christophe koné Unbehagen in der Oper* Robert Lepages Ring-Bau und die Met-Maschine Seit dem Aufruhr, den der sogenannte Jahrhundertring unter der Regie des Franzo- sen Patrice Chéreau 1976 zum 100-Jahre-Jubiläum der Bayreuther Festspiele ver- ursachte, ist eine Neuinszenierung von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen fast immer von einer lautstarken Kontroverse begleitet. Erinnern wir uns an den Eklat um eine neue Ring-Aufführung im August 2013, diesmal unter der Regie des Deutschen Frank Castorf: Nach der Premiere ernteten Castorf und sein Team ein 15-minütiges Buh-Gewitter. Wie nicht anders zu erwarten sorgte auch Robert Lepage bereits 2010 mit einer Neuinszenierung von Wagners Ring-Zyklus an der New Yorker Metropolitan Opera für Aufsehen. Der Franco-Kanadier, für seine aufwendigen Opernaufführungen und Cirque-du-Soleil-Shows in Las Vegas welt- weit bekannt, erregte mit seiner spitzentechnologischen Ring-Regie die Gemüter in New York. Zwar stellt eine Aufführung des Rings des Nibelungen für jeden Regisseur von vorn herein eine gewaltige Herausforderung dar, schon allein wegen der hohen An- sprüche der Szenerie – von den hohen, nicht zu übertreffenden Erwartungen der Wagnerianer gar nicht zu reden. Die Allgegenwart der vier Naturelemente (Was- ser, Erde, Feuer, Luft) sowie der ständige Ortswechsel innerhalb des Zyklus (vom Grunde des Rheines über Wald und Berg zu der Halle der Gibichungen) bereiten der Regie große szenische Schwierigkeiten. Selbst Richard Wagner war bei der Ur- aufführung 1876 in Bayreuth mit der Ring-Regie höchst unzufrieden. Ein paar Wochen nach der Bayreuther Premiere ist der folgende Eintrag vom 9. Septem- ber 1876 in Cosima Wagners Tagebuch zu finden: »Kostüme, Dekorationen, alles muss für die Wiederholung wieder vorgenommen werden. R. ist sehr traurig, sagt, er möchte sterben!«1 Aber das Gewitter, das sich über Lepage und seine Technologie-orientierte Ring- Produktion entlud, war von solcher Vehemenz, die Kritik im Feuilleton von solcher Schärfe und die Aufregung des Met-Publikum so groß, dass all das gleichermaßen Neugierde und Verdacht erweckte. Erstaunlicherweise kristallisierte sich heraus, dass sich alle empörten Stimmen gegen die zunächst von den Backstage Leuten und schließlich von den Verächtern der Regie Lepages sogenannte Met-Maschine rich- teten, eine aus 24 Planken bestehende und 45 Tonnen schwere Metallstruktur, die bei Lepage als Bühnenmaschine fungiert. Selbstverständlich kann man den großen * Die Abbildungen zu diesem Beitrag finden sich im Anhang dieses Buches. 1 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Bd ii: 1873–1877. München/Zürich 1997, S. 1001 f. 216 CHRISTOPHE KONÉ Vorbehalt gegen den Einsatz von Spitzentechnologie im Opernhaus, jener aller- letzten Hochburg handwerklichen Könnens, nachvollziehen. Diese tiefe Empö- rung gegen Lepages Met-Maschine könnte durchaus psychologischer Natur sein, ein Abwehrmechanismus gegen Maschinen, ein Symptom unseres zwiespältigen Umgangs mit Technologie in einem hoch technologisierten, maschinenabhängigen Zeitalter. Ich möchte trotzdem eine andere Deutung vorschlagen und die folgende These aufstellen: Lepages Ring-Regie präsentiert eine Illusion und unterminiert sie gleichzeitig. Die Aufführung verspricht eine Sinnestäuschung, wobei sie diese automatisch vorwegnimmt, und daher eine Ent-Täuschung als Ergebnis produ- ziert, was den Frust der einen und die Empörung der anderen, und gewiss das Unbehagen von vielen erklären mag. Auf der Grundlage von zwei grundverschiede- nen Texten aus zwei unterschiedlichen Epochen, Theodor Adornos Definition der Phantasmagorie aus seinem Aufsatz Versuch über Wagner (1952) und E.T.A. Hoff- manns Text Der vollkommene Machinist aus den Kreisleriana (1814) möchte ich diese nicht zu lösende Paradoxie ans Tagelsicht bringen. Bevor ich mich dialektisch mit Lepages Ring-Regie auseinandersetze, möchte ich zunächst einen Überblick über Lepages Met-Maschine sowie über die Kontroverse im Feuilleton verschaffen, die der Franco-Kanadier damit auslöste. Susan Froemkes Dokumentarfilm mit dem Titel Wagners Dream (2012), ein Making-of zu Lepages Ring-Aufführung, gewährt einen aufschlussreichen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Met-Maschine. Im Interview gibt Robert Lepa- ge ehrlich zu, dass er am Anfang keine klare Vorstellung hatte, wie er Wagners Tetralogie auf die Bühne bringen sollte. Er begann mit der Lektüre der Edda und entdeckte dort den bedeutenden Einfluss des altisländischen Epos auf Wagners Der Ring des Nibelungen. Auf einer Reise nach Island wurde Lepage der Kraft der Geo- logie und der Vulkanlandschaft gewahr. Diese Sinneserfahrung gab dem Regisseur den Anstoß und die Inspiration zu seinem tektonischen Bühnenbild, das heißt einem Bühnenbild in ständiger Bewegung als Verweis auf die Geologie Islands. Dieses tektonische Bühnenbild entspricht in Wirklichkeit einer 45 Tonnen schwe- ren Metallstruktur, die aus 24 mit Plexiglas überzogenen Planken besteht und die zu beiden Bühnenseiten durch horizontale Pfeiler gestützt wird. Die Planken rotie- ren, verschieben sich, biegen sich je nach Bedarf und dienen als Projektionsfläche für Lepages Computeranimationen. Für den sicheren Halt der tonnenschweren Bühnenmaschine musste der Bühnenboden renoviert und verstärkt werden, was die Produktionskosten auf 16 Millionen Dollar steigen ließ. An sich ist Lepages Idee einer gigantischen Maschine als Deutung des Rings des Nibelungen höchst originell und stellenweise genial, vor allem wenn ihr Bühnen- einsatz atemberaubende Tableaus liefert, die einen bleibenden Eindruck hinterlas- sen: z. B. im Rheingold, als sich die 24 Planken während des Vorspiels dehnen und wellenartig ondulieren, oder in der Walküre, als sich die Bühnenmaschine hoch in die Luft reckt und um Brünnhilde in deren Mitte in Rauch und Flammen aufgeht, und auch in der Götterdämmerung, als das an die Planken gespannte Seil, das die drei Nornen im Vorspiel spinnen, auf einmal zerreißt und dadurch die Planken in beschleunigte kreisförmige Bewegung setzt (vgl. Abb. 1–3). V. Theater.
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