Gewalt Der Musik Literatur Und Musikkritik Um 1800

Gewalt Der Musik Literatur Und Musikkritik Um 1800

Nicola Gess Gewalt der Musik Literatur und Musikkritik um 1800 rombach (c) BERLINER KULTURWISSENSCHAFT herausgegeben von Hartmut Böhme, Christina von Braun und Thomas Macho Band 1 rombach (c) Nicola Gess Gewalt der Musik Literatur und Musikkritik um 1800 rombach (c) Auf dem Umschlag: Jheronimus Bosch: Das ausgewogene Welt-Bild. Der »Garten der Lüste« (Ausschnitt) Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de>rombach abrufbar. (c) © 2011. Rombach Verlag KG, Freiburg i.Br./Berlin 2., verbesserte Auflage. Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Dr. Edelgard Spaude Umschlag: typo|grafik|design, Herbolzheim i.Br. Satz: typo|grafik|design, Herbolzheim i.Br. Herstellung: Rombach Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG, Freiburg im Breisgau Printed in Germany ISBN 978-3-7930-9641-2 INHALT Einleitung . 9 I. Hintergrund und philosophischer Rahmen (a) Vorgeschichte . 23 (b) Veränderungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . 34 (c) Kant, das autonome Subjekt und die Sinnlichkeit . 42 II. Hör-Lust oder Die musikalische Verführung 1. Semiramides giftige Früchte. Wer fürchtet sich vor Rossini? . 63 Die Hör-Lust und ihre Gefahren . 65 Kant, das Angenehme und die Musik . 68 Rossinis gefährliche Opern . 75 Eine Sirene Rossinis: Henriette Sontag . 92 Der Kritiker als Schriftstellerrombach . 104 2. »In den innersten Tiefen in Wollust aufgelöst« – Zur Hör-Lust bei Heinse, Jean Paul, Wackenroder und Eichendorff(c) . 111 Die Wollust des Hörers bei Heinse . 112 Musik als Seelensprache und Körperfolter bei Jean Paul . 121 Mütterliche Klänge bei Wackenroder und Eichendorff . 132 Psychoanalytische Deutungen? . 136 Gegenstrategien . 144 Zusammenfassung . 147 III. Hör-Bilder oder In den Irrgärten der musikalischen Phantasie 1. Von C.Ph.E. Bachs Freien Fantasien zu Beethovens fantastischer Musik . 151 Musik für die Einbildungskraft? . 154 C.Ph.E. Bachs Freie Fantasien: Musik der Phantasie für die Phantasie? . 160 Probleme mit Bachs Labyrinthen . 164 Das »Gedankenspiel« des Hörers in Kants Kritik der Urteilskraft . 173 Rettung durch Form? . 182 Die Rezeption von Beethovens »fantastischen« Musikstücken . 187 2. Die »Gewalt d[er] Töne« in Eichendorffs Das Marmorbild . 210 Der Ursprung der Bilder aus der Musik . 211 (a) Der Spielmann »Frühling« . 212 (b) Der Sänger Fortunato . 213 (c) Der Sänger Florio . 215 (d) Die Musikerin Venus . 217 »Musik« im Marmorbild . 219 Arabeske Hör-Bilder . 222 Eichendorffs Sprache und rombachdie Musik – ein zwielichtiger Sänger? 228 Zusammenfassung . 237 IV. Hör-Schmerzen(c) oder Das Erhabene der Musik 1. Von Burke zu Schiller zum »Ärgernis« Spontini . 243 Das Erhabene und die Musik bei Longinus und Burke . 247 Die vorkantische Tradition in der Musikästhetik um 1800 . 253 Das Erhabene bei Kant und Schiller . 261 Die nachkantische Tradition in der Musikästhetik um 1800 . 268 Die deutsche Spontinirezeption von 1815 bis 1830 . 277 Spontinis Oper Olimpia . 283 2. Das Gewaltsame im Gewaltigen. Von trügerischen Puppen, erschütterten Hörern und erhabenen Rätseln bei Hoffmann und Kleist . 313 E.T.A. Hoffmann und das Erhabene der Musik . 313 Erschütternde Dichtung . 334 Kleist und das Erhabene der Musik . 341 Zusammenfassung . 354 Ausblick . 357 Bibliographie . 365 rombach (c) rombach (c) Einleitung »[E]s könne wohl die Gewalt der Töne gewesen sein, die, an jenem schauer- lichen Tage, das Gemüt ihrer armen Söhne zerstört und verwirrt habe.«1 Dieser Vermutung verdankt Heinrich von Kleists Cäcilien-Erzählung die zweite Hälfte ihres Titels, nämlich »die Gewalt der Musik«. In der Germani - stik hat man sich seither den Kopf darüber zerbrochen, ob die Vermutung der Mutter stimme oder ob für das Schicksal der Brüder nicht doch »die heilige Cäcilie«, die in der ersten Hälfte des Titels genannt wird, oder etwas ganz anderes verantwortlich sei.2 Relativ unbeachtet blieb, daß es sich bei der »Gewalt der Musik« um eine in der sogenannten Goethezeit weit ver- breitete Diskursfigur handelt.3 Sie wird in zahlreichen fiktionalen Prosatex- ten thematisiert und motivisch unterschiedlich ausgestaltet, z.B. als Ver- führung zu amoralischer Sinnenlust, als Induzierung von Wahnsinn oder als Überwältigung des Hörers.4 Sie findet sich auch in ästhetischen Schriften der Zeit und vor allem in der Musikkritik, wo die genannten Mo- tive zitiert werden. In ihr spiegelt sich zum einen die Beobachtung, daß Musik eine unwillkürliche Wirkung auf den Hörer hat, der er sich nicht entziehen kann. Darüber hinaus spricht sich in ihr die Befürchtung aus, daß diese Wirkung zerstörerisch sein und fatale Konsequenzen für den Hörer haben könnte. Wie kommt es zur Ausbildung und Verbreitung dieser Vorstellung um 1800? Was macht die Wirkung von Musik so bedrohlich? Handelt es sich um bloße Fiktion oder ist die »Gewalt der Musik« eine zeit- genössische Realität, eine realrombach empfundene Bedrohung? Leistet die Musik der Zeit der Gewalterfahrung Vorschub? Welche Arten von »Gewalt der Musik« lassen sich(c) unterscheiden? Dient sie der Literatur nur als interessan- 1 Heinrich von Kleist, Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Eine Legende, in: Ilse-Marie Barth u.a. (Hg.), Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe in vier Bän- den, Frankfurt a.M. 1990, Bd. 3, 276-313, hier 309. 2 Vgl. zur Kleist-Forschung: Kapitel IV.2. 3 Epochenbezeichnungen wie »Goethezeit« oder »Romantik« sind problematisch, da sie eine Einheit suggerieren, wo nur Verschiedenes unter einen Begriff gebracht wird. Den- noch werden sie hier als wissenschaftliches Instrumentarium verwendet. Dabei ist jedoch ihre Konstruiertheit immer mitzudenken. 4 Da in den in der vorliegenden Arbeit behandelten Texten so gut wie immer von männ - lichen Hörern die Rede ist, verwende ich im folgenden nur die männliche Form. Vgl. zur Geschlechterproblematik im Zusammenhang mit der »Gewalt der Musik«: Kapitel II. 9 tes Mo tiv oder kommt ihr auch eine poetologische Funktion zu? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit. Eine solche Studie über die Diskursfigur der »Gewalt der Musik« um 1800 exi stiert bislang noch nicht. In der Literaturwissenschaft kommen zwei Kapitel aus Bettine Menkes Buch Prosopopoiia (2000)5 diesem Anspruch noch am nächsten.6 Im Kontext ihrer Untersuchung zur rhetorischen Figur der Pro sopopoiia liest sie die in Texten von Brentano, Tieck, Hoffmann und Kleist thematisierte Musik/Stimme als Metapher für eine Materialität von Sprache vor jeder Figuration, die als solche die eindeutige Referenz von Sprache in Frage stelle und auf deren Physikalität verweise. Die implizite Bedrohung finde als Macht oder Gewalt der musikalischen Stimme in den literarischen Texten ihren Niederschlag. Auch Corina Caduff thematisiert in einem Kapitel ihres jüngst erschienenen Buches Die Literarisierung von Musik und bildender Kunst um 1800 (2003) die »Gewalt der Musik«. Sie verortet sie jedoch ausschließlich im Kontext zeitgenössischer Theorien des Er ha be - nen.7 Schließlich ist Christine Lubkolls Buch Mythos Musik (1995) zu erwäh- nen, das im Kapitel über Brentanos/Görres Bogs-Satire dem Musik- Wahnsinn nachgeht, ihn allerdings zum »Phantasma« erklärt.8 Lubkolls, 5 Bettine Menke, Prospopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka, München 2000, 489-610, 657-723. 6 In der Musikwissenschaft kommt ein Kapitel aus Bernd Sponheuers Buch Musik als Kunst und Nicht-Kunst. Untersuchungen zur Dichotomie von ›hoher‹ und ›niederer‹ Musik im musikästheti schen Denken zwischen Kant und Hanslick (Kassel 1987) diesem Anspruch am nächsten, in dem er den »ambivalente[n] Status der Musik als schöner Kunst« (ebd., 74-128) behandelt. Aller- dings geht er weder ausführlich aufrombach literarische Texte, noch auf konkrete Musikbeispiele ein. Vgl. außerdem Károly Csipák, der an unerwarteter Stelle, nämlich in seinem Buch Probleme der Volkstümlichkeit bei Hanns Eisler (München/Salzburg 1975, 109-153) anthro polo - gische und psychoanalytische Mutmaßungen anstellt, weshalb Musik eine solch heftige Wirkung haben kann. Vgl des weiteren Helga de la Motte-Haber, die in ihrem Aufsatz Musik als Affektlaut. Musikalische(c) Emotionen im 18. Jahrhundert (in: Welt auf tönernen Füßen. Die Töne und das Hören, Göttingen 1994, 222-233) die Machtentfaltung von Mu sik im 19. Jahrhundert als Resultat ihrer physischen Wirkung und der Verdrängung von Sinn- lichkeit erklärt, und Wilhelm Seidel, der in seinem Aufsatz Die Macht der Musik und das Tonkunstwerk (in: Archiv für Musikwissenschaft, XLII/1, 1985, 1-17) die Geschichte des Dis kurses über die »Macht der Musik« von der Antike bis ins 19. Jahrhundert über- blickartig darstellt. 7 Corina Caduff, Die Literarisierung von Musik und bildender Kunst um 1800, München 2003, 116-151. Zu meiner Absetzung von Caduffs Ausführungen über die »Gewalt der Musik« und das Erhabene: siehe Kapitel IV.1. 8 Christine Lubkoll, Mythos Musik. Poetische Entwürfe des Musikalischen in der Literatur um 1800, Freiburg i.Br. 1995, 181-197, hier 182. Im Kreisler-Kapitel (ebd., 256-262) geht Lubkoll ebenfalls auf den Wahnsinn ein, faßt ihn aber nicht als musikinduzierten, auf Hör- Bilder bezogenen auf, wie es die vorliegende Untersuchung tut. Mit Theorien über die 10 Menkes und Caduffs ausgezeichnete Arbeiten sind grundlegend für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema Musik und Literatur um 1800.9 Sie weisen jedoch einen entscheidenden Mangel auf, was die Beschäftigung mit dem Thema im allgemeinen und mit der Diskursfigur der »Gewalt

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