorsitzenden. 2 TO liegt dem Protokoll bei. 3 Bereits am 28. Mai 1967 hatte der nigerianische Staatschef Yakubu Gowon wegen Abspaltungsten- denzen im Osten des Landes den Ausnahmezustand verhängt und die Generalmobilmachung der Armee angeordnet. Zwei Tage später erklärte der Militärgouverneur der überwiegend vom Stamm der Ibos bewohnten Ostregion, Ojukwu, deren Unabhängigkeit unter dem Namen »Republik Biafra«. Die Kämpfe zwischen den Truppen der Zentralregion und den Aufständischen weiteten sich in der Folge zu einem Bürgerkrieg aus; es kam zu massiven Vertreibungen von Ibos in ihr Stammland, Hungers- nöten und Massensterben; vgl. v. a. die Diskussionen im Auswärtigen Ausschuß: AUSWÄRTIGER AUS- SCHUSS 1965–1969, Dok. 48, 53, 65–67. 4 Großbritannien hatte sich bislang neutral verhalten. Es war einerseits auf die Erdölvorkommen in Biafra angewiesen, verfolgte aber auch industrielle Interessen im nigerianischen Bundesgebiet. Copyright © 2016 KGParl Berlin 1 SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 23. 09. 1968 einen beherrschenden Einfluß in Nigeria gewinnen könnten, wenn sich England daraus zurückzieht.5 Im übrigen ist unsere Forderung nach einer Einstellung der Waffenliefe- rung von englischer Seite weitgehend Gehör geschenkt worden.6 Fellermaier fragt nach dem Abschluß des Assoziierungsabkommens Nigerias mit der EWG.7 Gerhard Jahn antwortet: Diese Frage sei sehr zurückhaltend behandelt wor- den. Es [bestehe] jedoch durchaus die Neigung zur Unterzeichnung. Heinz Westphal erinnert an den Vorschlag von Gustav Heinemann, einen Kommissar für Menschenrechte einzusetzen. Gustav Heinemann stellt richtig, daß dieser Vorschlag nicht sein persönlicher sei, sondern daß er bei einer Sitzung der Vereinten Nationen in Teheran diesen Vorschlag namens der Bundesregierung vorgetragen habe.8 Willy Müller (Worms) fragt nach den innerhalb der Ernährungswirtschaft aufgetrete- nen Befürchtungen zur DM-Aufwertung, die sich darauf stützen, daß die Einfuhrstelle für Getreide und Futtermittel eine Währungsklausel eingeführt habe. Klaus Dieter Arndt beruft sich auf die Erklärung von Karl Schiller und stellt in Aus- sicht, die genannten Verträge zu überprüfen und Willy Müller direkt darauf zu antwor- ten. Auf eine Zusatzfrage hin erklärt Klaus Dieter Arndt, daß jede Änderung der Wäh- rung im übrigen einer Zustimmung der EWG bedarf. Helmut Schmidt hebt hervor, daß uns wegen der hohen Exportüberschüsse und der niedrigen Importraten Vorwürfe gemacht werden, daß aber eine Ausgleichung allein durch besondere Anreize des innerstaatlichen Konsums gemacht werden kann. Klaus Dieter Arndt bestätigt diese Auffassung, wonach nur eine Stärkung der Binnen- kaufkraft und zugleich Erweiterung der Wettbewerbspolitik die Importrate steigern kann. Karl-Heinz [Hans] Kern fragt nach der Bezeichnung »Direktor des Deutschen Bun- destages«.9 Schoettle beruft sich darauf, daß dieses so im Haushalt stehe. Hugo Collet fragt nach den Hintergründen über die Behauptungen zum Ausscheiden von Peter Blachstein.10 Willy Brandt erklärt, daß Blachstein seiner Arbeit in Belgrad gut nachgehe und seine Ärzte hätten entgegen früheren Ratschlägen nunmehr Befürchtungen hinsichtlich seiner Gesundheit geäußert. Er drückt die Hoffnung aus, daß der Gesundheitszustand von Peter Blachstein günstiger sei als von den Ärzten angenommen wird und wünscht, daß in dieser Frage keine weiteren Gerüchte aufkommen mögen. 5 Die UdSSR lieferte Kampflugzeuge an Nigeria, vgl. AdG 1967, S. 13358. 6 Großbritannien lieferte nach wie vor bestimmte »traditionelle« Waffen (z. B. Gewehre, jedoch keine Flugzeuge oder Bomben) an die nigerianische Regierung, vgl. AdG 1968, S. 14180. 7 Am 16. Juli 1966 war in Lagos das Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und Nigeria unter- zeichnet worden, wurde aber nicht von allen EWG-Staaten ratifiziert. 8 Auf der Internationalen Menschenrechtskonferenz in Teheran vom 22. bis 24. April 1968 führte Justizminister Heinemann die deutsche Delegation an. In seiner Rede wies er auf die positiven Erfah- rungen im Europarat hinsichtlich der Wirksamkeit des Menschenrechtsschutzes hin. »Meine Regie- rung hat es […] bedauert, daß der Gedanke eines Hochkommissars für die Menschenrechte noch nicht verwirklicht werden konnte. Wir sind überzeugt, daß eine solche zentrale Stelle, die alle Ent- wicklungen auf menschenrechtlichem Gebiet verfolgt und in eindrucksvollen Berichten der Weltöf- fentlichkeit darlegt, von unschätzbarem Wert wäre.« Für den Wortlaut der Rede vgl. SPD-PRESSE- MITTEILUNGEN, Nr. 189/68 b vom 23. April 1968. 9 Die korrekte Bezeichnung lautete »Direktor beim Deutschen Bundestag«. 10 Blachstein hatte am 16. August bekanntgegeben, daß er Mitte 1969 aus dem diplomatischen Dienst ausscheiden und nach nur wenigen Monaten im Amt von seinem Botschafterposten in Belgrad nach Deutschland zurückkehren wolle. Er begründete dies mit gesundheitlichen Problemen aufgrund des schlechten Klimas der jugoslawischen Hauptstadt. AdG 1968, S. 14118. Copyright © 2016 KGParl Berlin 2 SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 23. 09. 1968 Heinz Westphal wünscht Auskunft über die Teilaufhebung der Sperre für die NATO- Hilfe an Griechenland, insbesondere ob unsere Genossen zugestimmt haben.11 Gerhard Jahn erklärt, daß der Betrag von 9 oder 9,5 Mio. DM lediglich alte getätigte Lie- ferungen betraf und für deutsche Lieferfirmen zur Auszahlung kam. Darüber hinaus seien alle Beträge weiterhin gestoppt. Willi Michels erhebt Kritik an den Annoncen der Bundesregierung, in denen Kiesinger im Bild herausgestellt werde.12 Willy Brandt erklärt, daß sich zwar das Bundespresse- amt damit allein zuständig befasse, daß aber demnächst deshalb darüber im Kabinett gesprochen werde. Alwin Brück fragt, ob Conrad Ahlers noch unser Mann im Amt sei.13 Willy Brandt erklärt, daß Gespräche über die Teheraner14 Erklärung geführt worden seien und sich dabei herausgestellt habe, daß alles auf Mißverständnissen beruhe. Klaus Dieter Arndt bestätigt die Auffassung, daß Ahlers damit nichts zu tun habe. Wolfgang Schwabe bemängelt, daß nur fünf Ausschüsse nach Berlin gehen.15 Helmut Schmidt hebt hervor, daß den Ausschüssen hinsichtlich des Tagungsortes eine freie Entscheidung zustehe. Tagesordnungspunkt 2: Mittelfristige Finanzplanung und Finanzreform Alex Möller berichtet, daß in einer Klausurtagung des Finanzausschusses herausgefun- den werden soll, ob und inwieweit Möglichkeiten einer Vereinbarung in der Finanzre- form und der Gemeindefinanzreform auf der Basis unserer Beschlüsse gegeben sind. Er hebt hervor, daß die Fraktionsentscheidungen in Übereinstimmung mit den Parteitags- entschließungen stehen und diese Beschlüsse nach wie vor für uns alle bindend seien. Nach Auffassung von Alex Möller seien deshalb alle Mitglieder der SPD, die in den Ausschüssen darüber abstimmen müssen, an diese Beschlüsse gebunden. Das gilt insbe- sondere im Hinblick auf den Steuerverbund,16 der als eine unerläßliche Voraussetzung für ein gesundes Verhältnis zwischen den Ländern, den Gemeinden und dem Bund bestehen muß. Er weist darauf hin, daß nun auch die Länder ein Gemeindefinanzgesetz vorlegen und sich dieses Gesetz nicht in allen Punkten mit unseren Beschlüssen deckt.17 11 Am 27. August hatte der Auswärtige Ausschuß mit 23 zu 1 Stimmen bei 6 Enthaltungen beschlossen, 10 Mio. DM der zweiten und dritten Tranche der NATO-Verteidigungshilfe für Griechenland zu entsperren. Das Geld diente der Bezahlung deutscher Firmen für bereits erbrachte Leistungen. Dieser Vorschlag war zuvor laut PStS Jahn in einem Koalitionsgespräch erörtert worden, vgl. AUSWÄRTIGER AUSSCHUSS 1965–1969, Dok. 68, TOP 2. 12 Vgl. dazu »Große Lage«, DER SPIEGEL, Nr. 42 vom 14. Oktober 1968, hier
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