DEUTSCHER BUNDEST/ T. LLL — Pfi£SSEAUSWERTUL'fOSTVERLAGSORTBONN BONN • 30. JAN. 1958 NRJ5 • 12. JAHRGANG dingt erfcrdsrlkh / 3 INFORMATIONSDIENST der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union Der Kurs ist klar Die außenpolitische Debatte im Bundestag - Opposition und Regierung: Worum es geht Der Deutsche Bundestag hat in einer ausführlichen Debatte die Grundfragen schem Boden einander gegenüberstehen, der deutschen Außenpolitik erörtert. Wenn man von den schwarzen Nacht- so lange ist die Wiedervereinigung unse- res Landes dadurch automatisch ausge- stunden absieht, in denen der Haß und nicht der Wille zur sachlichen Diskus- schlossen. sion die Debatte regierte, war die außenpolitische Aussprache im wesent- lichen eine genaue Festlegung der Thesen der Opposition auf der einen und Minister FRANZ-JOSEF STRAUSS: Klarlegung des Standpunkts der Regierungskoalition auf der anderen Seite. Das brauchte eigentlich nicht der Fall zu sein. Gerade von Ihrer Seite, Herr Kollege Erler, und von der Seite Ihrer In einer Gegenüberstellung der Thesen liegen des Bundeskanzlers auf der letz- Freunde ist ja des öfteren lobend auf des sozialdemokratischen Sprechers Erler ten NATO-Konferenz Österreich hingewiesen worden. und der Grundgedanken, die die Sprecher und zweitens: die deutliche Bereitschaft der CDU/CSU Abgeordneter Kiesinger In Österreich sind die entscheidenden der westlichen Welt — und ich sage das politischen Schritte zu einem Zeitpunkt und Minister Strauß in ihren Reden ent- nicht als eine Floskel, als eine Phrase wickelten, ist am besten verdeutlicht, um getan worden, zu dem sich die Truppen —, über jeden vernünftigen und annehm- der beiden Blöcke, und zwar beide hoch- was es bei der Bundestagsaussprache ge- baren Vorschlag zur Lösung der Pro- gangen ist: gerüstet und in beträchtlicher Zahl, noch bleme, und sei es auch eine Lösung in gegenüberstanden. Ich bin mir dabei der Stufen, zu verhandeln. Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Abg. FRITZ ERLER (SPD): Solange das 0 Welcher verantwortliche Staatsmann österreichischen Fall und im deutschen Atomwettrüsten weitergeht, gibt es über- Fall durchaus bewußt. haupt keine Sicherheit für irgendein Volk des Westens könnte es wagen, die auf der Welt, für unseres nicht und an- Abrüstung nicht zu wollen in dieser 0 Man sollte aber auf Ihrer Seite auch dere nicht. Zeit, in der die ganze Menschheit unter anerkennen, daß eine österreichische diesem Alpdruck stöhnt? Aber er muß Lösung, wie auch die verantwortlichen Minister FRANZ-JOSEF STRAUSS: eine wirkliche Abrüstung wollen, d. h. österreichischen Staatsmänner einem je- eine kontrollierte. derzeit bestätigen, überhaupt nur mög- Man muß ihm recht geben darin, daß lich ist, weil auf der anderen Seite ein es seit der Entwicklung, seit der Pro- starkes abwehrfähiges Bündnis zur Siche- duktion und vor allen Dingen seit der Abg. FRITZ ERLER (SPD): Solange rung der österreichischen Lösung erhal- zunehmenden, man kann beinahe sagen, fremde Truppen Aug' in Auge auf deut- ten geblieben ist. Fließbandproduktion nuklearer Waffen, sowohl Kernspaltungswaffen wie Kern- verschmelzungswaffen, im technischen Sinne des Wortes überhaupt keine Sicherheit mehr gibt. Sicherheit ist heute nicht mehr allein durch technische Vor- Was wollen die Sowjets? kehrungen zu gewinnen, sondern nur mehr im politischen Bereich zu gewinnen, Abg. KURT-GEORG KIESINGER: suchen, um diese Gesamtproblematik auf allerdings unter der Voraussetzung, daß Was bedeutet es denn für die Sowjet- irgendeine Weise lösen zu können. Wir bei dieser Politik die oft sehr geschmäh- union, wenn sie der Wiedervereinigung bekommen die deutsche Wiedervereini- ten strategischen Überlegungen, die Deutschlands in Freiheit zustimmt? Wir gung nicht, natürlich nicht, wenn uns heute zum Teil von verschiedenen Sei- wissen doch, daß das für die Sowjet- dies nicht gelingt. Aber das zeigt uns ten falsch definiert worden sind, zumin- union gewaltige Konsequenzen hätte, doch, daß das Problem weit, weit über dest berücksichtigt werden. nicht nur was Deutschland selbst anlangt die kleinen Vorschläge hinausgeht, die und die in Zukunft mit diesem wiederver- uns gemacht werden. Abg. KURT-GEORG KIESINGER: einigten Deutschland zu bewältigende Wir müssen einen anderen Weg gehen, Politik, sondern auch was den von 100 Abg. FRITZ ERLER (SPD): Die fremden und dieser, andere Weg bedeutet das, Millionen Menschen bewohnten Riesen- Truppen bleiben auf deutschem Boden was die NATO-Konferenz erstrebt hat: raum der sogenannten Satellitenländer stehen, solange das Atomwettrüsten wei- erstens Solidarität der westlichen Welt betrifft. Jedermann kann sich doch vor- tergeht. stellen, wie eine Wiedervereinigung angesichts der sowjetrussischen Wirk- Minister FRANZ-JOSEF STRAUSS: lichkeit, nicht nur militärische Solidari- Deutschlands in Freiheit dort wirken tät, sondern auch, solange diese Situation könnte. Herr Kollege Erler, die erste These in der gesamten westlichen Welt besteht, Wir müssen, wenn wir die deutsche war richtig, die zweite kann richtig oder politische Solidarität — das große An- Wiedervereinigung wollen, nach Wegen falsch sein, die dritte ist bestimmt falsch. Es kann sehr wohl eine Lage eintre- sind, daß sie in Europa nicht mehr vor- delnde Lösung ihnen den Preis wert ist, ten, daß, gerade wenn das Atomrüsten ankommen, daß sie ihre Herrschaft in den sie zahlen sollen, oder geringere weitergeht, die Amerikaner mit der zu- Europa nicht mehr weiter ausdehnen Nachteile bietet als der Status quo. nehmenden Entwicklung der interkon- können, tinentalen Waffen, mit all den Risiken Eine andere Definition der Lösung läßt zweitens, wenn ihnen die Herrschaft sich zur Zeit nicht geben, so schwierig und auch der europäischen Uneinigkeit über die sowjetische Besatzungszone und nicht mehr Wert darauf legen, auf euro- es klingt. Aber eine andere Lösung ist über ihr Satellitenregime zur Last ge- zur Zeit theoretisch nicht zu definieren. päischem Boden stehenzubleiben, wie sie worden ist, 'es in der Vergangenheit getan haben. Ein praktisches Angebot im Sinne einer Und dann zahlen wir die Zeche: die Rus- und drittens, wenn sie es sich ohne praktischen Politik zu machen, ist nur sen bleiben da und die Amerikaner in Konsequenz für ihr eigenes Regime lei- auf dem Wege diplomatischer Verhand- diesem Fall nicht. sten können, ein© politische Generalflur- lungen möglich nach sorgfältiger Sondie- bereiniung vorzunehmen, die beiderseits rung der Möglichkeiten und wieder vor- 9 Angesichts der Überlegenheit, die ein auf Konzessionen beruht. Dazu werden ausgesetzt, daß der andere überhaupt Überraschungsangriff bei der Wirksam- sie bereit sein, wenn der Status quo ih- verhandeln und nicht nur Zeit gewinnen keit der thermonuklearen Waffen dem nen lästig ist oder wenn die auszuhan- und uns auseinanderbringen will. Angreifer heute gibt, muß man auch das in Rechnung steilen, daß eine ständige Abwehrbereitschaft heute von den Ame- rikanern als eine Voraussetzung dafür gehalten wird, daß man auch in Europa Testfall: die Abrüstung die Position behaupten und den Weg für politische Verhandlungen noch freihal- Abg. KURT-GEORG KIESINGER: wirken würde, ob dann wohl die Ameri- ten kann. Diese beiden Voraussetzungen Die Haltung unserer Regierung in der kaner bereit sein würden, das gewaltige kann niemand bestreiten. Abrüstungsfrage war und ist, glaube ich, Risiko eines atomaren Krieges einzu- gehen? (Beifall bei der CDU/CSU.) weise. Sie hat darauf bestanden, daß die beiden Probleme der Abrüstung und der Diese sorgenvolle Frage ist angesichts Natürlich ist die Sowjetunion, rein Wiedervereinigung in einem bestimmten der ungarischen Ereignisse nur zu be- militärisch gesehen, mit ihren gegenwär- Stadium der Verhandlungen miteinander rechtigt. Aber dann ist es doch unser tigen Präsenzstärken im Gegensatz zum verbunden werden sollten. Aber sie hat wichtigstes Anliegen, dafür zu sorgen, Westen zu einer überfallartigen Aggres- nicht darauf bestanden, daß das von An- daß, wenn immer in Sowjetrußland ein- sion in der Lage. Aber das Risiko für fang an geschieht. Sie hat gesagt: Wir mal dieser Gedanke entstehen könnte — sie ist, solange es besteht, wohl ausrei- wollen sehen, ob sich nicht in der Ab- wie gesagt, ich klage niemanden an —, chend, um eine solche Aktion zu ver- rüstungsfrage gewisse konkrete An- dann in demselben Kopf aber auch die hindern. Deshalb müssen wir vor einer fangserfolge erreichen lassen, die dann Überzeugung lebt, daß der amerikanische Auflösung des Risikos warnen. die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Gegenschlag mit Sicherheit erfolgen Wollen die Sowjets Sicherheit, oder das politische und das militärische Pro- würde. wollen sie die Weltherrschaft mit der blem miteinander behandelt werden kön- Und wie erreichen wir das? Dadurch, nächsten Station der Herrschaft über Eu- nen. daß wir die Amerikaner aus Europa hin- ropa? Es wird oft sorgenvoll darüber gere- ausdrängen? Meine Damen und Herren, Wollen sie Sicherheit? Angesichts aller det, was wohl geschähe, wenn einmal in es gibt eine verläßliche Garantie einer historischen Erfahrungen, angesichts al- Westeuropa etwas Ähnliches passierte entsprechenden amerikanischen Reaktion ler strategischen Belastungen, angesichts wie in Ungarn, wenn vielleicht einmal für einen solchen Fall, und das ist die aller technischen Hypotheken, die wir Führer der Sowjetunion versuchen soll- Anwesenheit amerikanischer Truppen in heute haben, läßt sich dieses Problem ten, einen Vorstoß nach Westeuropa zu den bedrohten Gebieten. mit gutem Willen auf beiden Seiten, mit machen — und diesen Vorstoß kann man (Beifall bei
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