Anhang VI „Argumente gegen das Deutschlandlied“ mit einem Vorwort von Ulrich Thöne und Jochen Nagel (15. Mai 2006) Benjamin Ortmeyer __________________________________________ Argumente gegen das Deutschlandlied Geschichte und Gegenwart eines furchtbaren Lobliedes auf die deutsche Nation __________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________ Vorwort Mit dieser Neuauflage erinnern wir an die Kritik des Deutschlandliedes aus dem Jahre 1989/90. Die eine oder der andere mag sich fragen, warum die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft dies gerade zur Fußballweltmeisterschaft 2006 tut. In der ersten Auflage hatte unser damaliger Bundesvorsitzender, Dieter Wunder, wohl auch in Hoffnung auf eine grundlegendere Aufarbeitung und Weiterentwicklung der Geschichte im Rah- men des Vereinigungsprozesses, in einer Presseerklärung pointiert formuliert: das „Deutschland- lied gehört ins Museum“ (Presserklärung vom 19. August 1991). Die heutige Stimmung, dass wir doch jetzt erst recht „wieder wer sind“, und doch seit 1990 weite- re 16 Jahre zur Zeitspanne 1933- 1945 vergangen sind, also ein angeblich „natürlicher Patriotis- mus“ angesichts der gesellschaftlichen Probleme in diesem Land die richtige Antwort sei, all das ist uns nicht unbekannt. Als Bildungsgewerkschaft GEW treten wir ganz bewusst und ganz ausdrücklich solchen Stim- mungen des Nationalismus und der „deutschen Leitkultur“ entgegen und betonen die Notwen- digkeit einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart des Nationa- lismus in Deutschland und eben auch mit der Geschichte und Gegenwart des „Deutschlandlie- des“, der Nationalhymne. Die Analyse von Benjamin Ortmeyer „Argumente gegen das Deutsch- landlied“ leistet dafür einen fundierten Beitrag. Die GEW erklärt deutlich: Was wir bitter nötig haben ist eine humanistische Bildung für alle und soziale Verhältnisse, die an den sozialen Bedürfnissen der Menschen und der Jugendlichen aus vielen Ländern in Deutschland orientiert sind. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Auch wir Deutschen müssen uns verändern, wenn der nötige Integrationsprozess gelingen soll. Was wir dabei ganz und gar nicht gebrauchen können ist ein Nationalismus, der die immer größer werden- de soziale Kluft in diesem Land übertünchen soll und Integration mit Assimilation verwechselt. Frankfurt am Main, den 15. Mai 2006 Ulrich Thöne Jochen Nagel (Bundesvorsitzender der GEW) (Vorsitzender der GEW Hessen) Die vorliegende Broschüre ist ein Auszug aus dem Buch „Argumente gegen das Deutschlandlied“ von Benjamin Ortmeyer (Köln 1991, 2. Auflage Bonn 1999). 2 Einleitung Fussball-WM 2006: Das Deutschlandlied ist „im Kom- Verwaltung: men“. Die Schulbücher drucken seit 1987 alle drei Stro- „dem Bundesministerium des Innern ist eine von der phen für den Musikunterricht. Streit gibt es dabei immer Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Hes- wieder. Besonders natürlich über die heute von be- sen, Landesschüler Innen-Vertretung(LSV) herausgege- bene Schrift ‚Argumente gegen das Deutschlandlied’ (... ) stimmten Politikern propagierte erste Strophe „Deutsch- bekannt geworden.“ land, Deutschland über alles ...“, aber auch über den Sinn oder Unsinn, ausgerechnet dieses Lied als Natio- In diesem erstaunlichen Schreiben – immerhin erfolgte nalhymne überhaupt zu bestimmen. In manchen Fällen keine Anzeige wegen Verunglimpfung der National- gar wird die Justiz gegen jene Kritiker bemüht, die dieses hymne – heißt es, das Deutschlandlied sei eben Lied „verunglimpfen“. „Ausdruck eines alle Deutschen verbindenden, ganz na- türlichen Patriotismus.“ Nach immer wieder aufflammenden Diskussionen über rechtskonservative Kultusminister, die an den Schulen Und schon drohender: nicht nur das Deutschlandlied mit seiner dritten Strophe, „Mit einem undifferenzierten Verdikt über das ganze Lied sondern auch mit der ersten Strophe „Deutschland, aber wird an einem Fundament des demokratisch- Deutschland über alles ... “ singen lassen wollten, hat die republikanischen Konsens gerüttelt.“ Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) (Brief vom 4. Juli 1989, Geschäftszeichen VI 1-111.091 II, Dr. zunächst vehement gegen die erste Strophe Stellung Schiffer) bezogen. Nun ja! Die GEW jedenfalls hat auf ihrem Bundeskon- Mit Unterstützung des Hauptvorstandes der GEW er- gress wenige Monate später die Diskussion über das schien im Mai 1989 die kleine Broschüre „Argumente ganze Deutschlandlied beschlossen – auch wenn das gegen das Deutschlandlied“. Der Vorsitzende der GEW Damoklesschwert des „natürlichen Patriotismus“ über Dieter Wunder erklärte dort in einem Vorwort zu den uns schwebt. Gezielt heißt es in diesem Beschluss, dass Versuchen in Hessen, die erste Strophe dieses Liedes in sich die kritische Diskussion Schulen einzuführen: „nicht nur auf die erste Strophe beziehen (darf), die of- fensichtlich reaktionär und imperialistisch ist.“ „Auch wer sich gefühlsmäßig bei der Haydn’schen Melo- die und dem Text Hoffmann von Fallerslebens mit der „Angesichts der Geschichte des Deutschlandliedes und traditionellen Hymne glaubt identifizieren zu können, soll- seiner Verwendung als Hymne des Deutschen Reiches te 1989 nüchtern prüfen, was die erste Strophe tatsäch- in der Zeit des Faschismus neben dem Horst-Wessel- lich bedeutet. Lied hält der Gewerkschaftstag eine Diskussion in Schu- len und Hochschulen darüber für notwendig, ob nicht das Denn man mag es drehen und wenden, wie man will, Deutschlandlied als Ganzes als Nationalhymne verwor- diese Strophe ist Ausdruck eines überschwänglichen fen werden muss.“ (und damit gefährlichen) Nationalgefühls. Die Ergänzung des „Deutschland, Deutschland über alles ... “ durch geo- In der von Klaus Müller, Vorsitzender der GEW- graphische Angaben weist auf ein großes Deutschland Hessen formulierten Begründung für diesen Antrag jenseits aller historischen Grenzen hin, ist also nur natio- heißt es: nalistisch-imperialistisch zu deuten. „Die Gewerkschaften wissen um die Bedeutung einer Auch ohne den Missbrauch durch das nationalsozialisti- gründlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Ge- sche Deutsche Reich müsste uns vor dieser Strophe schichte. Eine solche rationale Auseinandersetzung ist grauen. Und wer, wie vielfach beliebt, die geographi- ein wesentliches Element in der Abwehr von Ausländer- schen Angaben der ersten Strophe als bedeutungslos feindlichkeit, neu aufkommenden Antisemitismus und abtut und diese erste Strophe positiv deutet: Welche Er- Rechtsradikalismus... klärung kann er eigentlich für dieses „Deutschland über alles“ angeben? Die Nation und ihr Lebensraum werden Vielfach ist in Vergessenheit geraten, dass das Deutsch- sicherlich weiterhin eine gewisse Bedeutung für das poli- landlied erst nach mehrjährigen Auseinandersetzungen tische, kulturelle und gesellschaftliche Leben in Europa durch einen schlichten Briefwechsel zwischen dem da- und der Welt haben. maligen Bundespräsidenten Heuss und Bundeskanzler Adenauer 1952 zur Nationalhymne erklärt worden ist. Aber gibt es irgend einen Grund, sie „Über alles“ zu stel- Vorausgegangen war der Versuch von Theodor Heuss, len? Hat die Nation etwa mehr Rechte als der einzelne? ein Gedicht des Schriftstellers Rudolf Alexander Schrö- Steht die Nation jenseits der Religion? Hat die Nation ir- der zur Nationalhymne zu machen. gend einen Vorrang vor den Grundrechten des Grund- gesetzes? Die deutsche Erfahrung der Jahre 1933 bis Die Tatsache, dass sich schließlich doch das Deutsch- 1945 kann nur eine sein: Die Würde des Menschen ist landlied gegen den ursprünglichen Willen von Heuss als unantastbar. Daran hat sich alles andere auszurichten.“ Nationalhymne durchgesetzt hat, kann nicht anders be- wertet werden als ein typisches Beispiel dafür, wie in der (Dieter Wunder, zitiert nach der Broschüre der GEW-Hessen Restaurationsperiode nach 1945 viele Traditionslinien „Argumente gegen das Deutschlandlied“, Frankfurt/Main, 1989) der deutschen Geschichte fortgeführt wurden, die besser Im Juli erreichte die GEW ein Brief aus dem Bundesin- unterbrochen worden wären. nenministerium, Abteilung Verfassung, Strafrecht und 3 Eine kritische Bewertung des Deutschlandliedes als Na- Muster „jede Nation hat ihre Nationalhymne; das ist nun tionalhymne soll sich nicht nur auf die erste und zweite einmal Ausdruck eines gesunden Volks- und National- Strophe beziehen, sondern muss auch die dritte Strophe empfindens“ ist eine kritische Auseinandersetzung mit einbeziehen, die vielfach – auch von Kritikern der ersten dem Deutschlandlied nicht einfach. Eine kritische Aufar- Strophe – als Nationalhymne gefordert oder doch zumin- beitung des Deutschlandliedes als Nationalhymne in dest nicht problematisiert wird. Verbindung mit der deutschen Geschichte ist offensicht- lich unendlich schwierig, weil sie mit vielen individuellen und nationalen Verdrängungen verbunden ist. Die öffentliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Deutschlandlied als Nationalhymne ist ein Beitrag in der rationalen Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte.“ Die vorliegende Broschüre versucht umfassender als bisher die Debatten über das Deutschlandlied kritisch zusammenzufassen und zu bewerten, um vor der zu- nehmenden Gefahr des deutschen Nationalismus zu warnen. Es erscheint realistisch auf absehbare Zeit von einem klaren „Sieg“ des Deutschlandliedes auszugehen. Beet- hoven und Schillers „Freude schöner Götterfunke“ – einst ein Kompromiss
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