SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Ein Lied für die Eingeborenen von Trizonesien Eine kleine Geschichte der deutschen Nationalhymne(n) Autor: Stefan Fries Redaktion: Detlef Clas Regie: Autorenproduktion Sendung: Montag, 13. August 2012, 8.30 Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books. http://www1.swr.de/epub/swr2/wissen.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden. MANUSKRIPT Cut 1:Endspiel um die Fußball-WM 1954 zwischen Deutschland und Ungarn in Bern Herbert Zimmermann: „Aus, aus, aus – das Spiel ist aus. Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit 3 zu 2 Toren im Finale in Bern.“ „Und jetzt, jetzt erfolgt die feierliche Übergabe des Pokals an Fritz Walter, den Kapitän der deutschen Weltmeister-Mannschaft. Er nimmt den Pokal in die Hand, zeigt ihn seinen zehn Mitspielern, und jetzt ist auch Ferenc Puskás nach vorne gegangen und hat die Gratulation angenommen, und Deutschlands Hymne erklingt.“ Deutsche im Stadion singen im Hintergrund zur Orchesterbegleitung: „... über alles in der Welt / Wenn es stets zu Schutz und Trutze / Brüderlich zusammenhält / Von der Maas bis an die Memel / Von der Etsch bis an den Belt...“ Sprecher: Es war eine Ungeheuerlichkeit, die sich 1954 im Berner Wankdorf-Stadion zutrug. Nur neun Jahre zuvor hatten die Alliierten den mörderischen Zug der Deutschen durch die halbe Welt gestoppt – und jetzt gewannen die ehemaligen Nazis die Fußball- Weltmeisterschaft. Noch schlimmer aber war, was die deutschen Fans daraufhin sangen. Es war genau der Text, dessentwegen die Melodie verboten worden war – der Text, den die Deutschen sangen, als sie versuchten, ihr Land auszuweiten, „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“. Cut 1:Endspiel um die Fußball-WM 1954 zwischen Deutschland und Ungarn in Bern Deutsche im Stadion singen: „... Deutschland, Deutschland über alles / Über alles in der Welt! / Deutschland, Deutschland über alles / Über alles in der Welt!“ (Jubel) Musik: „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ (Karl Berbuer) Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Heidi-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm! Ansage: Ein Lied für die Eingeborenen von Trizonesien Eine kleine Geschichte der deutschen Nationalhymne(n) Eine Sendung von Stefan Fries Sprecher: Wer die Geschichte der deutschen Nationalhymne, ja die der Nationalhymnen überhaupt erzählen möchte, kommt um die älteste nicht herum: die französische Marseillaise. Musik: „La Marseillaise“ Sprecher: Die Marseillaise war das bekannteste und beliebteste politische Lied des 19. Jahrhunderts. 1792 wurde sie geschrieben – für den Kampf der Franzosen gegen die Koalition aus Österreich und Preußen. Die pathetische Melodie, der aggressive Text und natürlich der politische Kontext ihrer Entstehung machten die Marseillaise in 2 Europas Monarchien zu einem Kampflied der Unterdrückten, die sich gegen die Herrschenden auflehnen wollten. Zitator: „Zu den Waffen, Bürger! Schließt die Reihen, Vorwärts, marschieren wir!“ Musik: „La Marseillaise“ Sprecher: 1797 rückte die napoleonische Armee zu den Klängen der Marseillaise auf Wien vor. Die Habsburger Monarchie wusste um deren Wirkung auf Soldaten und suchte ein Gegengewicht für ihre eigenen Truppen. Kaiser Franz der Zweite beauftragte den Komponisten Joseph Haydn damit, einen monarchietreuen Text von Lorenz Leopold Haschka zu vertonen. Haydn sagte zu. Musik: Streichquartett C-Dur op. 76,3 Hob III, 77 (Kaiserquartett) Cut 2: Michael Custodis Ich glaube, die musikalische Qualität ist durch ihren Urheber schon leicht nachzuvollziehen, weil Haydn sehr geschickt komponiert hat und, glaube ich, auch sehr gut komponiert hat. Weil sie als Hymne eigentlich, diese Melodie, das erfüllt, was sie erfüllen sollte. Musik: Streichquartett C-Dur op. 76,3 Hob III, 77 (Kaiserquartett) Cut 2: Michael Custodis Dass sie in vielen (...) musikalischen Variationen eben darstellbar ist, in vielen unterschiedlichen Besetzungen, dass sie eben gut zu erinnern ist, dass sie gleichzeitig dem Text auch genügend Raum lässt, dass sie auch diese würdige Stimmung erzeugt, und dass sie auch als Musik einfach überzeugen kann. Sprecher: Der Musikwissenschaftler Michael Custodis von der Universität Münster. Noch im selben Jahr 1797 integrierte Haydn seine Melodie als zweiten Satz in ein Streichquartett, das später nach der Hymne „Kaiserquartett“ genannt wurde. Es variiert die Melodie insgesamt fünfmal und macht besonders mit den weniger bekannten Variationen die einfältige Lobhudelei des Hymnentextes vergessen. Musik: Streichquartett C-Dur op. 76,3 Hob III, 77 (Kaiserquartett) Zitator: „Gott erhalte Franz, den Kaiser, Unsern guten Kaiser Franz! Lange lebe Franz, der Kaiser, In des Glückes hellstem Glanz! Ihm erblühen Lorbeerreiser, Wo er geht, zum Ehrenkranz! Gott erhalte Franz, den Kaiser, Unsern guten Kaiser Franz!“ 3 Sprecher: Es ist die Melodie des späteren Deutschlandliedes, die da 1797 entstanden war – was weder Kaiser Franz noch Joseph Haydn ahnen konnten. [Die Melodie, die heute ein Stück deutscher Demokratie ist, hatte also ursprünglich weder mit dem einen noch mit dem anderen zu tun: Sie kommt nicht aus Deutschland und sie steht nicht in republikanisch-demokratischer Tradition.] Haydns Melodie setzte sich in der Habsburger Monarchie zwar durch; bis 1918 wurde sie zur Huldigung des jeweiligen Königs oder Kaisers gesungen. Aber gegen die Marseillaise kam sie europaweit nicht an. [Musik: „La Marseillaise (historisch)“ (Blasorchester) Sprecher: Der Marseillaise folgte die sich formierende deutsche Arbeiterbewegung. Sie erklang auf dem Hambacher Fest 1832, auf dem die Einheit der deutschen Staaten und Demokratie gefordert wurden, und während der Märzrevolution 1848/49.] An der Anziehungskraft von Melodie und Text änderte sich zunächst auch wenig, als sich 1841 der Literaturprofessor und Lieddichter August Heinrich Hoffmann der kaisertreuen Haydn-Hymne annahm. Bekannt als Hoffmann von Fallersleben hatte er als politischer Mensch unter den Verhältnissen der Zeit gelitten. Wiederholt trafen ihn Berufsverbot und Zensur. Im August 1841 verfasste von Fallersleben einen neuen Text für die bekannte Melodie. Deren Wirkung über die Jahrhunderte hat der Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer von der Universität Frankfurt untersucht. Cut 3: Ortmeyer Hoffmann von Fallersleben gehörte nun zu jenen, ich kann sagen, Feinden der Fürsten, die sich bitter darüber beschwerten, dass keine Meinungsfreiheit existierte, dass eine miefige Atmosphäre in Deutschland herrschte, eine kleinliche Atmosphäre herrschte, er wurde ja nicht umsonst relegiert, hat seinen Posten eben erst einmal verloren. (…) Er war einer von diesen Leuten, die die Fürstentümer abschaffen wollten und die Enge, das nicht mehr Zeitgemäße dieser mittelalterlichen Grundstruktur der verschiedenen Fürstentümer abschaffen wollte. Das ist, denke ich, unstrittig. Sprecher: Schon von Fallerslebens erste Strophe zeigte, dass er sich ein einiges Deutschland wünschte, auch wenn er offen ließ, wie diese Einheit zu erreichen war. Musik: „Deutschlandlied“ (1. Strophe) „Deutschland, Deutschland über alles über alles in der Welt, wenn es stets zum Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält. Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt. Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt.“ 4 Cut 4: Ortmeyer Seine Antwort ist in dem Deutschlandlied ja doch eindeutig: Er bemüht sich, populär zu sein. Aber in der ersten Strophe wird es hochinteressant. Da geht es dann tatsächlich um Grenzen. Da werden Grenzflüsse genannt, es gibt also das Bild einer am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation orientierten Vorstellung eines Großdeutschland zusammen mit einer – ja – literarisch gelungenen Formulierung, eben dieses ‚Deutschland über alles’. Das ist, denke ich, die populärste Passage. Das waren literarisch-feuilletonistische Formulierungen, mit denen er die Bildung Deutschlands als Nation mit einer schon nationalistisch
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