Ein Leben Zwischen Avantgarde Und Spiritualität

Ein Leben Zwischen Avantgarde Und Spiritualität

Rosa_Ein Lebenzwischen_120214_Layout 1 14.02.14 09:36 Seite 1 Frau Haase Frau Höntsch G- Rosa Bericht Wortanzahl: 2298 - Gudula Rosa Ein Leben zwischen Avantgarde und Spiritualität Michael Vetter, der Musiker, Obertonsänger, weiter präzisiert er: „Wirklich kann ich mich Blockflötist, Maler, Schriftsteller und Kompo- nicht erinnern, als Kind die Blockflöte geliebt zu nist verstarb am 7. Dezember 2013 im Alter von haben. Ich litt von Anfang an unter jeder schu- 70 Jahren in München. Mit diesen Worten kurz lisch organisierten Art des Lernenmüssens – im vor seinem Tod hat er sich verabschiedet: „Geht Grunde ist mein verzweifeltes Verhältnis zur einfach immer davon aus, dass ich lebe, auch Schule die Inspiration für meine diversen Versu- wenn ich schon gestorben sein sollte.“1 Die che geworden, Schulwerke zu schreiben, die das Blockflötenwelt verliert mit ihm einen wichtigen Lernen sachlich, schöpferisch, existentiell moti- Wegbereiter der zeitgenössischen Blockflöten- vieren.“5 musik und eine faszinierende Künstlerpersön- lichkeit. Dieser Inspiration verdankt die Blockflöten- szene ein umfangreiches Lehrwerk Die Wiener Im Kriegsjahr 1943 in Oberstdorf/Allgäu gebo- Blockflötenschule, erschienen 1976 bei UE, mit ren, studierte Michael Vetter Theologie, ehe er dem Untertitel: Der Weg, auf experimentelle die meiste Zeit zwischen 1970 und 1982 als Zen- Weise ein klassisches Instrument zu lernen. Die- Mönch in Japan lebte. Durch seine Kunst des ses didaktische Kompendium besteht aus Schü- Obertonsingens und durch seine experimentel- lerband und Lehrerband, 2 mal 4 Literatur- len Vokalimprovisationen erlangte er internatio- Heften mit Duett-Literatur, darunter ca. 120 nale Berühmtheit. Stets auf der Suche nach Kompositionen von Michael Vetter. In der da- neuen Ausdrucksmöglichkeiten hat Michael maligen Zeit öffnete dieses Blockflötenlehrwerk Vetter, bevor er sich ab 1970 mehr und mehr neue Horizonte in der Blockflötenpädagogik dem Obertongesang zuwendete – ohne dabei die und setzte neue, Kreativität beim Schüler mobi- Blockflöte zur Seite zu legen – in den 60er lisierende Maßstäbe. Komponierte Werke wech- und 70er Jahren maßgeblich zur Entwicklung seln dort ab mit Improvisationsanleitungen und der zeitgenössischen Blockflötenmusik beigetra- kleinen zumeist graphisch notierten Spielanlei- gen. tungen in progressiver Reihenfolge. Heute ist die Schule bei der großen Anzahl an zur Verfü- Michael Vetter verbrachte einen Teil seiner gung stehenden Lehrwerken etwas in Vergessen- Kindheit ab 1948 zunächst in Duisburg und ab heit geraten, dennoch bieten gerade die Lite- 1958 in Münster in Westfalen, wo sein Vater raturhefte auch in der heutigen Zeit eine interes- Hans-Joachim Vetter2 in der Zeit von 1958–1976 sante Sammlung an Literatur vom Mittelalter bis Direktor der Westfälischen Schule für Musik zur Avantgarde. und danach Dekan der heutigen Musikhoch- schule Münster war. Vetters Lehrwerk unterschied sich grundlegend von den damals gängigen Lehrwerken. Es war In seinen leicht ironischen Konzert-Biographien die erste Schule, die zeitgenössische Spiel- schreibt Michael Vetter, dass im Jahr 1949 seine techniken einbezog und Anleitungen zum im- „Hassliebe zur oft nur halben Blockflöte be- provisatorischen Spiel mit der Blockflöte inte- gann.“ 3 Im Interview mit Gerhard Braun sagt er: grierte. „Wenn ich nach einer Woche des Nichtübens zur Flötenlehrerin trottete, verlor ich … den inzwi- Ein weiteres bedeutsames Schlüsselwerk für die schen allzu locker sitzenden Kopf aus der allzu Entwicklung der zeitgenössischen Blockflöten- halbherzig zugeknöpften Flötentasche.“ 4 Und musik ist die Schule Il Flauto dolce ed acerbo: Rosa_Ein Lebenzwischen_120214_Layout 1 14.02.14 09:36 Seite 2 Il Flauto dolce ed acerbo (übersetzt: Die Flöte süß und sauer) Münster, 1964; herausgegeben 1969, Edition Moeck 4009 Rosa_Ein Lebenzwischen_120214_Layout 1 14.02.14 09:36 Seite 3 Sie beinhaltet Anweisungen und Übungen für Mittlerweile Wahlautodidakt – auch aus Ab- Spieler neuer Blockflötenmusik, Grifftabellen, grenzung gegenüber dem etablierten Musik-und technische Übungen und als Beilage Artikulati- Pädagogikbetrieb – spielte er bereits 1960 im onsvorschläge zu den Übungsreihen. Das Lehr- Alter von 17 Jahren die Uraufführung des Wer- werk wurde vom Autor im Jahre 1964 abge- kes Incontri (Begegnungen) für Blockflöte und schlossen, konnte aber aus verschiedenen Grün- Klavier und 1962 die Uraufführung des Werkes den erst 1969 verlegt werden. Es heißt in einer Mutazioni von Jürg Baur. Ursula König, eine Anmerkung: „Der Leser und Benutzer indessen Münsteraner Zeitzeugin, die zusammen mit Mi- darf sich sicher sein, dass Michael Vetters Lehr- chael Vetter Jürg Baurs Incontri am 15. Novem- werk heute ebenso aktuell ist wie zur Zeit seines ber 1960 in Münster uraufgeführt hat, erinnerte Entstehens.“ 6 sich im Gespräch mit mir, dass er „schon in jun- gen Jahren eine ausgeprägte Persönlichkeit und Heute kann man sagen, dass das Werk für Spie- über alle Maßen initiativ gewesen ist“ und dass ler zeitgenössischer Musik nicht an Aktualität er ein „Vielarbeiter war, der stets auf der Suche verloren hat und für Blockflötisten, die auf der nach allem Neuen und Unkonventionellem ge- Suche nach Alternativgriffen sind, eine wahre wesen ist“. Diese Charaktereigenschaften ziehen Fundgrube ist. Den Großteil des Buches machen sich durch sein Leben wie ein rotes Band. Dies die Grifftabellen aus, die offenes, geschlossenes wird auch im Aufsatz von Gerd Lünenburger und gedecktes Register für Flageolettöne, Nor- deutlich, der über diese Zeit berichtete: „Mit maltöne und Akkorde umfassen. Kompositionen von Rob du Bois (Muziek voor altblokfluit, 1961; Spiel und Zwischenspiel, 1962; Michael Vetters Interesse an zeitgenössischer Pastorale VII, 1964), Jürg Baur (Incontri, 1960; Musik kam nicht von ungefähr. In regelmäßigen Mutazioni, 1962; Pezzi uccelli, 1964) entstanden Abständen veranstaltete sein Vater in Münster nun in rascher Folge Werke, die nicht nur die die Tage Neuer Musik, so dass der Sohn schon bisherige Blockflötentechnik revolutionierten, in jungen Jahren mit der damaligen Avantgarde- sondern durch ihre Konzeption und ihre Idio- Szene in Berührung kam und in Kontakt zu be- matik das Instrument auch in einen völlig neuen deutenden Komponisten treten konnte. „Mein Zusammenhang stellten: den der musikalischen Vater lehrte mich durch sein Beispiel rechtzeitig Avantgarde.“ 8 einen tiefen Respekt vor ästhetischen Schmerzen und den sie auslösenden experimentell-musika- Auch in Holland nahm Vetter Kontakt zu be- lischen Schauerlichkeiten. So hat mich die deutenden Komponisten auf: „When the Ger- scheinbare Hässlichkeit eines nicht erlaubten man recorder player Michael Vetter came to Un-Klanges am Rande artigen Übens nicht in Holland looking for composers to write new die Grenzen des Gehörigen zurückzuscheuchen works for him, he introduced Rob du Bois and versucht, sondern meine Neugierde auf das Un- his colleagues Louis Andriessen and Will Eisma erhörte und dessen musikalische Bedeutung her- to many new techniques, which du Bois ex- vorgelockt.“ 7 plored in Spiel und Zwischenspiel for recorder and piano (1962), a work quite unlike anything Michael Vetters Interesse an der Erweiterung der previously written for recorder, which employs Ausdrucksmöglichkeiten der Blockflöte, seine Neugierde auf Neues und sein Drang, auch Neues schaffen und gegen den Strom schwim- men zu wollen, hat viele namhafte Komponisten inspiriert, für ihn zu komponieren, so z. B. An- driessen, Baur, du Bois, Bussotti, Eisma, Hasha- gen, Huber, Ligeti, Kagel, Stockhausen, Schön- bach u.a.m. 1/16 Rosa_Ein Lebenzwischen_120214_Layout 1 14.02.14 09:36 Seite 4 very high notes, harmonics, multiphonics, white Kontakte hatte der umtriebige Michael Vetter noise, glissandos, and what Vetter calls differen- damals auch schon nach Italien. Sylvano Bussot- tiated vibration techniques.“9 tis graphisch notiertes Werk Rara (1966) für Rob du Bois, Pastorale VII, Moeck 1966 (Auszug), Blockflöte solo oder für Blockflöte und einen erweitern, begann Michael Vetter bereits in den Pantomimenspieler entstand in enger Zusam- 60er Jahren, sich als einer der ersten mit der Ver- menarbeit mit ihm. bindung von Blockflöte und Elektronik ausei- nanderzusetzen. Auch hierbei war Vetter Liest man Vetters 1968 veröffentlichten Artikel initiierend und wegweisend. Eve O’Kelly führt Apropos Blockflöte (Melos ZfNM Heft 12) kann in ihrem Buch The Recorder Today hierzu aus: man von der „Hassliebe“ zur Blockflöte, wie er „The recorder was first used in electro-acoustic sie nannte nicht viel spüren. Sehr differenziert in music in the 1960s when Michael Vetter began Hinblick auf grifftechnische Möglichkeiten, to experiment with amplification. Since that time Tonumfang, Klangfarbenvielfalt, Dynamik, … other composers and players have become in- Schlageffekte und Spieltechniken beschreibt er, terested in using it in electro-acoustic music.“11 was die Blockflöte „zu dem idealen Instrument So waren Michael Vetters graphisch notierte des musikalischen Zeitstils“10 macht. Es liest sich Werke Figurationen III (Moeck, 1964) und Rez- damit auch in gewisser Weise wie eine Liebeser- itative (Moeck, 1967) die ersten Werke, bei klärung an das Instrument. Mit der Intention, denen Vetter Blockflöte mit Elektronik kom- die Ausdrucksmöglichkeiten der Blockflöte zu binierte. Rosa_Ein Lebenzwischen_120214_Layout 1 14.02.14 09:36 Seite 5 Rezitative, 1967, Moeck (Auszug) Beide Werke sowie weitere Werke, die in den zeit lud der damals ca. 35jährige Stockhausen 60er Jahren für Michael Vetter

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