75 Anhang. -75

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\VILHELM OSTWALDS Auslosungslehre. 75 Die hohen und hochsten Werte des Menschenlebens, vor aHem in Wissenschaft, Kunst, Moral und Religion bleiben in ihrem Wesenskern yom Begriff "Energie" unbertihrt; das "geistige Prinzip", das schon ROBERT MAYER neben oder besser tiber den Energiebegriff gesetzt hat, ist jeder Energetik unzuganglich. Es ist, als ob WILHELM OSTWALD seIber die Zustandigkeits­ grenzen des Begriffes "Energie", vor allem hinsichtlich Wertungen, mehr und mehr empfunden hatte. Hat er sich ja in seiner letzten Lebensepoche fast ausschliel3lich der Farbenlehre und der "Schonheit des Gesetzes" (siehe "Lebenslinien" III) gewidmet, und mit dem daselbst herrschenden Begriff der Harmonie die Er­ orterung eines Gebietes angeschlagen, in welchem die Begriffe "Energie" und "Aus16sung" nur noch die Rolle untergeordneter dienstbarer Geister zu spielen vermogen. Hier fiihrt die Psyche das Wort, und ein Ausblick eroffnet sich auf eine wahre "Philo­ sophie der W erte" . Fassen wir OSTWALDS Aus16sungslehre im ganzen ins Auge, so gilt, daB sie deutlich den Charakter einer bedeutsamen Uber­ gangserschein ung zeigt, gekennzeichnet durch die Vorztige und Nachteile einer ausgesprochen energetischen Betrachtungs­ weise. Es handelt sich urn einen Ubergang von oberflachlichem Mechanismus zu einem tieferschtirfenden universellen Dynamis­ m us, wie ein solcher sich in der abendlandischen Wissenschaft unserer Tage mehr und mehr durchringt. Das neue Weltbild wird dynamische Naturanschauung sein, nicht mechanische. WILHELM WUNDT. Anhang. Einiges zur Gesamtentwicklung des Aus16sungsbegrifles. A. Von den Anfiingen bis zu Wilhelm Ostwald und Friedrich Nietzsche. Schon im alltaglichen Leben macht sich hinsichtlich des Begriffpaares Ursache-Wirkung eine Zwiefaltigkeit geltend, die den Keim fUr die Unter­ scheidung von Umsetzungs- oder Erhaltungskausalitat (E.K.) und Aus­ losungs- oder AnstoBkausalitat (A.K.), von energetischen Wirkkraften und energetisch mehr oder minder belanglosen Au s los un g s - un d S t e u e­ rungskraften bildet. Auf der einen Seite gibt es menschliche Tatigkeiten wie heben, graben, werfen, hacken, schlagen, ziehen, bei denen die GroBe der Wirkung, des Effektes, in einem bestimmten Verhaltnis zur GroBe der Kraftanstrengung und Kraftaufbietung steht. Auf der anderen Seite beob­ achten wir Tatigkeiten wie ein Feuer anziinden, eine Schleuse offnen, ein Uhrwerk aufziehen, einen elektrischen Stromkreis schlieBen; hier gibt es kein streng quantitatives Verhaltnis, keine feste Proportionalitat zwischen der GroBe der Endwirkung und der GroBe menschlicher Kraftanwendung. -75 - 76 ALWIN MITTASCH: Ein kleiner AnstoB kann einen oben auf schiefer Ebene befindlichen Wagen herabroIl en lassen, ein kleiner Funke einen groBen Brand entfesseln. Dazu: Ein gesprochenes Befehlswort, der sich iiuBernde Wille kann GroBes zur Folge haben, ohne -daB der Befehlende und Wollende wesentliche Betriige von "Kraft" ausgibt und somit einbiiBt. Einerseits also: Arbeit leisten; andererseits: Arbeit leisten lassen, sei es durch andere Menschen (auf dem Befehlswege) oder durch Tiere (z. B. das Pferd einspannen) oder auch durch Naturkriifte (mit einem FuB­ tritt im verschneiten Hochgebirge eine Lawine auslOsen). Wir bekommen hiernach hinsichtlich aller beobachteten Verursachung folgende Zweiteilung: I. Energetische Kausalitiit, die als Arbeits- oder Umsetzungskausalitiit ein .Aquivalenzverhiiltnis zwischen Ursache und Wirkung zeigt, und darum auch Erhaltungskausalitiit genannt wurde (E.K.). II. Energetisch belanglose AnstoB-, AnlaB- oder AuslOsungskausalitiit ohne das Bestehen fester .Aquivalenzverhiiltnisse (A.K.). AIle wissenschaftlichen Erorterungen und Bestimmungen iiber Kraft, Energie, Arbeit, AuslOsung, Richtunggebung kniipfen so beim Menschen als Urheber an, und auch in den abstraktesten Gestaltungen des Kausal­ begriffes bleibt ein anthropomorpher Zug erhalten, der auf den Ursprung des Ursachdenkens in men schlicher Alltagstiitigkeit hinweist. Danach wird auch die Frage nach der "Realitiit" von AuslOse- und Richtkriiften leicht zu beantworten sein: sie sind ebensowenig oder ebensosehr real wie die arbeitleistenden Wirkkriifte der Physik. In bezug auf die geschichtliche Entwicklung ist zu sagen, daB sie fUr die Lehre von den Wirkkriiften hinreichend klar zutage liegt51. Anders auf dem Gebiet der AuslOse- und Richtkriifte, deren geschichtliche Entwicklung bisher erst wenig beachtet worden ist. Seine scharfe Formulierung hat das Problem in der Anmerkung 8 wieder­ gegebenen Frage von L. EULER 1773 gefunden. Es ist klar, daB der schein­ bare Widerspruch der zwei Kausalsiitze: "Die \Virkung entspricht groBen­ miiBig der Ursache" (causa aequat effectum) und "Kleine Ursachen, groBe \Virkungen", erst auf Grund klarer energetischer Erkenntnisse aufgehoben werden konnte, wie diese ROBERT MAYER gelungen sind. Immerhin aber haben sich durch die Jahrhunderte dauernd geistige Bewegungen gezeigt, die jene scheinbare Gegensiitzlichkeit zum Ausgangspunkt eindringlicher Betrachtungen gemacht haben. Es wiire eine besondere Aufgabe, die Keime einer AuslOsungslehre in der alten Philosophie, ja auch in der Mythologie zu suchen. Von befreundeter Seite (Dr. F. BUTTERSACK:) wurden mir zwei alte Namen nahegebracht. Bei AESCHYLOS heiBt es: "Die Gottheit wirkt ohne Kraftaufwand", bei XENOPHON: "Die Gottheit wirkt ohne jede Anstrengung nur durch den Geist in allem." Der Ubergang von der Potenz zum Akt (nach ARISTOTELES) bedarf offenbar eines veranlassenden Agens, das gestaltender Art sein kann. In einer Veroffentlichung des Kaiser-Wilhelm-Institutes fUr Kultur­ wissenschaft in Rom: "Die Impetus-Theorie der Scholastik", Wien 1941, hat ANNELISE MAIER geschildert, wie die Aristotelische \Virklehre zu einer Impetuslehre (Anfiinge bei JOHANNES PHILIPONOS im 5. Jahrhundert, Voll­ entwicklung durch JOHANNES BURIDANUS - urn 1550 - und MARSILIUS VON INGHEN, den ersten Rektor der Universitiit Heidelberg) ausgestaltet worden ist, der noch GIORDANO BRUNO anhing. BURIDANUS' "Impetus" erscheint als Ursache einer Bewegung mi t konstanter Gesch windigkei t; -76- ¥hLHELM OSTWALDS Ausli:isungslehre. 77 NICOLAUS VON ORESME dagegen legt den Nachdruck auf die Ursache einer Beschleunigung der Bewegung, und bereitet so den Kraftbegriff von GALl LEI und NEWTON VOr. Bei LEIBNIZ, dem grol3en Vorlaufer der neueren Energetik, findet man deutliche Hinweise auf das Vorhandensein steuernder Richtkrafte in der \Velt. Er kennt Realisierungsantriebe, die in das harmonische Spiel der \Virkkrafte eingreifen und die tote Kraft zur lebendigen Kraft werden lassen. "Aus jeder Tendenz folgt die Aktion, sofern sie nicht ver­ hindert wird." Den Wirkursachen stehen Zielursachen gegenliber: ein Entelechieprinzip beherrscht die Ordnungsgesetzlichkeit, in einer "prastabilierten Harmonie" der Abstufung von Monaden, von denen jede in ihrer Art "un miroir vivant perpetuel de l'univers", eine lebende Ab­ spiegelung der Welt ist. "Nach LEIBNIZ ist es das Entelechieprinzip, der metaphysische Faktor der causae finales, der mit den causae efficientes, den Wirkursachen das ·Weitall steuert" (ILSE DOHL). Erste Entwicklungen einer A us18selehre; Philosophischer Occasionalismus ; Lotzes A uslosungsbegriff. Erste genauere Betrachtungen liber Veranlassung und "Auslosung" sind in der philosophischen Bewegung des Occasionalismus zu finden. \Vir sehen hier ab von dem alten universellen occasionalistischen Gedanken, nach welchem bei allem was geschieht, Gott die wirksame Ursache (causa efficiens, causa prima) und das was der Mensch sonst Ursache nennt, nur Anlal3 oder Gelegenheitsursache, causa occasional is ist. Occasionalismus im engeren Sinne betrifft das Verhaltnis von Leib und Seele, das bei mechanistischer Denkweise nach der Art von DESCARTES einen Widerspruch gegen die Idee einer geschlossenen Naturkausalitat aufweist. Darum lehrt MALEBRANCHE, dal3 die leib-seelische Welt nur ein "systema causarum occasionalium" sei 52. Nach CONDILLAC sind korperliche Vorgange "causes occasionelles" der seelischen. Es ist einleuchtend, dal3 Beobachtungen von Erscheinungen wie das Herabgleiten oder Hinunterfallen eines nur leicht unterstlitzten Korpers durch einen geringen Anstol3, vielleicht schon durch einen Anhauch, die empirische Grundlage flir die Vorstellung der causa occasionalis bilden. Ahnlich einem solchen "Anhauch" kann wohl auch die Seele - die ja als feiner Hauch (Pneuma), als atherisches Fluidum vor­ gestellt wird - auf den Korper wirken, wobei beachtlich ist, dal3 bereits der leiseste Anstol3 doch immerhin eine gewisse Kraftaul3erung bedeutet! (Von katalytischem Anstol3, der im ganzen genom men nichtarbeitender Art ist, konnte noch keine Rede sein, obwohl der magische Vorl au fer des Kata­ lysators: der Stein der Weisen, das Grol3e Elixier, sehr frlih dem Denken vertraut war.) Nach DESCARTES kann die Seele zwar nicht Bewegung erzeugen, weil dies gegen den Satz von der Erhaltung der Bewegungsgrol3e verstiel3e, wohl aber kann sie die Richtung der Bewegung ohne Kraft­ aufwand bestimmen. Hiergegen ist eingewendet worden, dal3 auch eine Richtunggebung auf aIle FaIle einen Kraftaufwand verlange. Bis in unsere Zeiten haben sich Erorterungen fortgesetzt, ob ein Ver­ anlassen, "Ausli:isen", Richten, Steuern ohne jeglichen energetischen Eingriff geschehen konne. Eine grundsatzliche Losung der Frage hat ROBERT MAYERS Satz von der Erhaltung der Energie ermoglicht, zumal in Verbindung mit dem Prinzip katalytischer AuslOsung. In einem LOTzE-Referat von 1846 (Kleine Schriften, S. 367) findet sich der Ausspruch: "Unsere Tatigkeit gibt zu der Veranderung,

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