Masterarbeit Ästhetik des Verschwindens bei Christian Kracht: Zur Regression in "Faserland", "1979", "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" und "Metan" von Sören B. Sobbe Erstauflage Ästhetik des Verschwindens bei Christian Kracht: Zur Regression in "Faserland", "1979", "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" und "Metan" – Sobbe schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Einzelne Autoren: Monographien & Biographien Bachelor + Master Publishing 2014 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 95684 213 9 Leseprobe Textprobe: Kapitel 3.2, Alles verschwindet: In diesem Unterkapitel wird zuerst der dritte Teil der Kracht’schen Trilogie, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, untersucht, in dem zwar ebenfalls ein Protagonist existiert, der verschwindet, aber der nur den Auftakt zum Verschwinden der gesamten Menschheit spielt. Das genretechnisch schwierig einzuordnende Buch Metan, das Christian Kracht zusammen mit Ingo Niermann verfasst hat, gehört nicht der Trilogie der anderen drei Romane an und unterscheidet sich in Stil und Erzählweise. Trotzdem sind die beiden hier untersuchten Bücher mit Blick auf den Verschwindens-Diskurs eng mit einander verknüpft, wie später verdeutlich werden wird. 3.2.1, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten: Den letzten Teil der Trilogie, die mit Faserland begann und von 1979 fortgesetzt wurde, bildet Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Dieser Roman erschien im Jahre 2008 und beschreibt eine alternate history unserer Welt, insbesondere Europas, wie sie ab dem Jahr 1917 hätte entstehen können. Die Romanhandlung stellt also eine Utopie beziehungsweise eine Dystopie dar. Birgfeld und Conter ordnen sie der ‘kontrafaktischen’ respektive ‘konjekturalen’ Geschichtsschreibung zu. Die Ausgangslage dieser alternate history stellt sich folgendermaßen dar: Da Russland durch den Meteoriteneinschlag des Tunguska-Ereignisses unbewohnbar geworden ist, bleibt Lenin in seinem Exil der Schweiz und gründet dort die Schweizer Sowjet Republik (SSR). Der Erste Weltkrieg endet nicht, sondern dauert bis in die Gegenwart des Romans an, die ungefähr der Zeit des Erscheinens des Romans entspricht. Die Schweiz befindet sich im Dauerkrieg gegen die verbündeten faschistischen Deutschen und Engländer. Die SSR hat das östliche Afrika kolonialisiert und technisch und kulturell an den Westen angepasst. Allerdings sind die Ostafrikaner den schweizerischen Sowjets, die sich zwar als Anti-Rassisten verstehen, nicht wirklich rechtlich gleichgestellt, denn insbesondere Afrikaner werden als Soldaten für den Krieg rekrutiert. Der wieder einmal namenlose Protagonist stammt ebenfalls aus Afrika, allerdings hat er es, für einen kolonialisierten Schweizer ungewöhnlich, bis zum Rang eines Offiziers geschafft. Er hat den Auftrag erhalten, einen gewissen Oberst Brazhinsky festzunehmen, der sich in Neu-Bern aufhalten soll. Doch dieser ist geflohen, weshalb der Protagonist die Verfolgung aufnimmt und ihn schließlich im Réduit auffindet. Das Réduit ist eine gigantische Festungsanlage, die aus Tunneln besteht, welche die Alpen durchziehen. Es bedeutet die Machtzentrale der SSR, wo Gerüchten zufolge Wunderwaffen gegen die Faschisten entwickelt werden. Tatsächlich aber hat niemand mehr einen Überblick über das gesamte Réduit. Vielmehr ist es ein riesiges, noch stets weiter wachsendes Tunnelgeflecht ohne System, in dem keine militärischen Strukturen vorherrschen und von dem auch keine Macht ausgeht. Die erwähnten Wunderwaffen sind ebenfalls nur eine Legende. Im Réduit wird Brazhinsky wie ein Guru angesehen, der unter anderem auch den Protagonisten in einer Art Gedankensprache lehrt. Hier verliert er den Glauben an den Krieg sowie an die SSR und begibt sich zurück nach Afrika. Das Ende des Romans beschreibt, wie die riesigen modernen Städte, die im egalitären, sowjetischen Stil errichtet wurden, von den Bewohnern verlassen werden, welche in ihre Dörfer zurückkehren und jegliche Technologie aufgeben, die ihnen durch die Kolonialisierung beschert wurde. Auf die Ästhetik des Verschwindens deutet schon der Titel des Buches hin, der ein Versprechen der Anwesenheit ‘im Sonnenschein und im Schatten’, also ein Versprechen zur Omnipräsenz – des Protagonisten? – ist. Kracht hat den Titel dem Vers ‘'Tis I'll be there in sunshine or in shadow’ aus dem irischen Volkslied Oh Danny Boy entnommen, das vom Abschied und der Rückkehr handelt. Die Geschichte, die in Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten erzählt wird, stellt aber gerade den Gegenentwurf zur Omnipräsenz dar und thematisiert das Verschwinden, was wiederum das Lied tut, aus dem der Titel entlehnt worden ist. 3.2.1.1, Genremix: In diesem Kapitel wird aufgezeigt, warum die Romanhandlung zuweilen aufgrund ihrer ‘unverbrämte[n] Konstruiertheit und Hanebüchenheit […] mit all ihren Merkwürdigkeiten’ so abstrus wirkt. Die meiste Zeit spielt der Roman im vom Krieg gezeichneten Europa. In dieser Dystopie ist die Zerstörung so weit fortgeschritten, dass selbst die Stadt Heidelberg zerbombt worden ist. Die reale Stadt Heidelberg wurde von den Vereinigten Staaten bewusst von Bombardements verschont, um sie nach dem Krieg als Hauptquartier nutzen zu können. Ohne sie fehlt im Roman also ein wichtiges Symbol der Beständigkeit aus der Realität. In Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, wo der Krieg nie geendet hat, spielen die USA keine politische Rolle in Europa. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass das Setting des Romans eine historische Grundlage besitzt, nämlich die reale Ausgangslage des Ersten Weltkriegs und die damalige politische Situation, aber die Gegenwart im Roman teilweise grundlegend von der Realität abweicht. Hiermit sei die eingangs angesprochene Zuordnung zur alternate history und zur Dystopie nochmals verdeutlicht. Der Alternativgeschichtsroman hat den Anspruch, dass die dargestellte Geschichte tatsächlich so möglich gewesen wäre – also eine echte Alternative zur wahren Geschichte hätte bedeuten können. Größtenteils kommt Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten diesem Anspruch nach. So werden technologische Entwicklungen beschrieben, die in Wirklichkeit ebenfalls, jedoch bereits früher, entwickelt wurden. Solch eine Verzögerung ist nachvollziehbar, bedenkt man, dass der ständige Kriegszustand eine freie Entfaltung der Wirtschaft und mit ihr einhergehende technische Innovationen vereitelt. Krüger versteht diesen Umgang mit dem technischen Fortschritt so, dass der Roman die ‘technikbegeisterte[] frühe[] Moderne, wie sie sich in Fritz Langs Metropolis und Bernhard Kellermanns Der Tunnel zeigt’, konterkariert. Auf der anderen Seite tauchen im Roman Technologien und Figuren auf, die zum einen nur in dieser Dystopie existieren und zum anderen nicht glaubwürdig erscheinen; ‘fantastische[] und trashige[] Elemente[]’, die sich nicht mit der übrigen Handlung vereinbaren lassen..
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