Gedenkstätten für Opfer und Verfolgte des Naziregimes auf dem Neuen Friedhof in Rostock Neuer Friedhof Rostock Klein Schwaßer Weg Satower Straße Satower VdN-Gräberfeld 1 (1941-1945) VdN-Gräberfeld 2 (1959-1967) Dammerower Weg VdN-Gräberfeld 3 (1967-1990) Gedenktafel am Krematorium 2 Inhaltsverzeichnis Vorwort 4 1. Verfolgte des Naziregimes | Gräberfeld I (1941-1945) 5 1.1 Opfer antisemitischer Verfolgung 7 1.2 Opfer verschiedener Nationen 12 2. Verfolgte des Naziregimes | Gräberfeld II (1959-1967) 18 3. Verfolgte des Naziregimes | Gräberfeld III (1967-1990) 26 3.1 Urnenfeld 26 3.2 Gedenktafeln 43 4. Verfolgte des Naziregimes | Einzelgräber 60 5. Zum Zustand der Gedenkstätten 75 6. Anhang: 76 Liste der Toten des KZ Barth Glossar Abkürzungsverzeichnis Literatur und Quellenverzeichnes Impressum 3 Vorwort Auf dem Neuen Friedhof in Rostock befinden sich drei Ge- gungen waren der Ausgangspunkt für ein Forschungsvor- meinschaftsanlagen und Einzelgräber, die an die Verfol- haben, das die Basisorganisation Rostock der VVN-BdA in gung von Menschen verschiedener Nationen und an Opfer Kooperation mit Soziale Bildung e.V. (Sobi) verwirklichte. antisemitischer Verfolgung unter dem Naziregime erinnern. Im Ergebnis intensiver Archiv- und Literaturrecherchen ent- stand eine umfangreiche Materialsammlung und ausführli- In einem einst außerhalb des Friedhofgeländes gelege- che Dokumentation, die Grundlage für die vorliegende Bro- nen Massengrab, von den Nazis als „Sonderfriedhof für schüre war. Leserinnen und Leser, die an umfangreicheren Fremdrassige“ deklariert, wurden in der Zeit von 1941 bis Informationen, Erlebnisberichten und Hintergründen inter- 1945 Opfer antisemitischer Verfolgung, Zwangsarbeiter und essiert sind, möchten wir auf die genannte Dokumentation Zwangsarbeiterinnen sowie Kriegsgefangene bestattet. An verweisen. die dort beigesetzten 172 Häftlinge aus dem KZ Barth, ei- nem Außenlager des KZ Ravensbrück, erinnert auch eine Wir sind uns darüber bewusst, dass viele Lücken geblieben Gedenktafel am Krematorium, wo sie eingeäschert worden und einige nicht mehr zu schließen sind. Daher möchten wir waren. Ende der 1950er Jahre wurde ein Gräberfeld ein- Nachkommen, Freunde und Bekannte der Verstorbenen, die gerichtet, in dem bis Mitte der 1960er Jahre von der DDR weitere Angaben machen oder Fotos und Dokumente zur offiziell anerkannte „Verfolgte des Naziregimes“ bestattet Verfügung stellen können, um Mithilfe bitten. Für die Unter- wurden. Vor 1945 waren sie politischer und rassistischer stützung bedanken wir uns beim Pommerschen Landesarchiv Verfolgung ausgesetzt oder leisteten Widerstand gegen die Greifswald, dem Stadtarchiv Rostock, dem Neuen Friedhof Nazis. Eine weitere große Gemeinschaftsanlage mit einem Rostock sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg- daran angeschlossenen Gedenkplatz entstand 1967 unter der Vorpommern, die uns bei der Anfertigung der Studien und Bezeichnung „Ehrenhain der Sozialisten“. Viele der Rosto- der Drucklegung sowie bei der Korrektur unterstützt hat. cker Bürgerinnen und Bürger, die bis 1990 dort beigesetzt oder mit einer Ehrentafel gewürdigt wurden, waren unter- Die Herausgeber schiedlichen Formen der Verfolgung im Nationalsozialis- mus ausgesetzt. Im Alltagsbewusstsein der Rostocker Bür- gerinnen und Bürger ist darüber wenig präsent. Die Verfolgung von Menschen aufgrund von politischen und rassistischen Motiven und der antifaschistische Widerstand gegen das Naziregime dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Vor diesem Hintergrund bemüht sich die Basisorganisation Rostock der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) bereits seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt um den Erhalt und die Pflege von Gedenkstätten für Opfer des Faschismus. Diese Anstren- 4 1. Verfolgte des Naziregimes | Gräberfeld I (1941-1945) Am südwestlichen Rand des Rostocker Neuen Fried- renplatz des Friedhofs beigesetzt werden sollen. Es wird hofs, hinter dem Verwaltungsgebäude und parallel zur einstimmig beschlossen, die Opfer des Faschismus an dem Satower Straße befindet sich ein den Opfern des Nazire- alten Platz ruhen zu lassen und diesen als Ehrenfriedhof zu gimes gewidmetes Gräberfeld, das sich durch seine Ge- schmücken, zumal ja auch dort die begrabenen Russen als staltung von den umliegenden Begräbnisplätzen abhebt. Opfer des Faschismus anzusehen sind. Die Kosten hierfür werden aus dem Fonds des Ausschusses getragen“ (Stadtar- Während des Naziregimes wurde dort Mitte des Jahres 1941 chiv Rostock: 2.1.0-1229). ein „Sonderfriedhof für Fremdrassige“ angelegt, der sich seinerzeit noch außerhalb des eigentlichen Friedhofgelän- Es ist anzunehmen, dass das Gräberfeld nach einigen Um- des befand. Den Nazis sollte der Bereich zunächst eigens als bettungen hergerichtet und einigermaßen instand gehalten Grabstätte für Menschen jüdischer Herkunft dienen, denen worden ist. 1963 und 1964 gab es jedoch von verschiedenen ab Oktober 1940 durch einen Erlass von Walter Volgmann Seiten auch Kritik am Zustand der Anlage. Die VdN-Kreis- – NSDAP-Funktionär und Rostocker Oberbürgermeister – komitee richtete daher am 30. Juli 1964 ein Schreiben an eine Bestattung auf städtischen Friedhöfen versagt wurde. den Oberbürgermeister der Stadt, in dem sie in einer Be- Aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse hatte sich die schlussvorlage die würdige Gestaltung der Anlage und das Fertigstellung der Grabfläche um mehrere Monate verzö- Aufstellen einer Stele einforderte. Das dürfte der entschei- gert. Der Begräbnisplatz, der offiziell unter der Bezeichnung dende Anstoß für eine Neugestaltung des damals bezeichne- „Sonderfriedhof für Fremdrassige“ firmierte, amtsintern ten „Ehrenfriedhofes“ gewesen sein. und umgangssprachlich jedoch als „Judenfriedhof“ dekla- riert wurde, erhielt im Zuge seiner Nutzung auch den Beina- Zum 750. Geburtstag der Stadt Rostock wurde das Fried- men „Russenfriedhof“. An Ort und Stelle wurden hunderte hofsareal 1968 in seiner neu gestalteten Form eingeweiht. Menschen verschiedener Nationen bestattet. Sie waren Häft- Im Zuge der Umgestaltung wurde eine etwa 2,40 Meter linge des KZ Barth, Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene. hohe und 80 Zentimeter breite Gedenkstele errichtet. An den Seiten dieser aus Sandstein gearbeiteten Stele sind Häft- Im Oktober 1945 befasste sich der beim Oberbürgermeister lingswinkel eingearbeitet, die symbolisch an die Verfolgung der Stadt eingerichtete Ausschuss „Opfer des Faschismus“ durch die Nationalsozialisten erinnern. Auf der Vorder- und unter Leitung von Kurt Gramm mit dem Gräberfeld. In ei- Rückseite der Stele ist zu lesen: nem an den Oberbürgermeister gerichteten Schreiben heißt es: „Den Opfern des Faschismus / 16 Franzosen – 5 Holländer – 8 Italiener – 9 Norweger – „Auf der Sitzung am 20. Oktober 1945 beschloß der Aus- 22 Polen – 4 Deutsche“. schuß Opfer des Faschismus beim Oberbürgermeister der Stadt Rostock: „Nachdem ein Teil der früheren Gräber auf „Ihr Tod verpflichtet uns, niemals mehr Faschismus und dem Neuen Friedhof geöffnet worden sind, wird erwogen, Terror zu dulden.“ ob die ‚Opfer des Faschismus’ auf einem besonderen Eh- 5 Auf Veranlassung des italienischen Konsulats wurde 1997 ein weiterer Gedenkstein aufgestellt, der an die italienischen Kriegstoten erinnert. Das etwa 50 Meter lange und sechs Meter breite Areal ist durch Betonstreifen eingefasst und wird von einigen Bäu- men gesäumt. Während etwa ein Viertel der Fläche gepflas- tert und mit einer Gedenkstele sowie einem Gedenkstein versehen ist, stellt sie sich zu einem Großteil als Rasenflä- che dar. Sechs in den Boden eingelassene Grabplatten geben Aufschluss über die dort bestatteten Opfer antisemitischer Verfolgung. 6 1.1 Opfer antisemitischer Verfolgung Die Jüdische Gemeinde Rostock wurde im Juni 1941 durch es untersagt, Jüdinnen und Juden auf städtischen Friedhöfen die Nazis aufgelöst. Die systematische Entrechtung und Po- zu bestatten. Die Bevölkerung wurde durch den „Rostocker grome, die „Arisierung“ jüdischer Geschäfte und Deporta- Anzeiger“ über die neue Friedhofsordnung in Kenntnis ge- tionen von Jüdinnen und Juden in die Konzentrations- und setzt. Die Zeitungsmeldung löste Unsicherheiten und Ängste Vernichtungslager Theresienstadt und Auschwitz waren die- aus. So wandte sich die Ehefrau des Anthroposophen Gün- ser Zwangsauflösung vorausgegangen. Ab Oktober 1940 war ther Beindorff aus Sorge um ihre Mutter an die Stadt. Auch Curt Tardel und Erna David reagierten in Schreiben an die Friedhofs verwaltung mit Unverständnis auf die Verordnung, die eine gemeinsame Grabstätte für ihre Familien unmög- lich machen sollte. Gemäß einer Reihe antisemitischer Gesetze wurden auf dem „Sonderfriedhof“ zwangsweise Menschen beigesetzt, die jüdischer Religion waren oder durch die „Nürnberger Rassegesetze“ von 1935 zu Juden erklärt wurden. Dabei richtete sich die Verfolgung durch die Nazis auch gegen nicht-jüdische Ehepartner bzw. Ehepartnerinnen. Einer Deportation konnten die auf dem „Sonderfriedhof“ be- statteten Jüdinnen und Juden nur entgehen, weil sie in so genannten „Mischehen“ lebten. Gleichwohl lastete auf den Familien ein systematischer Druck der Gestapo, die darauf bedacht war, eine Scheidung der Eheleute zu er- wirken und so einer Deportation Vorschub zu leisten. Welcher Gefahr die Verfolgten ausgesetzt waren, wird an- hand des Schicksals von Julius David deutlich, der nach Bombenangriffen Aufräumungsarbeiten verrichten musste. Im Juni 1943 ist der dreifache Familienvater von rutschen- den Erdmassen erfasst worden und dabei tödlich verun- glückt. Richard Josephy ereilte ein ähnliches Schicksal:
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