1 Sonntag, 24.Februar 2019 SWR2 Treffpunkt Klassik - Neue CDs: Vorgestellt von Eleonore Büning Transparent, leicht, glanzvoll Offenbach – Gulda Edgar Moreau Cello Concertos Les Forces Majeures Raphaël Merlin Erato 0190295526122 Ein Fest für alle Sinne Hector Berlioz Harold en Italie Les Nuits d’été Les Siècles François-Xavier Roth Tabea Zimmermann Stéphane Degout HMM 902634 Mitreißende Frische Genève Live Saint-Saëns: Ascanio livret de Louis Gallet Jean-Francois Lapointe - Bernard Richter, Eve-Maud Hubeaux, Jean Teitgen, Karina Gauvin, Clemence Tilquin, Choeur et Orchestre de la Haute École de Musique de Geneve, Choeur du Grand Theatre de Geneve Guillaume Tourniaire B-Records LBM 013 Glühendes Gemeinschaftsespressivo Bela Bartók Integrale Des Quators à Cordes Quatuor Diotima, Naive V5452 Indigo Glockenreine Stimme Offenbach Colorature Jodie Devos Münchner Rundfunkorchester Laurent Campellone Alpha-Classics 437 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs….mit Eleonore Büning, ich grüße Sie! Heute feiern unsere Nachbarn, die Franzosen, den Jahrestag der sogenannten „Februarrevolution“. Am 24. Februar 1848 wurde in den Straßen von Paris wieder scharf geschossen. Barrikaden und Häuser brennen und das Volk, in Waffen, stürmt den Regierungssitz Chateau d’Eau und jagt den korrupten Bürger- könig Louis-Philippe ins Exil. Rund sechzig Jahre nach dem Sturm auf die Bastille musste noch einmal nach- gebessert werden. 2 Immerhin, sie haben ihn nicht geköpft. Aber blutig war dieser Februartag dennoch. Wie viele Pariser, so brachte sich auch der junge Familienvater Jacques Offenbach in Sicherheit, er flüchtet mit Frau und Kind zu seinen Verwandten nach Köln. In seiner Musik spiegeln sich die kriegerischen Ereignisse der Zeit. Offen- bach, 29 Jahre jung, der sich und die Familie zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich mit seinem Cellospiel ernähren muss, schreibt ein Cellokonzert, das die klassische Konzertform sprengt. Es beginnt mit dumpf drohenden Paukenschlägen, mit einem militärischen Defilée. Und so geht das jetzt los im „Treffpunkt Klassik - Neue CDs“: Marchez! Allez! Jacques Offenbach: Grand Concerto G-Dur. Daraus 1.Satz 2:44 „Les Forces Majeures“ heißt dieses junge Orchester aus Frankreich, ein Kammerorchester, gegründet und dirigiert von Raphaël Merlin, dem Cellisten des Quatuor Ebène. Sie spielten den Beginn des „Grand Con- certo pour Violoncelle et Orchestre sol Majeur“ von Jacques Offenbach, neu aufgenommen für das Label Erato. Wer da aber noch nicht zu hören war, weil er nämlich erst nach einer fast drei Minuten langen, sehr langsamen Einleitung dazu kommen darf, in diesem ungewöhnlich riesenhaft ausladenden Allegro Maes- toso: das war der Solist dieses Cellokonzerts, Edgar Moreau. Den hören wir gleich. Und zwar gleich nach der Vorschau. Heute treffen hier im „Treffpunkt Klassik - Neue CDs“ gleich drei große Franzosen zusammen: Jacques Offenbach, Hector Berlioz und Camille Saint-Saëns. Außer der neuen CD von Edgar Moreau mir Offenbachs Cellokonzert habe ich Ihnen auch noch eine weitere mit den schönsten Offenbachschen Ope- rettenschlagern mitgebracht, gesungen von der Sopranistin Jodie Devos. Außerdem, drittens: das neue Berlioz-Album des Orchesters Les Siècles mit François-Xavier Roth, mit den Werken „Harold en Italie“ und „Les Nuits d’été“ und den Solisten Tabea Zimmermann und Stéphane Degout, eingespielt für Harmonia Mundi. Sowie, viertens: die sensationelle Ersteinspielung der Oper „Ascanio“ von Saint-Saëns, mit Guillaume Tourniaire sowie Chor und Orchester der Musikhochschule Genf, eingespielt für das Label B-Re- cords. Und, schließlich: Alle sechs Streichquartette von Béla Bartók, als Gesamteinspielung des Quatuor Diotima, verlegt vom Label Naïve. Soweit der Überblick. Und nun geht es exakt da weiter, wo die Musik eben aufgehört hat: mit dem Solo-Cello-Einsatz, Allegro Ma- estoso, Jacques Offenbach. Es spielt: Edgar Moreau: Jacques Offenbach: Grand Concerto G-Dur. Daraus 1.Satz 7‘12 Edgar Moreau spielte das Solocello, begleitet wurde er von „Les Forces Majeures“. Wir hörten einen Aus- schnitt aus dem ersten Satz des Cellokonzerts G-Dur, komponiert von Jacques Offenbach. Als Offenbach nach der Februarrevolution 1848, vor der er nach Köln geflüchtet war, wieder zurückkehrte nach Paris, hatte sich dort mit Louis-Napoléon das zweite Kaiserreich etabliert, dessen musikalischer Ope- retten-Chronist er werden sollte. Offenbach, der „Orpheus von Paris“, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr von der Musikbranche gefeiert wird, hat dann im Laufe der Jahre noch viele andere ulkige Spitznamen bekommen. Man nannte ihn auch den „Mozart der Champs Elysées“ und „Die Spottdrossel des Seconde Empire“, man erklärte ihn zum „Wunschtraum Nietzsches“ oder zur „Geburt der Frechheit aus dem Geiste der Musik“. Zuerst aber wurde er bekannt als der „Liszt des Cellos“. Er ist auch tatsächlich mit Franz Liszt gemeinsam aufgetreten. Und dieses Cellokonzert hatte Jacques Offenbach für sich selbst komponiert. Es handelt sich um ein Virtuosenkonzert, ein Showpiece, das nach Art einer Rhapsodie einzelne symphonische Szenen aneinanderreiht. Die klassische Konzertform ist in heller Auflösung, der Part des Solisten, wie zu hören war, geradezu atemraubend schwierig: Wilde Doppelgriffpassagen. Tiefste Tiefen, höchste Lagen. Offenbach muss ein sagenhaft virtuoser, mit allen Wassern gewaschener Cellist gewesen sein. Nach der Uraufführung des Konzertes im April 1847 ist freilich nur noch eine einzige Aufführung in Köln belegt, am 24.Oktober 1848. Es gab auch nie eine Druckfassung. Dieses Konzert wurde erst 1952 zufällig wiederent- deckt, oder vielmehr, ein Teil des Konzerts, und zwar in der Schublade eines Offenbacherben. Das Auto- graph des kompletten, gigantischen Konzerts in drei Sätzen, 44 Minuten lang, fand der Offenbachforscher Jean-Christophe Keck erst 2004 wieder, er hat es der Gesamtausgabe einverleibt. Aber aufgeführt wird es 3 immer noch so gut wie nie. Warum? Wahrscheinlich, weil es einfach sehr schwer zu spielen ist, außerdem ungewöhnlich in der Form. Und welcher Konzertveranstalter setzt schon ein unbekanntes Cellokonzert aufs Programm, wenn er mit einer Operettengala des nämlichen Komponisten einen ausverkauften Saal haben kann? Die hier vorliegende Neueinspielung mit Edgar Moreau ist überhaupt erst die zweite, die es gibt. Sie ist straf- fer, schneller als die Ersteinspielung, die 2006 herauskam, damals mit Marc Minkowski und dem Cellisten Jérôme Pernoo. Diese Neuaufnahme wirkt transparenter, leichter und zugleich glanzvoller, was vor allem am Solisten liegt: Edgar Moreau, der jedes Detail souverän durchgestaltet, mit vollem Ton, hingebungsvollem Legato, bis rauf ins feinste Flageolett: Jacques Offenbach: Grand Concerto G-Dur, daraus 3. Satz 3’20 Die schöne Helena lässt schon grüßen, aber auch die Kriegstrommel ist gegenwärtig, in diesem dritten Satz aus Jacques Offenbachs Cellokonzert. Edgar Moreau verkörperte den Violoncello-Part, es spielte das Or- chester „Les Forces Majeurs“ unter der Leitung von Raphaël Merlin. Cellozauberknabe Moreau, inzwischen 25, ist den Wunderkindschuhen nun auch schon entwachsen. Ich glaube, es erübrigt sich, die vielen Preise aufzuzählen, die er bereits errungen hat. Er konzertiert mit großen Orchestern, er macht aber auch gern und viel Kammermusik, er ist seit 2016 Vertragskünstler bei Label Erato bzw. Warner und legt hiermit seine dritte CD vor. Ergänzend zum Offenbach-Konzert hat er für dieses Album auch noch das Werk eines anderen romanti- schen Grenzgängers und Nonkonformisten eingespielt, das ebenso selten zu hören, aber hundertzwanzig Jahre jünger ist: Friedrich Guldas jazzinspiriertes „Konzert für Violoncello und Blasorchester, ebenfalls kom- poniert von einem wahren Virtuosen, für wahre Virtuosen. Und nur halb so lang. Herausgekommen ist diese CD beim Label Erato im Vertrieb von Warner Classic. SWR2, Sie hören „Treffpunkt Klassik - Neue CDs“ heute mit Eleonore Büning. Kommen wir zum zweiten Jubiläumskomponisten des Jahres: Hector Berlioz. Auf dem Friedhof von Mont- marte liegen sie beide begraben, Berlioz und Offenbach, im wirklichen Leben hatten sie nur zwei, dreimal miteinander zu tun. Sie waren halt eine Generation auseinander. Es ist aber verbürgt, dass sie einander kannten, Berlioz hat den jungen Offenbach gefördert, und gewiss hatte Offenbach seinerseits, als sein rhap- sodisch-virtuoses Cellokonzert schrieb, auch schon das revolutionäre Bratschenkonzert im Sinn, welches Berlioz zehn Jahre zuvor geschrieben hatte, im Auftrage Paganinis: „Harold en Italie“. Das Stück beginnt mit einer drei Minuten langen Einleitung: Harold steigt in die Berge hinauf. Hector Berlioz: „Harold en Italie“ op.16, 1.Satz 7‘11 „Harold in Italien“, op.16, Symphonisches Konzert von Hector Berlioz. Tabea Zimmermann spielte die Brat- sche und Françoix-Xavier Roth begleitete, mit seinem Ensemble Les Siècles. Gemächlichen Schrittes, step by step, Harfenpling für Harfenpling, steigt das schöne, romantische Wanderer-Thema aufwärts ins Gebirge, der Sonne entgegen. Es ist kein Wunder, dass der Auftraggeber Niccolo Paganini, der sich für seine neue Stradivaribratsche ein fetziges Bratschenkonzert von Berlioz gewünscht hatte, so enttäuscht gewesen ist: Von diesem ruhigen Pulsschlag, dem moderaten Tempo, von dieser eklatanten Abwesenheit von Glamour und Bravour. „Das ist nicht, was ich meinte“, soll er gesagt haben: „Ich schweige da viel zu lang. Ich sollte unentwegt spielen!“ Tatsächlich wird nicht virtuos konzertiert in „Harold en Italie“. Im Gegenteil: Die Bratsche verkörpert den jun- gen Antihelden, Harold, das alter ego des Lord Byron.
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