Wortprotokoll WissForsch 15 / 51 15. Wahlperiode Plenar- und Ausschussdienst Wortprotokoll Ausschuss für Wissenschaft und Forschung 51. Sitzung 4. Mai 2005 Beginn: 9.07 Uhr Ende: 12.49 Uhr Vorsitz: Frau Abg. Dr. Fugmann-Heesing (SPD) Punkt 1 der Tagesordnung Aktuelle Viertelstunde Entfällt. Punkt 2 der Tagesordnung a) Vorlage – zur Beschlussfassung – 0161 Erstes Gesetz zur Änderung des Berliner Hochschulzulassungsgesetzes Drs 15/3766 b) Antrag der Fraktion der CDU 0167 Wahlrecht der Hochschulen für die Vergabe der Studienplätze verbessern Drs 15/1799 Siehe Inhaltsprotokoll. Punkt 3 der Tagesordnung Verschiedenes Siehe Beschlussprotokoll. Redakteurin: Regina Broll, Tel. 23 25 1462 bzw. quer (99407) 1462 Abgeordnetenhaus von Berlin Seite 2 Wortprotokoll WissForsch 15 / 51 15. Wahlperiode 4. Mai 2005 – br/krü – Punkt 4 der Tagesordnung Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs 0157 Aufarbeitung der Verstrickung in den Nationalsozialismus durch Berliner Wissenschaftseinrichtungen (auf Antrag aller Fraktionen) Frau Vors. Dr. Fugmann-Heesing: Ich begrüße unsere Gäste ganz herzlich, die sich bereit erklärt haben, heute hier im Ausschuss etwas zur Verstrickung Berliner Wissenschaftseinrichtungen in den Nationalsozia- lismus und zur Aufarbeitung dieses Kapitels durch die wissenschaftlichen Einrichtungen zu sagen. Wir ha- ben das Datum der Behandlung dieses Punktes im Ausschuss sehr bewusst gewählt – unmittelbar vor dem 8. Mai, an dem sich das Kriegsende zum 60. Mal jährt und damit auch der Tag, an dem Deutschland vom Nationalsozialismus befreit worden ist. Rassenideologie, Antisemitismus, Euthanasie, „Generalplan Ost", sind nur einige wenige Begriffe, die für die menschenverachtende Ideologie der Nazi stehen, eine Ideologie, die die gesamte Gesellschaft durchdrun- gen hatte und die von vielen – von viel zu vielen – geteilt und auch durch viele Einrichtungen und ihr Han- deln unterstützt worden ist. Welche Rolle haben in diesen Jahren – 1933 bis 1945 – die Wissenschaftseinrichtungen in Berlin gespielt? Wie weit waren sie in den Nationalsozialismus verstrickt, und haben sie diese Verstrickung aufgearbeitet? – Das ist das Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen wollen. Ich begrüße ganz herzlich Herrn Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch. Er ist seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität, Präsident der Gesellschaft für Wissenschaftsge- schichte seit 1998, und er wurde im Januar 2002 durch den Akademischen Senat der Humboldt-Universität zum Vorsitzenden einer Arbeitsgruppe bestellt, die sich anlässlich des damals bevorstehenden 60. Jahresta- ges der Erarbeitung des „Generalplan Ost“ mit Vorschlägen für den Umgang mit der Verstrickung der Hum- boldt-Universität in die NS-Vernichtungspolitik beschäftigen sollte. Herr Prof. Dr. vom Bruch ist Vorsitzender dieser Arbeitsgruppe und Herausgeber einer zweibändigen Dar- stellung, die die Ergebnisse einer Ring-Vorlesung dokumentieren, die vom Sommersemester 2003 bis zum Sommersemester 2004 an der Humboldt-Universität zu dem von mir genannten Thema durchgeführt worden ist und mit der das Fundament für den der Arbeitsgruppe erteilten Auftrag gelegt werden sollte. Herr Prof. Dr. vom Bruch wird uns gleich eine Einführung in das Thema geben. Ich bedanke mich auch bei Herrn Prof. Dr. Reinhard Rürup, der uns allen als ehemaliger Direktor der Topo- graphie des Terrors bekannt ist. Vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind. Sie waren Professor an der Technischen Universität und sind Vorsitzender der Präsidentenkommission „Geschichte der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissen- schaften e. V. Ich begrüße weiterhin Herrn Prof. Dr. Andreas Heinz, den Geschäftsführenden Direktor der Klinik für Psy- chiatrie und Psychotherapie der Charité und Herrn Dr. Udo Schagen, Leiter der Forschungsstelle „Zeitge- schichte“ im Institut für Geschichte der Medizin der Charité – Berliner Hochschulmedizin – ist. – Nochmals herzlichen Dank, dass Sie uns heute einen Ein- und Überblick geben werden, und ich bitte Herrn Prof. vom Bruch, zu beginnen. Prof. Dr. vom Bruch (Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte): Herzlichen Dank! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Berliner Wissenschaftseinrichtungen betonen gerne – was durchaus üblich und legitim ist – ihre auf Tradition gestützten Zukunftschancen. Auch die erst 1948 gegrün- dete Freie Universität verweist neuerdings auf weiter zurückreichende personelle und wissenschaftsge- schichtliche Kontinuitäten. Die Humboldt-Universität sieht sich in der Tradition einer 1810 konzeptionell Abgeordnetenhaus von Berlin Seite 3 Wortprotokoll WissForsch 15 / 51 15. Wahlperiode 4. Mai 2005 – br/krü – von Wilhelm von Humboldt begründeten Berliner Universität. Die Technische Universität verweist mit der Bauakademie – neben der Gewerbeakademie – auf eine noch ältere Vorläufereinrichtung der im Kaiserreich errichteten Technischen Hochschule. Die Universität der Künste beruft sich auf das Erbe vergleichbar alter Spezialhochschulen. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften erinnert an ihre Gründung 1700 – wie übrigens auch die Charité –, die Akademie der Künste trat noch einige Jahre früher ins Leben. Die wichtigsten wissenschaftlichen Bundesanstalten, deren Hauptsitz sich heute in Braunschweig und an- derswo befinden, wurden im Berlin des Kaiserreichs begründet, so die Physikalisch-Technische Bundesan- stalt, die Biologische Bundesanstalt, und sie sind in Berlin noch immer verankert. Das Bundesamt für Mate- rialprüfung befindet sich nach wie vor in Berlin. Das aus dem Reichsgesundheitsamt hervorgegangene, vor einigen Jahren als Zentralinstitution aufgelöste, aber in seinen Forschungsinstituten weiterwirkende Bundes- gesundheitsamt ist weiterhin in Berlin angesiedelt. Die in Bonn-Bad Godesberg ansässige Deutsche For- schungsgemeinschaft residierte bis 1945 im Berliner Schloss, und die Max-Planck-Gesellschaft mit Sitz der Generalverwaltung in München knüpft an die 1911 mit Zentralsitz in Berlin begründete Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften an. Vor diesem Hintergrund wäre es erstaunlich, wenn diese vielfältigen Einrichtungen nicht lange schon darauf gestoßen wären, dass es sie auch in dem Zeitraum zwischen 1933 und 1945 gab und sie damit Teil des NS- Systems wurden, denn Opposition qua Institution ist in diesem Zusammenhang nicht bekannt. Interne Kon- flikte, die dann allerdings rasch machtpolitisch entschieden wurden, gab es allenfalls in der Akademie der Künste, und diese hat in der alten Bundesrepublik wohl auch am eindringlichsten ihre NS-Vergangenheit aufgearbeitet. Im Übrigen drängt sich der Eindruck auf, dass eine intensive wissenschaftliche Auseinander- setzung mit der je eigenen NS-Vergangenheit erst an der Wende zum 21. Jahrhundert erfolgte. Abgeordnetenhaus von Berlin Seite 4 Wortprotokoll WissForsch 15 / 51 15. Wahlperiode 4. Mai 2005 – br/vo – Eine Ausnahme stellt die TU dar, deren von Reinhard Rürup verantwortete Hundertjahr-Festschrift von 1979 bereits eindringlich die NS-Zeit in vier substantiellen Aufsätzen thematisierte. Im Übrigen setzte in der Tat erst um 2000 eine intensive wissenschaftshistorische Auseinandersetzung mit der je eigenen NS- Vergangenheit ein – in der Akademie, in der Humboldt-Universität, in der MPG und in der DFG, nicht je- doch in den vormaligen Reichs- und heutigen Bundesanstalten. Warum diese Verspätung? Blicken wir kurz zurück auf die ersten Nachkriegsjahre. Zwar hatten die Alliierten in Potsdam die Auflösung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wegen maßgeblicher Bedeutung für die NS-Rüstungspolitik beschlossen und bei den Nürnberger Ärzteprozessen indirekt auch die Universitätsmedizin auf die Anklagebank gesetzt; zwar hatte der Heidelberger Philosoph Karl Jaspers bereits 1946 mit seiner Schrift „Die Idee der deutschen Universität“ eindringlich zur Auseinandersetzung mit der NS-Zeit aufgerufen; zwar hatte der Theologe Karl Barth von Basel aus schonungslos die Arroganz der deutschen Universitätsangehörigen gegeißelt, doch die allgemeine Überzeugung war, neben den Kirchen habe die Wissenschaft relativ unbeschädigt die NS-Zeit überstanden, und die wirklich schwarzen Schafe seien nach 1945 rasch entfernt worden. Die Universitäten argumentierten, Vertreibung von Professoren und Aufpropfungen wie die „Führer-Universität“ seien von außen, von den neuen Machthabern, oktroyiert worden, man brauche nur wieder zur Autonomie und zur Freiheit von Lehre und Forschung zurückzukehren, wie sie bis 1933 in der Tradition der humboldtschen Universität Geltung besessen hätten. Führende Männer der neuen Max-Planck-Gesellschaft wie Otto Hahn und Werner Heisenberg bewahrten zwar wegen der drohenden Auflösung der KWG formalrechtliche Dis- tanz zu dieser, betonten indes, KWG und MPG seien gleichermaßen Träger von Grundlagenforschung und damit weder ideologisch noch rüstungstechnologisch belastet. Die Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft 1949 begünstigte dann forschungsinstitutionell eine Trennung zwischen angewandter und Grundlagenfor- schung, welche auch für die KWG reklamiert wurde. SBZ und DDR wiederum stilisierten sich als Hüter antifaschistischer Gesinnung und sahen sich daher mit Kontinuitätsproblemen nicht konfrontiert. Aufgeschreckt durch Broschüren zur „braunen Universität“ und eine entsprechend flankierende DDR- Propaganda fanden Mitte der 1960er Jahre an der FU sowie in München und Tübingen Ringvorlesungen über deutsche Universitäten in der NS-Zeit statt, doch sie stützten sich nicht auf verlässliche Forschungen,
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