Ludwig Edinger.~) (1855---1918.) Von Kurt Goldstein

Ludwig Edinger.~) (1855---1918.) Von Kurt Goldstein

Ludwig Edinger.~) (1855---1918.) Von Kurt Goldstein. (Eingegangen am 15. Juli 1918.) M.H. So sehr es mir aueh nur mit den Gefiihlen des Schmerzes mSglich ist, fiber meinen verstorbenen Lehrer zu Ihnen zu sprechen, so sehr erscheint es mir andrerseits eine besonders ehrenvolle Aufgabe im ~rztlichen Verein einen Uberblick fiber das Lebenswerk Ludwig Edingers zu geben -- yon der Stelle aus, vonder der Verstorbene so viele seiner neuen Entdeckungen zuerst mitgeteilt hat. Eine ehren- volle Aufgabe, aber keine leiehte -- gilt es doch eine schier unfiberseh- bare Menge von Einzeluntersucl~ungen, von Ideen, deren Problematik noch gar nieht zu fibersehen, geschweige denn zu erschSpfen ist, die sich alle an den Namen Edinger knfipfen, in einen einheitlichen Rah- men zusammenzubringen. Wenn mir dies doch gelingen sollte, so liegt dies an dem einheitliehen Grundzug, der, wie wir spater sehen wer- den, alle die Arbeiten und Gedanken Edingers durchzieht. Der Lebensgang Ludwig Edingers ist schnell geschildert. Er ist 1855 in Worms geboren, studierte in Heidelberg und Stra[tburg. Unter dem Einflui] so ausgezeiehneter Lehrer wie Gegenbaur und Waldeyer erwachte frfihzeitig sein Interesse ffir die Anatomie und Biologie. So entstanden seine ersten wissensehaftlichen Arbeiten: die Dissertation ,,Uber die Schleimhaut des Fisehdarmes (usw.)" 18761), die ,,Untersuehung fiber die Endigung der Haut- nerven bei Pterotrachea ''2) und ,,Uber die Drfisenzellen des Magens besonders beim Menschen"3). Naeh Beeudigung seiner Stuclienzeit land E d i n g e r nieht die seinen Neigungen zur vergleichenden Anatomie und Biologie entspreehende Assistentenstelle; er mul~te eine klinisehe Stelle annehmen. Er be- schreibt in seinem Aufsatze zu Kussmauls 60. Geburtstage 121) sehr eindringlich seinen Schmerz darfiber; glaubte er doch, dadureh von seinem eigenttichen Berufe, dem des Anatomen und Biologen, abzu- *) Nach einem bei der Trauel~eicr fiir Ludwig Edinger im ~rztlichen Verein zu Frankfurt a. M. gehaltenen Vortrag. K. Goldstein: Ludwig Edinger. 115 komlnen. Er sollte allerdings sehr bald anderer Meinung werden. Er schildert in dem erw~hnten Aufsatze und hat es mtindlich sehr oft aus- gesprochen, wie ungemein wertvoll diese Periode ffir seine ganze Ent- wicklung geworden ist. Bei K u s s m a ul, den er au•erordentlich ver- ehrte, erhielt er die erste Anregung, sich speziell mit dem Nerven- system zu beschiiftigen. Hier wurde auch fffihzeitig sein Intercsse ffir die Erforschung der Leistungen der Organe und speziell auch ffir die praktische Medizin geweckt. Er war spi~ter dieser Ent- wicklung seines Studienganges sehr dankbar, und ieh glaube, wir mfissen es auch sein; denn sie war wohl mit die Ursache daffir, dal~ Edinger nicht nur der gro~e Anatom, sondern aueh der groBe Neurologe in des Wortes wahrster Bedeutung wurde, als der er -- ein leuchtendes Vor- bild -- vor uns Jfingeren stand. Aus dieser Zeit bei Kussmaul, sowie der sich anschliel~enden Assistentenzeit bei Riegel in GieBen stammen einige Arbeiten, die dureh momentane klinisehe Interessen oder besonders interessante Fi~lle bedingt waren. So aus der Kussmaulschen Zeit die Mit- teilung eines Falles yon Rindenepilepsie (1879)71), aus der GieBener Zeit die Arbeit fiber das Verhalten der freien Salzs~ture des Magensaftes in zwei Fi~llen von amyloider Degeneration der Magenschleimhaut (1880) 67), seine Untersuchungen fiber die Physiologie und Pathologie des Magens6S), mit denen er sieh in Giel~en 1881 habilitierte, seine E x p e r i m e n t e ll e n U n t e r s u c h u n - gen zur Lehre vom Asthma 7% die er gemeinsam mit Riegel aus- ffihrte, die Untersuchungen fiber die Zuckungskurve des menschlichen Muskelsim gesunden undkranken Zustande72), bei denen er, wohl-mit als erster, angeregt besonders durch Untersu- chungen yon I-Ielmholtz und Marey am Gesunden, myographische Kurven auch beim Kranken aufnahm. Aus dieser Zeit stammt auch seine Untersuchung des Rfickenmarks und Gehirns bei einem Falle yon angebor.enem Mangel des Vorderarmes (1882) 32), in der es ihm gelang, die dem Verluste des Armes entspre- chenden Ver~nderungen in bestimmten Teilen der grauen Substanz des Rtickenmarks sowie eine Atrophie in den entsprechenden Gebieten der motorischen GroBhirnrinde nachzuweisen. Er kam in Best~tigung yon Untersuchungen besonders G uddens zu dem Ergebnis, dab zwar das ausgebildete Gehirn auf einen Ausfall im Bereiche der peripheren Bahnen nicht mit merklicher Atrophie antwortet, dal] aber, weml wi~hrend der Zeit des Hirnwachstums solcher Ausfall eintritt, sich die dazu gehSrigen Rindbnpartien nicht in demselben MaBe wie am ge- sunden Gehirn entwickeln. Von Giel~en aus kam Edinger im Jahre 1882 nach Frankfurt, wo er sich als ~ervenarzt niederlieI~. 1894 erhielt er den Titel Professor, 8* 1 16 K. Goldstein: 1904 wurde er Direktor des Senckenbergisehen Neurologischen Insti- tutes. Bei ErSffnung der Universititt Frankfurt a. M. wurde das ,,Neu- rologisehe Institut" yon der Universit~t fibemonnnen und Edinger zum persSnliehen Ordinarius ffir Neurologie berufen. Wie sehr der junge Arzt, als er naeh Frankfflrt kam, sehon mit der Anatomie des Nervensystsms vertraut war, zsigten seine zehn Vor- lesungen fiber den Bau der nervSsen Zentralorgane 41), die sr im Jahre 1883/84 im Krsise des i~rztliehen Versins hielt, und die die Grundlage wurden fiir das seh6ne Bueh, mit dem sr seinen guhm bs- grtindete. Sie zeugten schon von einsr augerordentliehen Beherrschung dsr ganzen Hirnanatomis, nieht so sehr dureh die Fi]lle der erwi~hnten Tatsaehen, Ms viehnehr dursh die ausgezeiehnete Auswahl des Wesent- lichen, die es srm6gliehte, die Darstellung so iibsrsiehtlieh zu gestalten, dab aueh der praktisehe Arzt dureh das Studiunl des Buehes zu einem ~berbliek fiber die Hauptlinien dsr Gehirnanatomie kommen konnte. Das hat diesss Bueh41), das 1885 im Druek srsehienen ist, so bedeut- sam gemaeht, dab ss eines der verbreitetstsn Bfieher fiber Hirnanatomie wurde, aeht deutsche A~lflagen erlebte und in versehiedene frsmde Spr~ehen (franzSsiseh, engliseh, russiseh, italieniseh) fibersetzt wurde. Wir kommen auf das Bueh noehmals zuriiek. Wenn wir die Arbeiten Edingers aus den 80er und 90er Jahren fiberblieken, so linden wit in ihnen die Hauptcharakteristiea des Edingersehen Sehaffens sehon weselttlieh ausgepr~gt, die Arbeits- weise, die die wssentliehe Aufgabe in sinsr 6konomisehen Darstsllung des TatsSehliehen im Sinne Maehs sah, wie aueh die Vielseitigkeit der Problemstellung und den Grundgedanken, den Baudes Gehirnes in Beziehung zu seinen Leistungen zu verstehen. Das Prinzip der 6konomisehen Arbeitsweise liel3 ihn fiberall naeh den einfaehen Vorg~ngen sushen, um erst diese zu vsrstshen, she er sieh an das Komplizisrte heranwagte. Dies war es aueh, was ihn zur ver- gleiehenden Anatomie ftihrte. Hier hoffte er, anatomisehe Verh~ltnisse einfachster Art zu linden, und zwar -- eharakteristiseher.weise ffir seine Denkart -- nieht deshalb, wsil die Anatomie des Tiergehirnes leiehter zu tibersehen war (dazu war sie ja bisher noeh viel zu wenig bekannt), nein, was ihn bestimmte, war die Annahme~ dab entsprsehend den ein- faeheren Leistungen niederer Tiers sieh aueh einfaehere Msehanismen bei ihnen naehweisen 1.assen miil3ten. ,,Es muB", sagt er in der Vor- rede zur 2. Auflage seines Lehrbuehes4~), ,,sine Anzahl anatomiseher Anordnungen geben, die bei allen Wirbeltieren in gleieher Weise vor- handen sind, diejenigen, welehe die einfachsten J~ugerungen der Tiitig- keit des Zentralorgans erm6glichen. Es gilt nut, immer dasjenige Tier oder diejenige Entwieklungsstufe irgendeines Tieres ausfindig zu maehen, bei der dieser oder jener Meehanismus so einfaeh zutage tritt, dab er Ludwig Edinger. 117 voll verstareden werden kann. Hat man das Verhalten einer solehen Einriehtung, eines Faserzuges, einer Zellanordnung nur einmM ganz siehergestellt, so finder man sit gew6hnlieh auch da wieder, wo sic dutch Neuhinzugekommenes mehr oder weniger undeutlieh gemaeht wird. Das Auffinden soleher Grundlinien des Itirnbaues erseheint die niiehstliegende und wiehtigste Aufgabe des ttirnanatomen. Kennen wit nur erst eimnal sie, so wird es leiehi:er sein, die komplizierteren Einriehtungen zu verstehen, mit denen das h6her organisierte Gehirn arbeitet." Er sah sehr bald, dab dureh die bisherigen Fgrbemethoden dieses Ziel nur unvollkommen zu erreiehen war, und griff als einer der ersten (lie neue Weigertsehe Markseheidenmethode auf als tin Mittel, das uns ganz neue Einblieke in den Faserverlauf gestattet. Manehe Forseher lieBen sigh dutch die Ffille der Fasern, dig sieh bei Anwen- dung der Weigertsehen Methode zeigten, absehreeken, sit zu benutzen. Ihm sehien es selbstverstgndlieh falseh, eine Methode, dig er als eine bessere zur Erforsehung des Nervensystems erkannt hatte, deshalb nieht zu benutzen, weil sit zunSehst verwirrend ,~iel zeigte. Er suehte nut ihre Sehlvierigkeiten dadureh zu umgehen, dab er sie zun5ehst bei besonders einfaehen Verh:altnissen anwandte. Das fiihrte ihn zur Untersuehung embryonalen Materials, wo infolge dernur teil- weise vorhandcnen Markscheidenentwiekhmg dig Markseheidenbilder lange nieht so verwirrend, ja ganz besonders sehSn sind: Er war e.~ deshalb aueh, der die Verdienste F lechsigs immer wieder hervorhob. Die Kombination der drei methodisehen Mittel der Untersuehung embryonalen, vergleiehend anatomisehen Materials und die Anwen- dung der Weigertsehen Markseheidenf~irbung hag ihm eine grol3e Reihe bedeutungsvollcr Entdcekungen beschert. Es kann unm6glich meinc Aufgabe sein, die anatomisehen und ver gleiehend-anatomisehen Tatsaehen, die sieh

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