BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 11.09.1998 Hans Schlegel Astronaut im Gespräch mit Christian Mößner Mößner: Herzlich willkommen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, bei Alpha- Forum, heute von der „Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung“ in Berlin. Ich befinde mich hier im sogenannten COF. COF steht für „Columbus Orbit Facility“ und ist jener Teil der internationalen Raumstation, den die europäischen Weltraumnationen zum Bau dieser Station beitragen wollen. Ein Mann, der in gar nicht mehr so ferner Zukunft selbst auf diese Station fliegen will, ist der deutsche Astronaut Hans Schlegel. Ich begrüße ihn ganz herzlich zu unserem heutigen Alpha-Forum-extra. Herr Schlegel, bevor wir auf Ihren Werdegang als Astronaut und auf Ihre Mission näher eingehen, wollen wir uns einfach hier in diesem europäischen Forschungslabor umsehen. Wie kann man sich denn die Forschung hier drin vorstellen? Das ist alles noch ziemliche Zukunftsmusik, aber wann soll es denn konkret anfangen? Schlegel: Gebaut wird diese Station in diesem Jahr, bzw. man fängt an, sie zu bauen. Sie wird in fünf Jahren fertiggestellt und dann für die Benutzung freigegeben werden, die dann mindestens zehn Jahre dauern wird. Der europäische Teil, in dessen Modell wir hier stehen, wird erst im Jahr 2002 bzw. 2003 starten, um dann nach der Integration, also nach der Ankopplung an die internationale Raumstation, tatsächlich von europäischen Astronauten besucht zu werden. Und mit diesen Geräten wird dann geforscht werden. Mößner: Nun ist ja das COF, das europäische Labor, nur eines von vielen Forschungslabors, die das ISS, also die internationale Raumstation, haben wird. Vielleicht gehen wir hier einfach einmal weiter, hier ist ja nicht nur ein 1:1-Modell des europäischen Anteils zu sehen, sondern hier sind auch Nachbildungen des japanischen und des amerikanischen Forschungsmoduls, in das wir dann gleich kommen werden. Vielleicht schauen wir uns hier einmal diesen Verbindungsstutzen an. Was bedeutet es denn, wenn sich der Astronaut hier einfach durchziehen kann? Schlegel: Das zeigt eigentlich nur das Leben in der Schwerelosigkeit. Es gibt kein Oben, und es gibt kein Unten: man schwebt einfach. Die Fortbewegung geschieht im wesentlichen durch Vorwärtsziehen, durch die Hände, durch Abstoßen, durch die Beine. Man muß dabei natürlich immer aufpassen, daß man nicht gegen etwas Empfindliches stößt. Mößner: Wie groß soll denn diese Raumstation überhaupt werden? Schlegel: Die äußeren Abmessungen sind ungefähr so groß wie ein Fußballfeld, sie wird ungefähr viermal so groß werden wie die jetzige russische Raumstation MIR. Der Rauminhalt wird 400 Kubikmeter, das Gewicht ungefähr 400 Tonnen betragen. Mößner: Mit wie vielen Flügen sollen denn diese Einzelteile alle zusammengesetzt werden? Denn das ist ja wahrscheinlich ein immenser logistischer Aufwand. Schlegel: Ja, das werden wohl über 50 Flüge sein. Ich bin jetzt auch überfragt, wie viele es genau sein werden. Es wird jedenfalls in den fünf Jahren ungefähr 35 Shuttle-Starts und acht russische Proton-Starts geben. Mößner: Gehen wir noch ein Stück weiter in das amerikanische Forschungslabor hinein. Wie viele Nationen sind denn überhaupt beteiligt an dem Bau dieser Raumstation, und wer zahlt am meisten? Das ist ja ein Faktor, der heutzutage auch nicht mehr ohne Kritik im Raum steht. Schlegel: Es ist das größte internationale Projekt weltweit, und ich bin froh, daß es zustande gekommen ist: zum ersten, weil es Raumfahrtforschung betreibt, die ich für sehr nützlich halte und die wir in Europa ansonsten zu wenig betreiben. Beteiligt sind allen voran die Amerikaner, die Russen, die Japaner, die Europäer und die Kanadier. Die größten Beitragszahler und auch die Systemführer sind dabei ohne Frage die Amerikaner. Mößner: Das heißt, die Amerikaner werden auch die ersten sein, die dann Astronauten in den Weltraum schicken. Schlegel: Nein, das wird eine gemischte Crew sein: zwei Russen und ein Amerikaner, die mit dem Bau der Raumstation Alpha beginnen werden. Ursprünglich war das für den Januar des nächsten Jahres geplant, aber das wird sich jetzt in den Frühsommer hineinschieben. Bill Shephard wird der Kommandant auf der Raumstation sein, der eine Russe wird der Kommandant auf dem Weg nach oben in einer russischen Sojus-Kapsel sein und der andere der Bordingenieur. Mößner: Gut, dann machen wir einmal etwas, das später in der Schwerelosigkeit nicht möglich sein wird: Wir nehmen nämlich einfach Platz. Stichwort „Schwerelosigkeit“: Wann sind Sie denn überhaupt mit diesem Phänomen auf Ihrem Weg zum Astronautenberuf in Kontakt gekommen? Schlegel: Noch bevor ich angefangen habe, als Astronaut zu arbeiten, hat man mich von der damaligen DLR aus gefragt, ob ich nicht an einem Parabelflugprogramm teilnehmen möchte, um mich schon auf die D2- Mission vorzubereiten. Das bedeutet für 25 Sekunden Schwerelosigkeit in einem Flugzeug, das stark in die Höhe gezogen wird. Dann wird die Nase heruntergedrückt, der Antrieb wird herausgenommen, und es geht in den Sturzflug über. Sie müssen sich das wie in einem Fahrstuhl vorstellen, wo einfach der Fahrstuhl um einen herum wegfällt. Da gibt es dann diese 25 Sekunden Schwerelosigkeit, und dabei werden natürlich auch Experimente gemacht. Ich habe damals gedacht, daß das schon die perfekte Simulation sei, in Wirklichkeit hat das dann später mit der Schwerelosigkeit, wie wir sie im Erdorbit empfinden, überhaupt nichts zu tun. Mößner: Was sind die wesentlichen Unterschiede? Kann man denn Schwerelosigkeit, wie Sie es geschildert haben, echt simulieren? Schlegel: Ja, selbstverständlich. Diese 25 Sekunden sind schon echte Schwerelosigkeit. Das ist genauso, wie wenn Sie vom Drei-Meter-Brett springen: Da haben Sie auch eine Sekunde lang Schwerelosigkeit, da können Sie auch Experimente machen, und das waren auch wirklich die ersten Experimente in der Schwerelosigkeit. Sie können eine wissenschaftliche Nutzlast 100 Meter tief vom Fallturm herunterfallen lassen: Das sind fünf Sekunden Schwerelosigkeit. Sie können einen Parabelflug mit einer Rakete machen: Das sind 15 bis 18 Minuten. Texus und Maxus heißen diese Programme, die durchgeführt werden: Es werden Experimente darauf geflogen. Was aber wie z. B. biologische Systeme längere Schwerelosigkeit braucht, wird dann tatsächlich mit einem Labor in die Erdumlaufbahn gebracht. Auch auf der russischen Raumstation MIR können Sie Jahre von Schwerelosigkeit haben. Der Unterschied dabei ist einfach die Zeitdauer. Während dieser 25 Sekunden in dem Flugzeug paßt sich der menschliche Organismus so gut wie gar nicht an die Schwerelosigkeit an: Da gibt es momentane Reflexe, die sich ändern – das war es dann aber auch schon. Wenn Sie dann allerdings Minuten oder Stunden in der Schwerelosigkeit verbringen, dann ändert sich alles. Das erleben Sie eben nur in der Erdumlaufbahn. Es ist z. B. so, daß kein hydrostatischer Druck mehr auf die Körperflüssigkeit ausgeübt wird, die, wenn wir hier so sitzen, von der Erdschwere in die Beine und in die Arme gezogen wird. Statt dessen wird die Körperflüssigkeit wegen der Elastizität der Bindegefäße in den Extremitäten in den Oberkörper gebracht. Das heißt, Sie haben auf einmal ein aufgedunsenes Gesicht, die Schultern ziehen sich nach oben, weil es keine Schwerkraft mehr gibt und die Muskeln nicht mehr dagegen halten müssen. Die Arme sind dann genauso wie die Beine etwas relaxter und nicht mehr so ausgestreckt. In dieser Haltung müssen Sie sich erst einmal zurechtfinden. Auch ihre ganzen inneren Organe sind verschoben, und das führt bei einigen Menschen zu Anpassungsschwierigkeiten, bei anderen wiederum geht das relativ schnell. Ich denke aber doch, daß sich alle nach vier bis fünf Tagen gleichermaßen daran gewöhnt haben und dann anfangen, in dieser Schwerelosigkeit normal zu leben. Mößner: Gehen wir noch einmal ganz zurück zu der Mission, die Sie geflogen sind: Das war 1993, die D2-Mission. Gehen wir ganz zu den Anfängen zurück: Hat der Physiker Hans Schlegel schon immer die Absicht gehabt, Astronaut zu werden, oder gab es da einen Moment, der irgendwie die Initiativzündung gegeben hat? Schlegel: Ich habe mich schon immer sehr für Raumfahrt interessiert. Das lief allerdings nur so nebenbei. Ich war zehn Jahre alt, als Gagarin flog und damit zum ersten Mal ein Mensch im Orbit war. Ich war 18 Jahre alt, als Armstrong auf dem Mond landete. Ich habe das natürlich mit Begeisterung verfolgt und auch die Bücher dazu gelesen, aber ich habe natürlich nicht zu träumen gewagt, selbst einmal in der Schwerelosigkeit leben und arbeiten zu können. Demzufolge war das eigentlich nie ein Traum. Statt dessen war es so, daß ich meinen normalen Berufsweg gegangen bin und die Physik als meine Studienrichtung gewählt habe. Ich habe Experimentalphysik gemacht, weil ich gerne und sehr vielfältig experimentiere. Bei der damals stattfindenden D1-Mission habe ich festgestellt, daß deutsche Astronauten dort in der Erdumlaufbahn mit dabei sind, in der Schwerelosigkeit experimentieren und dabei die Kristalle züchten, die ich auf der Erde untersuche. Sie machten genau diese Laborarbeit, diese physikalischen Experimente, die ich selbst auf der Erde auch gemacht habe. Da habe ich mir dann vorgenommen: Wenn noch einmal Astronauten gesucht werden, werde ich mich melden. Mößner: Nun war der Weg dorthin kein einfacher Weg. Die Auswahlkriterien sind sehr streng: Was haben Sie aus der heutigen Sicht diese Ausbildungsphase betreffend noch in Erinnerung? Man muß sich auf so einen Shuttle-Flug ja doch mehrere Jahre vorbereiten. Schlegel: Ob die Auswahl streng
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